Mit einem Jahr Verspätung treffen sich nächste Woche die internationalen Klima-Verhandelnden zum Gipfel im schottischen Glasgow. „Das ist wohl der wichtigste Klimagipfel seit Paris 2015“, sagt der UN-Generalsekretär. Die Fachzeitschrift „Nature“ nennt das Treffen „den ersten großen Test von Paris“.
„Paris“ – damit ist das Pariser Klima-Abkommen gemeint, in dem sich die Regierungen vor sechs Jahren selbst verpflichteten, die Erderwärmung auf 1,5 Grad bis zum Ende dieses Jahrhunderts zu senken. Dieses Abkommen war ein Quantensprung, lieferte den Klima-Aktivist:innen eine Vorlage, auf die sie ihre Regierungen verpflichten konnten – und ist doch nicht ausreichend.
Alok Sharma, Präsident des Gipfels in Schottland, sagt: „Viele Detailfragen blieben in Paris offen. Es ist ein bisschen so, als hätten wir eine Schulaufgabe bekommen und die schwersten Aufgaben sind noch offen, während die Zeit immer knapper wird.“ Der britische Premierminister zeigt sich im Vorfeld des Gipfels „sehr besorgt“. Die Verhandlungen werden sehr schwer werden.
In Paris ging es um das große Ganze, nun in Glasgow geht es um die Details. Wie genau die von Aktivist:innen als nutzlos gescholtene internationale Klimadiplomatie in der Klimakrise helfen kann, entscheidet sich also in den kommenden Wochen.
Die Verhandler:innen müssen sich auf mehreren Themenfeldern einigen. Ein Überblick mit Links, um jeweils tief einzusteigen:
Die Klimaziele der Länder
Das Pariser Abkommen verpflichtet alle Unterzeichner-Länder, sich selbst Klimaziele zu geben: die national festgelegten Beiträge (NDC). Diese können sie komplett selbst bestimmen, sie müssen aber alle fünf Jahre aktualisiert werden. Glasgow ist der erste Gipfel seit Paris, zu dem die Länder neue Ziele einreichen mussten.
Die NDCs sind der Stützpfeiler der internationalen Klimadiplomatie und damit auch ein Schlüssel für die Lösung der Klimakrise. Sie setzen Anreize, sie dienen als Koordinierungsmechanismus zwischen den Ländern. Sie setzen eine Norm für Vergleiche.
Ein kleiner Erfolg: Die aktualisierten Beiträge der Länder senken die Emissionskurve. Im besten Fall erwärmt sich die Erde um 2,1 Grad statt um drei Grad, wie es laut Beiträgen des Pariser Abkommens der Fall gewesen wäre.
Aber dennoch ist es zu wenig. 1,5 Grad ist das eigentliche Ziel. Die Differenz zwischen 2,1 und 1,5 hört sich nicht groß an, kann aber den Unterschied zwischen einer gerade so noch abfangbaren Klimakrise und einer sich selbst verstärkenden Klimakatastrophe machen. Auch die deutschen Beiträge reichen laut der NGO „Climate Action Tracker“ nicht aus.
Dass der allerbeste Fall eintritt (2,1 Grad), kann man wiederum nicht voraussetzen. Denn die national festgelegten Beiträge sind nicht völkerrechtlich bindend. Sie können zwar vor nationalen Gerichten eingeklagt werden, doch das hängt davon ab, wie unabhängig die Justiz und wie stark das Klimabewusstsein vor Ort ist.
In Glasgow muss und wird es also darum gehen, dass sich die Länder selbst auf mehr Beiträge verpflichten.
Der internationale CO2-Handel
Wegen des Internationalen CO2-Handels musste der letzte Klimagipfel in Madrid um zwei Tage verlängert werden und endete dann doch mit neun (!) Kompromiss-Entwürfen ergebnislos.
Artikel 6 des Pariser Abkommens sieht vor, einen internationalen Markt für Emissionsreduktionen, sogenannte „CO2-Kredite“ zu schaffen. Länder, die ihre Ziele übererfüllen, könnten dann solche Kredite an Länder verkaufen, die das nicht schaffen.
Die gute Nachricht in Glasgow ist: Brasilien konnte ins Boot geholt werden. Das Land verfügt mit dem Amazonas-Regenwald über einen der größten CO2-Speicher des Planeten und wird deswegen eine Schlüsselrolle in dem zukünftigen Markt spielen.
Die schlechte Nachricht ist: Alle anderen Streitpunkte sind noch offen. Die Länder müssen sich einigen, wie und welche CO2-Kredite wann gezählt werden (Doppelzählung vermeiden), wie mit alten Krediten aus den 1990er Jahren umgegangen werden soll, wohin und wie das Geld fließt und ob die Gesamtzahl der Kredite abgesenkt werden soll – zusätzlich zu den nationalen Beiträgen.
Die jeweiligen Details sprengen den Rahmen dieses Artikels, klar ist aber: Sollten die Länder sich hier einigen, wäre das ein sehr großer Fortschritt. Es würde einen weltweiten Boom in CO2-Kompensationsprogrammen auslösen, mit allen guten und schlechten Folgen.
Der Kohleausstieg
Für COP-Präsident Alok Sharma ist ein globaler Kohleausstieg eines der Schlüsselziele des Klimagipfels. Aber ein Vorbereitungstreffen blieb schon ergebnislos. Vor allem Länder wie Australien oder Indien wollen einen Ausstiegsbeschluss verhindern. Australien ist einer der Hauptexporteure, Indien wiederum will die Kohle mit Verweis auf sein Wirtschaftswachstum nicht aufgeben.
Vor ein paar Wochen hatten Aktivist:innen einen Entwurf des Weltklimaberichts geleakt – aus Angst, dass er von den Regierungen der Welt verwässert wird.
Es zeigt sich, dass die Angst berechtigt war: Dokumente, die der BBC vorliegen, belegen, dass unter anderem Japan, Indien, Saudi-Arabien und Australien wollen, dass der Bericht weniger stark auf einen kompletten Ausstieg aus fossiler Energie verweist.
Die Klima-Reparationen
Offiziell heißen sie „Unterstützungs-“ oder „Hilfszahlungen“. Es geht um Geld, das aus den reichen Industriestaaten des Nordens in die ärmeren Länder des Südens fließt. Praktisch kommen sie Reparationszahlungen gleich. Das zeigt unter anderem die Begründungen, mit denen Länder wie Indien diese Zahlungen fordern: Sie verweisen auf die Klimaschäden, die die historischen Emissionen der reichen Länder bei ihnen verursachen.
Dass diese Gelder fließen sollen, ist nicht strittig. Wie viel allerdings gezahlt werden muss, wird in Glasgow Thema sein. Denn die reichen Länder haben ihre Versprechen nicht eingehalten. Eigentlich sollten ab dem Jahr 2020 100 Milliarden US-Dollar jährlich fließen, ein Jahr zuvor waren es aber nur 80 Milliarden. Eine große Lücke.
An dieser Frage könnte sich entscheiden, ob Länder wie Indien bereit sind, an anderer Stelle Kompromisse zu machen, zum Beispiel beim Kohleausstieg oder beim Artikel 6. Denn aus ihrer Sicht ist das eine Frage der Gerechtigkeit.
Die Verhandler:innen werden sich außerdem einigen müssen, was als Hilfszahlung zählt: Kredite? Bürgschaften? Direkte Zahlungen?
Allein diese kurze Übersicht zeigt, wie schwierig der Gipfel wird. Die britische Regierung hat deswegen schon ihre Verhandlungsstrategie angepasst. Sie versucht, möglichst viele kleinere Nebenabkommen zu schließen. Und hier gibt es Fortschritte.
Zum ersten Mal in der Geschichte dürfte es ein globales Abkommen zum hochreaktiven Treibhausgas Methan geben. Das Gas tritt oft „als Abfallprodukt“ bei der Öl- und Gasförderung auf. Nun haben sich mindestens 35 Länder geeinigt, ihre Methan-Emissionen bis 2030 um 30 Prozent zu senken.
Außerdem ist weiterhin ein Abkommen über Abholzung im Gespräch. Die Zerstörung der globalen Wälder ist ein zentrales Thema in der Klimakrise: Sie sind wichtige CO2-Speicher und CO2-Staubsauger. Abholzung kann außerdem in einen direkten Zusammenhang mit der Gefahr durch Waldbrände und Pandemien wie Corona gebracht werden. Die EU, Indonesien und die Demokratische Republik Kongo werden das Abkommen unterschreiben. Es fehlt aber etwa noch das Amazonasland Brasilien.
Eine Sache allerdings werden die Verhandler:innen in Glasgow wohl nicht besprechen. Die ganz einfache Frage, ob diese Klimadiplomatie etwas bringt. Der Klima-Aktivist Tadzio Müller twittert seit Monaten regelmäßig eine Grafik, die die Kritik auf den Punkt bringt:
„Es gibt keine Klimapolitik“, sagt er. „Ich will damit darauf hinweisen, dass es keinen regierungsoffiziellen Klimaschutz gibt. Und zweitens, alles, was wir an klimapolitischen Maßnahmen kennen, ist ineffektiv.“ Immer wieder formulierten die Regierungen nette Ziele, so Müller, aber keine Mechanismen, um sie zu erreichen.
Schlussredaktion: Lisa McMinn, Fotoredaktion: Till Rimmele, Audioversion: Christian Melchert