Links: Ein Ausgetrockneter Stausee in den Canyons Arizonas. Rechts: Ein Porträt des Autors, Rico Grimm

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Klimakrise und Lösungen

Fünf Sätze, die es wohl nicht in den nächsten Klimabericht schaffen – obwohl sie wahr sind

Aktivist:innen haben wissenschaftlichen Erkenntnisse des Entwurfs des UN-Klimaberichts geleaked, die es eher nicht in die finale Fassung schaffen, weil Regierungen sie darin nicht lesen wollen.

Profilbild von Ein Newsletter von Rico Grimm

Der Teil des Klimabericht der UN, der vor ein paar Wochen erschienen ist, war in einem gewissen Sinne unwichtig. Weil er nur bestätigte, was wir schon wissen: Wir sind in einer Klimakrise – und es wird schlimmer.

Viel interessanter sind die Teile des Klimaberichts, die im Frühjahr nächsten Jahres erscheinen sollen. Sie schauen sich an, wie die Regierungen die Erderhitzung verlangsamen und ihre Folgen abfedern können.

Diese Teile sind die kontroversen; sie haben politische Sprengkraft, weil sie in nüchterner Sprache darlegen, wie genau Regierungen tagtäglich im Kampf gegen die Klimakrise versagen. Einige Wissenschaftler:innen, die sich als Scientist Rebellion zusammengetan haben, haben deswegen einen Entwurf des kommenden Klimaberichts geleakt. Genauer gesagt des dritten Teils, in dem es um die Verhinderung der Erderhitzung geht.

Warum ist dieses Leak wichtig? Weil der offizielle Prozess vorsieht, dass Regierungen selbst entscheiden können, was in der finalen Fassung des wichtigsten Teil des Klimaberichts steht: die Zusammenfassung für „policymakers” stellt nicht wirklich den aktuellen wissenschaftlichen Sachstand dar, sondern den kleinsten gemeinsamen Nenner von knapp 200 Regierungen der Welt. (Das ist auch der Grund, warum die Klimaberichte in ihren Prognosen oft zu konservativ sind.)

Ich habe das Leak für euch ausgewertet und eine Auswahl jener Sätze herausgesucht, die es eher nicht in die finale Fassung schaffen werden, weil Regierungen diese Sätze wohl zensieren werden.


Das ist ein Newsletter von Rico Grimm. Parallel zu unseren langen Magazin-Texten verschicken unsere Reporter:innen immer wieder kurze Analysen, Meinungsbeiträge und Rechercheskizzen, die einen Blick in ihre Arbeit hinter den langen Stücken ermöglichen. Manche der Newsletter sind Kickstarter für anschließende, tiefere Recherchen.


1. Satz: Mehr Wachstum als CO2-Reduktion

„Growth in global per capita GDP and population has outpaced a fall in the global average use of energy per unit of GDP. […] (high confidence)“
IPCC AR6 WGIII, Summary for Policymakers, 1st draft, B2

Was das heißt: Die Wissenschaftler:innen sind sich einig, dass die Wirtschaft und Weltbevölkerung schneller wachsen als die relativen Treibhausgasemissionen global gesehen sinken. Zwar hätten einige Länder es geschafft, mehr Wohlstand mit weniger Treibhausgasemissionen zu erzeugen. Aber nur „wenige”.

Warum dieser Satz gefährdet ist: Weil er das Wachstumsmantra in Frage stellt, dem alle Regierungen anhängen, insbesondere die reichen. Außerdem zeigt er, dass zumindest zum jetzigen Zeitpunkt sogenanntes grünes Wachstum für die Menschheit keine Option ist. Das ist aber genau das, was zum Beispiel US-Präsident Joe Biden oder die deutschen Grünen versprechen. Für die Regierungen schnell wachsender Länder in Afrika oder Asien dürfte wiederum der Hinweis auf die wachsende Bevölkerung nicht opportun sein.

2. Satz: Ungleichheit macht Lösung der Klimakrise schwerer

„The consumption patterns of higher income consumers are associated with larger carbon footprints. (high confidence) Growing within country inequalities in greenhouse gas emissions creates distributional and social cohesion dilemmas […] (medium confidence).”
IPCC AR6 WGIII, Summary for Policymakers, 1st draft, B3.4

Was das heißt: Reiche verursachen durch ihre Lebensweise (viele Flüge, große Häuser, große Autos, Fleischkonsum) mehr Treibhausgase als arme Menschen. Das wiederum führt zu Treibhausgas-Ungleichheit in den Staaten.

Warum der Satz gefährdet ist: Weil die Wissenschaftler:innen mit Ungleichheit ein zentrales Thema unserer Zeit ansprechen und gleichzeitig darauf hinweisen, dass diese Ungleichheit zu Unruhen führen kann („social cohesion dilemma”). Dieser Hinweis mag für die dänische Regierung kein Problem sein, aber wie sieht es bei der russischen, der saudischen, der chinesischen aus? Alles Länder, die sich durch extreme Ungleichheit auszeichnen, und deren Regierungen Angst vor Revolutionen haben.

3. Satz: Das Zwei-Grad-Ziel wird verfehlt

„Current pledges are not consistent with long-term emission pathways that would likely limit global warming to 2 degrees (celsius) during the 21st century. (high confidence)”
IPCC AR6 WGIII, Summary for Policymakers, 1st draft, B6

Was das heißt: Im Rahmen des Pariser Klimaabkommens müssen die Regierungen der Welt Zusagen über ihre Klimaziele abgeben. Diese Zusagen reichen nicht nur nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Sie reichen laut den Autor:innen auch nicht aus, um 2 Grad einzuhalten.

Warum der Satz gefährdet ist: In den vergangenen zwölf Monaten überboten sich die Regierungen der Welt mit immer neuen, immer ambitionierteren Klimazielen. Wie glaubwürdig ist das, wenn die gleichen Regierungen im offiziellen UN-Bericht zugeben, dass diese Ziele nicht ausreichen? Noch nicht einmal für das Pariser Minimalziel von weniger als 2 Grad?

4. Satz: Weniger Fleisch essen

„A shift to diets with a higher share of plant-based protein in regions with excess consumption of calories and animal-source food can lead to substantial reductions in GHG emissions (high confidence)”
IPCC AR6 WGIII, Summary for Policymakers, 1st draft, C4.4

Was das heißt: Wie sich Menschen ernähren, kann großen Einfluss auf das Klima haben. Je mehr Fleisch sie essen und je öfter es von Rindern stammt, desto größer ist der Einfluss. Die Autor:innen weisen in diesem Satz darauf hin, dass insbesondere die Regierungen jener Länder Verantwortung tragen, deren Bevölkerung mehr Fleisch isst als nötig wäre. Also die reichen Länder, allen voran die USA.

Warum der Satz gefährdet ist: Wer schon einmal eine Debatte über Fleischsteuer oder vegane Tage in Kantinen erlebt hat, weiß, warum dieser Satz gefährdet ist. Hinzu kommt, dass auch die Regierungen der Länder, die viel Rindfleisch in die Welt exportieren, sich über diesen Satz nicht freuen werden.

5. Satz: Grünes Wachstum kann funktionieren – vielleicht

„If current patterns of technological change continue, it may also lead to higher emissions of other side-effects, for instance through rebound effects whereby falling costs incentivise higher levels of consumption. (medium confidence)”
IPCC AR6 WGIII, Summary for Policymakers, 1st draft, E6.1

Was das heißt: Die Wette hinter dem Versprechen von grünem Wachstum ist: Wir können wachsen und gleichzeitig die absolute Summe an Treibhausgasen reduzieren. Dieser Satz weist daraufhin, dass diese Wette nicht aufgehen könnte. Schuld ist der sogenannte Rebound-Effekt: Wenn etwas billiger wird, wird es mehr genutzt.

Warum der Satz gefährdet ist: Wenn Rebound-Effekte substantiell und in großer Zahl auftreten würden, würde die aktuelle Strategie der Regierungen scheitern. Da die Regierungen selbst nichts dazu sagen, dass es diese Effekt erwiesenermaßen gibt, werden sie das mutmaßlich auch nicht im Klimabericht unterschreiben. Denn wenn Rebound-Effekte grünes Wachstum untergraben, bliebe nur noch eine andere Alternative: Degrowth, also Abkehr vom Wirtschaftswachstum als gesellschaftliches Ziel – und damit einhergehend der komplette, extrem schmerzhafte Umbau der Gesellschaft.


Redaktion: Lisa McMinn, Audioversion: Christian Melchert

Fünf Sätze, die es wohl nicht in den nächsten Klimabericht schaffen – obwohl sie wahr sind

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