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Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat einstimmig ein wegweisendes Urteil gesprochen: Das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition ist in Teilen verfassungswidrig. Regierung und Bundestag müssen nachbessern, konkret: Sie müssen verbindlichere Ziele für die Zeit nach dem Jahr 2030 festlegen. Die Richter:innen gaben damit den Kläger:innen aus der Fridays-for-Future-Bewegung zum Teil Recht.
Dieses Urteil ist wichtiger, als es auf den ersten Blick scheint. Warum, das kann uns die Juristin Anna-Julia Saiger erklären. Sie forscht an der Humboldt-Universität zu Berlin zu Klimaklagen und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medien- und Informationsrecht in Freiburg, Rechtsreferendarin am Oberlandesgericht Karlsruhe und eine der Redakteur:innen des Völkerrechtsblogs. Sie ist auch auf Twitter zu finden.
Die Klimabewegung feiert dieses Urteil und selbst in der vergleichsweise nüchtern formulierenden Juristen-Gemeinschaft fiel das Wort „epochal“. Was genau macht dieses Urteil so bedeutend?
Man muss das vor dem Hintergrund der Erwartungen verstehen: die waren sehr niedrig. Bis vor kurzem wurden Recht und Klima noch als zwei getrennte Dinge betrachtet. Dann kam Fridays for Future, hat Klimaschutz zu einem breit diskutierten Thema gemacht, und das hat sich natürlich auch im juristischen Bereich niedergeschlagen. Das Feld ist also noch recht jung.
Die Erwartungen waren aber auch deswegen niedrig, weil vor ein paar Monaten der Europäische Gerichtshof im Fall Armando Carvalho, umgangssprachlich auch „The people’s climate case“, geurteilt hatte, dass es kein Urteil in der Sache sprechen kann.
Die Klage war nicht zulässig, weil das Gericht der Ansicht war, dass die Kläger:innen nicht individuell betroffen seien. Viele hatten nun gedacht, dass das Bundesverfassungsgericht ähnlich urteilt. Es kam aber ganz anders und das in einer Entscheidung des höchsten Gerichts in Deutschland.
Welche Dinge in diesem Urteil haben dich überrascht?
Erstens, dass sich das BVerfG ganz stark auf völkerrechtliche Klimaziele stützt und diese Ziele in unserer Verfassung verankert, speziell das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 und die Pariser Klimaziele.
Zweitens, der Schutz der zukünftigen Generationen, der verfassungsrechtlich bisher nicht so eine große Rolle gespielt hat. Der Schutz künftiger Generationen ist zwar seit 1994 in Artikel 20a des Grundgesetzes als Staatsziel verankert, aber da können Gerichte im Normalfall nicht heran. Da sagt der Gesetzgeber einfach: „Wie ich dieses Ziel umsetze, geht dich nichts an.“ Die Gerichte können an dieser Stelle nur ganz grob prüfen.
Nun aber hat das Gericht die Frage des Klimaschutzes in die „Form der Rechte“ gebracht, das heißt, dass Art. 20a Grundgesetz nun richterlich überprüfbar wird. Wenn man so will, ist es ein zeitlicher Twist, der hier passiert. Das Gericht argumentiert: Wir sehen jetzt, dass später drastische Einschränkungen aller Freiheitsrechte geschehen müssen, wenn im Klimaschutz zu wenig getan wird. Diese späteren potentiellen Einschränkungen erlauben dem Gericht nun dieses Urteil. Damit wird Klimaschutz einklagbar.
Dieses Interview ist ein Newsletter von Rico Grimm. Parallel zu unseren langen Magazin-Texten verschicken unsere Reporter:innen immer wieder kurze Analysen, Lesetipps und Rechercheskizzen, die einen Blick in ihre Arbeit hinter den langen Stücken ermöglichen sollen. Manche der Newsletter sind Kickstarter für anschließende, tiefere Recherchen. Und manche halten wir für interessant auch für Leser:innen, die die einzelnen Newsletter gar nicht abonnieren. Deswegen holen wir sie ab und an auf die Seite.
Was folgt aus dem Urteil?
Was die Gesetzgebung jetzt machen muss, ist letztlich gar nicht so viel. Das Gericht hat sie dazu verurteilt, das Klimaschutzgesetz von 2019 nachzubessern. Es will, dass die Regierung und der Bundestag die Reduktionsziele auch für die Zeit nach dem Jahr 2030 genauer regeln.
Wichtig ist aber, dass das langfristige Folgen hat. Das Szenario, das das Gericht hier aufbaut, ist beachtlich: Es wird drastische Eingriffe in praktisch alle Freiheitsrechte geben müssen, wenn der Klimawandel ungehindert fortschreitet. Gegenüber diesem Szenario muss der Gesetzgeber handeln. Daraus ergibt sich bereits jetzt die Pflicht, umsichtig mit dem CO2-Budget umzugehen. Diese Pflicht war vorher nicht im Grundgesetz verankert. Da die Ziele mit dem Fortschreiten des Klimawandels immer ehrgeiziger werden müssen, beinhaltet das Grundgesetz nun letztlich eine CO2-Reduktionsdynamik.
Inwiefern ist dieses Urteil vergleichbar mit Klima-Urteilen aus anderen Ländern, speziell dem berühmten Urgenda-Urteil aus den Niederlanden, wo das höchste Gericht des Landes die Regierung dazu verpflichtete, die CO2-Emissionen zu senken?
Es gibt über 1.500 Klimafälle vor Gerichten weltweit und bei Weitem nicht alle sind in die Datenbanken aufgenommen worden. Der Urgenda-Fall ist sehr bekannt geworden, weil er durch alle Instanzen erfolgreich war. In Bezug auf den Erfolg ist das Urgenda-Verfahren sicherlich vergleichbar mit dem jetzigen Urteil.
Aber es gibt auch Unterschiede in den Fällen: Der Urgenda-Fall spielte zunächst im Zivilrecht und dann in der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Gerichte befassten sich stark mit den wissenschaftlichen Daten über den Klimawandel. Das BVerfG hingegen hat über Verfassungsrecht geurteilt. In Bezug auf die wissenschaftliche Unsicherheit greift es auf das Prinzip der Vorsorge zurück: Wo es Unsicherheiten gibt, müssen wir besonders vorsichtig sein. Auf die naturwissenschaftlichen Debatten geht das Gericht gar nicht ein.
Wo hatte das Gericht den Kläger:innen nicht Recht gegeben?
Der Staat hat Schutzpflichten: Grundrechte schützen mich in erster Linie davor, dass der Staat ungerechtfertigt in meine Freiheit eingreift. Sie haben aber auch eine positive Dimension, zum Beispiel das Recht auf saubere Luft. Diese Dimension, den sogenannten positiven Gehalt der Grundrechte, hat das Gericht in diesem Fall nicht als verletzt angesehen. Hier betrachtet es die Maßnahmen im Klimaschutzgesetz für ausreichend, denn der Gesetzgeber ist ja prinzipiell aktiv geworden im Bereich des Klimaschutzes.
Schauen wir gerade live dabei zu, wie sich eine neue internationale Klimaschutznorm entwickelt?
Ich denke, diese Norm gibt es schon und zwar in Form der Pariser Klimaziele. Diese Norm hat aber noch nicht so viel Biss. Was wir jetzt sehen, ist, wie diese Norm im nationalen Recht ankommt – und plötzlich bekommen Gerichte eine zentrale Funktion und damit auch das Bundesverfassungsgericht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die ersten Reaktionen auf dieses Urteil waren zum Teil kurios. Einige Politiker:innen aus der Großen Koalition applaudierte dem Gericht – und freuten sich öffentlich, allen voran Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier:
https://twitter.com/peteraltmaier/status/1387681285385203712
Rational erklären, lässt sich das eigentlich nur mit zwei Dingen:
Erstens, Wahlkampf. Wer will sich ausgerechnet jetzt auch nur den Anschein geben, gegen Klimaschutz zu sein?
Zweitens, das Bundesverfassungsgericht hat der Regierung im Grunde einen Gefallen getan. Weil nun ein hochpolitisches, kontroverses Thema in Grundsätzen komplett geklärt ist. Klimaschutz hat Verfassungsrang. So eine Aussage hilft in jeder Verhandlung, egal, wie man zu den Details steht. Über Ziel und Richtung können die zukünftigen Regierungen nicht mehr diskutieren: Deutschland muss seine Reduktionsziele einhalten.
Die Politiker:innen können und sollten aber darüber diskutieren, wie diese Ziele erreicht werden:
- Schenken wir dem Geflecht der Ökosysteme genug Beachtung?
- Welche Verbindung gibt es zwischen Rohstoffverbrauch und Klimakrise?
- Wie viel und welches Wirtschaftswachstum brauchen wir?
- Welche klimaschädlichen Subventionen gehören abgeschafft?
- Welche Rolle kann der Wasserstoff wirklich spielen?
Diese Fragen sind letztlich entscheidend in der Klimakrise, denn die große, alle Bereiche betreffende Transformation, die sie erfordert, kann auf keiner Richterbank dieser Welt geregelt werden. Das ist Sache der Gesellschaft – und ihrer führenden Politiker:innen.
Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Till Rimmele