Zwei leuchtend rote Bagger in einer schwarzen Öl-Sand Mine in Kanada.

© Getty Images / via The Washington Post/ Michael S. Williamson

Klimakrise und Lösungen

Es gibt Verbrechen gegen die Menschlichkeit – nun soll es auch Verbrechen gegen die Natur geben

Muss der Shell-CEO beim nächsten Ölunglück vor den Internationalen Gerichtshof? Das könnte passieren, wenn die Idee einer immer einflussreicheren Gruppe von Menschen Wirklichkeit wird.

Profilbild von Nicholas Kusnetz, Katie Surma und Yuliya Talmazan

Nachdem Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs Millionen von Juden und andere Minderheiten vernichtet hatte, verabschiedeten die Vereinten Nationen 1948 eine Vereinbarung, die ein neues Verbrechen festlegte. Und zwar eines, das so abscheulich war, dass es gemeinsames Handeln erforderte. Völkermord, so erklärten die Nationen, werde „von der zivilisierten Welt verurteilt“ und rechtfertige ein Eingreifen in die Angelegenheiten souveräner Staaten.

Nun hat eine kleine, aber wachsende Zahl von Staats- und Regierungschefs damit begonnen, ein Verbrechen anzusprechen, das in ihren Augen eine ähnliche Bedrohung für die Menschheit darstellt – und noch nicht von existierenden Gesetzen beachtet wird: Den Ökozid, also die weit verbreitete Zerstörung der Umwelt. Zu ihnen zählen unter anderem der französische Präsident Emmanuel Macron und Papst Franziskus.

Der Papst beschreibt Ökozid als „die massive Verschmutzung von Luft, Land und Wasser“ oder „jede Handlung, die eine ökologische Katastrophe hervorrufen kann.“ Er hat vorgeschlagen, das für Katholiken zur Sünde zu erklären.

Franziskus hat auch eine Kampagne von Umweltaktivisten und Rechtsgelehrten unterstützt, Ökozid zu einem Verbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu erklären – als juristische Abschreckung gegen jene Arten von weitreichenden Umweltschäden, die Massenaussterben, ökologischen Kollaps und Klimawandel vorantreiben. Käme es so, wäre das ein monumentaler Schritt. Er würde bedeuten, dass politische Führer und Führungskräfte von Unternehmen für „ökozidale“ Handlungen angeklagt und inhaftiert werden könnten. Aber noch stehen diesem Vorhaben schwierige, globale Debatten bevor.

Um ihre Argumente zu untermauern, verweisen die Befürworter auf den Amazonas, wo 2019 Brände außer Kontrolle gerieten und der Regenwald jetzt möglicherweise so zerstört ist, dass er mehr erderhitzende Gase ausstößt, als er aufnimmt. Sie verweisen darauf, dass die gefrorene Arktis, die Eisschilde von Grönland und der Antarktis schmelzen. Überall auf der Welt stört der Klimawandel die zuverlässigen jahreszeitlichen Rhythmen, die das menschliche Leben seit Jahrtausenden aufrechterhalten haben, während Hurrikane, Überschwemmungen und andere klimabedingte Katastrophen in den vergangenen sechs Monaten mehr als zehn Millionen Menschen aus ihren Häusern vertrieben haben. Die Verschmutzung durch fossile Brennstoffe hat in den vergangenen Jahren laut einer Studie im umweltwissenschaftlichen Fachmagazin „Environmental Research“ jährlich neun Millionen Menschen getötet – mehr als Tuberkulose, Malaria und AIDS zusammen. Eines von vier Säugetieren ist vom Aussterben bedroht. Bei den Amphibien sind es zwei von fünf.

Die Umweltzerstörung ist so weit verbreitet und so umfangreich, dass manche Umweltschützer von Ökozid sprechen, um deren Brennpunkte zu beschreiben:

Weltkarte mit Ökozid-Hotspots in Kanada, Gold von Mexiko, Vietnam, Tschernobyl und dem Amazonas.

Grafik: Bent Freiwald für Krautreporter

  • Tschernobyl, das ukrainische Atomkraftwerk, das 1986 explodierte und die nun menschenleere Gegend radioaktiv verstrahlte

  • Die Teersandfelder im Norden Kanadas, wo giftige Abfallgruben und Tagebauanlagen 1.000 Quadratkilometer borealer Wälder und Moorlandschaften ersetzt haben

  • Der Golf von Mexiko, der Schauplatz der Deepwater Horizon-Katastrophe, bei der elf Menschen ums Leben kamen und wo in 87 Tagen mindestens 750 Millionen Liter Rohöl ins Meer flossen, die unzählige Meeressäuger, Meeresschildkröten, Fische und Zugvögel getötet haben

  • Der Amazonas, wo die rasante Abholzung, die vom brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro gefördert wurde, US-Präsident Joe Biden während seiner Präsidentschaftskampagne dazu veranlasste, einen 20-Milliarden-Dollar-Rettungsplan vorzuschlagen und dem brasilianischen Staatsoberhaupt mit wirtschaftlichen Sanktionen zu drohen.

Die Kampagne, den Ökozid als Verbrechen einzustufen, bewegt sich gerade vom Rand in die Mitte der globalen Diplomatie. Das liegt vor allem daran, dass immer mehr Aktivisten und Politiker erkennen, wie sehr Klimawandel und Umweltanliegen mit Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit verbunden sind.

Trotzdem ist die Kampagne noch längst nicht am Ziel, sagen Völker- und Umweltrechtsexperten. Die Befürworter werden zuerst klären müssen, ob nationale Regierungen oder die internationale Gemeinschaft letztendlich die Kontrolle über natürliche Ressourcen haben. Und sie werden wahrscheinlich auf den Widerstand von Ländern stoßen, die hohe Kohlenstoffemissionen und starke Industrien haben.

Und noch eine Sache müssen die Umweltschützer herausfinden: Wie soll das Strafrecht mit dem Klimawandel umgehen? Der wurde schließlich durch das Verbrennen von Kohle und Benzin ausgelöst, beides Dinge, die nicht nur legal sind, sondern auch zentral für die globale Wirtschaft.

Selbst ohne neue Gesetze kann die Kampagne erfolgreich sein

Aber bei der Ökozid-Kampagne geht es um mehr als ein Gesetz. Jojo Mehta, die 2017 die „Stop Ecocide“-Kampagne ins Leben gerufen hat, beschreibt es als eine moralische und auch praktische Frage: „Wir benutzen das Strafrecht, um moralische Grenzen zu ziehen“, sagt Mehta. „Wir sagen, dieser Mord ist nicht akzeptabel. Wir müssen eine rote Linie bei der Zerstörung der Natur ziehen. Das wird einen großen Unterschied machen, auch für die Menschen, die das bisher finanzieren.“

Scott W. Badenoch Jr., ein amerikanischer Umweltanwalt, der die Kriminalisierung von Ökozid befürwortet, verwendet den Begriff, um den Zustand und das Schicksal der Erde zu beschreiben. „Der Ökozid ist jetzt überall auf dem Planeten verbreitet“, sagt er. „Die ökologischen Strukturen, die die lebenden Organismen auf der Erde seit jeher aufrechterhalten haben, brechen überall zusammen.“ Er fügt hinzu: „Ökozid ist – offen gesagt – der Zustand, in dem wir auf der Erde leben.“

Das Konzept des Ökozids wurde aus einer Tragödie geboren. Über einen Zeitraum von zehn Jahren versprühte die Regierung der Vereinigten Staaten 100 Millionen Liter starker Herbizide, darunter Agent Orange, über der Landschaft in Vietnam, Kambodscha und Laos, um während des Vietnamkriegs feindliche Zufluchtsorte zu entdecken.

Die mit Dioxin versetzten Chemikalien entlaubten den grünen Dschungel und verursachten bei den Anwohnern Krebs, neurologische Erkrankungen und Missbildungen. Während die Zahl der Opfer umstritten ist, behaupten vietnamesische Gruppen, dass es mehr als drei Millionen seien. 1970 beschwor der Yale-Biologe Arthur Galston diese Zerstörung, um die Welt aufzufordern, das zu ächten, was er „Ökozid“ nannte.

Mehr als 20 Jahre später schloss sich die Weltgemeinschaft zusammen, um den Internationalen Strafgerichtshof zu gründen. Formell enstand er 2002 durch einen Vertrag namens Römisches Statut, um Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen zu verfolgen, wenn seine Mitgliedsländer dies nicht selbst tun. Im Moment sind 123 Länder Teil davon.

Frühe Entwürfe des Römischen Statuts enthielten das Verbrechen der Umweltzerstörung, aber es wurde nach dem Widerstand der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und der Niederlande gestrichen und stattdessen zu einem Kriegsverbrechen erklärt, das nie durchgesetzt wurde. Deswegen enthält das internationale Strafrecht nur wenige Leitplanken, um Umweltzerstörung in Friedenszeiten zu verhindern.

„Es gibt eine große Lücke und die muss gefüllt werden“, sagt Badenoch, ein Gastanwalt am Environmental Law Institute in Washington. „Wir können derzeit weder große Unternehmen noch große Regierungen für den Ökozid zur Verantwortung ziehen. Was machten wir also? Wir benennen die Verantwortlichen und prangern ihr Verhalten öffentlich an. Das ist alles, was wir haben.“

Die jahrzehntelange Ölförderung in Nigeria durch Tochtergesellschaften von Royal Dutch Shell zum Beispiel hat laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen Luft, Boden und Wasser in Teilen des Landes mit Benzol und anderen giftigen Schadstoffen verseucht. Zivilklagen haben Jahre gebraucht, um sich durch die europäischen Gerichte zu winden, und keine Gesetze waren stark genug, um die Schäden zu verhindern, obwohl Shells nigerianische Tochtergesellschaft kürzlich von einem niederländischen Gericht dazu verurteilt wurde, nigerianische Bauern zu entschädigen.

Curtis Smith, ein Sprecher von Shell, verwies auf einen Unternehmensbericht, der besagt, dass viele der Lecks durch Sabotage und Diebstahl entstanden sind und dass das Unternehmen mit den Beteiligten zusammenarbeitet, um die vom UN-Umweltprogramm festgestellte Verschmutzung zu beseitigen.

Klein und weit entfernt, aber mit Schlüsselrolle: Vanuatu

Ein Ökozid-Verbrechen würde von den Mitgliedern des Internationalen Strafgerichtshofs verlangen, eigene nationale Ökozidgesetze zu erlassen, und sollten sie diese Gesetze nicht durchzusetzen, könnte der Internationale Gerichtshof einschreiten. Kate Mackintosh, Geschäftsführerin des Promise Institute for Human Rights an der University of California Los Angeles (UCLA), sagt, dass dieser Gerichtshof eine Schlüsselrolle einnehmen kann. In schwachen Staaten seien etwa Unternehmen oder andere Verursacher von Umweltverschmutzungen manchmal mächtiger als die nationalen Regierungen. „Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Strafverfolgung in diesen Staaten stattfindet, ist ziemlich gering“, erklärt sie. „Aber bei einem internationalen Verbrechen ist das eigentlich kein Hindernis.“

Bisher waren politische Führer und Warlords Ziele des Gerichts. Mit der Kriminalisierung des Ökozids könnte es auch Umweltverbrechen von Führungskräften aus der Wirtschaft verfolgen. „Das könnte einen Unterschied bei den Gesprächen in Vorstandsetagen machen“, sagt Mackintosh. Sogar die Drohung, als internationaler Krimineller abgestempelt zu werden, könne destruktives Unternehmensverhalten abschrecken, sagt sie. „Ich meine, das ist ja keine gute PR, oder?“

China, die Vereinigten Staaten, Indien und Russland – vier der größten Umweltverschmutzer der Welt – sind keine Mitglieder des Internationalen Strafgerichtshofs. Aber wenn ein Unternehmen mit Sitz in einem dieser Länder in einem Mitgliedstaat tätig wäre, könnten dessen Führungskräfte trotzdem unter die Gerichtsbarkeit des Gerichts fallen.

Der Vorstoß zur Kriminalisierung des Ökozids blieb lange eine Randerscheinung. Im Dezember 2019 empfahlen aber Vanuatu und die Malediven dem Gericht, eine Änderung seiner Satzung zu erwägen, um „Handlungen zu kriminalisieren, die auf Ökozid hinauslaufen.“ Die beiden Inselnationen sind von steigenden Meeren und klimawandelbedingten Wetterextremen bedroht.

„Unser Erbe und unsere Zukunft stehen auf dem Spiel“, sagte Vanuatus Botschafter bei der Europäischen Union, John Licht, vor dem Gericht und betonte ein „gemeinsames Band“, das alle Menschen auf der Welt verbinde. „Unser Leben ist durch die Umwelt, in der wir leben, miteinander verwoben.“ Dass Mikrostaaten wie Vanuatu die Ökozid-Kampagne vorantreiben, ist folgerichtig.

Ein Zyklon gab den Anstoß für die Kampagne

Als ein Zyklon namens „Pam“ im Jahr 2015 Vanuatu traf, suchte Rosemary Willie Schutz in ihrem Haus außerhalb der Hauptstadt Port Vila. Ihr Haus besteht aus Betonblöcken. Als der Wind stärker wurde, hörte sie Schreie aus dem Holzhaus nebenan, wo der Sturm begann, das Eisendach abzuschälen, das die vier Familien, die dort lebten, schützte.

Sie schnappte sich ihren Sohn, der damals erst zehn Jahre alt war, und rannte nach draußen, um die Familien in die relative Sicherheit ihres Hauses zu geleiten. Sie verbrachten die Nacht betend und singend, während der Sturm heulte und Wasser unter die Küchentür spülte, sagt Willie. Am Morgen gingen sie nach draußen, um zu sehen, was übrig geblieben war, und „alle weinten“, sagt Willie, die für die internationale Wohltätigkeitsorganisation Oxfam im Bereich Katastrophenresilienz arbeitet. „Ich dachte: ‚Ich kann nicht glauben, dass das passiert. Es gab keine Bäume, die noch Blätter trugen. Nichts.“

Vanuatu ist ein abgelegener Archipel von mehr als 80 Inseln im Südpazifik, etwa 1.200 Meilen von Brisbane in Australien entfernt. Pam traf als Sturm der Kategorie 5 mit Windgeschwindigkeiten bis zu 320 Kilometern pro Stunde auf die Insel und machte fast ein Viertel der Bevölkerung des Landes obdachlos. Acht von zehn Häusern in den betroffenen Gebieten wurden beschädigt. Der finanzielle Schaden entsprach etwa zwei Dritteln des Bruttoinlandsprodukts des Landes.

Zusätzlich zu den Wirbelstürmen sehen sich Vanuatu und andere Inselnationen mit einer Reihe von Klimabedrohungen konfrontiert, die nicht weniger gefährlich sind: Es wird erwartet, dass die Erwärmung und Versauerung der Ozeane die Korallenriffe, die die Fischerei unterstützen, beeinträchtigen oder zerstören, während extreme Hitze und starke Regenfälle bereits die Regenfeldbaukulturen belasten. Der Meeresspiegel ist seit 1990 um etwa einen halben Meter gestiegen, und Klimamodelle prognostizieren, dass er bis zum Ende des Jahrhunderts weltweit um mindestens einen weiteren Meter und im schlimmsten Fall sogar um bis zu drei Meter ansteigen wird.

Vanuatu hat die diplomatischen Bemühungen kleiner Inselstaaten angeführt, um aggressivere Klimamaßnahmen durchzusetzen und die reichen Nationen dazu zu bringen, den ärmeren Ländern bei der Finanzierung von Klimaschäden und Anpassungsmaßnahmen zu helfen. Aber die von Wirbelsturm Pam verursachten Schäden, gepaart mit der wachsenden Dringlichkeit der Klimakrise und dem unaufhaltsamen Anstieg der Emissionen, waren für das Land der Auslöser, herauszufinden, ob internationales Recht oder sogar Klagen gegen Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, Maßnahmen erzwingen könnten, wo die Diplomatie versagt hat.

Willy Missack war Teil der Delegation Vanuatus bei den Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen. Er sagt, dass Diplomaten aus anderen Ländern schockiert waren, als das „kleine, winzige Vanuatu“ sagte, es wolle den Kampf mit den globalen Mächten und der fossilen Brennstoffindustrie auf dem Rechtsweg aufnehmen. Aber die Tatsache, dass Konzerne weiterhin von Aktivitäten profitieren können, die die Zukunft seines Landes bedrohen, mache den Rechtsfall deutlich. „Es ist nicht richtig“, sagt Missack, „und hier kommt die Gerechtigkeit ins Spiel.“

Vanuatu bat den Internationalen Strafgerichtshof, die Kriminalisierung des Ökozids in Erwägung zu ziehen. Wenig später berief Jojo Mehtas Stiftung „Stop Ecocide Foundation“ unabhängig davon ein Gremium internationaler Rechtsexperten ein, darunter Mackintosh von der UCLA, um eine klare Definition des Ökozids zu entwerfen. Sie wollen ihre Definition im Juni veröffentlichen. Dann hoffen sie, dass mindestens einer der Mitgliedstaaten des Gerichtshofs formell vorschlagen wird, den Ökozid zum fünften internationalen Verbrechen gegen den Frieden zu machen.

Nicht ganz einfach: Was genau ist Ökozid?

Mehta sagt, dass die Definition wahrscheinlich eine „vorsätzliche Missachtung“ von Umweltzerstörung im Zusammenhang mit Praktiken wie Abholzung, Ölbohrungen, Bergbau und Tiefseeschleppnetzfischerei erfordern würde. Richard J. Rogers ist ein britischer Experte für internationales Strafrecht, Partner bei Global Diligence und Mitglied des Entwurfsgremiums. Er sagt, dass es Handlungen gäbe, die einfach zu kriminalisieren seien, wie etwa die Zerstörung eines Waldes oder einer Wasserstraße. Aber der Klimawandel stelle eine größere Herausforderung dar: Es sei nicht nur schwierig, Verursacher mit bestimmten Schäden in Verbindung zu bringen, sondern es sei auch nichts Illegales daran, fossile Brennstoffe zu fördern oder zu verbrennen. „Das Kohlenstoffsystem, das unsere Wirtschaft seit der Industriellen Revolution angetrieben hat, war nicht nur legal, sondern wurde sogar gefördert“, sagt Rogers.

Ein weiterer Punkt, mit dem sich die Verfasser des Entwurfs auseinandersetzen müssen, ist die Frage, ob das Verbrechen des Ökozids von den Staatsanwälten verlangen sollte zu beweisen, dass Menschen geschädigt worden sind. Mackintosh sagt, dass sich diese Schwelle als politisch wichtig erweisen könne. Schließlich beziehen sich die bestehenden Straftatbestände des Gerichts größtenteils auf den Schaden, der Menschen zugeführt wird. Aber gleichzeitig könnte es Staatsanwälten helfen, wenn Ökozid laut Definition auch nur die Umwelt betreffen kann. Das wäre einfacher zu beweisen.

Wenn eine Nation zustimmt, den Ökozid-Vorschlag dem Internationalen Strafgerichtshof zur Prüfung vorzulegen, dann beginnt die noch schwierigere Arbeit. Die Ratifizierung ist ein mehrstufiger Prozess, der letztlich die Unterstützung von entweder zwei Dritteln oder sieben Achteln der Mitglieder des Gerichtshofs erfordert, je nach Art der eingebrachten Änderung.

Obwohl sich noch kein Land dazu verpflichtet hat, einen formellen Antrag zu stellen, gewinnt die Kampagne an Zugkraft, angeheizt durch die von Jugendlichen geführte Klimabewegung und radikalere neue Gruppen wie Extinction Rebellion.

Im Dezember forderte die belgische Außenministerin Sophie Wilmès die Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs auf, die Aufnahme des Ökozids als Verbrechen zu prüfen. Ein Mitglied des belgischen Parlaments hat ebenfalls einen Gesetzentwurf dazu vorgeschlagen. Und französische Parlamentarier arbeiten an einem Gesetzesvorschlag, um den Ökozid zu einer Straftat zu machen, die mit Geld- und Gefängnisstrafen geahndet wird. Stop Ecocide kritisiert den Entwurf allerdings als „schwach“. Gleichzeitig haben bereits zehn Länder nationale Ökozidgesetze. Vietnam beispielsweise hat das Gesetz 1990 erlassen.

Unabhängig davon reichten französische Anwälte im Januar im Namen indigener Gruppen aus dem Amazonasgebiet einen Antrag beim Internationalen Strafgerichtshof ein. Sie forderten, dass das Gericht gegen Brasiliens Bolsonaro wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt. Sie behaupten, dass die von Bolsonaros Regierung geförderte Abholzung zusammen mit anderen Maßnahmen die indigene Bevölkerung aus ihren Häusern vertrieben und sogar zu Morden in der Region geführt hat. Während sich der Antrag auf die bestehenden Verbrechen der Rechtsprechung stützt, haben die Anwälte, die ihn eingereicht haben, gesagt, dass der Fall ein Beispiel für Ökozid sei und die Kampagne zur Änderung des Römischen Statuts stärken könne.

Die brasilianische Botschaft in Washington erklärte daraufhin, dass „die Regierung Bolsonaro konkrete Maßnahmen ergreift, um das Leben der indigenen Völker zu verbessern und die Zukunft des Amazonas zu sichern“. Über 70 Prozent der berechtigten indigenen Bevölkerung habe bereits eine erste Covid-19-Impfung erhalten und die Abholzungsrate im Amazonasgebiet sei von August 2020 bis Januar 2021 um 21 Prozent niedriger gewesen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.

„Es ist möglich“

Die Hürden für die Annahme eines neuen internationalen Verbrechens seien zwar hoch, aber nicht unüberwindbar, sagt Scott W. Badenoch Jr. „Diese Dinge dauern lange und sie sind komplex. Aber sie sind möglich.“

Es könnte Jahre dauern, bis es ein internationales Ökozid-Gesetz gibt, wenn die Kampagne überhaupt erfolgreich ist. Befürworter sagen, dass die Bemühungen trotzdem viel früher Früchte tragen könnten – weil sie das Konzept in die öffentliche Diskussion gebracht hätten.

Jojo Mehta erwartet nicht, dass die Kampagne in den Vereinigten Staaten zündet. Aber nach vier Jahren Präsidentschaft von Donald Trump ist sie ermutigt durch die Ernennung John Kerrys als Bidens Sondergesandter für Klimafragen. „Wir erwarten nicht, dass die USA in absehbarer Zeit dem Strafgerichtshof beitreten werden, aber wir sehen keinen Grund, warum die Diskussion über den Ökozid nicht auch in den USA beginnen sollte“, sagte sie.

Das Außenministerium veröffentlichte eine Erklärung, in der es heißt, dass die USA „regelmäßig mit anderen Ländern“ über „die Bedeutung der Verhinderung von Umweltzerstörung während bewaffneter Konflikte“ sprechen, fügte aber hinzu: „Wir kommentieren nicht die Details unserer Kommunikation mit ausländischen Regierungen.“

Mehtas Kampagne ist Teil einer größeren Anstrengung von Aktivisten, die sich an Gerichte wenden, um aggressivere Maßnahmen gegen den Klimawandel zu erzwingen. Bis zum 1. Juli 2020 wurden laut einem Bericht der Vereinten Nationen mindestens 1.550 Klagen zum Klimawandel in 38 Ländern eingereicht.

Im bahnbrechenden Urgenda-Fall entschied ein niederländisches Gericht im Jahr 2015, dass die Regierung fahrlässig gehandelt hat, weil sie nicht aggressiv genug vorgegangen ist, um ihre Treibhausgasemissionen zu begrenzen. Die Entscheidung, die 2019 vom Obersten Gerichtshof der Niederlande bestätigt worden ist, wies die Regierung an, bestimmte Emissionsreduktionsziele zu erreichen und löste eine Reihe ähnlicher Klagen in anderen Ländern aus.

In einem dieser Prozesse machte ein Pariser Verwaltungsgericht die französische Regierung dafür verantwortlich, dass sie ihre Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht erreicht hat. Das Urteil stützte sich zum Teil auf die unverbindlichen Verpflichtungen Frankreichs im Rahmen des Pariser Abkommens, das aus dem weichen Versprechen der Politik eine rechtlich verbindliche Verpflichtung machte.

Mehta hat ein Ökozid-Gesetz als Gegengewicht zu den Versäumnissen des Pariser Abkommens formuliert. In einer Kolumne im britischen Guardian schreiben Mehta und die Aktivistin Julia Jackson, ein solches Gesetz biete „eine Möglichkeit, die Mängel“ des globalen Klimapakts zu korrigieren: „Während es Paris an ausreichendem Ehrgeiz, Transparenz und Rechenschaftspflicht mangelt, wäre die Kriminalisierung von Ökozid eine durchsetzbare Abschreckung.“

Die Hoffnung der Befürworter: ein Welleneffekt

Alex Whiting, Professor an der Harvard Law School und ehemaliger Koordinator der Strafverfolgung am Internationalen Strafgerichtshof, sagt, dass die Erhebung des Ökozids zu einem Verbrechen vor dem Gericht enorme Auswirkungen haben würde, selbst wenn nur wenige Fälle tatsächlich verfolgt werden würden. „Wenn ein Verbrechen zu einem internationalen Verbrechen wird, hat das einen Welleneffekt. Die Umwelt ist das Thema unserer Zeit. Dagegen etwas tun zu können, scheint wichtig zu sein.“

In Vanuatu hat man das Gefühl, dass der Klimawandel schneller voranschreitet als Vanuatu sich anpassen kann. Bereits jetzt verursachen Katastrophen wie Wirbelstürme und Erdbeben laut der Pacific Catastrophe Risk Assessment and Financing Initiative jährlich Schäden in Höhe von etwa sieben Prozent des Bruttoinlandsproduktes von Vanuatu – ein höherer Prozentsatz als in allen anderen Ländern außer St. Lucia und Grenada.

Dreli Solomon, ein Sprecher der Botschaft von Vanuatu in Brüssel, sagt, dass das Land immer noch die Ökozid-Kampagne unterstützt, aber Covid-19 und andere Prioritäten seine Bemühungen im Moment auf Eis gelegt haben. Der Weg zu einem neuen internationalen Gesetz sei „lang und kompliziert“: „Für ein kleines Land wie Vanuatu müssen die begrenzten Ressourcen für internationale Diplomatie sorgfältig eingesetzt werden.“

Willy Missack, der Diplomat und Klimaschützer aus Vanuatu, erzählt die Geschichte eines Besuchs, den er vor ein paar Jahren auf der Insel Tanna machte, wo seine Familie herkommt und wo die lokale Kultur lebendig ist. Als er per Zoom von Port Vila aus spricht, zupft er an seinem hellblauen Polohemd und sagt: „Sie kleiden sich nicht in, Sie wissen schon, Kleidung. Sie kleiden sich auf traditionelle Art und Weise.“

Das Leben der Bewohner sei mit der Umwelt um sie herum und den Pflanzen verwoben, die sie anbauen. „Sie lesen über Sterne. Sie lesen über Winde. Sie lesen über die Bewegung der Wolken. Sie lesen über den Mond“, sagt er. „All das, zusammen mit der Bewegung der Sterne in der Nacht, sagt ihnen, dass die Süßkartoffel geerntet werden wird.“

Aber in diesem Jahr sei die Ernte Monate zu spät gekommen, was die Rituale stört, die sie begleiten. Yamswurzeln sind ein Grundnahrungsmittel in Vanuatu und werden bereits durch Klimaveränderungen unter Druck gesetzt. Missack sagt, viele Menschen auf der Insel wüssten einfach nicht, wie sie mit dem Bruch zwischen den himmlischen und saisonalen Rhythmen umgehen sollten. „Denken Sie an die letzten 4.000 Jahre, die Praxis dieses Rituals.“

Yams sei nur eine von vielen Nutzpflanzen mit den dazugehörigen Ritualen, die sich angesichts des Klimawandels und des sich verändernden Wetters anpassen oder aussterben müssten, sagte er. „Eines Tages werden wir über die Sterne sprechen, und so wird das Ritual ablaufen. Aber es wird nie derselbe Geist sein, die gleiche Seele des Rituals. Und dieser Verlust kann mit keinem Geld der Welt bezahlt werden.“


Dieser Text ist zuerst in den USA als Ergebnis einer Kollaboration zwischen dem Fernsehsender NBC News und der NGO „Inside Climate News“ erschienen. Wir haben ihn mit freundlicher Genehmigung der Autor:innen übersetzt. Inside Climate News beschreibt sich als „eine mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete, gemeinnützige und überparteiliche Nachrichtenorganisation, die der Öffentlichkeit und Entscheidungsträgern wichtige Berichte und Analysen zu Klimawandel, Energie und Umwelt liefert.“

Übersetzung: Rico Grimm, Belinda Grasnick, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Iris Hochberger

Es gibt Verbrechen gegen die Menschlichkeit – nun soll es auch Verbrechen gegen die Natur geben

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