2019 war das Klimajahr: Millionen Klima-Aktivist:innen auf den Straßen der Welt, Schulter an Schulter. Die Erinnerung daran wirkt völlig aus der Zeit gefallen.
Die Corona-Krise hat die Klimakrise aus den Schlagzeilen und von den To-Do-Listen der Politiker:innen und Firmen verdrängt. So zumindest scheint es auf den ersten Blick.
Auf den zweiten Blick offenbaren sich kleinere Entwicklungen, die gerade untergehen, und zuversichtlich stimmen können. Dann wiederum steht die Frage im Raum, wie sehr das Rückgrat internationaler Klimapolitik, der Pariser Vertrag aus dem Jahr 2015, im Moment eigentlich noch trägt.
Um die aktuelle Lage des Klimaschutzes zu beschreiben, bietet sich ein Griff in die Filmgeschichte an. Regisseur Sergio Leone nannte einen seiner berühmten Italowestern „Il buono, il brutto, il cattivo“ – „Das Gute, das Hässliche, das Schlechte“. Die drei Facetten zeigen sich gerade auch den Menschen, die mehr Klimaschutz wollen.
Il brutto, das Hässliche – Wer Corona nutzt, um Klimaschutz zu torpedieren
Diejenigen, die auch schon im letzten Jahr gegen mehr Klimaschutz gekämpft haben, kommen nun in der Corona-Krise mit Karracho aus der Deckung geschossen und stoßen hinein in den leeren Raum.
Der CDU-Wirtschaftsrat sagte laut Süddeutscher Zeitung: „Nach der Corona-Krise müssen wir prinzipiell alle Sonderbelastungen der deutschen Wirtschaft auf den Prüfstand stellen, die einer Erholung und einer Anknüpfung an unsere bisherige Stärke im Wege stehen.“ Dazu zählten auch Sonderwege in der Klima- und Energiepolitik, „durch die eine De-Industrialisierung droht.“ Die Landwirte, die sich mit Traktor-Demonstrationen im vergangenen Jahr gegen die neue Düngemittelverordnung gewehrt haben, sind sich nicht zu schade, ausgerechnet in Zeiten von Hamsterkäufen populistische Panik zu verbreiten: „Hungern die Pflanzen, hungern wir alle!“, schreibt die konservative Bauernbewegung „Land schafft Verbindung“ auf Facebook.
In den USA hat die Regierung die Krise genutzt, um Abgasstandards für Autos zu senken, der Premierminister von Tschechien drängt nun die Europäische Union, ihren Klimaschutz-Masterplan „Green New Deal“ fallen zu lassen und die chinesische Regierung will Umweltauflagen bei ihren Firmen nicht mehr so streng kontrollieren – was einer Einladung gleichkommt, diese Auflagen zu unterlaufen.
Il cattivo, das Schlechte – Was Klimaschutz gerade richtig kompliziert macht
Diese Beschlüsse und Forderungen allein würden aber nicht ausreichen, um den Klimaschutz zu gefährden. Denn dieser ist nicht mehr im Stadium „Wir müssten mal“, sondern längst in der Phase „Wir sind mittendrin.“ Würde die Corona-Pandemie die Klimaschutzmaßnahmen ausbremsen, die schon begonnen wurden, wäre das der eigentlich gefährliche Schlag.
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China ist der mit Abstand wichtigste Hersteller von Technik für erneuerbare Energien. Gut zwei Drittel der Solarpanels der Welt kommen aus dem Land, ein Drittel der Windturbinen und gut 70 Prozent aller Lithium-Ionen-Batterien. Die Ausgangssperren hatten die Wirtschaft des Landes lahmgelegt und danach auch globale Produktionsketten zerrissen. Selbst wenn die Welt im Juni voll auf Erneuerbare umstellen wollen würde, könnte sie es nicht. Es würde an Windrändern, Solarzellen, Batterien mangeln. Kurzfristig macht dieser Effekt viel aus, mittelfristig aber werden Firmen und Länder, vorausgesetzt der Bedarf ist da, andere Wege finden, um diese Dinge zu produzieren.
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Das deutlichste Zeichen dafür, dass die Welt sich auf mehr Klimaschutz eingelassen hatte, waren die Pariser Klimaverträge aus dem Jahr 2015. Darin hatten sich zunächst alle Länder der Erde (die USA sind später ausgestiegen) geeinigt, deutlich weniger CO2 auszustoßen und die Erderhitzung so auf 1,5 Grad im globalen Schnitt zu begrenzen. Eigentlich hatten sich die Länder verpflichtet, in diesem Jahr neue, noch ambitioniertere Klimaziele vorzulegen. Die erste Deadline dafür war im Februar verstrichen, nur drei Länder hatten neue Ziele eingereicht (Marshallinseln, Surinam und Norwegen). Es hieß: Die anderen Länder ziehen im Herbst nach, wenn die nächste große Klimakonferenz in Glasgow stattfindet. Nun, Schottland hat diese Konferenz abgesagt. Wann sie genau stattfinden kann, weiß niemand. Wann und ob neue Klimaziele der Länder kommen, auch nicht. Gleichzeitig wird den Klima-Bewegungen gerade das wirksamste Mittel genommen, um Druck zu machen: die Massen-Demonstrationen.
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Die Corona-Pandemie kann auch als Blaupause für die Klimakrise gesehen werden: Ein globales Problem, das alle Länder nur gemeinsam lösen können. Aber wirklich gemeinsam hat die Welt die Corona-Pandemie nicht angegangen. Im Gegenteil, einzelne Regierungen nutzen die Krise, um ihrem Nationalismus zu frönen. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump wollte andere Länder dazu bringen, statt vom Coronavirus vom „chinesischen Virus“ zu sprechen. China selbst nutzt seinen inzwischen gut ausgebauten globalen Propaganda-Apparat, um sich als Modellland in der Pandemie zu präsentieren, und so den geopolitisch günstigen Moment zu ergreifen, um sich weiter als globale Macht zu etablieren.
Il buono – Was für mehr Klimaschutz spricht
Aber schwarz-weiß ist das Bild auf keinen Fall (selbst Sergio Leones Italowestern aus den 1960ern war schon in Farbe!). Wer genau hinschaut, sieht auch Ermutigendes – und das ist eben nicht, dass die ganzen Pandemie-Maßnahmen die CO2-Emissionen zur Zeit drastisch senken. Das bleibt, Stand jetzt, zunächst ein kurzfristiger Effekt.
Manche, vor allem konservative Politiker:innen wie der NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), hinterfragten im vergangenen Jahr, ob hinter dem „plötzlichen Klimathema“ wirklich mehr stecke. Sie dachten: Das Thema kommt, das Thema geht, so war das schon immer.
Aber längst diskutiert die Bundesregierung darüber, wie das nächste Hilfspaket für die Wirtschaft aussehen kann. Es wird, sollte sich die Pandemie nicht noch einmal drastisch verschlimmern, weniger ein Soforthilfe-Paket werden als eines, dass das Wirtschaftswachstum anschieben soll. Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zog dabei jüngst eine rote Linie in den Sand: „Wir wollen die technologische Modernisierung unseres Landes voranbringen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir 2050 klimaneutral wirtschaften können.“
Unabhängig davon, dass die aktuellen Klimaziele der Bundesregierung selbst nicht geeignet sind, die Emissionen so stark zu senken, wie es der Pariser Vertrag vorsieht, zeigt die Aussage von Olaf Scholz doch: „Dieses Klimathema“ wird nicht mehr verschwinden.
In den Unions-Parteien wiederum schauen die Politiker:innen gerade auf die aktuellen Umfragen, die stolze 37 Prozent für sie ausweisen – und werden gleichzeitig noch in Erinnerung haben, wie viel schlechter das im vergangenen Jahr aussah, als die Zustimmungszahlen angesichts der Klimakrise im Keller waren. Schon aus rein wahltaktischen Gründen kann die Union jetzt nicht ihre komplette Klimapolitik über Bord werfen und dafür wieder Kohle, Diesel und Benzin fördern. Erstes Signal dafür: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der eine Abwrackprämie für Autos fordert, anders als 2009 in der Finanzkrise, aber umweltfreundlich gestaltet. Selbst ein FDP-Mann sagt: „Wegen Corona darf der Klimaschutz nicht auf der Strecke bleiben.“
Doch gehen wir probehalber vom klimaschädlichsten Fall aus: Die Regierung befällt die Vergesslichkeit der Opportunisten und sie legt tatsächlich eine Klimaschutz-Kehrtwende hin. Was wird dazu der Autokonzern Volkswagen sagen, der gerade für mehrere Milliarden Euro die Elektromobilität vorantreibt? Wird der Chef von Heidelberg-Cement, der im Februar mit dem Bau einer Pilotanlage zur CO2-Abscheidung begonnen hat, die Investition einfach abschreiben? „Es wäre verkehrt, wenn wir jetzt von unseren CO2-Zielen abrücken würden. Die Klimakrise geht ja wegen der Corona-Epidemie nicht weg“, sagte der Zementhersteller laut Spiegel. Ich könnte noch hunderte weitere Beispiele von Firmen nennen, die im vergangenen Jahr nicht nur taktisch die Richtung gewechselt haben, sondern tatsächlich strategisch, grundlegend, mit einem Zeithorizont von zwei, drei Jahrzehnten. Der Trend in der Wirtschaft geht zu mehr Klimaschutz, nicht weniger (übliche Ausnahmen aus der Öl- und Gasindustrie ausgenommen).
Eine der spannendsten Fragen betrifft die Zukunft der Luftfahrt. Denn diese Industrie hatte sich schon vor fünf Jahren verpflichtet, ihre CO2-Emissionen ab dem Jahr 2021 auf dem Stand zweier Jahre zu lassen, egal, ob mehr geflogen wird oder nicht. Diese Jahre sind: das Rekordjahr 2019 und das Katastrophenjahr 2020.
Das bedeutet, dass die freiwillige CO2-Begrenzung der Luftlinien deutlich niedriger ausfallen wird, als die Unternehmen vermutlich selbst erwartet hatten. Was werden sie nun tun? Es besteht die Möglichkeit, dass die Industrie – auch durch den Druck der Öffentlichkeit – an diesen Zielen festhält. Denn: Es wird sowieso erstmal weniger geflogen werden. Die Tickets werden teurer werden, die Menschen müssen sparen, für Firmen sind Video-Konferenzen jetzt endlich Alltag und, wenn Menschen Urlaube planen, dann zunächst eher regional. Das verschafft den Airlines Zeit, das klimafreundliche Fliegen zu erfinden.
Was ich gerade über die Wirtschaft geschrieben habe, lässt sich auch mit einem einzigen Diagramm zusammenfassen: Börsenkurse im großen Crash der letzten Wochen. Solche Crashs sind immer sehr interessant, weil Investoren diejenigen Aktien zuerst und schnell verkaufen, die in der Zukunft in ihren Augen am schlechtesten laufen werden. Die anderen behalten sie eher.
So sind die Anteilsscheine von Firmen mit erneuerbarer Energie im Vergleich zu einem breiten Schnitt durch alle Branchen und Länder und vor allem im Vergleich zu den Öl- und Gasfirmen gut durch den Crash gekommen. Das lässt nur einen Schluss zu: Das große Geld glaubt, dass Klimaschutz sehr gute Zukunftsaussichten hat.
Aber im letzten Jahr waren es nicht die Investoren, die das Thema auf die Agenda gesetzt haben, sondern die Aktivist:innen. Ohne Bewegungen wie Fridays for Future, Sunrise Movement in den USA oder Extinction Rebellion hätte es keinen politischen Druck gegeben. Und keine dieser Bewegungen hat in den vergangenen Monaten aufgegeben. Sie sind ruhiger geworden, ja. Aber sie machen weiter. Extinction Rebellion hält jeden Tag digitale Demos ab, um einen Klimarettungsschirm zu fordern, Fridays for Future will nächste Woche in einen „Netzstreik“ gehen, und in ihrem Windschatten etablieren sich sogar neue Initiativen wie Germanzero, die erst Anfang April gestartet ist. (Mehr über andere Initiativen erfährst du in der Anmerkung.)
Was bleibt als Fazit? Viel hängt davon ab, wie die Regierungen ihre Konjunkturprogramme gestalten, noch mehr davon, dass möglichst viele Menschen diese Krise nutzen, um darüber nachzudenken, wie viel Umweltzerstörung wir uns noch leisten können. Denn – das hatten wir ja in einem früheren Artikel angedeutet – Infektionskrankheiten hängen genauso wie Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen damit zusammen, wie viel Raum die Menschen der Natur noch nehmen.
Wir können auf Basis der genannten Punkte Szenarien konstruieren, in denen die Corona-Pandemie die Welt dem Null-Emissions-Ziel einen gewaltigen Satz näher gebracht hat. Aber auch das Gegenteil ist möglich: der völlige Zusammenbruch internationaler Klimapolitik. Daher lieber keine Spekulationen. Aber auch skeptische Realisten finden, wie eigentlich immer, Grund zur Hoffnung in der Klimakrise.
Im Western von Sergio Leone ist es am Ende auch „Il buono“, der Gute, der in den Sonnenuntergang reitet.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Martin Gommel