Liebe Alma,
liebe 16-Jährige,
liebe Generation Z,
ich habs verbockt. Und ihr müsst es ausbaden. Ihr geht auf die Straße und ärgert euch über die Alten, die nicht genug gegen den Klimawandel gemacht haben: Die Boomer, die alten weißen Männer, wie ihr das nennt. Ich bin kein Boomer und nur so mittelalt, eigentlich nur ein bisschen älter als ihr. Und trotzdem fühle ich mich ganz weit weg.
Ich bin jetzt 33, du bist 16. Als ich so alt war wie du jetzt, war es 2002. Damals war viel anders, so ohne Smartphones und ohne Netflix. Was damals genauso war wie heute: Der Klimawandel und die wissenschaftliche Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann. Und trotzdem war er kein Thema. Nicht bei mir persönlich, nicht bei mir zuhause, nicht in meinem Umfeld. Und auf die Straße wären wir dafür schon gar nicht gegangen.
Soziologen sagen, ich gehöre zur Generation Y. Das sind die Jahrgänge der frühen 1980er bis zu den mittleren 90er Jahren. „Y“ wird wie „Why“ gesprochen, wie „Warum“. Weil wir 80s/90s-Kids angeblich alles in Frage stellen. Wir sind die Generation, die durch 9/11, Nahostkriege und Finanzkrise verunsichert wurde. Wir hinterfragen angeblich alles.
Aber tun wir das?
War doch alles ganz gemütlich, damals
Ich ging auf eine gewöhnliche Schule in einer gewöhnlichen Kleinstadt in der Nähe von Karlsruhe. Von den Anschlägen auf das World Trade Center erfuhr ich über den Börsennachrichten-Fernseher im Dresdner-Bank-Schaufenster. Wir waren schockiert, natürlich, einordnen konnte ich das alles nicht.
Auch die Finanzkrise ein paar Jahre später zog an mir vorbei. Ich war mitten im Studium, nicht auf Jobsuche – es blieb ein Thema aus den Nachrichten.
Trotzdem, klar, ich war unsicher. Aber nicht wegen der ganzen Krisen und Probleme in der Welt, sondern mehr wegen mir selbst. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, für irgendwas demonstrieren zu gehen, höchstens für meine eigenen Teenager-Befindlichkeiten, wenn es solche Demos gegeben hätte.
Liebe Alma, ich war fast 17, als ich das erste Mal demonstrierte. Gegen den Irakkrieg. Ich kann nicht mehr genau sagen, ob mich der Irakkrieg wirklich interessierte oder die Tatsache, dass wir nach Karlsruhe auf die Demo fahren durften – während der Schulzeit!
Jetzt demonstriert ihr plötzlich alle. Und ihr macht das nicht, weil ihr gelbe Zettel von der Schule bekommt, oder weil ihr nicht in die Schule wollt, sondern weil es eure einzige Möglichkeit ist, die Aufmerksamkeit der Eltern und Politiker und Entscheider zu bekommen. Da organisiert ihr mal eben riesengroße Demos und Blockaden und manche von euch sitzen im Fernsehen in Talkshows. Ihr müsst euch ständig dafür rechtfertigen, dass ihr freitags auf die Straße geht, statt in die Schule. Ihr fragt euch aber, warum ihr überhaupt was lernen solltet, wenn eh in absehbarer Zeit die ganze Welt den Bach runtergeht.
Denn die Pole schmelzen, in Australien brennen Wälder und Kängurus, in Kalifornien die Villen der ganzen L.A.-Prominenz und dann denke ich manchmal: Das ist alles neu.
Aber das ist es gar nicht.
2002 regnet es so stark in Deutschland und Europa, dass Menschen durch das Hochwasser sterben – die „Jahrhundertflut“. Schon ein Jahr später folgt der „Jahrhundertsommer“: 2003 ist es so heiß wie in 100 Jahren nicht, wieder sterben Menschen. Solche Ereignisse gab es seither noch einige.
Warum sind wir nicht auf die Straße gegangen
Eigentlich hätte ich auch früher wissen können, dass es nicht ewig so weitergehen kann. In der Schule haben wir damals über die Umwelt gesprochen, da ging es aber mehr um das tägliche Kleinklein als um das große Ganze: Wie man Wasser sparen kann, wie man Müll trennt. Außerhalb der Schule war das Klima kein Thema. Warum auch, uns gings ja gut, so alles in allem.
War das damals Ignoranz? Faulheit, Angst, die liebe Zeit? Oder lags an der kleinen Stadt, in der ich aufgewachsen bin und nie was los war? Wäre das in der großen Stadt vielleicht anders gewesen?
Als Schüler hat man viel auf dem Zettel. Klassenarbeiten, Zukunftspläne, die Frage, wie eigentlich die Oberstufe funktioniert. Das habt ihr heute aber auch. Ich hing damals lieber bei Freunden und auf StudiVZ rum. Das größte Thema war immer, wo man am besten heimlich rauchen kann. Dabei hätte ich mich auch im Internet mit anderen besprechen und austauschen und irgendwas organisieren können. So macht ihr das heute ja auch.
Ihr fragt euch, warum die Boomer bisher nicht gegen den Klimawandel aktiv geworden sind. Aber mich lässt das Gefühl nicht los, dass auch ich und meine Leute, die Um-die-30-Jährigen mit drin hängen.
Warum haben mich die Themen der Jahrtausendwende und frühen Nuller-Jahre nicht genug geärgert, dass ich etwas dagegen unternommen hätte? Es gab ja ein paar: 9/11, der viel zu heiße Sommer 2003, die Einführung von Hartz IV. War ich zu verwirrt, zu schüchtern? Doch irgendwie zu jung? Sind heutige 16-Jährige erwachsener als wir damals?
Warum haben wir uns damals nicht aufgeregt, so gesellschaftlich, warum waren wir nicht wütend auf die Umstände und die Borniertheit der Alten, so wie ihr es heute seid? Ich weiß es nicht. Ich befürchte, es war uns in großen Teilen einfach egal. Soll sich doch jemand anderes drum kümmern, ich kann doch eh nichts ändern!
Euer Protest zeigt mir, was aus meiner Generation hätte werden können
Wenn ich heute auf eine Fridays-for-Future-Demo gehe, fühle ich mich unwohl. Ich fühle mich nicht mehr zugehörig, weil ich zu den Erwachsenen gehöre, über die ihr euch so ärgert. Das fühlt sich ein bisschen an, als würde ich euch etwas wegnehmen wollen. Als würde ich mich mit euren Leistungen schmücken.
Meine Generation hat den falschen Namen. Ihr seid die wahre Generation „Why“. Ihr seid ja unerbittlich im Nachfragen. Zu mir und meiner Generation passt „Millennials“ als Etikett besser: Fluffig und fahrig und auch ein bisschen egal.
Jetzt sitze ich also da, mit einem schlechten Gewissen und dem Gefühl, nichts gerissen zu haben. Ich habe mich nicht aufgelehnt, das System nicht infrage gestellt, nicht rebelliert. Ihr müsst das deshalb umso mehr machen – und das tut mir leid.
Lars
Lieber Lars,
liebe 33-Jährige,
liebe Generation Y,
als Freunde von mir anfingen, die Schule zu schwänzen um zu demonstrieren, fand ich das erstmal komisch. Klar, es geht um die Zukunft, aber warum man dafür Fehlstunden einstecken muss, war mir nicht ganz klar.
Ich ging dann doch mit. Mit meinen Freunden saß ich vor dem Wirtschaftsministerium, wir riefen ein paar Sprüche und hörten Musik. Wir fühlen uns gut. Alles war entspannt, aber bald bildete sich eine Gegendemo. Schnell waren wir in einer heftigen Diskussion mit einer Gruppe Männer, alle um die 60.
Sie arbeiteten in der Kohleindustrie, sie waren wütend, angegriffen und fühlten sich uns gleichzeitig überlegen. Wahrscheinlich, weil wir Schüler waren. Keiner lässt sich gerne von Jüngeren sagen, was man zu tun oder zu lassen hat. Sie warfen uns Sprüche an den Kopf: „Ihr nehmt uns die Arbeitsplätze weg.“ Und: „Geht mal zur Schule, ihr habt doch keine Ahnung.“ Erst war ich nur von dem abwertenden Ton überrascht, dann von den Argumenten. Plötzlich fühlte ich mich mit meinem Halbwissen über den Treibhauseffekt und das Pariser Klimaabkommen unwohl.
Was soll ich 60-Jährigen sagen, die vielleicht ihre Arbeit verlieren? „Sie gehen doch eh bald in Rente“? Kein wirklich sachliches Argument, aber mir fiel nichts anderes ein. Also antwortete ich gar nicht. Ich gab den Leuten eine Angriffsfläche.
Es ist einfach, so wie die anderen dagegen zu sein
Ich wohne in Potsdam, in meinem Viertel und meiner Schule sind alle eher links und öko. Man ist halt immer irgendwie gegen alles, gegen Nazis, gegen die AfD, gegen Massentierhaltung und gegen Plastik. Laut Soziologen gehöre ich zur Generation Z. Angeblich sind wir im Internet aufgewachsen, wir sagen „Ok Boomer“ zu den Über-60-Jährigen, wenn sie wieder irgendwas Veraltetes sagen. Wir demonstrieren gegen Braunkohle, wir verteilen „FckNzs“- und „Antifa“-Aufkleber, wir sind tolerant und politisch korrekt.
Ich bin mir nicht sicher, ob das alles stimmt.
Es scheint, als ob wir jede Menge Ahnung von der Politik haben. Doch Politisch-sein ist Trend. Und was Trend ist, macht halt jeder, da ist es egal, ob man sich ausführlich damit beschäftigt hat oder nicht. Demonstrieren gehen viele aus dem Grund, aus dem andere Alkohol trinken oder Socken von Adidas tragen: Gruppenzwang.
Nach der Begegnung mit den Braunkohledemonstranten setzte ich mich intensiver mit dem Klimawandel auseinander. Den Lehrern an unserer Schule fiel irgendwann auf, dass es freitags ziemlich leer war. Sie wollten wirklich wissen, warum wir demonstrieren gingen. Eine Gruppe von uns schlug vor, Konsumverhalten zum Unterrichtsthema zu machen. Uns interessierte das wirklich. Das war anders als bei dir, Lars. Uns wurde das Thema nicht aufgedrückt, wir nahmen es mit nach Hause. Irgendwann war ich diejenige, die allen in meiner Familie vorwarf, zu viel Plastik und Wasser zu verbrauchen, zu viel Fleisch zu essen oder Auto zu fahren.
Ich kann mir vorstellen, dass es vielen aus meiner Generation ähnlich ging.
Ich verstand, warum wir die Schule schwänzen mussten
Es hätte nicht gereicht, am Wochenende zu demonstrieren. Um Aufmerksamkeit zu bekommen, muss man provozieren – und was provoziert Erwachsene mehr als tausende Jugendliche, die die Schule schwänzen und ihnen auch noch die Schuld daran geben, weil sie die Klimapolitik verbockt haben?
Diesen Gedanken kapiert aber nicht jeder. Wenn Erwachsene nicht wissen, warum wir die Schule schwänzen, ist es okay zu fragen. (Ich bitte darum!) Uns gleich den Vorwurf zu machen, „einfach nicht zur Schule zu wollen“, ohne sich mit uns oder der Bewegung auseinandergesetzt zu haben, finde ich nicht gerechtfertigt.
Lieber Lars, als du 16 warst, 2002, war ich noch nicht auf der Welt. Ich habe keine Ahnung, was StudiVZ sein soll. (Von Knuddels hab ich schon mal gehört, meinst du sowas?) Aber ich glaube, 2020 geht alles einfacher als damals. Das Internet ist normal geworden, für euch war das neu. Es ist einfacher, sich zu informieren, zu kommunizieren und Aktionen zu koordinieren. Der Schulstreik einer einzigen Person war auf einmal überall, auf Instagram, Twitter, in den Nachrichten. Die Klimademos hätten ruhig viel früher kommen können, zum Beispiel, als du 16 warst. Aber ihr hattet keine Greta, an der ihr euch ein Beispiel nehmen konntet.
Ich kann verstehen, dass du als Teil einer älteren Generationen ein schlechtes Gewissen hast. Ihr seid anscheinend blind durchs Leben gelaufen, habt euch um nichts als euch selbst gekümmert und alles den Großen überlassen. Das war bestimmt das Bequemste, aber leider nicht das Richtige. Dass du dir vorwirfst, als Jugendlicher nicht so viel Ahnung gehabt zu haben wie wir jetzt, ist auch nicht verkehrt.
Auch ihr, du und deine Generation Y, seid die, die wir mit unseren Protesten erreichen wollen. Denn nicht nur auf die Politiker und die Boomer bin ich persönlich wütend, ich bin auf alle sauer, die sich bis jetzt vor dem Thema Klimawandel gedrückt haben und immer noch drücken. Da ist es egal, ob du aus der Generation X, Y oder Z bist. Ich teile nicht in Altersgruppen ein, sondern in die, die sich verantwortlich fühlen und die, denen die Zukunft egal ist.
Meine Generation hat angefangen, die Klimakrise wieder zu einem aktuellen Thema zu machen, aber das macht sie nicht zu unserem Thema
Ihr Erwachsenen habt es teilweise schon verbockt, aber nicht nur darüber regen wir uns auf. Wir regen uns auf, weil ihr sogar jetzt nichts oder zu wenig tut. Es ist gut, dass du einsiehst, dass man früher hätte handeln müssen, aber du kannst es nicht mehr ändern, also handle jetzt!
Wir können demonstrieren gehen, die Politik darauf aufmerksam machen und in unserem Alltag versuchen, klimaneutral zu leben, so gut es geht. Das alles könnt ihr aber auch. Ihr spielt nicht nur eine Nebenrolle, im Gegenteil. Viele von uns können noch nicht wählen, da ist es umso wichtiger, dass ihr die richtigen Entscheidungen trefft und die Politik ändert.
Lieber Lars, ich habe Angst. Keine Angst, dass „die Welt den Bach runter geht“, wie du schreibst. Ich glaube, dass es die Welt, wie sie heute ist, irgendwann so oder so nicht mehr geben wird. Angst habe ich davor, dass allein wir es zu verantworten haben. Ich mache mir Sorgen, dass wir noch extremer in die Umwelt eingreifen als jetzt schon. Ich habe Angst, dass wir uns durch ständigen Fortschritt weiter in die falsche Richtung entwickeln und ihn nicht benutzen, um das zu retten, was wir noch können. Ich fürchte mich also gleichzeitig vor unserer Intelligenz und unserer Dummheit.
Auch du, als Teil der Generation Y, warst als Jugendlicher in dieser Hinsicht dumm. Du hast nicht so früh an die Zukunft gedacht, bist nicht demonstrieren gegangen und warst 2002 noch nicht ganz so politisch, das ist schade. Ich nehme deine Entschuldigung trotzdem an. Aber nur, wenn du ab jetzt mehr auf das Klima und die Umwelt achtest. Du hast ja schließlich etwas gut zu machen.
Alma
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel.