Ich bin eine schwedische Journalistin. In letzter Zeit habe ich häufiger an Gesprächen und Konferenzen teilgenommen, die sich schnell in Diskussionsrunden über Greta Thunberg verwandelten. Ich glaube, das ist ein Problem. Denn was wir im Kampf gegen die globale Erwärmung brauchen, ist keine Erlöserin, sondern eine Beteiligung aller, die jetzt in der Klimabewegung aktiv sind.
Ende Oktober lehnte Greta Thunberg den Umweltpreis des Nordischen Rates ab. Ihre Begründung: Die Klimabewegung brauche nicht noch mehr Auszeichnungen, sondern Politiker:innen, die die wissenschaftlichen Fakten anerkennen und dementsprechend handeln. Das war eine weise Entscheidung und verleiht ihr Glaubwürdigkeit. Allerdings hätte sie sich auch dagegen entscheiden sollen, in einer weiteren spektakulären Aktion über den Atlantik nach Spanien zu segeln. Sie hätte auf einen Besuch der Klimakonferenz in Madrid verzichten können.
Warum denke ich das?
Mit ihrem Besuch der Klimakonferenz bleibt Greta im Zentrum der Berichterstattung. Die Medien scheinen sich mittlerweile darauf fokussiert zu haben, sie als Retterin darzustellen. Das ist zum einen problematisch für sie persönlich: Der Medienfokus auf Greta spornt Klimaskeptiker:innen zu mehr Hass an – insbesondere solche, die sich in nationalistischen und antidemokratischen Gruppierungen zusammengeschlossen haben. Nach ihrer Reise in die USA und der daraus folgenden Medienaufmerksamkeit ist Greta nur noch mehr zum Ziel derjenigen geworden, die weder ihren noch den Warnungen der Wissenschaft glauben. Das ist beunruhigend.
Die Klimabewegung braucht keine Retterin
Zum anderen ist die Darstellung ein Problem für die Bewegung. Medien sind nach wie vor entscheidend, wenn es darum geht, eine möglichst große Wirkung und Aufmerksamkeit für Bewegungen wie „Fridays for Future“ zu schaffen. Genau deshalb sollten sie vielfältige Sichtweisen auf die Bewegung bieten – und kein eindimensionales Bild wie das von Greta als alle erlösende Retterin. Die Darstellung verhindert möglicherweise sogar, dass sich die Klimabewegung über Greta hinaus weiterentwickelt. Denn es stellt sich die Frage, ob die Bewegung auch ohne zentrale Figur an der Spitze vorankommt.
Im Sommer 2018 setzte sich Greta Thunberg allein mit einem Schild vor das schwedische Parlament und forderte von der Politik stärkere Maßnahmen gegen die Erderwärmung. Seitdem ist eine Bewegung entstanden, die Millionen von Menschen für das gleiche Ziel mobilisiert. Bei der letzten großen Demonstration gingen Millionen Menschen in mehr als 150 Ländern gleichzeitig auf die Straße.
Genau das ist lebendige Demokratie. Menschen kommen zusammen, um Druck auf Entscheidungsträger:innen auszuüben, und fordern eine bessere Gesellschaft für alle. Darin liegt der Kern sozialer Bewegungen.
Dabei stellt sich die Frage, ob die Klimabewegung durchhalten wird. Ist sie nur eine Modeerscheinung oder wird sie tatsächlich einen Einfluss auf die Zukunft der kommenden Generationen haben? Wie wird sich das auf die Jugendlichen auswirken? Wie machen sie mit dem weiter, was Greta ihnen an die Hand gegeben hat? Was braucht die Bewegung, damit sie auch in Zukunft beständig bleibt? Reicht dafür die bloße Anzahl von Teilnehmenden?
„Fridays for Future“ hat den jungen Aktivist:innen gezeigt, wie mächtig sie sein können – zumindest theoretisch. Hättest du dir mit zwölf Jahren vorstellen können, Teil von etwas so Wirkungsvollem zu sein? Das Gefühl, dass die eigenen Handlungen tatsächlich von Bedeutung sind, wird durch die digitalen Medien und deren Berichterstattung verstärkt.
Bei der jungen Klimabewegung ist lebenslanges Engagement so im Prinzip vorprogrammiert. In den Ländern, in denen sie stark ist, erhöht sich die politische Beteiligung. Denn gerade in einem so jungen und prägenden Alter gibt es das starke Bedürfnis, politisch aktiv zu sein. Für ein langfristiges Interesse an Politik ist dieses Bedürfnis unverzichtbar. So schafft „Fridays for Future“ genau jetzt in diesem Moment eine neue Generation von Politiker:innen.
Die Errungenschaften von „Fridays for Future“ geben auch denjenigen Hoffnung, die sich Sorgen um die Zukunft der liberalen Demokratien machen. Denn das, was um Greta und um „Fridays for Future“ herum geschieht, kann man vielleicht sogar als neue Form von politischem Verhalten betrachten. „Fridays for Future“ ist wie angewandter Unterricht im Fach „Demokratie“. Und das Woche für Woche.
Kann die „Fridays for Future“-Bewegung erhalten, was sie begonnen hat?
Die Bewegung hat also ein enormes Potenzial. Trotz ihre derzeitigen Stärke könnte sie aber auch scheitern. Menschen haben in der Geschichte schon oft Bewegungen geformt, die Erfolg zu haben schienen und dann doch gescheitert sind. Die Washingtonians in den USA zum Beispiel wurden von sechs Trunkenbolden ins Leben gerufen, die glaubten, mit gegenseitiger Unterstützung nüchtern bleiben zu können. Dafür sollen sie in den 1840er Jahren zu ihren Hochzeiten die erstaunliche Zahl von 600.000 Menschen gewonnen haben. Das ist beeindruckend und zeigt, dass Menschen immer wieder bereit sind, sich zusammenzuschließen, um Dinge zu verändern.
Die Washingtonians werden aber auch oft als klassisches Beispiel dafür verwendet, wie Gruppen an mangelnden organisatorischen Fähigkeiten scheitern können. Eine davon ist die Herausforderung, eine eigene Rolle zu finden, wenn andere sich mit dem gleichen Thema befassen. Die Washingtonians verloren ihren Fokus und hatten weder die Kompetenzen noch die Möglichkeiten, um eine nachhaltige Organisation aufzubauen.
„Fridays for Future“ hat es auch geschafft, eine riesige Zahl von Menschen zusammenzubringen. Aber werden sie es schaffen, zu verwalten und zu erhalten, was sie begonnen haben?
Das Problem ist, dass „Fridays for Future“ Gefahr laufen, dem sogenannten „Gründersyndrom“ zum Opfer zu fallen. Es wollen sich zwar immer mehr Menschen organisieren. Aber außer für Schüler:innen an Schulen, in denen freitags gestreikt wird, ist der Weg in die Organisation diffus. Aus „Fridays for Future“ kann nur dann eine dauerhafte soziale Bewegung entstehen, wenn klarer wird, wie der demokratische Prozess innerhalb der Bewegung funktioniert. Dieser Prozess muss über die Organisation von lokalen Schuldemos hinausgehen.
Ein weiteres Problem ist der lose Zusammenschluss von „Fridays for Future“ mit Organisationen wie der Bewegung Extinction Rebellion (XR), die eindeutig mit anderen Methoden arbeiten als FFF sie bisher verwendet. XR ist nur ein Beispiel dafür, wie leicht „Fridays for Future“ in Ableger mit unterschiedlichen Methoden und möglicherweise sogar mit verschiedenen Zielen zerfallen könnte. Auf Twitter schrieb Greta nach dem Treffen mit Extinction Rebellion: „Wenn der Widerstand gegen das Klima und den ökologischen Zusammenbruch und für die Menschheit gegen die Regeln ist, dann müssen die Regeln gebrochen werden.“ Diese Botschaft könnte von einer wütenden Menge leicht auf gefährliche Weise interpretiert werden.
Wir brauchen in der Klimakrise Dringlichkeit, aber keine Panik
Und genau das ist der Punkt: Wir dürfen die Gefahr einer losen Organisation mit einer Art Erlöser-Figur an ihrer Spitze nicht unterschätzen. Das Engagement für das Klimabewusstsein könnte entgleisen und sich in ein „Straßenparlament“ verwandeln, das im schlimmsten Fall zu Gewalt führen könnte. Ein Hauch von Verachtung für Politiker:innen und die große Klimaangst, die in einigen Bereichen der neuen Bewegung wächst, kann lähmen – und schließlich in Panik ausarten. Und eine solche Panik kann sich leicht in einen giftigen Cocktail aus populären antidemokratischen Fraktionen verwandeln. Bereits jetzt gibt es viele Menschen, die die liberalen Demokratien auf der ganzen Welt herausfordern.
Panik in der Klimakrise wird uns nur zerstören. Das Gefühl der Dringlichkeit ist aber extrem wichtig und wertvoll. Es kann zu einer riesigen kreativen Kraft werden, die die Dinge endlich ins Rollen bringen könnte.
Bewegungen wie „Fridays for Future“ können ein Gleichgewicht zwischen Verzweiflung und Handeln schaffen. Das Wissen, dass Menschen im Laufe der Geschichte zusammengekommen sind und auf diese Weise Probleme gelöst haben, ist dabei äußerst wichtig und beruhigend. Auch in Zukunft werden viele Menschen bereit sein, sich für gesellschaftliche Veränderungen zusammenzuschließen.
„Fridays for Future“ ist das beste Beispiel dafür, wie junge Menschen sich für die Entwicklung ihrer Generation einsetzen. Vielleicht braucht diese Generation im Moment überhaupt keine spezifischen demokratischen Prozesse. Aber ebenso wenig braucht sie eine Erlöser-Figur an der Spitze.
Es ist nicht mein Ziel, noch mehr Druck auf Greta Thunberg auszuüben. Im Gegenteil: Ich fordere mehr Vorsicht und Engagement vom Rest der Welt. Insbesondere fordere ich die Medien auf, nicht mehr über die Retterin Greta zu schreiben. Denn bei der Klimabewegung geht es um etwas Wichtigeres.
Wie kann die Bewegung beständig werden? Wie soll es weitergehen und was darf jetzt nicht passieren? Und vor allem: Wie kann „Fridays for Future“ das riesige Potenzial entfalten, eine ganze Generation zu mobilisieren? Das alles gehört zum eigentlichen „Greta-Effekt“. Und davon sollte durch endlose Porträts über die Person Greta Thunberg nicht abgelenkt werden.
Diesen Artikel hat unser befreundetes schwedisches Portal Blankspot zuerst auf Englisch veröffentlicht.
Übersetzung: Teresa Wolny; Redaktion: Belinda Grasnick; Schlussredaktion: Bent Freiwald; Fotoredaktion: Martin Gommel.