„Extinction Rebellion“ – die Klimabewegung, die Grüne provoziert

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Klimakrise und Lösungen

„Extinction Rebellion“ – die Klimabewegung, die Grüne provoziert

Sie fordert mit ihrem friedlichen Ungehorsam etablierte Klimaschützer (und das ganze Land) heraus.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Zielstrebig schiebt sich der Polizist durch die Demonstranten-Menge am Potsdamer Platz, vorbei an den Pflanzenkübeln, Badewannen voller Erde und Pflanzen, Matratzen, Decken und Stühlen, die sich die Protestierenden der Klimaschutz-Bewegung Extinction Rebellion für ihre Blockade-Aktion mitgebracht haben. Die Menge macht mit kleinen Schritten Platz für den Polizisten, und er ist gerade an mir vorbei, als eine junge Demonstrantin aufspringt und hinter ihm her stürmt. „Hallo, hallo! Sie haben da was verloren“, ruft sie ihm zu. Der Polizist dreht sich kurz angebunden um. Er ist auf der Hut. Die Demonstrantin hält ihm hin, was er gerade verloren hat: seine Handschellen. Er nimmt sie wortlos entgegen und dampft ab. So höflich kann eine Blockade sein.

Am Montag hat die Bewegung Extinction Rebellion ihre globale Aktionswoche begonnen. In über 60 Städten der Welt demonstriert sie für mehr Klimaschutz. In Berlin besetzte und blockierte sie mit rund 2.000 Demonstrant:innen zwei der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt am Potsdamer Platz und an der Siegessäule. Anders als etwa Fridays for Future mit ihren angemeldeten Großdemonstrationen setzt diese Bewegung auf massenhaften, „strikt gewaltfreien“ Ungehorsam. Sie will den routinierten Betriebsablauf unserer Gesellschaft stören, um so auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. In Polizist:innen sehen sie potenzielle Verbündete. Ihnen gegenüber sind sie so freundlich, wie es die verschiedenen Rollen zulassen. Am Montag konnte ich beobachten, wie sie mit ihnen ruhig über das Für und Wider der aktuellen Klimapolitik diskutierten, wie sie ihnen Kekse reichten (und ihre Handschellen) und sich am Ende des Abends widerstandslos vom Platz tragen ließen.

Kritik von allen Seiten

Schon seit Beginn des Jahres ist Extinction Rebellion in Deutschland aktiv, mit kleineren Aktionen hatten sie bereits auf sich aufmerksam gemacht. In diesen Tagen aber sind sie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Sie provozieren mit ihren Blockadeaktionen: Jan Philipp Albrecht, grüner Umweltminister in Schleswig-Holstein, glaubt, dass dieser Protest die falschen treffe. Es gebe schon eine große Mehrheit in der Bevölkerung, die ein konsequentes Handeln beim Klimaschutz fordert, sagte Albrecht dem Radiosender NDR Info. Ruprecht Polenz, CDU-Tausendsassa im Ruhestand, verteidigt im Kurznachrichtendienst Twitter immer wieder Proteste für mehr Klimaschutz, Extinction Rebellion aber, falle Fridays for Future in den Rücken. Aber auch dezidiert linke Gruppen kritisieren Extinction Rebellion. Die taz schrieb, dass Extinction Rebellion der Mut fehle. Was passiert da gerade?

Gegründet wurde Extinction Rebellion in Großbritannien von einer Gruppe von Aktivist:innen, die zum Teil aus dem Occupy-Umfeld stammen und zielstrebig eine Klimaschutz-Bewegung aufgebaut haben, die so anschlussfähig, aber wirksam wie möglich sein soll. Im Internet kann jede:r mit wenigen Klicks seine eigene Ortsgruppe gründen oder zum Beispiel Druckvorlagen herunterladen. Anstatt etwa eine Demonstration zu organisieren oder Petitionen zu lancieren, also innerhalb des legalen Rahmens zu bleiben, blockiert Extinction Rebellion aber Straßen, kettet sich an Zäune oder besprüht Ministerien mit roter Farbe. Das sind Ordnungswidrigkeiten, die bestraft werden können.

Wenn die Polizei XR-Aktivistin:innen festnimmt, wehren sie sich nicht und geben anders als andere Gruppen anstandslos ihre Personalien heraus. Eventuelle Strafen akzeptieren sie. Wenn Journalisten wie ich sie ansprechen, nennen sie ihren vollen Namen und lassen sich bereitwillig fotografieren. Die Aktivist:innen sagen: Unsere Aktionen sind zwar nicht legal, aber legitim. Sie berufen sich dabei auf die fortschreitende Klimakrise, die die Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens in ihren Augen infrage stellt.

Offiziell hatte Extinction Rebellion die Versammlung auf dem Potsdamer Platz am Montag bis 15 Uhr angemeldet. In einer Ecke verteilen zwei Freiwillige selbstgebackene Muffins und mitgebrachten Kaffee, in einer anderen spielen unter einem Party-Zelt mehrere Kleinkinder in einem Ad-hoc-Kindergarten. Unter einem großen Zirkuszelt werden Flyer verteilt, es bildet sich ein Spontan-Chor aus 30 Leuten, aber die eigentliche Attraktion sind die menschenleeren Straßen um die besetzen Plätze herum.

Die Berliner wissen, dass die Zufahrt über die engen Straßen zum Potsdamer Platz für Autofahrer sonst zeitraubend und für Fahrradfahrer mangels Radwege gefährlich ist. An diesem Protesttag spazieren die Menschen die vierspurige Leipziger Straße hinunter, einige bemalen die Straße mit Kreide. Die Polizei hatte das Gebiet zu Beginn des Tages weiträumig abgesperrt. In der ganzen Stadt führte das zu Staus und Verspätungen bei Bus und Bahn.

Warum die Menschen blockieren

Als die offizielle Veranstaltung vorüber ist, meldet sich die Polizei über Lautsprecher zu Wort. Vier, fünf Mal fordert ein Beamter in ruhigen Worten die Demonstrierenden auf, den Platz zu räumen. Die aber denken nicht daran. Die Badewannen, die sie mitgebracht haben, haben zwei Löcher. Durch die Öffnungen schieben sie ihre Arme und fesseln sich dann selbst mit Schlössern, die nur sie selbst aufschließen können. Einer von ihnen ist Jan-Gerit Seyler, ein 40 Jahre alter zweifacher Familienvater.

Zusammen mit drei anderen Männern hockt er nun in der Mitte der deutschen Hauptstadt und stellt für die Polizei ein veritables Problem dar. Wegtragen können sie die Badewanne mit bloßer Muskelkraft nicht, sie könnten die Angeketteten verletzen. Also positionieren sich vier Beamte um die Wanne herum und beobachten. Sie werden noch Stunden dort stehen, als ich beginne, Jan ein paar Fragen zu stellen.

Für ihn ist das die erste Blockade seines Lebens, er hatte Greta Thunberg gesehen und sich dann gefragt: „Was hat dieses Mädchen gelesen, was ich nicht gelesen habe?“ Die Recherche führte ihn zu den Realitäten der Klimakrise und stellte ihn vor eine Wahl: „Entweder, ich lebe hedonistisch weiter und werde zynisch gegenüber den Menschen, oder ich tue etwas“, sagt er. „Aber mit zwei kleinen Kindern kannst du nicht zynisch werden.“ Also beschloss er, sich anzuketten. „Wir müssen den Druck erhöhen.“

Schon in den Tagen vorher begann die Kontroverse um solche Aktionen. Zentrale Frage für die meisten dabei: Dürfen die das? Auch einer der Polizisten sagte am Rande der Demo: „Ich bin für mehr Klimaschutz, aber nicht auf diesem Weg.“ Als Umstehende nachfragen, wie es anders gehen könne, verweist er auf die Parteien, auf die Gesetze. „Da müsst ihr eben bei euren Politikern Druck machen“, sagt er.

Jan, der da angekettet ganz konkret vor allem diesem Polizisten Druck macht, sieht das ironischerweise genauso. Seine Aktion ist sein Weg, auf die Klimakrise aufmerksam zu machen. Extinction Rebellion hat sich auf drei zentrale Forderungen (und zehn Prinzipien) geeinigt: Erstens, verlangen sie, dass Regierungen und Medien, „die Wahrheit über die Klimakrise sagen“. Sie unterstellen dabei nicht, dass alle lügen würden. Sie behaupten aber, dass zu wenig über das wahre Ausmaß des Problems gesprochen werde. Zweitens, wollen sie, dass die Politik bis 2025 die Treibhausbilanz auf Netto Null herunter bringt. Drittens setzen sie sich für Bürger:innen-Versammlungen ein, mit denen der politische Stillstand aufgebrochen werden soll.

Die Idee dahinter: zufällig gewählte Menschen aus der Bevölkerung zu einem bestimmten politischen Problem zusammenbringen für eine befristete Zeit und ihnen Experten beiseite stellen. Extinction Rebellion sieht darin einen Weg, die verfahrenen, für Lobbyeinfluss anfälligen parlamentarischen Prozesse zu ergänzen. In Irland hatte kürzlich eine solche Versammlung die Volksabstimmung über Abtreibung vorbereitet.

Neue Impulse für die Demokratie – oder eine Gefahr?

In den Augen der Demonstrierenden auf dem Potsdamer Platz versagt gerade die parlamentarische Demokratie. Alle, die ich danach gefragt habe, warum sie ungehorsam sind und eben nicht auf die klassischen Protest-Mittel setzen, haben mich auf das Klimapaket der Bundesregierung verwiesen, das sie gerade sogar noch einmal abgeschwächt hat. Aber mehr noch: Eine Ärztin, die mit einer Freundin zusammen ein Banner hochhält, sagt: „Ich dachte, dass das schon läuft. Es gab die Gipfeltreffen, die Berichte des Weltklimarats. Es sah so aus, als ob etwas passieren würde. Aber es ist nichts passiert“. Die Politik könne sich nicht gegen die Lobby-Interessen durchsetzen. Nun müsse man der Politik eben noch ein paar Argumente mehr an die Hand geben, sagt Jan. Aktionen wie diese seien ein Argument.

Das sehen führende Politiker anders. Immer wieder verweisen Kritiker wie FDP-Chef Christian Lindner oder der ehemalige Grünen-Vorsitzende Jürgen Trittin auch auf ein Interview, das einer der bekannteren, britischen XR-Aktivisten Spiegel Online gegeben hat. Roger Hallam sagte darin: „Weil dieses Thema größer ist als die Demokratie, oder wie auch immer Sie das beschreiben wollen, was derzeit noch davon übrig ist. Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant. Dann kann es nur noch direkte Aktionen geben, um das zu stoppen.“ Hallam wird öfter als einer der Anführer der Bewegung dargestellt, aber sein Einfluss reicht in Deutschland bisher wohl nicht über die theoretischen Vorarbeiten für die Bewegung heraus (die beschreibe ich hier, denn die Demonstrierenden, mit denen ich auf dem Potsdamer Platz gesprochen habe, kennen Hallam nicht. Nur einer hat eine ungefähre Ahnung, wer er ist.

Niemand, mit dem ich auf dem Potsdamer Platz rede, lehnt die Demokratie ab, im Gegenteil. Es klingt eher immer wieder wie enttäuschte Liebe. Gerade, weil sie der Demokratie vertrauen, sind sie hier. Auf der XR-Webseite heißt es: „In Deutschland würden die Entscheidungen der Bürger:innenversammlung nicht automatisch Gesetz werden, sondern müssten erst vom Parlament angenommen werden. Des Weiteren kann die Bürger:innenversammlung selbstverständlich ausschließlich Entscheidungen treffen, die im Einklang mit dem Grundgesetz stehen.“ Das klingt deutlich anders als die Aussage von Hallam. Auf der einen Seite tritt Extinction Rebellion mit einer sehr geschlossenen Bildsprache auf. Die Aktionen gleichen sich optisch in den verschiedenen Ländern. Auf der anderen Seite ist es dezentral organisiert.

Extinction Rebellion ist genau da, wo es hinwollte: zwischen allen Stühlen

Was auf der Webseite steht, klingt auch deutlich anders als das, was traditionell linke Gruppen in Deutschland fordern. Als während der Räumung der Sitzblockade am Montagabend jemand den auf linken Protesten beliebten Ruf „A-Anti-Anticapitalista“ anstimmt, machen ein paar wenige halbherzig mit, dann stirbt der Sprechchor schnell wieder. Extinction Rebellion begreifen sich nicht als linke Gruppe: Sie sehen in den Polizisten keine Gegner, sie wollen nicht den Kapitalismus stürzen, sie werfen keine Steine. Das provoziert manche in der Szene und hatte vor zwei Wochen schon zu einer Diskussion geführt, die in deutlichen Abgrenzungen von links mündeten.

Jutta Ditfurth, Frankfurter Stadtverordnete für die links-alternative Liste ÖkoLinX-ARL, postete kürzlich auf Social Media einen „Warnhinweis“, der aus einer Reihe unbelegten, zum Teil auch mit einer Google-Suche widerlegbaren Behauptungen bestand und in der Feststellung mündete, dass XR keine linke Gruppe sei. Angesprochen auf ihre dünne Quellenlage, sagt sie, dass man nicht „so konsumistisch sein solle“, jeder hätte Quellen finden können. Links lieferte sie leider nicht mit.

Für manche Linke ist Extinction Rebellion ein Problem, weil deren Positionierungen nicht stimmen beziehungsweise in ihren Augen gar nicht vorhanden sind. Manche Bürgerliche wiederum stören sich an der Aktionsform. Damit ist Extinction Rebellion zur Zeit genau dort, wo sie hinwollten: zwischen den Stühlen, in der Mitte der Debatte. Die Frage ist: Reicht das? Denn Deutschland hat ja schon eine große, massenwirksame Klimabewegung, die auf zivilen Ungehorsam setzt: Fridays for Future.

Deren Sprecherin Luisa Neubauer hat jedenfalls schon einmal klargestellt, dass man solidarisch mit Extinction Rebellion sei. Im ZDF-Format Heuteplus sagte sie: „Natürlich kann man sich [in der Diskussion] verlieren, wie Extinction Rebellion protestiert oder auch nicht protestiert. Aber die Kernfragen sind doch andere: Wie kann es sein, dass so viele Menschen auf die Straße gehen für eine Aufgabe, die eigentlich dem Staat obliegt, der aber anscheinend seiner Aufgabe nicht gerecht werden will?“


Wer auch mehr über Inhalte der Klimakrise reden will: Hier beschreibe ich, was in der Klimakrise auf uns zukommen könnte und in diesem Artikel wie wir den Wandel, den die Klimakrise uns abverlangt, hinkriegen könnten.

Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Rico Grimm.