Ich kann mich genau an den Moment erinnern, als ich begann, die Klimakrise zu fürchten. Es war im Sommer vor zwei Jahren. Ich hatte wieder eine dieser Meldungen über das Klima gelesen, die täglich zu Dutzenden erscheinen und uns sagen, dass wir Menschen des Wahnsinns sind. Wenn ich nur eine dieser Meldungen las, weckte das normalerweise einen dürren Kampfgeist in mir. Las ich viele, blieb ich taub und machte weiter, womit ich gerade beschäftigt war. Ich beruhigte mich dann immer mit dem Gedanken, dass uns Menschen schon etwas einfallen würde. So wie uns eben immer etwas eingefallen ist.
Damals aber bekam ich plötzlich Angst.
Vielleicht hatte mein Bewusstsein die vielen Klima-Meldungen endlich einmal miteinander verbunden, vielleicht war es auch nur Zufall. Zum ersten Mal erschien es mir aber möglich, dass wir die Klimakrise nicht bewältigen können. Sie war einfach zu groß, und die Jahre davor hatten außerdem gezeigt, wie verletzbar sicher geglaubte Gewissheiten und unsere politischen Systeme sein können. Finanzkrise, Brexit, Trump, das waren seismische Erschütterungen, und doch nicht vergleichbar mit einem ganzen Planeten, der verrückt zu spielen schien. Wie viel schlimmer würden die Folgen da sein? Ich bekam damals vor zwei Jahren Angst, weil ich merkte, dass sich die Klimakrise eigentlich nicht wegschieben ließ in das Reich der Tiere und Pflanzen, der Ozeane und Berge. Sie hat das Potenzial, unsere Gesellschaften zu zertrümmern.
In den Tagen danach verfiel ich einem ziellosen Aktivismus. Dann entschied ich mich für die Option Ignoranz. Ich mied Meldungen über die Klimakrise – bis ich sie nicht mehr meiden konnte. Vielleicht machte jemand einen zynischen Witz, vielleicht diskutierten wir hitzig über die Klimaauswirkungen des Fliegens, oder ich las von Klima-Demos. Wenn ich die Fenster in meiner Berliner Wohnung aufmachte, konnte ich die brennenden Kiefern Brandenburgs riechen. Der Zustand der Erde drang in den wohligen Tresor Großstadt ein.
An diesem Punkt wäre es wahnwitzig gewesen, weiter nichts zu tun. Deswegen begann ich, über die Klimakrise zu schreiben.
Wenn wir in der Klimakrise scheitern, dann scheitern wir an unserer Angst
Mir begegneten bei der Recherche die Geschichten von Menschen, die auch Angst hatten. Die Tochter, die zu Hause sitzt und weint, weint, weint, weil sie nicht glaubt, dass wir das noch packen können. Der Mann, der vor mir bei der Aktion „Ende Gelände“ einen Kohlezug blockiert und sich fragt, ob das reicht und ob er sein Studium abbrechen soll, um das zu verhindern, was er als Untergang erkannt hat. Eine Mutter mit Kleinkind auf dem Schoß, die davon spricht, wie sie ihren Körper zur Blockade nutzen wird, um dem Kind die Erde zu retten. Akte der Selbstbehauptung. Abwehrkämpfe, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern.
Aber obwohl ich mehr als je zuvor tat, las und schrieb und twitterte, zögerte ich doch bei jedem Schritt. Jeden Tag hatte ich Ideen für Artikel, die ich schreiben müsste, ich notierte nur ein paar, ich beendete noch weniger. Früher wusste ich instinktiv, welchen nächsten Text ich schreiben muss. Aber beim Thema Klimakrise verhält sich mein Bauchgefühl wie ein Kompass am Nordpol. Alte Gewissheiten können mich nicht mehr stützen. Ich vermute: Weil mit der Klimakrise auch die Natur wieder in mein Denken eingetreten ist. War nicht das große zivilisatorische Projekt unserer Zeit, die Natur zu zähmen? Nein. Wenn wir ehrlich sind, war es immer der Plan, die Natur zu besiegen. Sie sollte uns dienen, wir wollten trotzdem unabhängig von ihr sein. Ich bin ein Kind dieses Denkens. Das anzuerkennen, beschämt mich. Umso größer ist nun die Leere.
Ich bin ein Mensch und habe Angst. Mehr wusste ich lange nicht, und um mich herum sah ich viele andere Menschen, die auch Angst hatten.
Angst kann uns Dinge tun lassen, die wir nicht für möglich gehalten haben. Sie lässt uns aber oft die falschen Dinge tun. Das haben eben die letzten Jahre gezeigt, in denen Angst etwa im Umgang mit Fremden wieder zu einer offensichtlichen politischen Kategorie geworden ist. Angst macht egoistisch, sie wirft uns zurück auf das, was uns nah ist, und nur so gibt sie uns Kraft. Aber je mehr ich über die Klimakrise erfuhr, desto sicherer wurde ich mir: Wenn Angst das einzige Gefühl bleibt, mit dem wir die Klimakrise angehen, wird sie uns scheitern lassen.
Denn ein Mensch, der Angst hat, hat mehr damit zu tun, im kleinen Kreis zu kämpfen als mit dem System, das ihn überhaupt erst in diese Lage gebracht hat. Deswegen müssen wir diese Angst nehmen und ins Licht halten und drehen und inspizieren – woraus ist sie wirklich gemacht? Was können wir ihr entgegensetzen? Worauf können wir hoffen?
Jeder Mensch fürchtet sich anders, aber viele Menschen fürchten sich vor den gleichen Dingen. So ist es auch in der Klimakrise. Es ist dabei zunächst egal, wie berechtigt diese Angst ist. Wenn sie herrscht, herrscht sie total, ist sie oft irrational und schafft ihre eigene Realität. Deswegen verfangen auch die ganzen gut gemeinten Statistiken so selten, die den Menschen eigentlich zeigen müssten, dass sie sich nicht vor, sagen wir, Terrorismus fürchten müssen. Die Zahlen sind bekannt: 62 Terrortote in Europa im Jahr 2017. Zur gleichen Zeit: mehr als eine Million Krebstote, 25.000 Verkehrstote, 33.000 Menschen, die sterben, weil sie sich mit Keimen infiziert haben, für die es kein Gegenmittel mehr gibt. Diese Vergleiche sind oft wirkungslos. Sie dürften psychologisch dem Versuch gleichen, einem Minenräumer zu erklären, dass schon alles gut gehen wird, weil statistisch gesehen immer weniger Menschen in Kriegen sterben.
Eine bestimmte Art von Angst entscheidet über Scheitern und Gelingen
In der Klimakrise fürchten sich viele Menschen auf drei Arten: Sie fürchten die Folgen, sie fürchten es, an der Aufgabe zu scheitern – und sie haben Angst vor den Dingen, die nötig sein könnten, um die Folgen und dieses Scheitern abzuwenden.
Die Angst vor den Folgen ist leicht zu verstehen. Niemand möchte bei einer Überschwemmung auf seinem Hausdach gefangen werden oder die Wege eines Level-5-Hurrikans kreuzen müssen. Die Angst vor dem Scheitern verhält sich analog, dehnt sich aber in den Köpfen der Menschen aus auf die ganze Welt, bezieht sich auf den völligen Kollaps. Diesen beiden Ängsten ist eine Hilflosigkeit gemein, die daher rührt, dass niemand allein einen Wirbelsturm oder den Zerfall der menschlichen Zivilisation stoppen kann.
Die dritte Angst ist anders. Sie meint nicht die allgewaltige Natur, sie meint uns. Es ist die Angst vor dem, was wirklich nötig sein könnte, um die Klimakrise zu bewältigen. Sie entscheidet über Scheitern oder Gelingen. Diese Angst kennen wir alle, aber in unterschiedlicher Intensität. Sie speist die wachen Stunden mit dem Echo einer fernen, vagen Unruhe, die wir nicht schmecken, riechen oder hören können. Sie findet keinen Gegenspieler in unserem Alltag. Wer steht schon an einem Sommermorgen in seinem Garten und fürchtet sich?
Aber diese Angst ist da und zeigt sich am deutlichsten bei jenen Menschen, die immer lauter erklären, dass sie keine Angst vor der Klimakrise haben. Denn die gebe es ja gar nicht oder man dürfe auf keinen Fall etwas überstürzen. Die großen Verschmutzerkonzerne aus der Öl-, Gas-, Transport- und Bauindustrie schirmen sich ab, weil sie das Gesetz nur verpflichtet, ihre Profite zu schützen, nicht den Planeten, und sie wissen, dass sich beides ausschließt. Sie fürchten ihren Untergang. Die Abschirmer im Kleinen, einzelne Menschen, ringen um ihr Selbstbild. Vielleicht glauben sie an die Intelligenz des Marktes, die Segnungen totaler Freiheit, sie glauben noch daran, dass sich der Mensch die Erde untertan machen kann.
Diese Angst klingt aber auch in den hektischen Vorschlägen mit, die Politiker:innen und Lobbyorganisationen gerade verbreiten, bei jenen also, die sich nicht abschirmen, sondern im Gegenteil viele Worte darum machen, dass jetzt wirklich etwas getan werde. Sie erwähnen aber das Entscheidende nicht: dass alle ihre Vorschläge verhindern, dass die Dinge beschlossen werden, die wirklich einen Unterschied machen würden. Ihre Vorschläge sind, um es mit den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu sagen, „Pillepalle“. So dringen seit zwei Jahren die Lobbyisten amerikanischer Ölkonzerne darauf, eine CO2-Steuer einzuführen in Höhe von 40 Dollar. Im Gegenzug verlangt die Industrie, dass Umwelt-Regulierungen gestrichen werden und sie keine Reparationen für die bisherigen Klimaschäden zahlen müssen. In Deutschland schlug die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer eine Abwrackprämie für Ölheizungen vor: Sie sollten durch Gasheizungen ersetzt werden. Dabei sind klimaneutrale Passivhäuser oder Wärmepumpen der Weg. Niemand aus dieser Gruppe will das System ändern.
Am wenigstens zu erkennen ist die Angst vor den Dingen, die nötig sein könnten, bei jenen, die den ganzen Tag von der Klimakrise sprechen. Bei den Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen, die Alarm schlagen und eben genau jene großen Veränderungen einfordern, die die anderen bekämpfen.
Ein Gegengewicht für die rasende Angst
Es lohnt sich, kurz darüber nachzudenken, was Scheitern in der Klimakrise bedeutet. Denn es ist ein frivoles Wort, für das, was es beschreiben soll. Wir werden nicht scheitern wie ein Kind, das zu klein ist, um ans Keksregal zu kommen, sondern wir scheitern. Menschen sind eine gewitzte, zähe Spezies, die in der Antarktis leben kann und in der Wüste. Einige Menschen werden überleben, aber diese unsere Welt wird es nicht.
Je mehr Angst vor den nötigen Veränderungen wir haben, desto wahrscheinlicher wird dieses Szenario und je wahrscheinlicher es wird, desto radikaler werden die nötigen Veränderungen sein müssen – was die Angst wieder mehrt. Das ist der Klimakipppunkt des menschlichen Denkens.
Es kann sein, dass wir diesen Kipppunkt längst erreicht haben, aber ich glaube es nicht. Es geht nicht darum, die Angst kleinzureden, nicht darum, sie bloß mit einer sprachlichen Geste „ernst zu nehmen“. Es gibt auch keine Argumente und Statistiken, die diese Angst in nur einem Augenblick verschwinden lassen können. Diese Angst ist nun ein Teil von mir. Ein Teil von uns.
Und deshalb braucht es etwas, das die rasende Angst bremst, etwas, das ein Gleichgewicht in uns herstellen kann: Es braucht Hoffnung.
Manche Menschen finden Hoffnung unreif und nicht der Rede wert. Ein Blick in jede Bibliothek der Welt zeigt, dass sich die Menschen viel öfter mit Angst, Wut und Zorn beschäftigen als mit diesem kleinen mächtigen Gefühl, das entscheidend sein wird, um die Klimakrise zu lösen: Eine Gesellschaft, die hofft, verzweifelt nicht.
Hinter jeder Hoffnung steckt ein Wunsch. Sie hat ein Ziel, das wir benennen können. Angst hingegen ist nicht konstruktiv, sie will nur abwehren. Überwiegt die Angst, geht es den Menschen eher um Verteidigung, überwiegt die Hoffnung geht es ihnen um Aufbau. Genau dieses Muster lässt sich gerade in der Klimadebatte erkennen.
Die neuen Realisten haben die Lage analysiert – und hoffen
Die Kräfte der Vergangenheit und der Angst wollen nichts ändern an unserem Wirtschaftsmodell, an unserer Beziehung zur Natur. Sie wollen herrschen und diese Macht auch nicht mit Menschen teilen, die anders sind als sie. Deswegen bauen sie Mauern, an den echten Grenzen und in ihrem Denken. Aber auch manche Grüne, Linke, Liberale, die sich selbst als Zukunftskräfte verstehen, sind davon nicht frei. Auch sie wagen es nicht, an den Kern des Ganzen zu gehen, dorthin, wo die eigentlichen Gründe für die Klimakrise liegen. Sie verteidigen auch, manchmal indirekt: unseren Glauben an ewiges Wachstum in einer endlichen Welt. Unseren Glaube daran, die auserwählte Spezies zu sein, die das Recht hat, die anderen Arten, die diesen Planeten bevölkern, zu verdrängen, zu unterjochen, auszulöschen.
Diese Sichtweise kann uns keine Hoffnung in Zeiten der Klimakrise geben, weil sie blind ist für die Realität, naiv und ohne guten Grund optimistisch. Hoffnung aber funktioniert so nicht. Wenn wir hoffen, hoffen wir nicht wie der schale Optimist, der glaubt, dass alles gut wird, weil schließlich immer alles gut geworden ist. Wer dagegen realistisch hofft, hat die Lage verstanden, analysiert. Die Hoffenden erkennen im Gegensatz zu Optimist:innen an, dass ihnen das Wasser bis zum Hals steht und sie scheitern können und entscheiden sich genau deswegen zur Tat. Terry Eagleton schreibt in seinem Buch Hoffnungsvoll, aber nicht optimistisch: „Wer auf Hoffnung angewiesen ist, muss zugeben, dass das Schlimmste bereits eingetreten ist.“
Die wahren Realisten sind also nicht unsere Politiker:innen und Vordenker:innen, die sich pragmatisch geben und dieses und jenes nicht für „machbar“ halten. Die wahren Realisten sind jene, die die Möglichkeit der Katastrophe ernst nehmen.
Der Untergang als ein mögliches Szenario: Das war in den hoffnungsfreien Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges ein revolutionärer Gedanke. Die selbsternannte freie Welt hatte doch gegen den Kommunismus gesiegt! Beim Gang in die Mitte unserer Gesellschaften verdrängte die marktradikale Ideologie die Hoffnung auf eine bessere Zeit an den Rand der politischen Debatte. Denn hatten die kapitalistischen Demokratien des Westens nicht gerade bewiesen, dass ihr System allen anderen überlegen war? Im Jahr 1989 lasen Millionen Menschen ein Buch, in dem der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ ausrief. Seiner Meinung nach ist die wachstumsorientierte, liberale Demokratie der logische Endpunkt der menschlichen Entwicklung. Oder mit anderen Worten: Niemand brauchte mehr über ein besseres System nachzudenken. Denn die Lösung war angeblich gefunden.
Die zentrale Lüge der letzten 30 Jahre
Nun haben wir keine Lösungen mehr parat. Die meisten Menschen sind heute unfähig, sich vorzustellen, wie wir den ökologischen Zusammenbruch in diesem System stoppen sollen. Sie können sich aber auch kein anderes System vorstellen. Wer in den Jahren bis zur Finanzkrise genauer hingeschaut hatte, wusste schon, dass die Geschichte nicht zu Ende war, dass das eine Lüge war, die vor allem uns Bürgern schmeicheln sollte. Die Lüge drückte sich in Argumenten aus, die alle einem Muster folgten: „Seht her, ihr habt mehr als jeder König des Mittelalters! Seid stolz auf eure Zeit und euer Leben.“ Während die Bürger ihren Stolz in die Einkaufszentren trugen, verfestigte sich ein System, das jeden hoffnungsvollen Impuls als revolutionär und radikal brandmarkte.
In dieser Zeit ist das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur endgültig aus den Fugen geraten. Seit dem Jahr 1990 sind die Treibhausgasemissionen der Menschheit um 40 Prozent gestiegen, wurden Regenwälder abgeholzt auf einer Fläche fünfmal so groß wie Deutschland, verschwanden 40 Prozent des arktischen Eises, 720 Milliarden Tonnen wertvolle Oberflächenerde, 24 Prozent der Moore, die Hälfte der Korallenriffe und 80 Prozent der Insektenpopulationen. Seitdem werden drei Mal so viele Fischarten überfischt, es havarierten 600 Ölanlagen oder -tanker, die mit 1,5 Millionen Tonnen Öl die Natur verschmutzten. Es starben mehrere Zehntausende Arten aus und nochmal Tausende mehr, die nie ein Mensch katalogisiert hatte.
Diejenigen, die mehr Freiheit für das Kapital und die großen Konzerne forderten, hatten uns versprochen, dass wir in eine Epoche des ewigen, geschmeidigen Lebens übergehen werden, in der für angeblich jeden gesorgt werden würde. Der Finanzminister des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton wiederholte oft sein Lieblingszitat, um Deregulierung der Wirtschaft und aggressiven Freihandel zu rechtfertigen: „Eine Flut hebt alle Boote.“ Aber nicht jeder bekam das, was gerecht war, und vor den Toren der Bürotürme und Fabriken kollabierten die ökologischen Systeme, die für uns Menschen sorgten.
Die Fehler, die die moderne Zivilisation auf Konfrontationskurs mit den grundsätzlichsten Gesetzen der Natur gebracht haben, werden noch immer gemacht. Aber jede aufrichtige Debatte in einem Freundeskreis, jede Demonstration mit fünf Teilnehmern, jede Genossenschaftsgründung, jeder Secondhandladen und auch jeder gescheiterte Versuch, im Kleinen was zu ändern, was im Großen verbockt wurde, ist ein Grund zur Hoffnung. Diese Aktionen zeugen von Einsicht und sind Boten von Mut, Geduld und Beharrlichkeit, ohne die die Hoffnung nicht existieren kann. Denn wie gesagt: Ein Mensch kann nicht hoffen, ohne die Möglichkeit des Scheiterns in Betracht zu ziehen.
Wenn etwas unwahrscheinlich ist, kann das die Hoffnung nicht verringern
Die neuen Realisten werden oft missverstanden als Moralapostel. Man hört, was sie sagen, man nimmt es persönlich wie eine Zahlungsaufforderung vom Finanzamt. Dabei hoffen sie vor allem, in den anderen Menschen selbst Wesen mit Hoffnung zu entdecken. Denn „ob jemand Hoffnung hat, können wir nicht erkennen, indem wir sein Innenleben erforschen, sondern nur, indem wir beobachten, was er tut“ (Terry Eagleton). Jeder Mensch, der nur eine Sache anders tut, ist also ein Grund mehr zu hoffen.
Aristoteles meinte, dass Hoffnung ein „vernünftiger Wunsch“ sei. So wie es haltloser Unsinn ist, zu glauben, dass sich ein Mensch den Gesetzen der Physik entziehen kann, so ist es zum Beispiel eine absolut berechtigte Hoffnung, eine Überschwemmung lebend zu überstehen. Denn genau das haben schon Millionen Menschen vorher geschafft.
Es ist auch eine völlig vernünftige Einschätzung zu glauben, dass die Menschheit diese Krise gut überstehen kann. Wir haben die Fähigkeiten, das Wissen, die Technologien, das Geld, warum sollte es uns nicht gelingen? Jedes Gegenargument, das man auf diese Frage hin vorbringen kann, bewegt sich nur im Kreis des kleinen Denkens, das wir kennen, und kann deswegen nicht als letzte Gewissheit gelten. Es bleibt eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit. Aber etwas mag unwahrscheinlich sein, die Hoffnung kann das nicht schmälern. Es verlangt vielleicht mehr Kraft, es beeinflusst vielleicht die Taktik und Strategie unseres Vorgehens, aber die Hoffnung stirbt erst dann, wenn Wahrscheinlichkeit zur Gewissheit wird, wenn die Menschen alles versucht haben. Sie stirbt, das weiß doch jedes Kind, zuletzt.
Aber die Wahrscheinlichkeiten sind sehr unvorteilhaft
Die Menschen können hoffen in der Klimakrise. Aber wir müssen, um nicht in den seichten Optimismus abzudriften, einen Blick für die Verhältnisse bewahren. Wenn eine Gruppe von Freunden sich entschließt, gemeinsam ihr komplettes Leben nach nachhaltigen Gesichtspunkten umzukrempeln, dann sollten wir davon sprechen, denn es stiftet Hoffnung.
Und doch sind in der Klimakrise die Wahrscheinlichkeiten sehr unvorteilhaft. Um den Pariser Klimavertrag einzuhalten, müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen alle zehn Jahre halbiert werden. Dabei zeigt der Trend nach oben. Die Treibhausgasemissionen der Menschheit steigen Jahr für Jahr, obwohl unsere technischen Anlagen effizienter geworden sind, obwohl an hunderttausenden Orten auf der Erde schon eine Zukunft gebaut wird, die Vorbild sein kann für den Rest des Planeten.
Wenn aber die Wahrscheinlichkeiten eher dagegen sprechen, dass wir die Klimakrise lösen, wenn vieles folgenlos blieb, was die Menschheit bisher versucht hat, muss die vernünftige Hoffnung darauf reagieren. Die Politik der Vergangenheit reicht nicht, und zu wenige Menschen haben den Kampf schon aufgenommen, obwohl doch seit 40 Jahren klar ist, dass wir den Planeten unaufhaltsam verändern. Was bleibt ist: mehr Menschen für den Kampf gegen die Klimakrise gewinnen.
Geschichte beginnt nicht bei den Regierenden. Sie halten fest, was sowieso schon in Bewegung war, präsentieren es den Kameras und geben es als ihre Ideen aus, oft, weil sie es gar nicht besser wissen. Jahre später, wenn alles lange akzeptiert ist, erinnern wir uns nur noch an diejenigen, die die neuen Gesetze verabschiedeten, aber nicht mehr an diejenigen, die in ausdauernder, jahrzehntelanger Arbeit den Boden dafür bereitet haben. Die von Amts wegen Mächtigen werden in den Fokus der Geschichte gerückt, einfach, weil sie so leicht greifbar und erkennbar sind. So schmückte sich Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl damit, der „Kanzler der Einheit“ zu sein, während die DDR-Bürgerrechtler, die die Wende mit ihrer Arbeit überhaupt erst ermöglichten, immer weiter in Vergessenheit gerieten.
Die Massenmedien und Menschen im Rampenlicht versagen darin, uns die andere Geschichte zu erzählen. Die der Namenlosen, die heute etwas fordern und damit zehn Jahre später Hunderttausende zu Demonstrationen inspirieren, die Geschichte der Menschen, die mit ihren Körpern etwas blockieren, was 15 Jahre später per Gesetz gebannt wird. Die Geschichte jener Menschen, die nachdenken über eine andere Welt, aber übersehen werden, weil ihre Ideen zu radikal erscheinen – bis diese Ideen eines Tages zum neuen Standard werden.
Die US-amerikanische Aktivistin Rebecca Solnit schreibt in ihrem Buch Hope in the Dark: „Wie die Veränderung geschah, wird kaum noch in Erinnerung behalten. Zum Teil, weil diese Erinnerung kompromittierend ist: Sie erinnert an den Mainstream, als der Mainstream noch, beispielsweise, so hemmungslos homophob oder rassistisch war, wie er es heute nicht mehr ist; und sie erinnert daran, dass die Macht von den Schatten und Rändern kommt, dass unsere Hoffnung im Dunkeln um die Ränder liegt, nicht im Rampenlicht der Hauptbühne.“
Was Hoffnung stiftet
Im Dunkeln um die Ränder. Nehmen wir nur die letzten 120 Jahre. Mehr Beispiele, als ein Kopf sich gleichzeitig merken kann: Die Arbeiterbewegung, die den Kapitalismus zähmt. Die Suffragetten, die Frauen das Wahlrecht erstreiten. Die Kämpfe für einen fürsorglichen Sozialstaat nach dem Zweiten Weltkrieg, und die jungen Deutschen, die zehn Jahre später die Alt-Nazis vor Gerichte stellten. Die 68er, die dafür gesorgt haben, dass niemand das Wort „Autorität“ mehr ohne Fragezeichen denken kann, gleichzeitig die Bürgerrechtsbewegung der USA, Dekolonialisierung, Stonewall und die Bewegung für die Rechte von LGBT-Menschen. Die Naturschützer der 1970er Jahre, die Gesetze durchbrachten, die einem heute den Atem rauben, weil darin etwas, was schlecht für die Allgemeinheit ist, einfach verboten wird. Die Friedensbewegung der 80er-Jahre, die Anti-Atom-Bewegung, die gesiegt hat in Deutschland, die Bewegung für Abrüstung der Atomraketen, der Landminen, für Verbote biologischer und chemischer Waffen. Die Bürgerrechtler im Osten Europas, die gemeinsam mit Millionen Menschen auf der Straße das sowjetische Imperium in die Knie zwangen, während in Südafrika der ehemalige Häftling Nelson Mandela Präsident wurde. Die Menschen, die Elefanten geschützt haben und Wale und Tiger. Die Bewegung für die Rechte indigener Völker, die Zapatistas aus Mexiko, die am Tag, als das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA in Kraft trat, dagegen rebellierten und so ein Vorbild lieferten für den kommenden Aufstand gegen globale Ungerechtigkeit, der beim WTO-Gipfel in Seattle 1999 seinen Anfang nahm und in den Anti-TTIP-Demonstrationen seinen Widerhall fand. Die mehr als zehn Millionen Demonstrant:innen, die 2003 verhinderten, dass die ganze NATO in den Krieg gegen den Irak eintrat, und die Menschen in Dresden, die den Neo-Nazis ihren alljährlichen Marsch im Februar madig gemacht haben. Occupy, die 15-M-Bewegung in Spanien. Der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi, der sich selbst anzündete und damit das Signal für den demokratischen Aufbruch in Tunesien und im ganzen Nahen Osten gab. Millionen, die Geflüchteten halfen, als diese Hilfe brauchten. Tiananmen 1989, Hongkong 2014, Hongkong 2019. #MeToo und #MeTwo und #WirImOsten. Die Bewegung für einen Mindestlohn, für bedingungslose Versorgung und für Sanktionsfreiheit. Menschen, die für Datenschutz streiten und freien Zugang zu Wissen. Die mehr als 200 Kommunen, die Privatisierungen ihrer Stromnetze zurückdrehten oder neue Stadtwerke gründeten. Die Stromrebellen der über 700 Energiegenossenschaften in Deutschland. Die Bürgerentscheide für einen anderen Verkehr. Ende Gelände, #Hambibleibt und die Hundertausende Schüler, die auf der ganzen Welt für ihre Zukunft streiken.
Keine dieser Bewegungen begann im Kanzleramt, dem Weißen Haus oder dem Kreml. Viele hörten vielleicht das erste Mal von ihnen, als die großen Zeitungen und TV-Sender berichteten, aber der Funke sprang über durch Flugblätter, schmale Bücher in kleiner Auflage, Whatsapp-Gruppen und halb geheime Treffen zum Feierabend. Wer Hoffnung in der Klimakrise finden will, muss dort hinschauen, und wer Hoffnung stiften will, muss von dieser Geschichte erzählen, von der Macht der Vielen.
Diese Geschichte ist nicht frei von Niederlagen, Scheitern und Scheinsiegen, aber sie ist frei von erdrückender Verzweiflung. Alle Bewegungen eint die Gewissheit, in einer Welt voller Fehler zu leben, die lebenswert ist, aber noch lebenswerter sein könnte.
Und doch könnte es in der Klimakrise nicht reichen, nur von der Macht der Vielen zu erzählen und darauf zu warten, bis diese Erzählung allein ihre Wirkung entfaltet und den Druck von den Rändern erhöht. Um mehr Menschen zu mobilisieren, braucht es etwas Größeres, etwas Aufsehenerregendes, etwas, das naheliegt – und auf den ersten Blick wie ein Tabubruch wirkt.
Eine neue Strategie
Die Bewegungen, die die Klimakrise heute mit solcher Macht in die öffentliche Debatte geschoben haben, haben sich ganz bewusst von einer alten Strategie gelöst, die viele Aktivist:innen und Klimawissenschaftler:innen jahrzehntelang verfolgten. Diese hatten darauf verzichtet, über den „Klimawandel“ in den Kategorien von Überleben, Untergang und Apokalypse zu sprechen. Sie taten das, weil die Datenlage manchmal unklar war und sie ihre Glaubwürdigkeit nicht mit falschen Vorhersagen riskieren wollten. Sie taten es aber vor allem, weil sie glaubten, die Aufmerksamkeit der Menschen zu verlieren, wenn sie ihnen zu viel zumuten. Stattdessen: über kleine Schritte sprechen, konstruktiv bleiben. Diese Strategie ist gescheitert, wie die sich beschleunigende Erderhitzung zeigt. Die Menschen haben nicht weggehört, dazu hatten sie keinen Anlass. Sie hatten nie begonnen, überhaupt hinzuhören.
Das haben die neuen Klimabewegungen geändert. Mehr Menschen hören hin, Millionen Mal mehr. Diese Menschen haben jetzt Angst, und genau das ist die wichtigste Bedingung für jene Hoffnung, die die neuen Klimabewegungen stiften wollen. Menschen, die keine existenzielle Angst haben, können auch nicht hoffen, die Klimakrise überleben zu können. Deswegen sagt Greta Thunberg von Fridays for Future den Mächtigen: „Ich möchte, dass ihr in Panik geratet.“
Diese Strategie fußt darauf, so vielen Menschen wie möglich einen so großen Schrecken einzujagen, dass sie selbst Teil der Klimabewegungen werden. Die Wucht des Schreckens soll das Denken durchrütteln und die innere Ordnung der Menschen neu sortieren: Was wichtig ist, was nicht, und die Hoffnung, die Klimakrise meistern zu können, soll an oberster Stelle rangieren. Diese Taktik überwältigt. Sie setzt darauf, dass sich ein wichtigeres Ziel als das Überleben der Menschheit nicht denken lässt.
Was aber, wenn doch?
Wer, zum Beispiel, darum kämpfen muss, seinem Kind die Schulmaterialien oder die Klassenfahrt bezahlen zu können, dem ist das abstrakte Überleben einer gestaltlosen Masse von sieben Milliarden Menschen fremd. Vielleicht wird so jemand irgendwann zur Klimaaktivistin, wenn etwa zu den Schulkosten noch extrem steigende Lebensmittelpreise in Folge globaler Dürren kämen. Das könnte aber zu spät sein. Es löst das Problem nicht, darauf zu warten, bis möglichst viele Menschen die Krise so stark in ihrem Alltag spüren, dass sie demonstrieren gehen. Wir müssen jetzt handeln – gerade um zu verhindern, dass viele Menschen die Klimakrise wirklich zu spüren bekommen.
Der Kampf gegen die Klimakrise betrifft viel mehr Dinge, als wir denken
Menschen gehen nicht auf die Straße und machen Druck von den Rändern her, um für etwas zu kämpfen, das „objektiv“ wichtig ist, sie tun es, um für etwas zu kämpfen, das ihnen oder Menschen, die sie schätzen wichtig ist. Ist der Klimaschrecken nicht groß genug, um das Regal der wichtigen Dinge neu zu sortieren, engagieren sie sich nicht für mehr Klimaschutz.
Einen Weg raus aus diesem Dilemma weist die Geschichte von der großen Hitze in Chicago, denn sie zeigt uns: Der Kampf gegen die Klimakrise ist der Kampf für das gute Leben.
Im Juli 1995 zog die schlimmste Hitzewelle über Chicago hinweg, die die nordamerikanische Millionenstadt seit den 1930er Jahren gesehen hatte. Bis zu 41 Grad Celsius zeigten die Thermometer, den Bewohnern kam es aber wegen hoher Luftfeuchtigkeit vor, als sei es 50 Grad und heißer. Chicago fühlte sich nicht wie die Großstadt an, in der das erste Hochhaus der Welt gebaut wurde, sondern wie eine moorige Lichtung im tiefen Inneren des Regenwaldes.
Alle Bewohner Chicagos litten. Aber vor allem die alten starben. Menschen benachrichtigten die Polizei, weil aus den Wohnungen der Nachbarn ein unerklärlicher Geruch drang. Die Gerichtsmediziner mussten neun Kühl-Lkw anfordern, weil sie die Leichen in ihren eigenen Räumen nicht mehr unterbringen konnten. Am Ende waren 739 Menschen gestorben. Aber die Statistiken über die Toten bergen mehr als nur einsamen Tod.
Warum Menschen in Hitzewellen sterben
Denn der US-Soziologe Eric Klinenberg hat in seinem Buch Heat Wave untersucht, wo die meisten Menschen gestorben waren: erwartbar, vor allem in den armen Nachbarschaften – und doch gab es auch dort Unterschiede. North Lawndale, South Lawndale, zwei benachbarte Bezirke, die vieles gemeinsam hatten, was Soziologen sonst anführen, um viele Hitzetote zu erklären: wenig Einkommen, wenig schattenspendende Bäume, ungefähr die gleiche Zahl an älteren Bewohner:innen. Aber in dem einen Stadtteil starben sechs Mal so viele Menschen wie in dem anderen. Klinenberg fand heraus, warum.
Er interviewte die älteren Bewohner:innen beider Stadtteile. Im Süden erzählten sie, dass sie während der großen Hitze das gemacht hätten, was sie immer an warmen Tagen machen würden: raus gehen, ein Schwätzchen mit Bekannten halten, und wenn es zu heiß wurde, Zuflucht in den klimatisierten Ladengeschäften suchen. Nichts davon war Alltag für die alten Menschen aus dem Norden, in dem es mehr Morde und Raubüberfalle gab, viele Gebäude verlassen und die Wege weit waren. Als die Hitzewelle die Stadt traf, blieben diese Menschen in ihren Wohnungen. Und während im dicht bevölkerten Süden Freunde und Verwandte alte Menschen besuchten, die sich selbst nur noch mühsam bewegen konnten, starben die Alten im Norden allein. Die Hitze hatte sie getötet, aber eigentlich waren sie gestorben, weil die Gemeinschaft vor ihrer Haustür schon lange vorher zusammengebrochen war.
Diese Geschichte macht Hoffnung, wenn man die Klimakrise beiseite schiebt und die Hitze von Chicago betrachtet wie ein US-amerikanischer Soziologe am Ende des vergangenen Jahrtausends: Um zu verhindern, dass Menschen unnötig in Hitzewellen sterben, braucht es widerstandsfähige Stromnetze (der Strom in Chicago war stellenweise ausgefallen) und Polizeistationen, Feuerwehren, Rettungsdienste, die gut ausgestattet und ausreichend besetzt sind. Die Menschen sollten ein Einkommen haben, das zum Leben reicht und mit dem sie sich vor den Folgen der Hitze schützen können. Sie sollten gesund sein und brauchen vor ihrer Tür Läden für den täglichen Bedarf und Bäume, die Schatten spenden, Parks, Straßen und Plätze, die sicher genug sind, um Freunde und Verwandte zu treffen. Sie müssen gut von einem Ort zum anderen kommen können. Sie müssen Zusammenhalt spüren und die Gewissheit, in der Not Hilfe zu bekommen.
Es geht nicht nur darum, die Klimakrise zu beenden
Vieles, was heute die Menschen ganz unabhängig von Naturkatastrophen bewegt, findet sich hier wieder: Der Wunsch nach gemeinschaftlicher Identität, nach einer lebenswerten Stadt, nach einem Staat, der ganze Dörfer und Regionen nicht aufgibt, sondern in die Infrastruktur investiert und den Bürger:innen hilft, gemeinsam ihr eigenes Leben in die Hand zu nehmen.
Es reicht also nicht, sich auf Treibhausgas-Emissionen zu konzentrieren und das restliche System auszublenden. Denn unter diesem System leiden auch heute schon Millionen Menschen auf der Erde, in Deutschland, in unserer Nachbarschaft. Selten produziert dieses Leiden Schlagzeilen. Oft versteckt es sich in Schicksalen und Statistiken, die nur die Eingeweihten kennen: reale Einkommenszuwächse gleich null bei den Armen, Anstieg der Depressions- und Burn-Out-Diagnosen, Einsamkeit als Massenphänomen.
Ein Schluss liegt nahe. Was wäre, wenn es nicht nur darum ginge, die Klimakrise zu beenden? Nicht nur darum die Welt, wie sie jetzt ist, zu bewahren? Sondern sie in dieser Krise gleichzeitig besser zu machen? Sicherer, freier, gerechter für alle?
Dann verändert sich die Bedeutung dieser Krise. Dann fordert sie keinen bloßen Abwehrkampf mehr, um das Schlimmste zu verhindern, sondern den Kampf für eine Welt, die Wohl und Würde jedes Menschen höher bewertet als privatisierte Freiheit, Geld und Konsum. Die Krise kann zum Fixpunkt werden für gesellschaftliche Veränderungen, die sich in ein paar hundert Jahren einreihen werden in die Liste großer Sprünge, die die menschlichen Gesellschaften schon gemacht haben.
Es gibt sehr gute Gründe zu hoffen, dass das möglich ist. Gerade weil das Problem so groß ist.
Eine einzigartige Gelegenheit
Die Klimakrise ist untrennbar mit einer Umweltkrise verbunden. Ökosysteme mit ihren Tausenden Tier- und Pflanzenarten sterben, weil sich die klimatischen Bedingungen zu schnell verändern, aber auch, weil der Mensch sie zurückdrängt, um Platz für sich zu schaffen und Ressourcen aus den Böden zu holen. Seit dem Jahr 1970 hat sich die Menge an Rohstoffen, die die Menschheit aus der Erde nimmt, verdreifacht, obwohl sich die Zahl der Menschen selbst nur verdoppelt hat. Die Förderung wird dabei immer riskanter und schmutziger. Länder wie Japan arbeiten daran, wertvolle, seltene Metalle in 6.000 Meter Meerestiefe zu fördern. Um in den kanadischen Teersandgebieten einen Liter Öl zu gewinnen, kann das Dreifache an Wasser nötig sein, das die Förderkonzerne danach in riesigen giftigen Seen entsorgen.
Es gibt keinen Bereich, den der ökologische Zusammenbruch nicht tangiert, und wer nach Lösungen sucht, ihn aufzuhalten, endet immer wieder bei Themen, die auf den ersten Blick nichts mit Umwelt- oder Klimaschutz zu tun haben. Digitalisierung, Globalisierung, Gentrifizierung, Ungleichheit … Wir landen bei den großen Fragen unserer Zeit, die bisher sauber getrennt diskutiert und abgelegt wurden. Die Klimakrise ist aber der große Schirm, unter dem sie sich alle versammeln werden, weil eine Natur, die gutes Leben ermöglicht, die eine nicht verhandelbare Voraussetzung für alles Menschliche ist. So führen dann direkte Linien von dem einem scheinbar isolierten Kampf zum Kampf gegen die Klimakrise.
Ein paar Beispiele (es gibt hunderte):
Viele Menschen haben das Gefühl, mit den wichtigen Dingen immer hinten dran zu sein, seien es nun private Verpflichtungen, Care- oder Lohnarbeit. Studien zeigen dabei, dass Länder mit kürzeren Wochenarbeitszeiten Umwelt und Klima weniger belasten. Denn wer weniger arbeitet, verdient weniger und hat wieder Zeit, mehr Dinge selbst zu machen. Weniger arbeiten – dafür kämpfen Arbeiter seit 200 Jahren. Eine der ersten konkreten Forderungen der englischen Arbeiterbewegung war zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die Arbeitszeit zu begrenzen. „Acht Stunden Arbeit. Acht Stunden Erholung. Acht Stunden Pause“, forderten sie. Vielleicht muss der nächste Kampf der Gewerkschaften der Acht-Stunden-Woche gelten.
Die Lancet-Kommission für Gesundheit und Klimawandel wiederum schrieb 2015, der Kampf gegen die Klimakrise sei „die größte Chance des 21. Jahrhunderts“, um die globale Gesundheit zu verbessern. Die Emissionen von Kohlekraftwerken, Verbrennermotoren in Autos, Gasanlagen verdreckten nicht nur die Atmosphäre, sondern auch die menschlichen Lungen. Wenn Wälder abgeholzt werden, setzt das CO2 frei und nimmt Menschen Orte, um sich zu erholen. Wer viel zu Fuß geht oder Fahrrad fährt, stärkt das Immunsystem. Ganz abgesehen davon, dass Hitzewellen, Überschwemmungen und Schneestürme in der Klimakrise häufiger und Hurrikane mit größerer Wucht auftreten. Die Erderhitzung zu begrenzen, heißt ganz konkret, Leben zu retten, die in Naturkatastrophen verloren gehen würden.
Noch ein Beispiel: Alle Klimamodelle gehen davon aus, dass bis zu einem gewissen Punkt immer mehr Menschen auf der Erde leben. Vor allem in den Staaten Afrikas wird die Bevölkerung zum Teil rasant zunehmen. Besser wäre, wenn sich Menschen aus freien Stücken gegen das Modell Großfamilie entscheiden würden. Der Schlüssel dazu sind Frauen, das zeigt Studie nach Studie. Sie brauchen Zugang zu Verhütungsmitteln, zu sexueller Aufklärung, zu höherer Bildung und Einkommen, um unabhängiger von ihren Ehemännern zu werden. Wer über die Klimakrise redet, muss über Gleichberechtigung der Geschlechter sprechen.
Gleichzeitig entwickeln die cleversten Ingenieure immer bessere, immer effizientere saubere Technologien, mit denen die Menschen ihre Bedürfnisse decken können. Viele dieser Ideen können allerdings nicht frei zirkulieren, weil sie von Patenten geschützt werden, die bis zu 70 Jahre laufen oder nicht einfach so weitergegeben werden können, weil das zentrale Regeln des Welthandels unmöglich machen. Oder weil die zentralen steuerfinanzierten Forschungsarbeiten hinter den Bezahlschranken der drei großen Wissenschaftsverlage für 29,90 US-Dollar das Stück eingesperrt werden. Wer dafür kämpft, Wissen zu befreien, kämpft gleichzeitig dafür, dass die neuen grünen Technologien auch in armen Ländern eingesetzt werden können.
Die Klimakrise verschärft Ungleichheit innerhalb von Staaten. Das wird immer deutlicher. Weniger bekannt ist, dass die Ungleichheit an sich die Klimakrise befeuert. Entweder, weil arme Menschen sich gegen im Grunde richtige Maßnahmen wehren, die sie in ihren Augen stärker in die Pflicht nehmen als die Reichen. Aber auch dadurch, dass Menschen, die mehr Geld und politische Durchsetzungskraft haben als andere, sich abschirmen können von den Umwelt- und Klimafolgen ihrer Investments. Bildlich gesprochen: Solange sie selbst nicht in den vergifteten Landstrichen in der Nähe von Ölanlagen leben müssen, investieren sie weiter in deren Ausbau.
Gleichzeitig wird die große Transformation hin zu einer Gesellschaft, die die Grenzen der Erde respektiert, Geld kosten. Wer, als Beispiel, einen kostenlosen Nahverkehr anbieten will, braucht deutlich mehr Busse und Bahnen als heute und muss deren Betrieb aus anderen Quellen finanzieren. Woher nehmen wir dieses Geld in Deutschland? Von den unteren zehn Prozent, die laut DIW Berlin (PDF, S.67) seit 1998 insgesamt 4,7 Prozent mehr Steuern und Abgaben zahlen müssen? Oder von den oberen zehn Prozent, die 2,5 Prozent weniger von ihrem Einkommen abgeben müssen?
Die Klimakrise ist nicht zu trennen von unserem Wirtschaftssystem, das Wachstum belohnt und Mäßigung bestraft. Gleichzeitig zeigt sich, dass überall dort, wo buchstäblich über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden wird, die Menschen protestieren. Etwa beim Ausbau der großen Stromleitungen, die Windenergie aus dem Norden Deutschlands in den Süden transportieren sollen. Sie fragen mit gutem Recht: „Was haben wir denn davon?“ Zentralisierte Entscheidungen in der Klimakrise rufen dezentralen Protest hervor, der immer nur ein tiefergehendes Ziel hat: mehr Mitbestimmung und Teilhabe. So kann die Klimakrise ein Treiber für demokratische Reformen unseres politischen Systems werden.
Mehr Freiheit, Gerechtigkeit, Mitbestimmung
Was wir brauchen werden, um die Klima- und Umweltkrise zu bewältigen, ist exakt das, wofür heute schon Menschen kämpfen: mehr Kooperation, mehr Chancengleichheit, mehr freies Wissen, mehr Gerechtigkeit, mehr Demokratie.
Hoffnung in Zeiten der Klimakrise bindet sich dann nicht mehr nur an das, was direkt mit den Statistiken über Treibhausgas-Emissionen zu tun hat, sondern geht tief hinein ins alltägliche Leben der Menschen. So wie das Seil eine große Last nur tragen kann, weil Millionen Fasern verdreht wurden, so speist sich die Hoffnung in der Klimakrise aus allen Menschen, die das System von den Rändern kommend verändern wollen.
Jeder Mensch findet etwas in dieser Welt, für das er zu kämpfen bereit ist. Sicherheit, Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Mitbestimmung. Es ist eine völlig berechtigte Hoffnung, dass eine Krise, die die Voraussetzungen menschlichen Lebens auf der Erde infrage stellt, auch eine Politik beiseite wischen kann, die unser Leben unsicherer, unfreier, ungerechter und fremdbestimmter macht. Die Klimakrise ist das vielleicht stärkste Symbol, das die Menschheit je hatte, um Veränderungen umzusetzen.
Die Hoffnung liegt nun unten bei den Menschen, die heute vielleicht noch nicht wissen, dass sie durch die Klimakrise die Gelegenheit bekommen, die Themen anzugehen, die ihnen am Herzen liegen. Wenn sie das aber zu ahnen beginnen, wenn sie plötzlich wieder die Möglichkeit für echte politische Veränderung sehen, die nicht blockiert werden kann von den heute Mächtigen, weil wir und diese Welt auf dem Spiel stehen, werden sie auf die Klimakrise anders schauen.
Klima- und Umweltschutz werden dann keine Themen für die Anderen mehr sein. Sie werden zur Chance für jedermann, etwas zu ändern. Und wenn sich diese Erkenntnis ausbreitet, wird die Angst kleiner werden und die Hoffnung größer.
Das Gleichgewicht wird zurückkehren. Erst in uns. Dann in der Welt.
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Vielen Dank an Ronja und die vielen Menschen, mit denen ich in den vergangenen Monaten über ihre Gefühle in der Klimakrise sprechen konnte. Mehr als 200 Krautreporter-Mitglieder haben mir in einer Umfrage erzählt, was ihnen Hoffnung gibt. Diese Antworten waren ein Schatz.
Redaktion: Theresa Bäuerlein. Schlussredaktion: Vera Fröhlich.