Unsere Wirtschaft sieht aus, als wäre sie erwachsen. Sie ist es aber nicht. Wäre sie ein Kind, müsste man feststellen: Sie ist in der Wachstumsphase hängen geblieben. Sie wächst einfach immer weiter.
Grenzen kennt unsere Wirtschaft nicht – und soll sie auch nicht kennen. Denn wir glauben, dass es uns nur gut gehen kann, wenn die Wirtschaft wächst. Deswegen konsumieren wir unablässig, verabreichen der Wirtschaft Konjunkturspritzen, schnüren Rettungspakete, päppeln sie mit Wachstumskuren auf, bemuttern sie, damit sie auch bloß wächst!
Dabei bräuchten wir gerade eine ausgewachsene, eine im Wortsinn erwachsene Wirtschaft, die Verantwortung für das Wohlergehen der Menschen übernimmt – aber auch planetare und soziale Grenzen einhält. Denn unablässiges Wachstum zerstört schon jetzt unsere Lebensgrundlagen: Es befeuert die Klimakrise, tötet hunderttausende Tier- und Pflanzenarten, verschmutzt die Umwelt und treibt, jedenfalls so wie wir sie gerade gestalten, soziale Ungleichheit an.
Vorgehen wie Homer Simpson
Trotzdem halten viele Wirtschaftswachstum für alternativlos. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte sogar einmal auf einem CDU-Parteitag: „Wachstum ist nicht alles. Aber ohne Wachstum ist alles nichts.“ Arbeitsplätze und Wachstum sind im CDU-Regierungsprogramm von 2017 zentrale Ziele, das Programm der SPD klingt ähnlich.
Die FDP möchte die Rahmenbedingungen für eine Kreislaufwirtschaft verbessern und setzt auf „Blaues Wachstum“, ohne allerdings zu erklären, was genau das denn sein mag. Die Grünen zielen auf Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch ab, auf „Grünes Wachstum“ also. Aber keine der großen Parteien stellt Wirtschaftswachstum als Ziel infrage. Sogar die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen setzen auf Wachstum.
Politiker verbinden in ihren Reden Wirtschaftswachstum mit Wohlstand, Arbeitsplätzen, sicheren Renten, sozialem Frieden, stabiler Demokratie. Tatsächlich: Wirtschaftswachstum hat uns all das gebracht oder zumindest dazu beigetragen.
Um nun aber die schlechten Folgen von Wirtschaftswachstum zu bekämpfen, haben sie auch nur eine Idee: noch mehr Wirtschaftswachstum! Damit erinnern sie an Homer Simpson, diesen tragisch absurden Familienvater aus der Comicserie, wie er mit besten Absichten auf einen brennenden Wald zurennt, um ihn zu löschen. Dabei schreit er „Feuer bekämpft man mit Feuer“ und hat einen Flammenwerfer in der Hand.
In der Klimakrise warten viele auf eine Zaubertechnologie
Denn wächst die Wirtschaft, steigt auch der CO2-Ausstoß. Tatsächlich sank der in den vergangenen 20 Jahren laut der Internationalen Energieagentur nur ein einziges Mal deutlich, und das nicht etwa, weil die Menschen auf der ganzen Welt weniger Auto gefahren wären oder weniger Fleisch gegessen hätten, sondern wegen der Weltwirtschaftskrise 2008/9. Damals ließen Reeder auf der ganzen Welt ihre Schiffe langsamer fahren, um Treibstoff zu sparen, in Deutschland verbrauchten vor allem energieintensive Branchen weniger Energie, und das Umweltbundesamt verzeichnete den „stärksten Rückgang der Treibhausgasemissionen seit Bestehen der Bundesrepublik“.
Im Folgejahr „erholte“ sich die Wirtschaft (wie es so schön heißt), das BIP stieg wieder an – und mit ihm auch der Ausstoß an Treibhausgasen. „Erholt“ sich die Wirtschaft, dann ist das schlecht fürs Klima.
Eine ähnliche Beziehung gibt es auch zwischen Emissionen und persönlichem Einkommen. Je mehr wir haben, desto mehr konsumieren wir: Wir kaufen den größeren Fernseher, den größeren Kühlschrank, fliegen mehr, kaufen uns einen Zweit- oder Drittwagen und leben in einer größeren Wohnung. Je mehr Geld wir haben, könnte man also sagen, desto schlimmer wirken wir auf die Umwelt ein. Wobei das „Wir“ Staaten, Unternehmen und Einzelpersonen gleichermaßen umfasst. Da sind wir alle ein bisschen Homer Simpson.
Dabei geben die Klimaziele des Pariser Vertrages eine eindeutige Richtung vor: Die Treibhausgas-Emissionen der großen Industriestaaten müssen sinken – und das schneller als viele ahnen. Denn im Großteil der Modelle des Pariser Vertrages ist eine Zaubertechnologie mit eingerechnet, mit der wir schon ab dem Jahr 2030 Treibhausgase aus der Atmosphäre ziehen können.
Das Problem ist: Diese Technologie gibt es heute noch nicht. Der Klimawissenschaftler Kevin Anderson hat berechnet, was passiert, wenn man diese Zaubertechnologie aus den Vorhersagen nimmt: Industrieländer wie Deutschland müssten ihre Emissionen Jahr für Jahr um 8 bis 10 Prozent senken. Zurzeit schafft die Bundesrepublik laut Umweltbundesamt 0,9 Prozent.
Alle Politiker, die gerade etwas zu sagen haben, plädieren deswegen dafür, noch bessere Technologien zu entwickeln und noch effizienter zu werden. Sie wollen weiter wachsen – nur eben mit Elektroautos und Solarkraft.
Es gibt keinen Beweis, dass wirklich grünes Wachstum möglich ist
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier etwa fordert, dass Deutschland Autobatterien bauen solle wie kein anderes Land. Es handle sich um eine „Game-Changer-Technologie“ und um die einzige Möglichkeit, „auch künftig unser Wohlstandsniveau zu halten und gleichzeitig die Umwelt zu schützen“.
Aber es ist bisher noch nicht gelungen, Wachstum wirklich von Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß zu entkoppeln. Auch die optimistischsten Szenarien legen nahe, dass das auch in Zukunft unmöglich bleibt.
Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung etwa zeigt, dass selbst moderates Wachstum unmöglich zu einem nachhaltigen Umgang mit der Umwelt führen kann. Eine Studie der University of Leeds hat ein Szenario getestet, bei dem der Preis für eine Tonne CO2 bis 2050 von 50 auf 236 Dollar ansteigt und Ressourcen um ein Vielfaches effizienter genutzt werden als heute. Das Fazit: Es reicht nicht.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen ging sogar noch weiter. Unter übertrieben optimistischer Annahmen (etwa ein CO2-Preis von über 573 Dollar pro Tonne und vielfacher Effizienzsteigerung) war der Ressourcenverbrauch sogar noch höher als in der zweiten Studie. Der Grund: sogenannte Rebound-Effekte.
Diese Effekte bedeuten: Effizienzgewinne, die neue Technologien bringen, werden teilweise wieder aufgefressen. Ein bei Wirtschaftsexperten beliebtes Beispiel für diesen Effekt ist der VW Käfer. 1955 verbrauchte das Kult-Auto 7,5 Liter auf 100 Kilometer, Spitzengeschwindigkeit 110 Kilometer pro Stunde. Sein moderner Nachfolger, der VW New Beetle, hat 45 PS mehr, fährt bis zu 160 Kilometer pro Stunde und verbraucht dabei 7,1 Liter auf 100 Kilometer.
Der Motor wurde effizienter, aber wegen der zusätzlichen Pferdestärken nicht umweltfreundlicher. Spritsparende Autos werden zudem öfter gefahren, Energiespargeräte bleiben dauerhaft an der Steckdose und werden größer – alles Rebound-Effekte.
Wenn unsere Wirtschaft weiter ungebremst wächst, können unsere Emissionen lediglich um drei bis vier Prozent jährlich zurückgehen – weniger als die Hälfte von dem, was laut Pariser Klimaziele nötig wäre. Es gibt so gut wie kein Modell, demzufolge wir uns aus der Klimakrise herausforschen könnten.
Es ist ja nicht nur Klima- sondern auch Umweltkrise
Und selbst wenn es gelingen würde mit einer neuen Technologie, die noch keiner kennt und niemand einsetzt, schon in wenigen Jahren die Emissionen schlagartig zu reduzieren, bleibt immer noch die Frage nach dem Ressourcenverbrauch. Laut einem UN-Bericht holt sich die Menschheit 60 Milliarden Tonnen Ressourcen aus der Natur, doppelt so viel wie noch im Jahr 1980.
Aber mehr als die Erde hat, können wir nicht nehmen. Schon der Bericht des Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ von 1972 wies darauf hin, dass endloses Wachstum auf einem endlichen Planeten unmöglich ist.
Um etwa die Auto-Batterien zu bauen, in denen Wirtschaftsminister Peter Altmaier einen Schlüssel für die Klimakrise sieht, braucht es das Leichtmetall Lithium. Und um eine Tonne Lithium abzubauen, braucht es je nach Schätzung bis zu zwei Millionen Liter Wasser, das den Menschen im Abbaugebiet weggenommen wird. Deren Arbeitsbedingungen sind zudem meist so schlecht, dass das kein Europäer das machen würde.
Das wohl größte Lithiumvorkommen der Welt befindet sich weit weg von Europa im sogenannten Lithium-Dreieck zwischen Argentinien, Bolivien und Chile. Wir schaffen so neue Umweltprobleme bei uns oder in anderen Teilen der Welt, um das Klima zu schützen und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum am Laufen zu halten.
Selbst Windräder, die sauberen Strom produzieren, schaut man so mit anderen Augen an. Deutschlands bekanntester Postwachstums-Ökonom Niko Paech argumentiert in seinem Buch „Befreiung vom Überfluss“, dass deren Herstellung auch CO2 verbraucht und Aluminium, Eisen und Kupfer benötigt. Darüber hinaus greifen wir mit jeder Windmühle in die Natur ein und zerstören Erholungsräume für Menschen oder Lebensraum für Tiere.
Über eine Million Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht – darunter auch solche, ohne die es eigentlich nicht geht. Insekten wie etwa Wildbienen, die Blüten bestäuben und damit erst fruchtbar machen. Fehlen sie, müssen andere ihren Job erledigen.
Die Bauern der chinesischen Region Sichuan sprühen aggressive Pestizide, um möglichst hohe Erträge zu erzielen. Damit töten sie aber die Bienen vor Ort, deren Job in der Folge Menschen übernehmen: Die „menschlichen Bienen“ klettern von Baum zu Baum, pflücken Blüten, kratzen dann die Pollen mit einer Zahnbürste heraus und trocknen diese, um damit schließlich mit einem selbstgebastelten Wedel die Blüten auf den Bäumen zu bestäuben.
Das chinesische Beispiel ist extrem; so etwas scheint in Deutschland undenkbar zu sein. Aber auch deutsche Bäuerinnen und Bauern bestellen bei Imkern immer öfter Bienen, die bis zu 500 Kilometer weit durch das Land gefahren werden, um Raps- und Obstpflanzen zu bestäuben. Neben den Feldern und Plantagen ist kein Platz für wilde Blumen und damit auch nicht für Bienen. Manche Arten der Bewirtschaftung in Deutschland sprengen also buchstäblich schon heute die Grenzen dessen, was die Natur hergeben kann.
Nicht zu wenig produzieren, aber auch nicht zu viel
Unter Effizienz- und Wachstumsdruck zerstören wir, was wir zum Leben brauchen. Es muss sich etwas ändern. Wir könnten, nur als eine alternative Idee von vielen, rein in die Donut-Gesellschaft.
Das sagt jedenfalls die britische Ökonomin Kate Raworth. Der Teig des Donuts ist in ihrem ökonomischen Ansatz der sichere und gerechte Raum für die Menschheit. Mit einer Wirtschaft, die die Klimakrise, Flächenumwandlung, Luftverschmutzung und andere Umweltschäden fördert, schießen wir durch die ökologische Decke dieses Raumes.
Das gesellschaftliche Fundament wiederum wird porös durch soziale Mängel, zum Beispiel in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Arbeit, Gleichberechtigung, Ungleichheit von Vermögen, Zufriedenheit. Es geht darum, nicht zu wenig zu produzieren, aber auch nicht zu viel. Andere Ideen einer nachhaltigen Wirtschaft werden unter Stichworten wie Degrowth, Steady-State-Economies oder Postwachstum diskutiert.
Nur sehr wenige Politiker und Ökonomen hinterfragen öffentlich das Dogma vom ewigen Wirtschaftswachstum. Angela Merkel nannte ihre Politik gar alternativlos, womit sie klar sagt: Ich brauche und will nicht diskutieren.
In Krisenzeiten ist eine solche Absage fatal. Wir können die Krise nicht als Chance nutzen, wenn wir die Weichen auf „Weiter so“ lassen. „Weiter so“ ist der Stoff einer Tragödie, deren Hauptrolle Homer Simpson spielt.
Bleibt Wachstum das vorrangige Ziel von Politik und Wirtschaft, endet das mit Ansage in einer Katastrophe, deren Vorboten wir schon heute spüren. Diese Katastrophe abzuwenden, könnte mit etwas ganz Einfachem beginnen: Reden. Darüber, wo wir Konjunkturspritzen ansetzen und welche Rettungspakete wir schnüren. Darüber, ob und wie wir Wirtschaft aus ihrer Wachstumsphase holen sollten.
Die Möglichkeiten dazu sind endlos: Wirtschaft ein ganzheitliches Ziel geben, das externe Kosten berücksichtigt; Wohlstand von Wachstum lösen; vielleicht ist sogar grünes Wachstum – gegen alle Erfahrung – ein Weg.
Lasst uns endlich über Wachstum sprechen! Aber ganz anders, als wir es bisher getan haben.
Dieser Text ist der erste eines neue Krautreporter-Zusammenhangs zu Wachstum, Klima und Umwelt. Wir werden in den nächsten Wochen beschreiben, ob und wie Wachstumskritik debattiert wird, wie eine Welt ohne Wachstum funktionieren kann, aber auch Menschen vorstellen, die schon heute so leben.
Redaktion: Rico Grimm. Schlussredaktion und Bildredaktion: Vera Fröhlich.