Dieser Text erschien erstmals am 20. Juni 2019. Weil sich Hitze und Trockenheit Sommer für Sommer wiederholen, haben wir den Text am 23. August 2022 für euch aktualisiert.
Als im Sommer 2018 die Dürre und die Hitze nach Deutschland kamen, wurde die Oberlausitz im Osten Sachsens zu einem der trockensten Orte der Republik.
In Lieske standen die Felder in Flammen, eine Fläche von zehn Fußballfeldern. 14 Feuerwehren löschten bis in den späten Abend. In Rietschen war es so trocken, dass die Bauern ihre Teiche ablassen mussten, die nur noch schlammige Tümpel waren, weil ihre Karpfen zu ersticken drohten. Auf einem Acker in Kodersdorf lagen ein Dutzend bleiche, ausgedörrte Körperchen. Es waren Maulwürfe, deren Hauptnahrungsmittel – Regenwürmer – auf der Suche nach dem letzten feuchten Boden nach unten geflüchtet waren. Und die sich nun in ihrer Verzweiflung nach ganz oben gruben, wo sie schließlich verdursteten.
Einige Monate zuvor hatte der Bauer Christoph Kunack den Vierseitenhof seines Vaters übernommen. Für den kleinen Ort Schlegel, mit knapp 916 Einwohner:innen, hielten die Kunacks eine Zeremonie ab. Der Vater hielt eine Rede. Jeder sollte sehen, dass der Hof, den es hier seit 1725 gibt, jetzt unter neuer Führung war.
In Sachsen könnte es bald „Tropennächte“ geben
Jetzt steht Kunack, 33 Jahre alt, ein mittelgroßer Mann mit sanfter Stimmer und gebräunter Haut, im Nieselregen vor seinem Viehstall. Ein Jahr wie das letzte, sagt er, hat es hier noch nicht gegeben.
Ich bin zu Christoph Kunack gefahren, weil ich sehen wollte, welche Auswirkungen extremes Klima in meiner unmittelbaren Nähe haben kann. Laut einer Analyse des Umweltbundesamts gehört die Lausitz bei einem Anstieg der weltweiten Temperaturen zu den besonders anfälligen Gebieten.
Konkrete Folgen wären: ein „starker Anstieg von heißen Tagen“ mit über 30 Grad sowie regelmäßige „Tropennächte“, in denen die Temperatur selbst nachts nicht unter die 20-Grad-Marke sinkt. Ab 2021 sollte damit zu rechnen sein, sagte das Amt. Doch dann kamen sie schon 2018.
Das Jahr hatte den zweitheißesten und zweittrockensten Sommer seit Beginn der Messungen. Und nirgends regnete es weniger als in den Ostländern. Dort, wo Christoph Kunack gerade in diesem Jahr sein Erbe antrat. Das Erbe einer 300-jährigen Familiendynastie, die Kriege und Enteignung überstand, der die Klimakrise jetzt das Handwerk legen könnte. Doch Christoph Kunack ist ein Tüftler.
Auf Kunacks Hof gibt es neun Kühe, ein paar Ziegen und Bienen. Aber sein Geld verdient er mit Weizen, Zuckerrüben und Raps. Pflanzen, die auf den karbonhaltigen Lössböden der Oberlausitz besonders gut gedeihen. Nährstoffe, die sich hier vor 100.000 Jahren ablagerten – in der letzten Eiszeit.
Das Frühjahr ist auf dem Hof der Kunacks eine wichtige Zeit. Dann werden hier, wo noch Mutter und Vater Kunack wohnen, der Raps und die Zuckerrüben ausgesät. Und damit die Kulturen, die nach der Ernte das meiste Geld einbringen. Doch Kunacks erstes Frühjahr fiel aus.
Der außergewöhnlich kalte Winter war direkt in einen trockenen, heißen Sommer gemündet. Damit die Saat aufgeht, braucht es aber Wasser. Also ließ Kunack die Rapssaat erstmal liegen. Einige Wochen verstrichen. Der Regen kam nicht.
Auf die Dürre wusste niemand eine Antwort
Kunack musste damals oft an einen Satz denken, den seine Geografielehrerin 20 Jahre zuvor gesagt hatte: Die Oberlausitz wird einmal die Wüste Deutschlands.
Als der Raps schon langsam blühen müsste, aber Kunack immer noch nichts ausgesät hatte, ging er zu seinem Vater. Hans-Jürgen Kunack hatte den Hof auch einmal von seinem Vater übernommen. Doch in der DDR wurden die Kunacks enteignet. Sie sind eine ostsächsische Bauerndynastie, 2025 feiern sie ihren 300. Jahrestag. Damals standen sie plötzlich ohne Hof da.
Dafür schaffte die SED-Führung hunderte Kühe auf die guten Ackerböden. Zwischen die alten Ziegelmauern stellte sie Asbestbauten. Kunacks Vater wurde Vermesser. Auf dem Hof seiner Familie ließ man ihm das Wohnrecht. Als die Mauer fiel, erkämpfte er sich alles zurück. Hans-Jürgen Kunack hat schon den Sozialismus vom Hof seiner Familie vertrieben. Aber auf die Dürre wusste auch er keine Antwort.
Die Elbe, die sonst zwei Meter tief war, maß zu diesem Zeitpunkt bei Dresden nur noch 60 Zentimeter. Gleichzeitig breitete sich in Sachsen erstmals die Feuerlibelle aus. Das seltene, blutrote Insekt stammt aus Nordafrika.
Die Kunacks hörten sich um, aber niemand in ihrem Umfeld konnte sich an einen solchen Sommer erinnern. Niemand konnte mir etwas raten, sagte Kunack. Kein anderer Kunack, kein anderer Bauer. Das, sagt er, hatte hier einfach noch niemand erlebt.
„Ich war überfordert, gestresst, angepisst. Dann machte die Psyche zu.“
Landwirt Christoph Kunack
Kunack wartete geduldig. Und als eines Tages ein kleiner Schauer kam, säte er schnell aus. Mal sehen, sagte er sich, vielleicht würde der Regen ja wiederkommen. Den Boden bearbeitete er nur ganz vorsichtig. So behielt der Acker die letzte Feuchtigkeit.
Es klappte nicht.
Ein gutes Rapsfeld hat pro Quadratmeter mindestens zehn Pflanzen, so geht die Regel. Kunack hatte, einige Wochen später, nicht mal eine. Dafür: Unkräuter, Gräser, aufgerissener Boden. Regenwürmer, die sonst die Erde auflockern, hatten sich in die Tiefe verabschiedet.
Ich war überfordert, sagt Kunack. Mai, Juni, Juli, August, September, selbst der Oktober hat noch voll reingeknallt, die Sonne. Ich war gestresst, angepisst, sagt er. Dann, sagt Kunack, machte die Psyche zu.
Aber Christoph Kunack ist keiner, der vor Wut seine Mistgabel in die Ecke feuern würde. Auch nicht, als er im Sommer 2018 letztlich ein Drittel seiner Ernte verlor. Kunack ist ein Tüftler. Dass die Hitze mit dem Klimawandel zu tun hatte, glaubt er nicht. Es gibt immer mal extremes Wetter und heiße und kalte Phasen, sagt er. Jetzt, sagt Kunack, werde es eben mal wieder heißer. Er sah in der Trockenheit auch ein Experimentierfeld.
Also probierte er. Den einen Acker ließ Kunack unbestellt. Er ließ den Boden liegen, wie er sagt. Bis zum Herbst und mit dem Plan, seinen Raps dann doch noch anzubauen – und über den Winter gedeihen zu lassen.
„Raps im Winter“, sagt Kunack, „das macht hier eigentlich niemand.“
Wer letzten Winter am Kunack-Hof vorbeigefahren ist, konnte gelb leuchtende Rapsfelder sehen. Stimmen die Vorhersagen des Umweltbundesamts und bleiben die Sommer so heiß, wird Kunack es wieder so machen. Raps wäre dann in Deutschland ein Wintergewächs.
Für die EU-Dürrehilfen wirtschaftet Kunack zu gut
Und im Sommer? Einfach nix anbauen? Das, sagt der Bauer Kunack, wäre natürlich eine Option.
Aber natürlich hat der Tüftler noch eine andere Idee. Gerade ist er auf der Suche nach alten Saatgutsorten. Ur-Körner, die nicht wie moderne Sorten schnell in die Höhe zu schießen. Sondern viel beständiger sind. Die dem Klimawandel trotzen, weil sie ihn praktisch schon in ihrer DNA einprogrammiert haben. Die aber auch viel langsamer gedeihen.
Genauso ist es mit den Sonnenblumen. Sächsisches Sonnenblumenöl ist bislang eine Rarität. Christoph Kunack könnte das ändern. Er baut auf einem Hektar, statt Raps, nun Sonnenblumen an. Eigentlich irrwitzig, sagt Kunack. Klar gebe es hier auch Sonnenblumen. Aber eigentlich seien die eher was für Südfrankreich, Ungarn, Spanien. Nicht die Oberlausitz. Wenn die Sommer so bleiben, sagt Kunack, könnte ich mir vorstellen den Raps komplett sein zu lassen.
In diesem Jahr, 2019, begann die Stadt Leipzig das Laub schon im August wegzuräumen – so früh, wie noch nie. Die Stadt Chemnitz experimentierte mit Wassersäcken, die um Bäume gelegt werden und nach und nach ihre Feuchtigkeit abgeben. In Berlin sind die mittlerweile völlig normal.
Wegen der trockenen Böden säten viele sächsische Bauern keinen Weizen aus, der hier normalerweise über den Winter wächst.
Ich fragte mich: Welches Risiko geht Kunack mit seinen Experimenten ein? Sonnenblumen brauchen 175 Sonnentage, um wirklich ertragreich zu gedeihen. Braucht Kunack also, um zu überleben, ab sofort einen Oktober, der sich wie Hochsommer anfühlt? Setzt er auf Wetter, über das jeder andere Bauer fluchen würde?
Der Landwirt verdient das Geld heute nicht mehr auf dem Feld, sondern im Büro, sagt Kunack. Das heißt: Selbst wenn es draußen schlecht läuft, kann Kunack sich auf Subventionen verlassen. Die EU gibt für nichts so viel Geld aus wie für ihre Bauern. Ende 2018 zahlte die EU Dürrehilfe an alle Bauern aus, die vom trockenen Sommer betroffen waren. Wer die Kriterien erfüllte, bekam bis zu 15.000 Euro.
Kunack kassierte damals: nichts. Denn die Hilfe erhielt nur, wer auch 30 Prozent seines Umsatzes eingebüßt hatte. Kunack hatte zwar seine Ernte verloren, sein Umsatz blieb aber stabil – weil er über Reserven verfügte.
Ich habe für die EU zu gut gewirtschaftet, sagt Kunack.
„Habe immer eine Ernte auf dem Konto, eine in der Halle, eine auf dem Feld.“
Landwirt Christoph Kunack
Dass er so gut vorbereitet war, lag auch an einem Leitsatz, den der Lausitzer Bauer von seinem Großvater hat. Er geht so: Habe immer eine Ernte auf dem Konto, eine in der Halle, eine auf dem Feld. Eine Bauernregel, die einen gegen so einiges wappnet – Dürre, Finanzkrise, Enteignung.
Kunack weiß nicht, wie viele Dürresommer er überstehen würde. Was er nicht will: nur noch auf Subventionen zu spekulieren. Das Geld im Büro verdienen, statt auf dem Feld. Auf die alten Bauernregeln seiner Familie pfeifen.
Kunack könnte sich auch vorstellen, wieder in die Baumpflege zu gehen, die er mal gelernt hat. Die Landwirtschaft, der Kunack-Hof, wäre dann nur sein Nebenerwerb.
Bleiben die Sommer so heiß, dann gedeihen aber zumindest die Sonnenblumen. Dann schlägt die Stunde des Oberlausitzer Sonnenblumenöls.
Redaktion: Philipp Daum und Lisa McMinn; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel; Audioversion: Iris Hochberger.
In einer früheren Version dieses Textes war von „Wetterblockern“ die Rede. Jörg Kachelmann hat uns auf Twitter darauf hingewiesen, dass es keine Wetterblocker gibt. Wir haben die entsprechende Stelle geändert.