Staub – so hartnäckig, dass die Haut am Abend rauh ist, wenn man sich wäscht. Staub – so durchdringend, dass kein Kinderwagen auf den Straßen von Dhaka zu sehen ist, der nicht mit großen Pollenschutzgittern abgedeckt wird. Wo früher die Essenshändler noch an offenen Wägen kochten, haben sie sich heute verbarrikadiert. Nur noch kleine Luken haben sie geöffnet, um das Essen durchzureichen. Staub – Staub – Dhaka.
Die Hauptstadt Bangladeschs gehört zu den Städten mit der höchsten Feinstaub-Konzentration der Welt. Gemessen an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation ist die Luft zehnmal schmutziger als sie eigentlich sein dürfte. Der Staub enthält Kadmium, Chrom, Blei, Zink und Arsen. Es ist eine große Katastrophe, die jeder spürt, der durch Dhaka geht, aber kaum jemand zu Gesicht bekommen kann, weil Feinstaub so winzig ist.
Dhaka und sein Staub sind damit fast wie ein Gleichnis für das, was der Menschheit gerade überall auf dem Planeten widerfährt. Alle spüren, dass sich das Klima ändert, aber keiner sieht es, dieses Klima.
Deswegen sind die Fotos des Hamburger Fotografen Niklas Grapatin so besonders. Er war für ein paar Monate während seines Fotografiestudiums in Dhaka und hat alles sichtbar gemacht: den Staub, die Katastrophe – und das ganz normale Leben, das sich dazwischen abspielt.
Nur, wie fotografiert man Luftverschmutzung? Grapatin hat es clever gelöst: Er hat mit einem großen Blitz gearbeitet. Die Billionen Körnchen, die durch die Luft schweben, werden sichtbar, weil sie das grelle Licht reflektieren. Dazwischen die Menschen, in witzigen Szenen, surreal, manchmal irritierend. Seine Fotos zeigen ausschließlich das Nachtleben von Dhaka – ohne zu romantisieren. Wir sehen keine Fotos bei Sonnenuntergang, auf jedes bisschen Kitsch hat Grapatin verzichtet.
Woher kommt der Staub? Laut Umweltministerium von Bangladesch spielen vier Dinge eine entscheidende Rolle: Müll, der einfach verbrannt wird, die Abgase durch den Verkehr, Bauarbeiten auf zum Teil noch ungeteerten Straßen und mehr als Tausend Ziegelfabriken, die am Rande der Stadt angesiedelt sind.
Verkehr und Bau wachsen in Dhaka, weil immer mehr Menschen vom Land in die Stadt ziehen. Heute leben dort 15 bis 20 Millionen Menschen. In zehn Jahren könnten es noch einmal zehn Millionen mehr sein.
Die Menschen verlassen das Land, um sich ein besseres Einkommen zu sichern, um Zugang zu besserer Bildung zu bekommen, aber auch: Weil sie vor den Folgen der Klimakrise fliehen. Schon jetzt überspült das ansteigende Meer immer mehr Felder in dem sehr flachen Land.
Mehr als 1.000 Ziegelfabriken stellen am Rand der Stadt die Materialien her, mit denen Haus nach Haus in Dhaka hochgezogen wird. Die Ziegel brennen sie in Öfen, die vor allem mit Holz und Kohle befeuert werden. Knapp zwei Drittel des Staubs in Dhaka stammt aus diesen Fabriken.
Aber die Ziegelfabriken verpesten nicht nur die Luft in der Hauptstadt, sie beschleunigen auch die Landflucht. Denn ein wichtiger Rohstoff für die Ziegelherstellung ist Oberflächenerde, die aus dem Rest des Landes nach Dhaka gekarrt wird. Ein Forscherteam hat in 120 Interviews mit Bauern herausgefunden, dass die Bauern manchmal von den Eigentümern der Ziegelfabriken gezwungen werden, ihre Erde zu verkaufen. Die Folge: Der Boden ist weniger fruchtbar. Bauern verdienen bis zu 70 Prozent weniger an ihrer Ernte.
Der Höhepunkt der Staubsaison in Dhaka sind die trockenen Wintermonate. Besser wird es, sobald der Monsun kommt und sich jeden Tag heftige Regenfälle über dem Land entladen, die den Staub aus der Luft spülen. Allerdings stehen in dieser Zeit auch immer wieder Teile des ganzen Landes unter Wasser.
Eigentlich müssten seit 2013 per Gesetz die ganzen alten Ziegelfabriken durch saubere Methoden ersetzt werden. Aber die Eigentümer sperren sich, sie glauben laut einem Bericht des Pulitzercenters, dass sie bankrott gehen würden, wenn sie wirklich alle Regeln befolgen würden. Hinzu kommt: In Bangladesch ist Korruption weit verbreitet.
Den Bewohnern Dhakas bleibt nur eine Möglichkeit: sich irgendwie gegen den Staub schützen. Tücher, Bänder, Tüten, Schals, Decken, alles benutzen sie. Bisher gibt es wenige Proteste der Bevölkerung gegen die Luftverschmutzung.
Untersuchungen zeigen: Mindestens die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder hat Lungenstörungen.
Kann sich etwas ändern? Im Sommer vergangenen Jahres begannen Schüler in Dhaka einen Protest gegen den wahnwitzigen Verkehr in der Stadt und hatten damit Erfolg. Die Dhaka Tribune schrieb: „Unsere Straßen beginnen, ordnungsgemäß und effizient zu funktionieren. Und die Anerkennung dafür geht an alle Schüler da draußen, die protestieren.“
Die Regierung hat das Problem auch schon längst erkannt. Jetzt muss sie nur noch anfangen, die Gesetze durchzusetzen, die sie selbst erlassen hat.
Dieser Artikel ist in Kooperation mit emerge entstanden. emerge ist ein unabhängiges, mehrfach ausgezeichnetes Onlinemagazin für jungen Fotojournalismus. Mit dem Visual Journalism Grant vergibt emerge eine jährliche Projektförderung für junge Fotograf*innen und bietet in der angeschlossenen Akademie Weiterbildungen im Bereich Bildredaktion an.
Redaktion: Bent Freiwald; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel.