„Ich will nicht in einem Elfenbeinturm sitzen und dann der Welt erzählen, was sie essen kann und was nicht“

© University of California, Davis

Klimakrise und Lösungen

Interview: „Ich will nicht in einem Elfenbeinturm sitzen und dann der Welt erzählen, was sie essen kann und was nicht“

Frank Mitloehner forscht daran, Viehhaltung klimafreundlicher zu machen. Mir hat er erzählt, wie das gelingen kann – auch in Ländern wie China, wo jedes Jahr 400 Millionen Schweine früher sterben als sie eigentlich müssten.

Profilbild von Interview von Rico Grimm

Kürzlich haben wir auf Krautreporter einen Gastbeitrag des Agraringenieurs Frank Mitloehner veröffentlicht. Mitloehner schreibt darin, Tierzucht habe einen geringeren Einfluss auf das Klima, als viele denken. Kurz gesagt: Ja, Fleisch essen belastet die Umwelt – aber Kühe sind trotzdem keine Klimakiller. Dieser Text hat für viele Diskussionen gesorgt.

Deswegen habe ich Mitloehner, der in Deutschland geboren wurde, aber mittlerweile seit mehr als 20 Jahren in den USA wohnt, nochmal angerufen. Dieses Interview ist auch für diejenigen interessant, die den ersten Beitrag gar nicht kennen – da es zeigt, wie wichtig Differenzierung ist, wenn man einem globalen Problem wie der Klimakrise Herr werden will.


Herr Mitloehner, könnten Sie ihre Arbeit kurz beschreiben.

Ich bin Spezialist für Luftqualität am Fachbereich für Tierwissenschaften an der University of California Davis. Ich untersuche, wie wir die Umweltbelastungen durch Nutztiere verringern können. Dafür bringe ich Tiere in Anlagen, die Treibhausgase messen, und setze dann verschiedene Methoden ein, um deren Treibhausgas-Emissionen zu senken.

In ihrem Artikel korrigieren Sie zunächst einen in ihren Augen verbreiteten Irrtum: dass Viehhaltung mehr CO2-Emissionen erzeugt als der Verkehr. Dann zeigen Sie, dass die positive Klimawirkung fleischloser Ernährung überschätzt wird und dementsprechend auch Aktionen wie ein „fleischloser Montag“ dem Klima nur wenig helfen. Einige unserer Leser:innen haben Sie so verstanden, dass es für das Klima nicht entscheidend sei, Vegetarier zu werden.

Es ist kontraintuitiv. Viele Menschen denken, dass sie etwas an Treibhausgasemissionen und am Klimawandel durch persönliches Handeln ändern können. Es gibt Leute – oft aus den Reihen der Veganer – die sagen, dass wir den größten Einfluss auf die Klimaemissionen haben, wenn wir das, was wir essen, verändern. Das ist nicht wahr.

Wenn Sie sich entscheiden, für ein Jahr vegan zu leben, dann würde das Ihren CO2-Fußabdruck um 0,8 Tonnen reduzieren, gemessen in CO2-Äquivalenten. Wenn Sie von Frankfurt nach New York fliegen, entspricht das 1,6 Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr. Verzichten Sie auf diesen Flug, ist ihr Einfluss doppelt so groß.

Ich sage nicht, dass es keinen Einfluss auf das Klima hat, Veganer zu werden, aber es ist nicht so wirkungsvoll, wie einige Leute es sich wünschen. Die wichtigsten CO2-Quellen sind: Öl, Kohle und Gas. Deswegen: Wenn Sie wirklich etwas bewegen wollen, wählen sie eine Partei, die dieses Thema ernst nimmt.

Sie haben in Ihrem Gastbeitrag geschrieben, dass die CO2-Emissionen in den USA um 2,6 Prozent reduziert würden, wenn alle US-Amerikaner aufhören würden, Tiere und Tierprodukte zu essen. Aber Sie sagen auch, dass ein fleischloser Tag pro Woche nur 0,5 Prozent der CO2-Äquivalente einsparen würde. Wenn man die Rechnung macht: Wenn ein Tag 0,5 ist, dann muss die totale Reduktion insgesamt doch aber 3,5 Prozent betragen.

Die 2,6-Prozent-Zahl stammt aus einer Veröffentlichung in den Proceedings of the National Academy of Sciences, die eine Ernährung mit Fleisch mit einer veganen verglich, nicht nur pro Person, sondern pro Gesellschaft.

Meine Schätzung von 0,5 Prozent für den fleischlosen Montag war konservativ. Die realistischere liegt bei 0,3 Prozent, was die Zahl ist, die auch in dieser Veröffentlichung erwähnt wird. Aber ob es nun 0,3 oder 0,5 ist … das sind sehr ähnliche Zahlen. Das Entscheidende ist, dass eine Ernährungsumstellung wie der fleischlose Montag zwar Auswirkungen haben würde, aber eine, die so klein ist, dass wir sie global gesehen kaum messen können. Es ist wichtig, dass wir uns die Gesamtzahlen vor Augen führen, wie die verschiedenen Akteure auf der Welt zur Klimakrise beitragen.

Die Vereinigten Staaten tragen zwölf Prozent zu den globalen Treibhausgasen bei. Elf der zwölf Prozent stammen aus der Nutzung fossiler Brennstoffe in den USA. Das heißt Transport, Energieerzeugung, Zementindustrie und so weiter.

Ein Prozent der globalen Treibhausgase stammt von allem, was die USA essen: der tierischen und pflanzlichen Landwirtschaft, aus Produktion, Konsum und Verschwendung von Lebensmitteln.

Okay, die USA sind nur ein Land, noch dazu ein Industrieland. Wie würde sich das Bild ändern, wenn man die ganze Welt betrachtet?

Die meisten Länder der Welt befinden sich noch in der Entwicklungsphase und haben nicht so viel Verkehr und nicht so eine hohe Energieproduktion wie die Industriestaaten. Nehmen wir als Beispiel Indien mit seinen 1,3 Milliarden Menschen: Die Hälfte Indiens hat keine regelmäßige Energieversorgung zu Hause und keine Autos. Aus diesem Grund trägt in Indien im Verhältnis die Nahrungsmittelversorgung mehr zu den gesamten Treibhausgasemissionen des Landes bei, als das beispielsweise in Deutschland oder den USA der Fall ist.

Darüber hinaus ist in Ländern wie Indien die Lebensmittelproduktion, insbesondere die Viehzucht, sehr ineffizient. Indien hat über 300 Millionen Rinder. In den USA gibt es neun Millionen Milchkühe und 80 Millionen Rinder, die für den Verzehr gedacht sind. Wir haben hier also viel weniger Rinder als dort.

Dennoch erzeugen die Vereinigten Staaten zehn Mal mehr Viehzucht-Produkte als Indien. In Indien produziert die durchschnittliche Kuh 20 Mal weniger Milch als in den USA. Die Effizienz in vielen Entwicklungsländern ist sehr schlecht. Um Ihnen eine Analogie zu geben: Das ist so, als würde man ein Auto, das 1950 hergestellt wurde, mit einem Auto, das heute hergestellt wird, vergleichen.

Was passiert, wenn Länder wie Indien, Brasilien oder Indonesien wohlhabender werden?

Die weltweite Nachfrage nach tierischem Eiweiß dürfte steigen, da tierische Lebensmittel bei steigendem Einkommen stärker nachgefragt werden.

Das verändert die Debatte. Wenn ein Deutscher oder ein US-Amerikaner den Menschen in den Entwicklungsländern sagen würde: „Ihr könnt nicht essen, was ihr essen wollt, weil es schlecht für die Umwelt ist“ … dann ist das ein Kolonialstil, den die Menschen dort nie akzeptieren werden. Anstatt ihnen zu sagen, was sie essen sollen, sollten wir darüber nachdenken, wie wir das, was sie verlangen, auf eine Weise produzieren können, die weniger umweltschädlich ist.

Das ist mir sehr wichtig. Ich will nicht in einem Elfenbeinturm sitzen und dann der Welt erzählen, was sie essen kann und was nicht. Es wird nicht funktionieren. Das funktioniert nicht einmal in Deutschland. Sie erinnern sich vielleicht, dass die Grünen vor ein paar Jahren einen Veggie Day vorgeschlagen haben …

Das ist ihnen bei den Wahlen teuer zu stehen gekommen.

Ja, weil die Leute nicht vorgeschrieben bekommen wollen, was sie essen sollen. Die Frage ist also nicht: Was sollten wir in einer perfekten Welt essen? Sondern was praktisch machbar ist. Das bedeutet, dass ich Wege finden muss, um die gewünschten Lebensmittel auf eine Weise herzustellen, die am wenigsten umweltschädlich ist.

Kollegen von der Universität Baltimore werfen ihnen vor, bei ihren Berechnungen für die USA nicht wirklich alle Treibhausgas-Emissionen von Viehzucht zu betrachten. So hätten Sie etwa den Tiertransport, die Landnutzung und die Futtermittelherstellung außen vorgelassen. Was sagen Sie dazu?

Die US-Bundesumweltbehörde (EPA) quantifiziert die Treibhausgase aller Bereiche des öffentlichen Lebens mit Hilfe derselben Methodik und erfasst die sogenannten „Direkt-Emissionen“. Wenn Vieh mit anderen Bereichen verglichen wird, ist es daher nur gerecht, dieselbe Methodik sektorenübergreifend zu benutzen – und dies habe ich (der EPA folgend) getan.

Wenn man allerdings alle direkten- und indirekten Emissionen bestimmen will, muss man ein sogenanntes Lifecycle Assessment durchführen, was im Bereich der Tierproduktion geschehen ist, aber nicht in vielen anderen Sektoren wie zum Beispiel dem Transportwesen.

Sie haben am Anfang gesagt, dass es Ihre Mission sei, die Umweltauswirkungen der Rinderzucht zu verringern. Nur um eine Vorstellung zu bekommen: Wie können Sie die Treibhausgasemissionen von Rindern verändern?

Die erste Hauptquelle für Treibhausgase von Rindern sind ihr großer Wiederkäuermagen, der Pansen. Darin befinden sich Mikroben, die es der Kuh ermöglichen, Futter zu verdauen. Eine der unbeabsichtigten Folgen der Verdauung ist die Bildung von Methan (ein hochwirksames Treibhausgas – Anmerkung RG). Eine Möglichkeit, die Methan-Produktion zu reduzieren, ist etwa die Verfütterung von Zusätzen, die die Mikroben im Pansen beeinflussen können.

Manchmal braucht man nur ein paar Gramm Zusatzstoffe pro Tonne Futter. Eine sehr kleine Menge, aber sehr effektiv. Es gibt noch eine weitere Hauptquelle für Methan: „Dünger“, der aus dem hinteren Teil dieser Tiere kommt. Auch hier gibt es Zusatzstoffe, die diese Treibhausgase reduzieren können.

Das können Sie tun, ohne dem Tier zu schaden?

Ja.

Wir haben bisher nur über Treibhausgase gesprochen. Aber wenn man sich die Fleischproduktion anschaut, sieht man: Es gibt Probleme mit dem Grundwasser, das durch Nitrat belastet wird, Lebensräume werden zerstört und viele weitere schädliche Auswirkungen auf die Umwelt.

Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Vor Jahren war ich Vorsitzender eines globalen Partnerschaftsprogramms der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Dieses Projekt mit dem Namen LEAP entwickelte zum ersten Mal eine weltweite Methodik, um den ökologischen Fußabdruck von Nutztieren zu messen: im Grundwasser, im Oberflächenwasser, bei Treibhausgasen und Auswirkungen auf die Biodiversität.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Nutztiere einen signifikanten ökologischen Fußabdruck haben können. Die Frage ist nur, was man daraus macht. Sie hatten mich nach der globalen Situation gefragt. In vielen Teilen der Welt haben wir kein veterinärmedizinisches System. Und so haben wir keine Möglichkeiten, Krankheiten bei Nutztieren zu behandeln.

China produziert heute die Hälfte der weltweiten Schweine: Eine Milliarde Schweine pro Jahr. Aber vierhundert Millionen Schweine werden nie gegessen, weil sie im jungen Alter sterben, wegen mangelnder tierärztlicher Versorgung, wegen unzureichender Ernährung, wegen schlechter Zucht. 400 Millionen, 40 Prozent. Jeder Schweinefleischproduzent in Deutschland oder den Vereinigten Staaten würde bankrott gehen mit solchen Zahlen. Dabei ist China viel entwickelter als ein Land wie Indien oder einige afrikanische Länder.

Für mich ist die Botschaft hier: Dass wir den Ländern, in denen tierische Lebensmittel immer stärker nachgefragt werden, helfen müssen, Haltungssysteme zu entwickeln, die viel effizienter sind als das, was sie derzeit haben.

Wie sieht diese Hilfe aus?

Ich habe nicht nur an der UC Davis eine Professorenstelle, sondern auch an einer chinesischen Universität. Deshalb verbringe ich mindestens einen Monat im Jahr in China und lehre und forsche mit meinen chinesischen Kollegen. Und ich denke, dass dies absolut wichtig ist. Denn sehr bald werden allein die Chinesen etwa die Hälfte der tierischen Proteine der Welt essen.

Wer bezahlt Ihr Gehalt?

Mein Gehalt kommt ausschließlich von Steuerzahlern. Für meine Forschung wiederum habe ich zwei Hauptförderquellen. Einer davon ist das California Air Resources Board. Dann gibt es zum Anderen die Forschung, die sich mit der Suche nach Möglichkeiten zur Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks beschäftigt, zum Beispiel mit Futtermittelzusatzstoffen. In diesen Fällen zahlt das Unternehmen, das diese Futtermittelzusatzstoffe herstellt, normalerweise für die Forschung.

Warum hatten Sie sich in dem Artikel öffentlich zu Wort gemeldet?

Weil viele Menschen daran interessiert sind, ob es wirklich Fleisch ist, das die größten Auswirkungen auf den Klimawandel hat. Ein Artikel wie der bei Krautreporter beziehungsweise The Conversation ist nützlich, weil er die Dinge so aufschlüsselt, dass sie für die Menschen verständlich sind. Vielleicht sind diese Menschen damit nicht einverstanden. Aber deshalb nennt man es ein Gespräch, eine „Conversation“.

Denn oft hört man Diskussionen, die nicht sehr nuanciert sind. Eine Seite schreit und die andere Seite schreit, und niemand hört sich gegenseitig an. Dabei sollte es ein Thema sein, über das wir sprechen können, und wo immer die Dinge verbessert werden müssen, sollten wir sie verbessern und zivilisiert bleiben.

Letzte Frage, die bei der Diskussion über ihren Gastbeitrag immer mitschwang: Dürfen wir als Menschen überhaupt Vieh züchten? Dürfen wir es essen?

Unterstützer von Tierrechtsorganisationen wie PETA wollen nicht, dass Menschen die Kontrolle über Tiere haben: keine Katzen, Hunde, Pferde und keine tierische Ernährung. Heute weiß aber die überwiegende Mehrheit der Menschen – ob es uns gefällt oder nicht –, dass Tiere getötet werden. Das verstehen alle. Sie haben es vielleicht nicht in einem Schlachthof gesehen, aber sie wissen, dass diese Tiere getötet werden, und sie essen sie trotzdem. Es scheint also im Moment irgendwie unvermeidlich zu sein, Tiere zu töten. Aber es ist wichtig, dass die Lebensqualität, das Wohlbefinden der Tiere so hoch wie möglich ist und dass sie nur einen Tag in ihrem Leben haben, der wirklich negativ ist. Der letzte Tag ihres Lebens.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.