„Die Politik tut kaum etwas, also musste ich etwas tun: Wie ich es geschafft habe, 80 Prozent weniger CO2 auszustoßen“

© Matej Snethlage

Klimakrise und Lösungen

„Die Politik tut kaum etwas, also musste ich etwas tun: Wie ich es geschafft habe, 80 Prozent weniger CO2 auszustoßen“

Stefan Krüger hat vor drei Jahren die Entscheidung getroffen, seinen Energiebedarf radikal zu senken. Wie genau er das gemacht hat und wieso solche Maßnahmen nötig sind, erzählt er in unserer Kolumne „Was ich wirklich denke“.

Profilbild von Protokoll von Matej Snethlage

Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht weiß, wie viel CO2 ich heute verursacht habe. Ich habe meinen Energieverbrauch immer vor Augen. Ich habe neun Zähler im Haus, an denen ich ablesen kann, wie viel Strom das Haus verbraucht, wie viel das Auto, und wie viel die Fotovoltaik-Anlage herstellt. Alle Daten laufen auf die Server meines Programms. Ich kann in Echtzeit sehen, welche Veränderung am Haus welchen Effekt hatte.

Vor zwei Jahren habe ich angefangen, mein Haus umzubauen. Davor verursachte mein Vier-Personen-Haushalt 40,5 Tonnen CO2, das sind 10,1 Tonnen pro Kopf. Das war mehr als der deutsche Durchschnitt. Wenn man das auf die jeweiligen Energieträger umrechnet, erhält man einen Gesamtverbrauch von 55.000 Kilowattstunden (kWh) im Jahr. Da sind nicht einmal unsere Ernährung und die Flug- und Bahnreisen mit eingerechnet.

In den letzten 365 Tagen habe ich 12.982 kWh verbraucht – das sind 1,8 Tonnen CO2, ohne Ernährung, Flug- und Bahnreisen. Das Haus und ich verbrauchen nur noch elektrische Energie, die einzigen fossilen Verbrenner-Stoffe, die meine Familie verbraucht, ist der Diesel meiner Frau.

Mein Haus – als erstes habe ich eine Photovoltaik-Anlage auf das Dach gebaut

Mein Haus – als erstes habe ich eine Photovoltaik-Anlage auf das Dach gebaut © Matej Snethlage

Ich bin früh auf ein Elektroauto umgestiegen und nicht sonderlich viel geflogen. Aber ich wollte mehr machen. Ich wollte, dass mein Haus möglichst emissionsfrei wird. Natürlich war das ein krasser Schritt, aber in der Zeit, in der wir leben, muss man manchmal als Einzelner das Problem in die Hand nehmen.

Mein Erkenntnisweg

Ich war nicht einfach so aus dem Nichts an Umweltschutz interessiert. Als junger Mann hat mich vor allem das Handwerk interessiert. Nach der Schule habe ich erstmal eine Lehre als Schlosser gemacht. Vor dem Studium habe ich noch den Dienst an der Waffe verweigert und ein Jahr Zivildienst absolviert. Eigentlich wollte ich zum Bund, Panzer schrauben, aber dann habe ich festgestellt, dass Menschen-Töten zu üben nichts für mich ist. Ich bin ganz lange total unkritisch und naiv an die Sache rangegangen. Das musste ich erst alles mit der Zeit lernen.

Als Tschernobyl in die Luft flog, war ich 22 Jahre alt. Ich bin zu einer 1.-Mai-Party mit dem Motorrad gefahren, 100 Kilometer hin, 100 Kilometer zurück, als der radioaktive Regen niederging. Ich habe mich nur geärgert, dass ich jetzt nass werde, ich wusste noch nicht, dass alles verstrahlt war. Bis heute habe ich keine Nachwirkungen davon gespürt. Wahrscheinlich hatte ich Glück gehabt. Einige Tage später habe ich in den Nachrichten erfahren, was da auf mich niedergeprasselt ist. Bis dahin dachte ich, Atomenergie sei sauber, und man könne die Risiken schon irgendwie in den Griff kriegen. Ich wurde eines Besseren belehrt.

Ich weiß noch, als ein paar Monate davor ein Schwarzer und ein Grüner im Fernsehen über Atomkraft diskutiert haben. Der Schwarze war überzeugt, dass Atomkraftwerke nur alle 10.000 Jahre kaputtgingen. Der Grüne, der hat gesiedet und gekocht, aber damals hat ihm ja noch niemand geglaubt. Im Mai, also nach Tschernobyl, gab es dann wieder eine Diskussion in gleicher Runde, und da hat der Grüne gesagt: „Wie doch die Zeit vergeht.“

Ich habe dann Energietechnik in Flensburg studiert. Mir war klar geworden, dass ich mich an der Lösung der Energiefrage beruflich beteiligen will. Mittlerweile habe ich jetzt die Energiefrage für mich persönlich ein Stück weit beantwortet.

Nach dem Studium habe ich eine Arbeitsstelle bei Daimler gekriegt, im betrieblichen Umweltschutz. Das war für mich natürlich ein großer moralischer Konflikt. Natürlich wollte ich nicht bei einem Konzern arbeiten, der tonnenweise Dreck in die Luft schleudert, aber ich wollte einen guten Job kriegen. Somit war die Stelle beim Umweltschutz ein guter Kompromiss. Mein größtes Projekt war es, einen Luftfilter für eine Aluminiumgießerei zu bauen. Emissionen reduzieren ist wohl auch ein sich wiederholendes Thema in meinem Leben.

Als wir dann unseren Sohn gekriegt haben, habe ich bei Daimler gekündigt und bin Freiberufler geworden. Das geht von Mediengestaltung bis zum Bau von Fotovoltaikanlagen.

Umweltschutz war für mich ein langer Prozess, ein Erkenntnisweg. Ich habe immer wieder Dinge dazugelernt, und auch immer mehr das Gesagte hinterfragt. Nur wenn man sich weiterbildet, kann man weiterkommen. Das heißt aber auch, dass ich früher nicht so wirklich auf vieles geachtet habe.

Vom Chrysler zum E-Auto

Bis vor zehn Jahren hatte ich sogar einen Chrysler, so einen richtigen Amischlitten. Dann brauchte ich ein neues Auto. Ich hatte damals schon die Idee von einem Elektroauto und wollte etwas Energiesparenderes ausprobieren als meinen alten Van-Verbrenner. Aber der Verkäufer meinte, das wird noch einige Jahre dauern, bis man so etwas im Sortiment haben werde. 2012 wollte ich erneut versuchen, das Elektroauto zu bekommen, aber ich wurde wieder abgelehnt.

Einige Monate später war ich eines Nachts auf Ebay unterwegs und fand einen gebrauchten Renault Twizy. Das ist ein ganz kleiner, elektrischer Zweisitzer, bei dem die Sitze hintereinander liegen. Um zwei Uhr nachts endete die Versteigerung, und ich war der letzte Bieter. Für knapp 6.000 Euro wurde ich also der stolze Besitzer eines Elektroautos.

Gleich am nächsten Morgen habe ich meiner Frau davon erzählt. Sie meinte nur: Ach Schatz, sei so gut und gib es gleich zurück. Merkwürdigerweise hat sie ihn später doch geliebt.

Es war natürlich nicht das komfortabelste Auto. Deshalb ersetzte ich es nach einiger Zeit mit einem Renault ZOE, einem ordentlichen Auto, mit fünf Plätzen und 170 Kilometer Reichweite.

Klar, früher besaß ich nur Autos, bei denen es sich schlecht angefühlt hat, langsamer als Tempo 200 zu fahren. Aber das ist einfach eine Entscheidung, die ich treffen wollte. Ein Sieben-Liter-Benzinauto verbraucht umgerechnet 70 kWh pro 100 Kilometer. Mein Elektroauto braucht gerade einmal 15.

An mein Haus habe ich dann auch eine Ladesäule gebaut. Anfangs sind Fremde vorbeigekommen und haben ihr Auto an meinem Haus aufgeladen. Mittlerweile gibt es aber genug Ladesäulen.

Elektroautos sind gerade im Kommen, klar. Aber das ist ja auch nicht ohne Grund so. Wenn wir weiter gedankenlos Benzin und Diesel verbrennen, versetzen wir unsere Atmosphäre in eine prähistorische Zeit zurück. Jeder, der wissenschaftlichen Untersuchungen halbwegs Glauben schenkt, der kommt einfach auf die Idee, dass es so nicht weitergeht.

Zisternen im Boden – Fotovoltaik auf dem Dach

Mein Auto war eine Stellschraube, an der ich drehen musste, um meinen Energieverbrauch zu minimieren. Mein Haus war die nächste, deutlich größere. Als erstes baute ich eine Fotovoltaikanlage aufs Dach. Ich kaufte mir sogar die Garage des Nachbarn dazu, damit ich mehr Fläche hatte.

Mein gesamter Haushalt und mein E-Auto werden vom Strom der Anlage meistens gedeckt. Manchmal muss ich Strom aus dem Netz dazukaufen, manchmal kann ich meinen überschüssigen Strom aber auch wieder dort einspeisen. Aktuell kaufe und verkaufe ich jährlich gleich viel: Etwa 13.000 kWh. Und das, obwohl ich mein Haus einzig auf die Energiequelle Strom umgestellt habe.

Mein Haus ist Baujahr 1967. Die alte Öl-Heizung ist zwar 2002 auf einen Gasbrenner umgestellt worden, trotzdem war sie nicht mehr im allerbesten Zustand. Sie allein verbrauchte 25.000 kWh. Ich habe lange überlegt, wie man günstig ein neues Heizsystem installieren könnte. Und ich bin auf die Eisspeicherheizung gestoßen.

Der wichtigste Teil meiner Eisspeicher-Heizung liegt unter der Erde.

Der wichtigste Teil meiner Eisspeicher-Heizung liegt unter der Erde. © Matej Snethlage

Das Herzstück meiner Heizung ist eine Wärmepumpe. Wärme strömt den physikalischen Gesetzen nach immer vom wärmeren zum kälteren Ort, also zum Beispiel aus dem warmen Haus heraus in die kältere Umwelt. Deswegen friert man auch drinnen irgendwann, wenn es draußen kalt wird und die Heizung nicht anspringt.

Mit einer Wärmepumpe kann man Wärme in die entgegengesetzte Richtung verschieben, vom Kalten ins Warme. Eine Wärmepumpe hat so gut wie jeder im Haus, nur kennt man sie normalerweise unter einem anderen Namen: Kühlschrank. Der Kühlschrank entzieht seinem Innenraum die Wärme und gibt sie nach außen ab, deswegen ist es auf der Kühlschrankrückseite auch warm. Die Wärmepumpe meiner Heizung funktioniert in die andere Richtung: Sie entzieht dem Außenbereich des Hauses die Wärmeenergie und gibt sie nach Innen als Heizenergie ab.

Ich habe draußen im Garten zwei Zisternen installiert, unterirdische Wasserbehälter aus Beton. Die sind mit je 12.500 Liter Wasser befüllt. Dort läuft gefrier-gehindertes Wasser in Leitungen durch, die sogenannte Sole. Im Frühling ist die Sole beispielsweise circa 5 Grad warm.

Diese Sole fließt ins Haus, die Wärmepumpe entzieht ihr die Wärmeenergie und bringt die Wärme zum sogenannten Kombispeicher: Dort wird sie als warmes Wasser gespeichert, bei 37 bis 47 Grad Celsius. Die abgekühlte Sole ist jetzt energieärmer und etwa 5 Grad Celsius kälter als zuvor. Nach der Wärmepumpe fließt die Sole zum Dach.

Dort führen sie die Leitungen mehrfach unter der Photovoltaik-Anlage hindurch. Durch die Umweltwärme und einstrahlende Sonnenenergie erwärmt sich die Sole langsam. Ist sie wärmer als das Wasser in den Zisternen, erwärmen sich diese und speichern die Wärme. Durch diese gespeicherte Wärme wird die Sole in unserem Beispiel also wieder auf 5 Grad erwärmt.

Im Winter kann es so kalt werden, dass das stehende Wasser in der Zisterne (also nicht das in den Schläuchen) gefriert. Dann kommt ein weiterer Effekt zum Tragen: Latente Wärme. Denn wenn Wasser den Aggregatzustand von flüssig zu fest verändert, wird Energie frei. Wenn Wasser gefriert, wird Wärme frei. Da ich im Winter die meiste Energie zum Heizen benötige, ist dieser Effekt elementar.

Mein Haus beheize ich mit einer Deckenheizung. Entlang der gesamten Decke im Haus habe ich Rohre befestigt. Wenn ich heizen möchte, werden die vom warmen Heizungswasser aus der Wärmepumpe durchströmt. In klassischen Radiator-Heizungen muss das Wasser etwa 70 Grad warm sein, um seine Wirkung zu entfalten. Ich brauche eine große Fläche zum Heizen, weil meine Wärmepumpe die Temperatur nur auf 37 Grad bringen kann. Wenn die Fläche groß genug ist, reicht der Wärmefluss, um den Raum je nach Bedarf warm zu halten.

So sieht die Deckenheizung ohne Lehmschicht aus.

So sieht die Deckenheizung ohne Lehmschicht aus. © Matej Snethlage

Damit die Rohre nicht hässlich an der Decke hängen und für jeden zu sehen sind, werden sie in eine Lehmschicht gepackt und wie eine ganz normale Zimmerdecke geglättet. Noch ist nicht alles verlehmt, aber Ende des Jahres sind diese Arbeiten hoffentlich fertig.

Mein Heizsystem funktioniert viel mit der Speicherung von Wärme und der langsamen, aber umweltfreundlichen Ansammlung von Energie. Für die etwa 25.000 kWh Heizenergie, die ich für die Raumtemperaturen und das Warmwasser benötige, muss ich auf diese Weise nur etwas mehr als
4.500 kWh Strom investieren.

Das geniale an der Eisspeicherheizung ist ihre Effizienz. Ich bekomme von der Energie, die ich als elektrischen Strom reinstecke, mehr als das Fünffache in Form von Wärme heraus. Die gewonnene Energie kriege ich aus der Umwelt zusammen, es ist Sonnenenergie und Wärme aus der Erdoberfläche.

Der Umbau war eine krasse Veränderung und klar, die hat etwas gekostet. Für die Fotovoltaik-Anlage musste ich 18.000 Euro hinblättern, für die Zisternen sogar 19.000. Dazu kommen noch die Wärmepumpe und mein Elektroauto. Alles in allem habe ich fast 70.000 Euro ausgegeben.
Aber das Geld hätte ich auch so ausgegeben, halt für etwas anderes.

Außerdem ist mein Haus durch die hinzugebaute Deckenheizung vollsaniert, und ich habe ein modernes Auto. Vor allem habe ich das Geld in meine Zukunft investiert: Vor den Umstellungen habe ich 6.000 Euro jährlich alleine für Energie gezahlt, jetzt sind es 1.150 Euro. In 10 Jahren werde ich in Rente gehen und nicht mehr viel Geld verdienen. Dann wird mein wichtigstes Einkommen mein gespartes Geld für Strom, Heizöl und Benzin sein.

Jeder kann was machen

Aber wenn ich ehrlich bin, machen sich die Heizung, das Auto und die Fotovoltaikanlage auch bezahlt, wenn ich kein Geld damit verdiene. Es ist das, was ich im Rahmen dieser verrückten Gesellschaft tun kann, um meinen negativen Einfluss auf die Umwelt irgendwie zu reduzieren. Die Erderwärmung lässt sich kaum noch aufhalten – und die Politik macht kaum etwas dagegen. Wie kann man sich denn für den Schutz der Umwelt einsetzen, wenn die Regierung seit Jahren ihren sturen Kurs weiterfährt? Die Hände sind mir gebunden. Nur bei dem, was ich selbst an CO2 in die Welt ausstoße, kann ich unmittelbar etwas ändern.

Wenn ich nichts ändere, ändert sich halt auch nichts. Und das ist auch das, was die jungen Leute uns bei den „Fridays for Future“-Demonstrationen zeigen: Leute, ihr macht zu wenig! Ein bisschen was müsst ihr Erwachsenen, ihr alten Leute auch tun. Ich denke, ich bin auf einem ganz guten Weg, aber noch lange nicht fertig.

Manche Leute bewundern, was ich tue. Andere wiederum halten mich schlicht und einfach für einen hoffnungslosen Spinner. Als ich mit meinem Mini-Zweisitzer durch die Gegend gefahren bin, hielt mich ein großer Teil meines Freundeskreises einfach für bescheuert. Und auch heute fragen mich immer wieder Leute skeptisch, ob denn noch alles funktioniere. Darauf konnte ich bis jetzt aber immer antworten: Ja, alles funktioniert noch einwandfrei.

Ich werde nächstes Wochenende mit meiner Frau zu einem Konzert nach Holland fahren. Das sind 480 Kilometer. Mein Auto hat eine Reichweite von 140 Kilometern. Ich werde drei Mal aufladen und jeweils eine Pause von 40 Minuten machen müssen. Das sind zwei Stunden, die ich länger brauche. Und ich komme mit dem Elektroauto nur auf knappe 100 Stundenkilometer. Aber ich spare mit einem Elektroauto nicht nur Benzin oder Diesel, sondern reine Energie.

Meine Frau ist noch nicht so ganz überzeugt. Ich weiß schon, dass ich sie noch ein bisschen überreden werden muss, um ins Elektroauto zu steigen. Ich meine, es stimmt ja: Die Fahrt dauert länger, man fährt langsamer und man hat immer diese Angst, jeden Moment stehenbleiben zu können – auch wenn die Angst nicht rational ist. Aber es lohnt sich. Die Zeit ist ja nicht einfach so verschwunden. Man investiert sie nur anders. Und in die Umwelt zu investieren, ist, denke ich, nie verkehrt.


In unserer Serie „Was ich wirklich denke“ lassen wir Menschen sprechen, die interessante Berufe haben, die in herausfordernden oder besonderen Lebenssituationen stecken oder die etwas Ungewöhnliches erlebt haben. Trifft das auf dich zu und willst du davon erzählen? Dann melde dich unter: theresa@krautreporter.de


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.