Falls du es nicht mitbekommen hast: In den letzten Tagen haben es sehr viele Menschen für eine gute Verwendung ihrer Zeit und Energie gehalten, über Kinder zu spotten, die sich um die Zukunft dieses Planetens sorgen. Seitdem freitags einige Schüler nicht mehr in den Unterricht gehen, sondern lieber streiken und für besseren Klimaschutz demonstrieren, bricht sich in den Kommentaren ein Hohn Bahn, den man schon lange kennt – man ist ja nicht neu im Internet. Aber dass er sich gegen Kinder richtet, insbesondere gegen die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, ist unverfroren.
Die Kritiker haben über der sorgsamen Pflege ihrer liebsten Feindbilder aber nicht nur das letzte bisschen Anstand verloren, ihre Kritik macht auch inhaltlich einfach keinen Sinn. Denn diejenigen, die da so heftig auf die jungen Klimaaktivisten eindreschen, sind erstaunlich oft auch diejenigen, die Deutschland in der Vergangenheit immer wieder für seinen „naiven“, „unrealistischen“ Umgang mit Geflüchteten kritisiert haben und vor einem „Kontrollverlust“ warnten.
Ein Ziel ist so vernünftig – es findet sich in allen Wahlprogrammen wieder
In den Vorwürfen der Menschen, die weniger Flüchtlinge aufnehmen wollen, fand sich immer wieder ein Argument, das durchaus Sinn macht: Am Besten wäre es doch, wenn diese Menschen niemals fliehen müssten. Da müsse man ansetzen. Dieses Ziel, die Fluchtursachen anzugehen, ist so vernünftig, dass es sich im Wahlprogramm aller Bundestagsparteien wiederfindet (ich habe extra nochmal nachgeschaut). Dass es berechtigte Zweifel an vielen Methoden gibt, mit denen Mitteleuropäer in Ländern südlich der Sahara oder im Nahen Osten Fluchtursachen beseitigen wollen, steht leider in keinem Wahlprogramm. Entweder sind die Methoden unwirksam, kontraproduktiv oder rundheraus unmoralisch.
Eine Vorschlag allerdings sticht heraus: das Klima schützen. Das ist ziemlich gute Migrationspolitik. Das wird mit jedem Jahr deutlicher, und gerade ist eine Studie erschienen, die zum ersten Mal auf der Basis von statistischen Daten beweisen kann, dass es den Zusammenhang Klimawandel – Migration wirklich gibt.
1985 tauchte plötzlich der „Umweltflüchtling“ in den Debatten auf, und mit ihm begann die Menschheit besser zu verstehen, wie Klimawandel und Migration zusammenhängen. Dabei wechseln sich Warner und Skeptiker ab. Die einen prophezeien für die nächsten Jahrzehnte Hunderte Millionen Flüchtlinge allein wegen des Klimawandels, die anderen bezweifeln, dass der Klimawandel allein für etwas so komplexes wie eine Auswanderungsentscheidung herhalten kann. Aber keine der beiden Gruppen bestreitet grundsätzlich, dass der Klimawandel einen Einfluss hat.
Die Beweise häufen sich: Klimawandel verschärft Konflikte
Auf der Pazifikinsel Kiribati bereiten sich die Bewohner auf die Auswanderung vor, einige Inseln der Solomon-Gruppe sind schon verschwunden oder wurden überspült. In Ghana wird es immer schwieriger, Kakao anzubauen – das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass diese Bauern dann in die Stadt ziehen. So wie es die Bauern im Ganges-Delta schon längst begonnen haben. Eine Insel an der US-amerikanischen Ostküste ist laut einem Wissenschaftler „wortwörtlich einen Sturm davon entfernt, völlig zu verschwinden“. Auf dieser Insel wohnen 700 Menschen. Die werden umziehen müssen.
Man könnte diese fünf Beispiele als Einzelfälle abtun, man könnte sagen, dass damit ja noch nicht bewiesen sei, dass der Klimawandel wirklich etwas mit den 68,5 Millionen Flüchtlingen zu tun habe, die es gerade laut UN-Flüchtlingswerk auf der Erde gibt. Das könnte man. Allerdings erschienen schon kurz nach dem Beginn des Krieges in Syrien die ersten Meldungen, die den Krieg mit einer Dürre in Zusammenhang brachten, die den Nahen Osten in den Jahren zuvor heimgesucht hatte. Zwischenzeitlich hatten sich die Preise für die wichtigsten Grundnahrungsmittel fast verdoppelt.
Nun haben vier Wissenschaftler von österreichischen Forschungsinstituten diesen Zusammenhang zum ersten Mal auch statistisch belegen können. Je trockener eine Region war, desto eher kam es in den Jahren 2011 bis 2015 zu gewaltsamen Konflikten. Dieser Zusammenhang sei vor allem erkennbar in den Ländern Südsudan, Ägypten, Libyen und Syrien, die alle erst Dürren erlebten, die Gewalt wahrscheinlicher machten, die dann wiederum Flucht wahrscheinlicher gemacht haben.
Man sollte sich klarmachen, was diese Studie nicht zeigt. Sie zeigt nicht, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Klima und Flucht gibt. Es sind die gewaltsamen Konflikte, die die Menschen vertreiben, und die wiederum sind in einigen Regionen und Staaten wahrscheinlicher als in anderen. Die Studie zeigt auch nicht, wie stark der Zusammenhang ist, also wann wie viele Menschen nun genau fliehen. Aber sie zeigt: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Migration.
Natürlich können sich jetzt die „Migrationskritiker“ weigern, diesen Zusammenhang anzuerkennen, sie können auch den Klimawandel leugnen, aber dann wären sie genau das, was sie in Greta Thunberg und den Schülerdemonstranten sehen: ein paar bockige Kinder, die nichts von der Welt verstehen.
Wenn denjenigen, die sich über die demonstrierenden Kinder lustig machen, wirklich etwas daran gelegen wäre, vernünftige Lösungen in der Flüchtlingskrise zu finden, dann sollten sie sich die Forschung dazu ganz genau anschauen – und sich freitags bei den Schüler-Demos einreihen.
Wie dieser Text entstanden ist:
Bevor ich diesen Kommentar geschrieben habe, hatte ich gemeinsam mit Mitgliedern der Krautreporter-Facebook-Gruppe auf die Studie und den Zusammenhang Migration-Klimawandel geschaut. Sie haben wertvolle Hinweise geliefert, um die Ergebnisse der Studie richtig einordnen zu können. Viele Dank an Katharina, Sebastian, Siegfried, Constantinus, David, Tim, Esther, Josa.
*Redaktion: Christian Gesellmann; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel. *