Als das Wasser stieg, musste sich Hari Podo beeilen, um seine Familie und ihre Habseligkeiten zu retten. Podo ist Landwirt in einem Dorf im Bezirk Gopalganj in Bangladesch. Er sammelte die Wasserhyazinthen ein, die überall in den Kanälen um sein Haus herum schwimmen. Aus den Wasserpflanzen und Bambus baute er ein Floß, ein paar Meter breit und etwa zehn Meter lang. Während ihr Zuhause im steigenden Wasser versank, stiegen er und seine Familie auf das Floß, auch ihre Kühe und Ziegen nahmen sie mit. Und warteten.
Die Flutkatastrophe von 1988 gilt in Bangladesch als die schlimmste aller Zeiten. In tausenden Flüssen, Kanälen und Bächen stieg der Wasserspiegel innerhalb weniger Stunden um 30 Zentimeter. Tagelang kam das Wasser, überflutete das Land, schnitt Dörfer von der Außenwelt ab. Es gab keine Lebensmittel, kein Trinkwasser. Drei Millionen Menschen im Tiefland des südasiatischen Staates wurden obdachlos.
„Wir lebten auf dem Floß. Die Menschen auf der einen Seite, die Haustiere auf der anderen“, sagt Hari Podo. „Wir bauten einen Ofen aus Schlamm, um unser Essen auf dem Wasser zu kochen. Immer, wenn das Floß zu zerfallen begann, sammelten wir neue Hyazinthen und bauten es wieder auf. Ewa zwei Monate trieben wir so auf dem Wasser.“
In Bangladesch mit seinen ausgedehnten Sumpfgebieten und Mangrovenwäldern ist der Klimawandel nicht mehr nur eine theoretische Vorstellung, er findet jetzt statt. Die Menschen fühlen sich eingeschlossen vom Schmelzwasser des Himalaya, dem immer heftigeren Monsunregen im Norden und dem Golf von Bengalen im Süden, von wo aus Salzwasser langsam in das Land eindringt.
Zwar sind die Menschen hier daran gewöhnt, sich ihren Lebensraum mit dem Wasser zu teilen. Trotzdem wird ihr Leben unerträglich, wenn das Wetter verrücktspielt. Der tropische Wirbelsturm von 1988 vernichtete 45 Prozent der jährlichen Landwirtschaftsproduktion, in der Folge zogen viele Menschen vom Land in die Städte oder ins Ausland.
Das schwimmende Floß wird von der Notlösung zur Dauereinrichtung
Der Meeresspiegel steigt, die Bodenfruchtbarkeit sinkt und die Überschwemmungen werden immer stärker. Einige Landwirte suchen nach Lösungen für diese Veränderungen ihrer Umwelt. Und so wurde aus dem schwimmenden Floß, das die Familie von Hari Podo vor der Flut gerettet hat, eine Chance. Schwimmende Gärten – Flöße also, auf denen Bauern auch bei steigendem Wasser Gemüse anbauen können – sind ein Weg, trotz des Klimawandels die Nahrungsmittelversorgung in vielen Regionen Bangladeschs sicherzustellen.
„Die Jahreszeiten haben sich geändert. Der Regen ist heutzutage stärker“, sagt Hari Podo, während er vorsichtig an den langen Hyazinth-Flößen in den ruhigen Gewässern seiner Farm vorbeirudert. Was Bauern und Fischer in der Natur beobachten, bestätigen Wissenschaftler mit Daten.
„Das Ausmaß der wetterbedingten Ereignisse steigt, die Stärke der Zyklone nimmt zu“, sagt Md Shamsuddoha, Generaldirektor eines Forschungszentrums in Dhaka. „Weil der Meeresspiegel steigt, gibt es mehr salzhaltiges Wasser in den Küstengebieten, das aus dem Meer ins Landesinnere dringt. Salzhaltiges Wasser schadet der Agrarwirtschaft. Je weiter man nach Süden geht, desto mehr sieht man, dass Landwirtschaft sich nicht mehr lohnt. Die Landwirte stellen auf Garnelenzucht um“, erklärt er.
Das Salzwasser kriecht wie eine Krankheit ins Landesinnere
Bangladesch liegt im Mündungsdelta der Flüsse Brahmaputra, Ganges und Meghna und besteht zu 90 Prozent aus flachem Tiefland, das unterhalb des Meeresspiegels liegt. Wie eine unsichtbare unterirdische Krankheit kriecht das salzige Wasser ins Landesinnere. Schuld daran sind drei Dinge: Das Land senkt sich ab, der Wasserstand steigt und es gibt weniger Süßwasserabfluss aus Flüssen und Kanälen. Auf versalzten Böden kann man am Anfang noch mühsam einige salzresistente Pflanzen anbauen. Doch mit zunehmendem Salzgehalt werden die Böden für fast alle Pflanzen giftig.
Experten warnen davor, dass der Ertrag von Reis – eine für die Volkswirtschaft lebenswichtige Kulturpflanze – innerhalb von ein bis zwei Jahrzehnten aufgrund von Salzverunreinigungen um etwa 15 Prozent sinken wird. Häufigere Überschwemmungen und versalzte Böden bedrohen 40 Prozent des produktiven Landes im Süden Bangladeschs. Eine Folge könnte sein, dass etwa 200.000 Einwohner ins Inland oder ins Ausland abwandern.
Der Meeresspiegel steigt derzeit mit einer durchschnittlichen Rate von 1,7 bis 3,0 Millimeter pro Jahr und überschwemmt langsam die Flussniederungen. Die Wirklichkeit ist jedoch drastischer, als diese Zahlen vermuten lassen. Denn das Land sinkt auch ab. Deswegen steigt der Meeresspiegel in Wirklichkeit um 4 bis 20 Millimeter pro Jahr. Das Staatsgebiet von Bangladesch liegt zu zehn etwa Prozent mindestens einen Meter unterhalb des Meeresspiegels, und seine Gebiete werden zu einem Drittel von den Gezeiten beeinflusst. In Kombination mit der Kraft von Zyklonen können so Flutwellen entstehen. Das macht das Land so anfällig für die Klimakrise.
Im Norden des Landes sind die Politiker besonders besorgt über Veränderungen im Witterungsverlauf. Da, wo Ganges und Brahmaputra zusammenfließen, nimmt die Menge des Niederschlags ab, aber seine Intensität zu. Deshalb kommt es in der Regenzeit häufiger zu Hochwasser.
„Viele Bauern verkaufen ihr Land an reichere Mangobauern“, sagte Md Shamsuddoha. „In der Folge werden viele Kleinbauern landlos und wandern nach Dhaka ab. So entsteht Nahrungsmittelknappheit.“
Auch der Nachbar Indien ist Teil des Problems
Der Umweltwissenschaftler Zahid Shashoto von der NGO Uttaran betont, dass es keine saubere Trennlinie zwischen Klimawandel und Geopolitik gibt. Denn der Klimawandel allein erzählt nicht die ganze Geschichte. Staudämme wie die riesige Farrakha-Staustufe in Indien, die 1975 gebaut wurde, beeinträchtigen den Süßwasserabfluss des Ganges erheblich.
„Indien öffnet die Schleusen-Tore während des Monsuns, wenn es einen Überschuss an Wasser gibt, und unser Land wird überschwemmt“, sagt Shashoto. „In der Trockenzeit bekommen wir dagegen kein Wasser, da sie das Stauwerk schließen. Es fehlt an Wasser für die Landwirtschaft, es gibt Dürren, und salzhaltiges Wasser kann tief in das Land eindringen.“
Fehlt Süßwasser, fehlen auch Lebensmittel. „Bangladesch war früher autark in der Lebensmittelproduktion, jetzt müssen Nahrungsmittel über Importe beschafft werden“, sagt Md Shamsuddoha.
Wo Garnelen gedeihen, sterben die Bäume
„Diese Dörfer und diese Menschen werden in Zukunft nicht mehr hier sein“, sagt Joggadish Mallick, der im kleinen Dorf Parmagur Khali im Bezirk Satkhira lebt. Er ist Landwirt und seit einigen Jahren auch Fischer.
Barfuß und vorsichtig betritt er den dünnen, rutschigen Schlammdeich, der den Teich seiner Garnelen umschließt. Er ist 59 Jahre alt und erlebt, wie der Ort, an dem er sein ganzes Leben verbracht hat, sich verändert. „Viele Bauern sind hier in einer schwierigen Lebensphase; die meisten von ihnen verlassen das Dorf und wandern in die Städte. Einige von ihnen arbeiten in der Bekleidungsindustrie in Dhaka, andere ziehen Lieferkarren in Khulna“, sagt Joggadish Mallick.
„Wir haben hier früher Reis angebaut, und hielten Kühe für die Milch. Es gab Büffel für die Landwirtschaft und Süßwasserteiche voller verschiedener Fische, wie Rohu-Fisch, Karpfen. Die gibt es heute in unserer Region nicht mehr.“ Für die Dagebliebenen ist die Garnelenzucht eine bessere Einkommensquelle als die arbeitsintensive, wenig produktive Landwirtschaft. „Momentan ist die Armut hier nicht schlimm. Für die Garnelenzucht ist das hier kein schlechter Ort“, erklärt Joggadish Mallick.
Da Salzwasser die Süßwasseradern von Bangladesch überflutet, gilt der Wechsel von Reis zu Garnelen als eine Form der Anpassung. Landwirte entlang der Küste stellen auf Aquakultur um, insbesondere auf Garnelenzucht für den Export. Heute werden 95 Prozent der Garnelen in ehemaligen Reisfeldern produziert. Garnelen sind der zweite große Exportschlager (nach Konfektionskleidung), wobei über 80 Prozent der Exporte in die EU, insbesondere in die Niederlande, nach Deutschland und nach Belgien, gehen.
Diese Strategie hat aber soziale und ökologische Folgen. Seit Einführung der Garnelenzucht hat sich die Landschaft verändert. Grüne Felder, Bäume, Obstgärten, Viehzucht sind verschwunden und wurden von baumlosen Flächen mit Wasserteichen ersetzt. An sonnigen, heißen Tagen ist es schwer, hier Schatten zu finden. Nur der Bambus schützt die Teichwächter, die auf Fische oder Garnelendiebe aufpassen.
„Die Schönheit unserer Gegend ist längst vergangen, es gibt hier kaum noch Bäume“, sagt Joggadish Mallick. „Früher waren wir hier viele Leute und hatten ein lustiges Leben. Nach der Reisernte hatten wir riesige, endlose Felder zum Spielen. Durch das Salzwasser und diese kleinen Garnelenflächen verschwindet eine sehr schöne Umgebung.“
„Auf lange Sicht wird das zu Vertreibungen und Migration führen“, sagt Md Shamsuddoha. Es komme jetzt schon zu Konflikten, wenn Landbesitzer absichtlich Salzwasser auf Reisfelder der letzten Bauern einleiten lassen, um sie dazu zu bringen, das Land für die Umstellung auf Aquakultur zu verkaufen.
Aber auch die Aquakultur ist wahrscheinlich nur eine Übergangslösung. Da der Meeresspiegel weiter steigt, könnte das Wasser auch für die Garnelen zu salzig werden. Hinzu kommt, dass stärkere und häufigere Wirbelstürme einen erheblichen Teil der Küste beschädigen.
Zurück zum traditionellen Anbau in schwimmenden Gärten
Etwa zweihundert Kilometer nordwestlich des Dorfs von Hari Podo, im Bezirk Piorjpun, entwickeln die Bauern andere, vielversprechende Anbaumethoden. „Wir lieben unsere Flüsse und Kanäle, und wir sind an dieses Leben gewöhnt“, sagt Giassudin Saddar stolz. Er ist Landwirt und Händler und lebt in Nazir Bazar. Das Dorf ist entstanden, weil die Menschen Erdplatten auf einem zuvor schlammigen Boden aufgeschichtet und Kanäle zur Entwässerung gegraben haben. Der Landwirt baut Bananen, Guave, Papaya, Kokosnüsse, Mangos, Okra, Wassermelone, Zwiebel, Knoblauch und Chili an.
Wo jetzt das Dorf von Giassudin Saddar steht, war früher ein sumpfiger Wald. Sein Grundstück ist von einem Labyrinth aus Kanälen und hohen, grünen Bäumen umgeben. Wer durch die schattigen Kanäle fährt, sieht Kinder, die im grünlichen Schlammwasser des Ufers tauchen. Die Dorfbewohner bewegen sich mit Booten, fahren auf Booten zur Schule und treiben auf Booten Handel.
„Früher haben wir im Subdistrikt Swarupkathi gewohnt, aber es wurde schwierig, weil zu viele Menschen dort lebten. Also kam mein Großvater hierher und kaufte etwas Land für wenig Geld“, erinnert sich Giassudin Saddar. Das gesamte Gebiet war zu dieser Zeit überflutet, aber einige Familien begannen, Land zu erwerben und zu bestellen, bis sie ein Haus bauen konnten. Noch heute sieht man Boote, die Erdwürfel transportieren, um Anbauflächen aufzufüllen.
„Es war überall Wasser, wir hatten Angst, aus dem Haus zu gehen“, erzählt Giassudin Saddar von den Anfängen. „Nachts streiften wilde Tiere ganz in der Nähe unseres Hauses umher. Wir haben auf dem Dach geschlafen, es war sehr mühsam.“ Die Menschen bauten Kanäle, um das Land zu entwässern und ein Kommunikationsnetz aufzubauen.
Dazwischen legten sie Streifen von Ackerland an und pflanzten schließlich Bäume und Gemüse. Saddar verkauft seine Produkte auf dem schwimmenden Markt aus Booten auf dem nahegelegenen Fluss. Aber auch hier verändert sich die Umgebung.
„Der Winter sollte drei Monate lang sein, aber jetzt dauert er nicht mehr als zwei“, sagt der Landwirt. Seine Ernte an Kokos- und Betelnüssen geht deshalb zurück. Trotzdem sieht er die Zukunft optimistisch: „Wir haben gelernt, mit einer Umwelt zu leben, die sich verändert. Wenn es in Zukunft Probleme geben wird, sollten wir uns darauf vorzubereiten und weitermachen“, sagt er.
Alte Anbautechniken werden als Hydrokultur neu entdeckt
Unweit des Hofes von Giassudin Saddar und in den Dörfern der Bezirke Gopalganj, Jessore, Kuhlna verbünden sich die Bauern mit dem Wasser und bauen Gemüse in schwimmenden Gärten an. Es ist ein antikes, einzigartiges Wissen der Bauern in Bangladesch, das die Wissenschaftler „Hydrokultur“ nennen.
Die Technik geriet lange in Vergessenheit, aber sie erwacht nun wieder zu neuem Leben. Denn viele Landwirte sehen, dass sie das Potenzial hat, mit unbeständigem Wetter und zunehmend schweren Überschwemmungen fertig zu werden.
„Wir merkten, dass unsere Ältesten mit der schwimmenden Landwirtschaft gut zurechtkamen. Also dachten wir, wir könnten das auch ausprobieren und es im großen Stil machen. Wir bauen Okra, Gurken, Auberginen und viele andere Gemüse an“, sagt Hari Podo. Er glaubt, dass dieses Anbausystem sich in viele andere Gebiete Bangladeschs exportieren lässt.
„Selbst wenn uns ein starker Zyklon trifft und es sehr stark regnet, überlebt unsere schwimmende Landwirtschaft“, sagt er. „Der Mann in der Familie baut die schwimmenden Beete mit Bambus und Hyazinthen, in der Zwischenzeit rollen die Frauen Samenkugeln aus Hyazinthen und anderen Gräsern wie Durali. Sie machen Bälle daraus und legen Samen hinein. Die setzen wir in die Beete“, erklärt Hari Podo.
Schwimmende Gärten haben vielerlei Vorteile: Sie bringen Familien zusammen, sind biologisch, werden weniger von Schädlingen befallen und brauchen keinen Dünger. So eine schwimmende Plattform hält drei Monate an, bevor sie zu verfallen beginnt. Anschließend kann man sie auf Landstreifen als Düngemittel für andere Kulturen verwenden.
„Wir setzen keine chemischen Düngemittel ein. Das Schwimmbeet selbst ist ein großartiger Dünger“, sagt Hari Podo. So wird aus der Wasserhyazinthe, die eigentlich als Unkraut gilt, eine höchst nützliche Pflanze.
Auch schwimmende Gärten sind von der Witterung abhängig
Auch der Umweltwissenschaflter Rubel Biswas Chowdhury kam in einer aktuellen Studie zu dem Schluss, dass die schwimmenden Gärten eine Technik zur Anpassung an den Klimawandel und zur nachhaltigen Dorfentwicklung in Bangladesch sind. Nicht jeder stimmt dem zu. Md Shamsuddoha etwa ist skeptisch: „Schwimmende Gärten sind eine kurzfristige Anpassung, und sie sind lokal begrenzt.“ Sie würden sich kaum in anderen Regionen Bangladeschs verbreiten, meint er.
Klar ist: Auch schwimmende Gärten sind vom Klima abhängig, und heftige oder ausbleibende Monsunregen können ihnen schaden. Landwirtschaft und Klima lassen sich bisher nicht voneinander entkoppeln, das übersteigt die Kraft des Menschen. Wie widerstandsfähig die Technik ist, wird die Zeit zeigen – und der Erfolg der Bemühungen von Hari Podo und anderen Landwirten, sich an eine veränderte Umwelt anzupassen.
Übersetzung: Vera Fröhlich; Redaktion: Theresa Bäuerlein; Fotoredaktion: Martin Gommel.