Ein Mensch taucht im Meer zwischen vielen kleinen Plastikteilen.

Naja Bertolt Jensen/Unsplash

Klimakrise und Lösungen

Wie gefährlich ist Mikroplastik? Was wir wissen und was nicht

Plastik, so klein, dass wir es nur in Laboren entdecken können, verteilt sich auf der ganzen Erde, in den Meeren, in unserer Nahrung – und verseucht auch unsere Körper. Wie groß ist die Gefahr?

Profilbild von Silke Jäger
Reporterin für Kopf und Körper

In Deutschland werden pro Kopf 42 Plastiktüten im Jahr verbraucht. Das sind 3,8 Milliarden insgesamt. Dazu kommen drei Milliarden Einwegbecher und über 16 Milliarden Einwegflaschen.

Wissenschaftler schätzen, dass von den ungefähr 348 Millionen Tonnen Plastik, die jährlich weltweit produziert werden, früher oder später mindestens zehn Prozent im Meer landen. Reste von Fischernetzen und Nylonseilen, Plastikflaschen, Kaffeebecher, Hartschalen für Gemüse und Obst, Folienverpackungen, Plastikspielzeug, Waschmittelcontainer, Gehäuse von Elektrogeräten, Einkaufstüten, Zahnbürsten, Wattestäbchen und Shampooflaschen. Derzeit gibt es zwischen 100 und 140 Millionen Tonnen Meeresmüll weltweit. In Güterzügen ausgedrückt: Die Länge des Zuges würde von der Erde zum Mond und ein halbes Mal zurück reichen.

Wir werden übrigens für immer mit Plastik leben müssen, denn bis ein Stück Plastik wieder abgebaut ist, kann es bis zu 600 Jahre dauern. Da im Moment nicht abzusehen ist, dass wir für alle Situationen, in denen wir Plastik verwenden, einen gut funktionierenden Ersatzstoff finden können, wird Plastik immer weiter produziert – sogar mit steigender Tendenz. In der EU fielen 2021 mehr als 16 Millionen Tonnen Plastikmüll an. Rekord. Recycelt werden davon nur etwa sechseinhalb Millionen Tonnen.

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Deutschland ist im Recycling auf einem Spitzenplatz: Fast 20 Kilo pro Kopf wurden 2021 hierzulande wiederverwertet – in Frankreich waren es nur achteinhalb Kilogramm. Aber das ist nur ein Viertel der Menge, die pro Kopf anfallen. Insgesamt produziert Deutschland mehr als 21 Millionen Tonnen Plastik, als Berg gedacht wäre diese Menge so hoch wie der höchste Berg Europas: 5.400 Meter. Wenn man das ganze Plastik in eine lange Schlange legen würde, würde man damit vier Mal die Erde umrunden.

Fast alles, was wir kaufen, hat mit Plastik zu tun: als Verpackung, als Inhalt, als Hilfsstoff. Jede:r Deutsche verantwortet pro Kopf und Jahr ungefähr 237 Kilo Verpackungsmüll. Das hat Folgen, die uns erst langsam bewusst werden. Kleinstplastik ist überall. Wirklich überall: im Meer, im Boden, in unseren Nahrungsmitteln, in Flüssen und Seen, im Trinkwasser, auf dem Mount Everest, im antarktischen Eis und in der Luft, die wir einatmen.

Wenn uns beim Strandurlaub weggeworfene Plastikflaschen oder -tüten stören, müssen wir uns bewusst machen: Plastik, das wir mit dem bloßen Auge sehen können, ist nur die Minispitze eines riesigen Problems. Inzwischen ist sicher, dass die Verschmutzung mit Mikro- und Nanoplastik ein noch größeres Problem ist als der sichtbare Plastikmüllberg. Gleichzeitig gilt: Je größer der sichtbare Plastikberg, desto mehr Kleinstplastik wird entstehen. Was genau Mikroplastik ist, erkläre ich in Frage vier.

Das wirft eine wichtige Frage auf:

1. Wie beeinflusst Mikroplastik unseren Körper?

Wissenschaftler:innen wissen bereits, dass Mikro- und Nanoplastik ein Problem für uns Menschen sein können. Wie groß dieses allerdings ist, ist noch nicht ganz klar, obwohl sie bereits seit circa 20 Jahren zu diesem Problem forschen. Sie versuchen unter anderem zu verstehen, ob die Plastikteilchen Krebs verursachen können, ins Gehirn gelangen oder unseren Hormonstoffwechsel stören.

Die Erkenntnisse geben schon jetzt Grund zur Sorge. Und zwar aus mehreren Gründen:

  • Mikroplastik ist überall, also kann niemand davor geschützt werden, die winzigen Teilchen einzuatmen oder mit der Nahrung aufzunehmen.
  • In Meeresproben, Schnee, Klärschlamm und Flusssediment werden teils erschreckend hohe Konzentrationen an Mikroplastik gefunden.
  • Auf Plastik bildet sich ein anderer Bakterienfilm, als auf natürlich vorkommenden Oberflächen. In diesem Bakterienfilm hat man auch krankheitserregende Bakterien gefunden, zum Beispiel solche für Durchfallerkrankungen.
  • Kläranlagen können Mikroplastik im Moment noch nicht zu 100 Prozent aus dem Abwasser filtern.
  • Einige Hilfsstoffe, die sich aus dem Plastik herauslösen können, überwinden Zellbarrieren und können Stoffwechselvorgänge stören, zum Beispiel den Hormonstoffwechsel.
  • Es gibt Belege dafür, dass Nanoplastik ins Blut gelangt und damit auch in Zellen und Organen Schaden anrichten kann, zum Beispiel, wenn es sich dort ablagert.
  • Bereits in vielen Körperflüssigkeiten, wie Muttermilch und Speichel, sowie in menschlichen Organen, zum Beispiel in Lunge, Leber, Darm und Nieren, hat man Mikroplastik gefunden.

Offene Fragen, die sich aus der bisherigen Forschung ergeben sind:

  • Ist die hormonelle Wirkung von einigen Hilfsstoffen im Plastik, wie Weichmacher, schlimmer, wenn sie durch Mikroplastik in den Körper gelangen?
  • Kann Nanoplastik auch ins menschliche Gehirn gelangen? Im Gehirn von Mäusen wurde es bereits gefunden.
  • Kann Mikroplastik auch im menschlichen Körper Entzündungsreaktionen auslösen? Bei Muscheln hat man das beobachtet.
  • Verändert Mikroplastik unsere Verdauung? Im menschlichen Darm wurden besonders hohe Konzentrationen gefunden.
  • Kann Mikroplastik in unseren Lungen Krebs oder andere Erkrankungen auslösen?

2. Wie viel Mikroplastik gelangt in unseren Körper?

Schaut man in die größte medizinische Datenbank PubMed, findet man fast 15.000 Studien mit dem Stichwort Mikroplastik. Die allermeisten wurden in den vergangenen fünf Jahren veröffentlicht. Trotzdem sind gesicherte Erkenntnisse darüber rar, was genau Mikro- und Nanoplastik im Körper von Menschen anrichten. Zu unterschiedlich sind die Herkunft, die Materialzusammensetzung, die Größe und die Menge an Partikeln, denen Menschen ausgesetzt sind. Und es ist fast unmöglich zu erforschen, wie Mikroplastik Organfunktionen und Stoffwechselprozesse bei lebenden Menschen in ihrer normalen Umgebung beeinflusst. Wissenschaftler:innen sind deshalb auf Modelle, Laborexperimente und Untersuchungen an Tieren angewiesen. Doch es ist meist nicht klar, wie gut sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen.

Trotzdem lassen sich Gewebeproben von lebenden und verstorbenen Menschen untersuchen. Sie zeigen: Mikroplastik ist in vielen Organsystemen und Körperflüssigkeiten nachweisbar, wie diese Grafik zeigt.

Darstellung von Mikroplastik in menschlichem Körper

Quelle: science.org

Die Effekte von Mikroplastik können ganz unterschiedlich sein, je nachdem, auf welchem Weg Mikroplastik in den Körper gelangt ist. Circa 84 Prozent der in der Außenluft gefundenen Mikroplastik-Partikel stammen vom Reifenabrieb aus dem Straßenverkehr.

Mikroplastik, das wir übers Essen und Trinken zu uns nehmen, kommt aus unterschiedlichen Quellen. Man schätzt, dass Europäer:innen circa 11.000 Teilchen pro Jahr allein durch den Verzehr von Meeresfrüchten aufnehmen. Insgesamt gelangen durch die Nahrung zwischen 39.000 und 52.000 Plastikpartikel in den Körper. Es stammt aus dem Trinkwasser, von Pflanzen, die auf Äckern wachsen, die mit plastikhaltigem Klärschlamm gedüngt oder mit speziellen Folien zum Schutz vor Schädlingen abgedeckt wurden oder die das Plastik aus der Luft aufgenommen haben. Aber auch Plastikverpackung kann Mikroplastik an Lebensmittel abgeben. Wissenschaftler:innen schätzen, dass jemand, der vier- bis siebenmal pro Woche eine fertig zubereitete Take-away-Mahlzeit isst, dadurch zwölf bis 203 Plastikteilchen aufnimmt.

Bereits Babys sind Mikroplastik ausgesetzt. Wenn wir Schnuller und Babyflaschensauger dampfsterilisieren, lösen sich Plastikteilchen. Durch das Füttern mit Fläschchen können innerhalb eines Jahres 660.000 Mikroplastikteilchen in den Körper von Kindern gelangen.

Man schätzt, dass jeder Mensch zwischen 74.000 und 121.000 Plastikpartikel pro Jahr einatmet oder mit der Nahrung zu sich nimmt. Wahrscheinlich zerkleinert der Körper die aufgenommenen Partikel weiter, denn die Größe der im Lungengewebe gefundenen Teilchen ist beispielsweise kleiner als das in der Luft gefundene Plastik.

Mikroplastik

Mikroplastik Chesapeake Bay Program

3. Was macht Mikroplastik im Körper?

Je nachdem, wie es in den Körper gelangt ist, nimmt es einen anderen Weg. Denn klar ist: Wir nehmen zwar jede Menge Mikroplastik auf, aber wir scheiden es auch wieder aus. Teilchen, die wir einatmen, können wir auch wieder ausatmen oder aushusten. Teilchen, die wir essen, können mit unverdaulichen Bestandteilen der Nahrung durch den Magen-Darm-Trakt wandern und mit dem Stuhl den Körper wieder verlassen. Falls sie wie verdauliche Bestandteile ins Blut gelangen, können die Nieren sie wieder herausfiltern, sie landen dann über Urin und Kot in der Toilette. So werden wir auch Partikel wieder los, die mittels Kosmetika über die Haut ins Blut gekommen sind.

Ob das passiert, entscheidet auch die Größe der Teilchen. Sind sie größer als einen Millimeter, kann der Darm sie höchstwahrscheinlich wieder ausscheiden. Laut der europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) schaffen es wohl nur Teilchen, die kleiner sind als 150 Mikrometer (entspricht einem Tausendstel eines Millimeters), die Darmbarriere zu überwinden. Ins Blut gelangen nur Teilchen, die kleiner als 1,5 Mikrometer sind. Studien zeigen, dass vergleichsweise wenige Partikel über den Darm ins Blut gelangen.

Aber nicht alle Teile verlassen den Körper wieder. Das zeigt die Tatsache, dass Plastikteilchen in Haaren, der Leber und als Ablagerungen in Blutgefäßen zu finden sind. Besonders letztere bereiten Mediziner:innen Sorgen. Denn sie können das Risiko für schwerwiegende Krankheiten erhöhen. Ähnlich wie Ablagerungen, die durch zu viel Cholesterin entstehen, können sie den Blutfluss durch Körper, Herz und Hirn stören und sogar zum Stillstand bringen, wenn das Gefäß verstopft. Mögliche Folgen: Thrombosen (Gefäßverschlüsse vor Ort) und Embolien (Gefäßverschlüsse in dahinterliegenden kleineren Gefäßen). Das erhöht möglicherweise das Risiko für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Lungenembolien, je mehr Plastikpartikel zusammenklumpen. Wie sehr das Risiko dadurch steigt, ist noch unklar, aber mit Mikroplastik versetzte Ablagerungen wurden in Verstorbenen bereits gefunden.

Mikroplastik kann sich auch in Gewebe ablagern, das für die Fortpflanzung wichtig ist. Bei Untersuchungen an 23 menschlichen Hoden und 47 Hoden von Hunden fanden Forscher:innen der Universität von New Mexico (USA) kürzlich in jeder einzelnen Probe Mikroplastik. Möglicherweise tragen Plastikteilchen dazu bei, dass Männer weniger Spermien produzieren, wie in den letzten Jahrzehnten beobachtet wurde. Kinder nehmen schon im Mutterleib Mikroplastik auf, denn Forscher:innen fanden es auch in der Plazenta, im Fruchtwasser und im ersten Stuhlgang von Neugeborenen. Zu allem Überfluss ist Mikroplastik auch in der Muttermilch nachweisbar.

Plastikteilchen gelten als unreaktiv, das heißt, sie setzen selbst nur wenige biochemische Reaktionen in Gang. Man kann aber noch nicht abschätzen, welchen Effekt die Plastikart, die Partikelgröße und die Partikelkonzentration auf körperliche Prozesse hat und auf welche Weise genau Mikroplastik im Einzelnen schadet. Klar ist: Bei Tieren lässt sich nachweisen, dass Mikroplastik den Stoffwechsel, das Immunsystem, die Fortpflanzung, die Entwicklung der Nachkommen und das Nervensystem stört.

Bei Laborversuchen mit sogenannten Organoiden (siehe Anmerkung) kam heraus, dass Kleinplastik möglicherweise das Atemwegsystem, die Leberfunktionen, das Verdauungssystem und das Gehirn beeinträchtigen. Und in Versuchen mit menschlichem Gewebe stellten die Forscher:innen fest, dass Plastikteilchen, die in Zellen eindringen, das Ablesen von genetischen Informationen stören. Außerdem steigt durch die in Zellen eindringenden Plastikpartikel der oxidative Stress, das heißt, es kommt zu einer Stoffwechsellage, in der mehr Sauerstoffformen entstehen, die aggressiv mit anderen Molekülen reagieren und sie auf diese Weise schädigen. Die betroffenen Zellen können ihre Arbeit schlechter machen und gehen schneller zugrunde.

Menschen, die in Fabriken arbeiten, die Plastik herstellen oder Textilien mit plastikhaltigen Fasern beflocken, leiden häufiger unter chronischen Atemwegserkrankungen. Und wer bereits eine chronische Krankheit hat, wie zum Beispiel bestimmte Darm- oder Lebererkrankungen, ist anfälliger für Ablagerungen von Plastikteilchen in diesen Organen. Ob Mikroplastik chronische Krankheiten nachweislich verschlechtert oder das Risiko für chronische Erkrankungen erhöht, ist noch nicht erforscht.

4. Was genau ist Mikroplastik eigentlich?

Mikroplastik ist Kunststoff, der kleiner als fünf Millimeter ist und größer als ein Mikrometer. Sind die Plastikpartikel noch kleiner, nennt man sie Nanoplastik. Beides entsteht zum einen dann, wenn größere Plastikstücke im Laufe der Zeit unter dem Einfluss von Wind, Wasser, Temperatur und UV-Strahlen in kleinere Stücke zerbröseln und zerfallen (sekundäres Mikroplastik). Andererseits wird es aber auch direkt produziert, als Reib- und Füllkörper in Kosmetikprodukten wie zum Beispiel in Peelings und Duschgels, als Strahlmittel für Hochdruckreiniger, als Lasertintenpulver für den 3-D-Druck oder als Kunststoffpellets, die gebraucht werden, um daraus Plastikprodukte herzustellen. Mikroplastik entsteht auch, wenn wir Plastikgegenstände benutzen, zum Beispiel als Abrieb von Autoreifen, als Mikrofasern beim Waschen von Kleidung aus Kunststoffgarnen (wie Acryl und Polyester) oder wenn Farbe verwittert. Wenn wir Plastiktüten im Wald liegenlassen oder nach einem Festival Tausende Plastikbecher auf der Wiese liegenbleiben, kann daraus ebenfalls Mikroplastik werden. Das ist unser Beitrag zur Misere. Für Mikroplastik in der Umwelt sind aber vor allem die Hersteller verantwortlich.

Wie dieses Kleinstplastik aussieht, kannst du auf dieser Flickr-Seite des Chesapeake Bay Programs sehen. Das ist ein Wasserschutzprogramm für eine Bucht, die in der Nähe von Washington D.C. liegt. Einige Bilder aus dem Album durfte KR für diesen Artikel verwenden.

5. Warum ist nicht alles Plastik gleich schlimm?

Die unterschiedlichen Makroplastikarten haben jeweils andere Eigenschaften, auch beim Verwittern. Zwar ist zu erwarten, dass sich Polyethylen aus Plastikflaschen anders verhält als Polyester aus Fleece-Pullovern oder Polyamid aus Nylonstrümpfen, jedoch ist derzeit unklar, welche konkreten Folgen diese Unterschiede haben werden. Wichtig sind die sogenannten Additive, also Hilfsstoffe, die dem Plastik bestimmte Eigenschaften verleihen, es zum Beispiel weicher machen oder schwerer entflammbar. Recht bekannt ist Bisphenol A, ein Weichmacher, der in Zusammenhang mit Unfruchtbarkeit bei Männern und Brustkrebs bei Frauen gebracht wird. Und viele Flammschutzmittel setzen Dioxine frei, die krebserregend sind. Flammschutzmittel können sich auf der Oberfläche von Mikroplastik anreichern.

Im Moment versuchen Forscher:innen, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wo die kleinen Plastikteile überall vorkommen, in welchen Mengen und aus welcher Kunststoffart sie bestehen. Das ist nicht so leicht, denn Mikroplastik sieht ein bisschen aus wie Sandkörner, wenn es größer ist, oder wie Staubkörner, wenn es kleiner ist. Kleines Mikroplastik und Nanoplastik sind mit dem bloßen Auge gar nicht auszumachen. Mit einem einfachen Mikroskop zu schauen, reicht auch nicht aus. Man verwendet deshalb unterschiedliche, zum Teil aufwändige Verfahren dafür. Seit Kurzem gibt es eine Datenbank, mit der die Wissenschaft Daten und Infos zur Meeres-Mikroplastik sammelt.

6. Wie gelangt Plastik auf Äcker, in den Kompost, in Meeresfrüchte?

Die Forschung untersucht gezielt, wie Flüsse und Meere verschmutzt werden. Dabei haben Wissenschaftler:innen kleine Plastikpartikel nicht nur im Wasser gefunden, sondern auch in Flussbetten, im Meereis und in den dort lebenden Tieren. Mikroplastik gelangt auch in den Wasserkreislauf: Es verdunstet, wird vom Wind in die Atmosphäre getragen und kehrt mit dem Regen wieder auf die Erde zurück. Darauf weisen Funde in Schneeproben hin, die Forscher des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) genommen haben, zum Beispiel in Bayern und Bremen. Die Biologin Melanie Bergmann vom AWI sagt: „In den Schneeproben haben wir hohe Mengen an Mikroplastik gefunden. Wir wissen, dass es in der Luft über weite Strecken transportiert wird. Denn auch im Schnee der Arktis lässt es sich nachweisen.“

Mehr Mikroplastik sammelt sich vermutlich im Boden an. Moderne Kläranlagen filtern bis zu 95 Prozent der Plastikpartikel heraus. Trotzdem gelangt Mikroplastik durch Klärschlamm oder Kompost in die Erde, wenn Landwirte es auf Feldern und Beeten verteilen. Mikroplastik gelangt in Komposterde, wenn wir unseren Kompostmüll nicht frei von Plastik halten oder durch kompostierbare Plastiktüten, die man in die Müllbehälter einlegt. Diese Tüten sind nämlich nur unter ganz bestimmten Bedingungen kompostierbar. Die Temperatur in der Kompostanlage muss mindestens zwischen 60 und 70 Grad gehalten werden. Das ist schwierig. Zudem werden diese kompostierbaren Tüten auch zumindest teilweise aus Erdöl hergestellt. Wie umweltfreundlich kompostierbares Plastik wirklich ist, lässt sich gar nicht so leicht herausfinden, weil die Hersteller ihre Rezepturen nicht gerne verraten: Betriebsgeheimnis.

Mikroplastik

Mikroplastik Chesapeake Bay Program

Nanoplastik dringt auch in Pflanzenzellen ein. Es wurde in Algen, Gemüse, Gewürzen, Getreide sowie in tierischen Produkten wie Käse und Fleisch entdeckt. Auch in Brot, Nudeln und Kartoffelbrei lässt es sich nachweisen. Sicher ist, dass wir Mikroplastik dauernd zu uns nehmen.

7. Warum wird Mikroplastik nicht einfach verboten?

Das Mikroplastikproblem ist stark mit menschlichem Verhalten verknüpft. Das bedeutet jedoch nicht, dass nur die Verbraucher:innen umdenken müssen. Das Plastikproblem ist jedoch eng mit dem Lebensstil in Industrienationen verwoben. Um diesen Lebensstil vom Plastikproblem zu befreien, muss sich grundlegend etwas ändern.

Auch KR-Leserin Aline macht sich Sorgen über Mikroplastik. Sie wollte von uns wissen: „Die EU macht sich Gedanken über Plastik. Gut. Aber warum gibt es kein Verbot von Mikroplastik?“ Die Antwort heißt leider: Man kann es nicht einfach verbieten. Denn es entsteht ja dadurch, dass wir Plastik benutzen. Viele Alltagsgegenstände bestehen aus Kunststoff. Hersteller müssten für diese Produkte Alternativen entwickeln, die oft neue Probleme mit sich bringen: Sie belasten die Umwelt auf andere Weise oder fördern Massentierhaltung und Monokulturen.

Hersteller produzieren viel Plastik für den Einmalgebrauch. Und da sieht Ilka Peeken, Meeresbiologin beim AWI, das größte Potenzial für Veränderungen. „Oft wird ja gesagt, dass wir Lebensmittel in Plastik verpacken sollten, weil das hygienischer ist. Erstens muss man da fragen: Warum muss man dafür einen so langlebigen Stoff wie Plastik benutzen? Es dauert ja zum Teil Jahrhunderte, bis die Verpackung verrottet ist, die ich nur ein einziges Mal benutzt habe. Das ergibt doch keinen Sinn. Und zweitens leuchtet mir der Hygieneaspekt auch nicht immer ein. Warum soll es unhygienisch sein, wenn ich den Kaffee beim Bäcker in eine mitgebrachte Tasse füllen lasse?“ Ilka Peeken hält die Macht der Verbraucher:innen für unterschätzt. Julia Schnetzer vom Konsortium Deutsche Meeresforschung meint jedoch, dass man Verbraucher:innen schnell überfordert. Sie findet, dass bessere Gesetze nötig sind. Dennoch hält auch sie Aufklärung für wichtig. Sie leitete eine Wanderausstellung über Meeresmüll, das Ocean Plastics Lab, die weltweit große Beachtung fand.

Mikroplastik

Mikroplastik Chesapeake Bay Program

Immerhin einen Teil des Mikroplastiks kann man doch regulieren: Zugesetzte Plastikteilchen, zum Beispiel in Kosmetikprodukten, sind in 14 Ländern und allen Ländern des europäischen Wirtschaftsraums verboten. 2023 wurde die Gesetzgebung in der EU so geändert, dass in keinem Produkt mehr kleine Plastikteile enthalten sein dürfen. Diese Regel gehört zur EU-Plastikstrategie, nach der die Mitgliedsstaaten Verpackungsabfälle um fünf Prozent im Vergleich zu 2018 reduzieren müssen und bis 2040 um 15 Prozent. Außerdem arbeitet das Umweltprogramm der Vereinten Nationen gerade daran, ein weltweites Plastikabkommen zu verabschieden. 175 Länder wollen es unterschreiben. Diese Regelgung würde die Hersteller dazu verpflichten,das Design ihrer Produkte so anzupassen, dass weniger Plastik gebraucht wird. Außerdem sollen sie Recyclingkonzepte entwickeln. Regierungen sollen sich verpflichten, Gesetze zu erlassen, die Plastikmüll reduzieren und verhindern, dass Plastik in Massen die Umwelt verschmutzt. Wie das aussehen kann, macht die EU bereits mit dem (ungeliebten) Verbot von Plastikstrohhalmen, Glitzer und frei abdrehbaren Plastikdeckeln auf Getränkeflaschen vor. Restaurants sollen Take-away-Gerichte nur noch in wiederverwendbaren Behältern ausgeben, aber das klappt nicht besonders gut. Außerdem sollen 90 Prozent der Einwegplastikflaschen in der EU ab 2025 recycelt werden und in Deutschland soll eine Plastiksteuer erhoben werden. Sie fällt auf Plastik an, das nicht recycelt werden kann und soll helfen, den europäischen Green Deal zu finanzieren, also die Umstellung der Wirtschaft auf Klimaneutralität.

Die G7-Staaten haben einen Aktionsplan zur Reduzierung von Müll im Meer erarbeitet. Und es gibt eine Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie, in der eine ganze Reihe von Ideen zusammengefasst werden. Viele beruhen aber auf freiwilligen Vereinbarungen mit der Industrie oder die Ziele sind sehr vage formuliert.

Wichtig ist, dass das Bewusstsein darüber wächst, wie schädlich Plastikmüll eigentlich ist. Besonders deutlich wird das, wenn man sich anschaut, wie sehr Meerestiere leiden. Ein Schweinswal in der Nordsee hatte viele Nespresso-Kapseln im Magen, alle Meeresschildkröten haben Plastikteile im Magen, viele Wale und Delphine verletzen oder strangulieren sich an Resten von Fischernetzen, die im Meer treiben. Meeresvögel verhungern oft, weil sie mehr Plastik als Nahrung zu sich nehmen.


Vielen Dank an Aline für die Anregung zu diesem Artikel. Weitere KR-Leserinnen und -Leser haben mir mit ihren Fragen wichtige Rechercheimpulse gegeben: Anna, Holger, Rico, Kathrin, Dorothea, Janina, Daniela, Laura, Florian, Wolfgang, Ilko, Claudia, Katrin, Frauke, Marvin und Nicole. Auch euch ein herzliches Dankeschön! Leider gibt es nicht auf alle eure Fragen schon Antworten.

Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Grafik: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger; Bilder: Flickr-Album des Chesapeake Bay Program

Wie gefährlich ist Mikroplastik? Was wir wissen und was nicht

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