Sind plastikfressende Bakterien wirklich die Lösung für unser Müllproblem?

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Klimakrise und Lösungen

Sind plastikfressende Bakterien wirklich die Lösung für unser Müllproblem?

Es war eine kleine Sensationsnachricht: Wissenschaftler haben plastikfressende Bakterien dazu gebracht, deutlich schneller zu arbeiten. Können wir so die Umwelt wirklich vom Kunststoff befreien? Die Sache hat einen entscheidenden Haken, schreibt die Biochemikerin Emily Flashman von der Universität Oxford.

Profilbild von von Emily Flashman, Universität Oxford

Die Plastikflaschen, die wir heute wegwerfen, wird es noch in Hunderten von Jahren geben. Sie sind einer der Hauptgründe dafür, warum die zunehmende Verschmutzung unseres Planeten durch Plastik inzwischen tödliche Auswirkungen auf das Meeresleben hat.

Kürzlich haben aber Wissenschaftler einen Bakterienstamm entdeckt, der den Kunststoff, aus dem die Flaschen hergestellt werden, buchstäblich fressen kann. Sie haben diese Bakterien nun verbessert, damit sie schneller arbeiten. Zugegeben, noch sind die Auswirkungen bescheiden – es ist keine allumfassende Lösung gegen Kunststoffmüll –, aber es zeigt, wie Bakterien zu einem umweltfreundlicheren Recycling beitragen können.

Was genau passiert, wenn Bakterien „Plastik fressen“? Kunststoffe sind komplexe Polymere, also lange, sich wiederholende Molekülketten, die sich nicht in Wasser auflösen. Die Festigkeit dieser Ketten macht Kunststoff sehr haltbar. Aber sie ist auch schuld daran, dass es sehr lange dauert, bis Plastik sich auf natürliche Weise zersetzt. Wenn diese Ketten in ihre kleineren, löslichen chemischen Bestandteile zerlegt würden, könnten diese Bausteine gesammelt und in einem geschlossenen Kreislauf zu neuen Kunststoffen recycelt werden.

Bakterien entwickelten einen speziellen PET-Knacker

Im Jahr 2016 testeten Wissenschaftler aus Japan verschiedene Bakterien aus einer Recyclinganlage für Flaschen. Sie fanden heraus, dass „Ideonella sakaiensis 201-F6“ den für die Herstellung von Einweggetränkeflaschen verwendeten Kunststoff Polyethylenterephthalat (PET) verdauen kann.

Das funktioniert so: Das Bakterium scheidet ein Enzym aus (eine Art von Protein, das chemische Reaktionen beschleunigen kann), bekannt als PETase. Dadurch werden bestimmte chemische Bindungen im PET gespalten, so dass kleinere Moleküle zurückbleiben. Diese können die Bakterien aufnehmen, sie nutzen dabei den darin enthaltenen Kohlenstoff als Nahrungsquelle.

Schon zuvor waren andere bakterielle Enzyme dafür bekannt, PET langsam zu verdauen. Das Besondere an dem neuen Enzym ist, dass die Bakterien es offenbar speziell für diese Aufgabe entwickelt haben. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass es schneller und effizienter arbeiten könnte und somit Potenzial für den Einsatz im Bio-Recycling hat. Aus diesem Grund haben mehrere Teams versucht, die Funktionsweise von PETase genau zu verstehen, indem sie ihre Struktur untersucht haben.

Ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass der Teil des PETase-Proteins, der den chemischen Aufschluss durchführt, physikalisch auf die Bindung an PET-Oberflächen zugeschnitten ist, bei 30 Grad Celsius arbeitet und somit für das Recycling in Bioreaktoren – also in Behältern mit optimalen Bedingungen – geeignet ist. Zwei Teams fanden außerdem heraus: Ändert man die chemischen Eigenschaften des Enzyms geringfügig, interagiert es anders mit PET und arbeitet schneller als die natürliche
PETase.

Die Forscher überholten die Evolution

Aber: Die Verwendung von Enzymen aus Bakterien in Bioreaktoren, um Kunststoff abzubauen und zu recyceln, ist immer noch einfacher gesagt als getan. Die physikalischen Eigenschaften von Kunststoffen machen es den Enzymen sehr schwer, mit Plastik zu interagieren.

Das in Getränkeflaschen verwendete PET hat eine teilkristalline Struktur, das bedeutet, die Kunststoffmoleküle sind dicht gepackt und für das Enzym schwer zugänglich. Die neueste Studie zeigt, dass das weiterentwickelte Enzym wahrscheinlich deshalb gut funktioniert hat, weil der Teil des Moleküls, der an der Reaktion beteiligt ist, sehr gut zugänglich ist. Das macht es dem Enzym leicht, selbst verborgene PET-Moleküle anzugreifen.

Die Verbesserung der PETase-Aktivität war nicht drastisch. Wir sind also von der Lösung unseres Kunststoffmüllproblems noch weit entfernt. Aber die Forschungsergebnisse helfen uns zu verstehen, wie dieses vielversprechende Enzym PET aufspaltet und wie wir es durch Veränderung seiner aktiven Teile schneller arbeiten lassen können.

Dabei ist es eigentlich ziemlich ungewöhnlich, dass Forscher Enzyme so verändern können, dass sie besser funktionieren, als die Natur das vorgesehen hat. Vielleicht können die Wissenschaftler das in diesem Fall, weil die Bakterien, die PETase verwenden, erst vor kurzem die Fähigkeit entwickelt haben, auf diesem Kunststoff zu überleben. Das bietet den Wissenschaftlern die aufregende Möglichkeit, die Evolution durch die Entwicklung optimierter Formen der PETase zu überholen.

Was macht das Bakterium in freier Wildbahn?

Die Geschichte hat aber auch eine beunruhigende Seite: Gehen wir davon aus, dass alle veränderten Bakterien, die in Bioreaktoren verwendet werden, wahrscheinlich streng überwacht werden. Aber die Tatsache, dass sie sich so entwickeln konnten, dass sie Kunststoff abbauen und „fressen“, deutet auf eines hin: Dieses Material, auf das wir uns so oft verlassen, ist möglicherweise nicht so dauerhaft, wie wir dachten.

Wenn mehr Bakterien in freier Wildbahn Plastik fressen, könnten Produkte und Strukturen, die über viele Jahre halten sollten, in Gefahr geraten. Die Kunststoffindustrie steht also vor der großen Herausforderung, die Verunreinigung ihrer Produkte mit hungrigen Mikroorganismen zu verhindern.


Emily Flashman hat ein Forschungsstipendium für Enzymologie an der Universität Oxford. Ihren Artikel veröffentlichte in Englisch The Conversation. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen. Übersetzt hat Vera Fröhlich, gegengelesen Rico Grimm. Vera Fröhlich hat auch das Aufmacherbild ausgesucht (iStock / DutchScenery).

Emily Flashman

Emily Flashman

The Conversation