Die Kamera schwenkt über das azurblaue Meer, verliebte Paare kommen ins Bild, Weichzeichner, Lensflare und natürlich romantische Klaviermusik - vor und nach der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes dauerbeschallt die ARD ihre Zuschauer mit Werbungen für Kreuzfahrten. Ich kenne niemanden, der eine Reise auf einem schwimmenden Hotel bucht. Aber das Geschäft boomt - genauso wie die restliche Schifffahrt. Im Vergleich zu 1997 hat sich die Kapazität der Schifffahrt mehr als verdoppelt. Heute kreuzen über 90.000 Schiffe über die Weltmeere und transportieren mehr als 100 Millionen Container.
„Mich interessiert das ganze Thema Schadstoffausstoß von Schiffen”, schreibt mir Julia Podeschwa in der Krautreporter-Facebookgruppe und ist damit nicht allein. Viele andere Leser haben sich dieses Thema immer wieder gewünscht. Wahrscheinlich auch, weil Horror-Schlagzeilen die Runde machen: Die 15 größten Schiffe der Welt würden pro Jahr so viele Schadstoffe ausstoßen wie 750 Millionen Autos, schreibt etwa der „Schweizer Rundfunk” oder die Zeitung „Welt”.
Aber stimmt das überhaupt?
Ich wühle mich durch Berichte von NGOs, lese Studien der EU-Kommission und der UN-Schifffahrtsorganisation IMO und studiere Einschätzungen des Umweltbundesamtes. Hier sind meine acht Erkenntnisse, wie dreckig es auf See zugeht:
1. Ohne Schifffahrt sind die Klimaziele unerreichbar
Schon heute transportieren Schiffe 90 Prozent des Welthandels - Tendenz steigend. Die gute Nachricht: Seehandel ist besonders klimafreundlich. Würden wir unsere Flachbildfernseher aus China mit dem Lastwagen transportieren lassen, wäre das eine Klimakatastrophe: Eine verschiffte Tonne stößt nur rund 15 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer aus - der Lastwagen würde dafür 238 Gramm CO2 emittieren.
Doch obwohl die klimarelevanten Emissionswerte auf dem Papier niedrig aussehen, könnten Schiffe - und da vor allem der Seehandel - weitaus sauberer über die Weltmeere fahren. Und das werden sie auch müssen, wenn die bei der Pariser Klimakonferenz beschlossenen Emissionsziele nicht nur heiße Luft sind. Die weltweite Meeresflotte stößt jährlich ungefähr so viel Treibhausgase aus wie ganz Deutschland. Abhängig vom Wirtschaftswachstum könnten sich die Emissionen der Schifffahrt laut der UN-Schifffahrtsorganisation IMO bis 2050 verfünffachen und damit für rund 17 Prozent aller klimarelevanten Abgase verantwortlich sein.
Auch wenn Kreuzfahrtschiffe für ihre schlechte Klimabilanz in letzter Zeit viel negative Presse bekamen, tragen sie nur einen kleinen Teil zur Misere bei. Containerschiffe, Schüttgutfrachter und Öltanker sind vierzehnmal schmutziger als die gesamte Kreuzfahrtbranche zusammen.
Der Schlüssel zur klimafreundlichen Verkehrswende auf See liegt in effizienteren Motoren und Filtern. Noch hat die Branche wenig unternommen. 2018 will die IMO endlich einen Plan vorlegen, wie die Klimaziele erreicht werden sollen. Eine simple, aber sehr effiziente Maßnahme schlägt die Umweltschutzorganisation ICCT vor: langsamer fahren. So verbrennt der Schiffsmotor weniger Treibstoff und stößt damit auch weniger Dreck aus. Zumindest kurzfristig könnte sich so die Situation verbessern.
Mittelfristig braucht es aber auch in der Schifffahrt grünere Antriebe: Mit Wasserstoff-Brennstoffzellen, Strom aus der Batterie und Hybridantrieben gibt es vielversprechende Entwicklungen, die auch schon im Einsatz sind.
2. Schiffsabgase sind für 50.000 vorzeitige Todesfälle in Europa verantwortlich
Betrachtet man also nur die klimarelevanten Treibhausgase, dann ist die Schifffahrt, trotz aller Probleme, eine relativ saubere Lösung. Ganz anders sieht es aus, wenn man sich die übrigen Emissionen anschaut, die auf hoher See anfallen. Zum Beispiel stoßen Schiffe besonders viele umweltschädliche Abgase wie Schwefeldioxid, Stickoxid und Feinstaub aus. Der verwendete Treibstoff (Schweröl) und die fehlende gesetzliche Regulierung erlauben es der Schiffsbranche, die Umwelt weit mehr zu belasten, als das nötig wäre.
Zwei Drittel der Emissionen fallen innerhalb von 400 Kilometern Entfernung zur Küste an und sind damit auch unmittelbar für Menschen gefährlich. Laut Center for Energy, Environment and Health verursachen Schiffsemissionen rund 50.000 vorzeitige Todesfälle allein in Europa. Denn die Abgase greifen die Atemwege an und verursachen Lungenkrankheiten wie Asthma, Bronchitis, Lungenkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Anders als der Transport an Land ist die Seeschifffahrt, die in der Regel in internationalen Gewässern stattfindet, kaum reguliert. Während Diesel-Autos Fahrverbote drohen (wie ich hier bereits beschrieben habe), dürfen Schiffe weitgehend unreguliert Stickoxide ausstoßen - selbst in stadtnahen Häfen. So verursachen Schiffe in Hamburg 39 Prozent der Stickoxid-Emissionen - Tendenz steigend. Lediglich an der nordamerikanischen Küste gibt es - zugegeben sehr laxe - Einschränkungen: Nur neu gebaute Schiffe müssen sich an strengere Abgasvorschriften halten.
3. Warum die Schlagzeile „Die 15 größten Schiffe der Welt stoßen pro Jahr so viele Schadstoffe aus wie 750 Millionen Autos” falsch ist
„Die 15 größten Schiffe der Welt stoßen pro Jahr so viele Schadstoffe aus
wie 750 Millionen Autos”, „Drecksschleudern”, „Das schmutzigste Gewerbe der Welt” – zahlreiche renommierte Medien berufen sich mit alarmierenden Meldungen auf den Naturschutzbund Deutschland (NABU). Das Problem: Der Vergleich stimmt so nicht - und auch der NABU verwendet ihn nicht in dieser Form.
“Die Zahl ist absolut richtig, wenn es um Schwefeloxide geht”, erklärt mir Sönke Diesener, Referent für Verkehrspolitik beim NABU. Man dürfe das aber nicht gleichsetzen mit anderen Umweltschadstoffen oder Treibhausgasen.
Doch selbst der Vergleich mit Schwefeloxiden bringt zwar eine gute Schlagzeile, ergibt aber wenig Sinn. Seit 2008 verkaufen in der EU, den USA und Japan Tankstellen nur noch schwefelfreien Treibstoff. Auch in China und Indien läuft die Umstellung. So wie das Blei in den 1980ern aus den Autoabgasen verschwand, werden auch Schwefeldioxid-Emissionen im Straßenverkehr schon sehr bald gar keine Rolle mehr spielen. In Deutschland sind Schwefeldioxid-Emissionen seit 1990 um mehr als 90 Prozent gesunken. Den “Sauren Regen” gibt es deshalb bei uns so gut wie gar nicht mehr. Man kann also sagen: Das Problem der Schwefeldioxid-Emissionen im Straßenverkehr ist gelöst.
Während die Reduktion von Schwefeldioxid-Emissionen auf dem Land eine große Erfolgsgeschichte ist, geht das auf den Meeren aber viel zu schleppend voran. Denn die Grenzwerte für den Schwefelgehalt sind bei Schiffstreibstoff rund 3.500-mal höher als auf der Straße. Und an der Stelle kommt der immer noch am häufigsten auf Schiffen eingesetzte Brennstoff ins Spiel: Schweröl.
4. Dieselschiffe würden deinen Laptop um 5 Cent teurer machen
Schweröl ist billig, weil es als Restprodukt in den Raffinerien anfällt. Schweröl ist unfassbar dreckig. Und weil es zur See, ganz anders als an Land oder in der Luft, kaum Abgasbeschränkungen gibt, wird es vor allem auf Schiffen eingesetzt. Rund 300 Millionen Tonnen Schweröl verbrennen die Schiffe jedes Jahr.
Treibstoffkosten machen rund 26 Prozent der Frachtkosten aus. Der NABU rechnet vor, dass die Transportkosten um gerade einmal zwölf Prozent höher wären, würden Schiffe mit herkömmlichem Diesel fahren. Umgerechnet auf ein einzelnes Produkt bedeutet das minimal höhere Kosten, würde aber den Schwefeldioxidausstoß massiv reduzieren. Der Transport mit einem Dieselschiff würde beispielsweise einen Laptop um gerade einmal fünf Cent teurer machen. Bei einem 100 Millionen Euro teuren Containerschiff sollte es eigentlich auch nicht ins Gewicht fallen, für rund eine Million Euro einen Stickoxid-Katalysator sowie einen Partikelfilter einzubauen.
5. Schwefel-Emissionen sinken endlich
Das billige Schweröl, das Schiffe in der Regel nutzen, enthält sehr hohe Schwefelmengen. Erlaubt sind bei Schiffsmotoren bis zu 3,5 Prozent Schwefelgehalt - das sind, wie oben bereits erwähnt, 3500-mal mehr, als der im Straßenverkehr zugelassene Schwefelgehalt.
Besser ist schon jetzt die Situation in europäischen Häfen, an der Nord- und Ostsee sowie an der US-Küste. Hier müssen saubere Treibstoffe verbrannt oder die Abgase gereinigt werden. Zufrieden stellend ist diese Abgasreinigung mit sogenanntem Scrubber aber noch nicht, da das mit Schwermetallen angereicherte Schmutzwasser oft direkt ins Meer geleitet wird. Das Umweltbundesamt warnt dementsprechend: Die belasteten Abwasser bedeuten einen zusätzlichen Stressfaktor für die mäßig bis schlechte Meerwasserqualität in Deutschland.
Ab 2020 ist aber eine globale Verbesserung in Sicht: Der Schwefelgehalt im Schweröl sinkt dann um den Faktor sieben auf 0,5 Prozent. Das hat die IMO festgesetzt.
6. “Kreuzfahrtschiffe haben besondere Verantwortung”
Nach außen zeigen sich Kreuzfahrtschiffe strahlend weiß, in der Werbung scheint stets die Sonne und das Schiff fährt durch saubere Ozeane: Über zwei Millionen Deutsche machten 2016 eine solche Seereise. Aber auch die weißen Cruise-Schiffe fahren mit billigem und schmutzigem Schweröl. Katalysatoren, Partikelfilter oder verpflichtende Abgasuntersuchungen wie bei Autos oder Lastwagen gibt es in der Schifffahrt bisher nicht. “Die Kreuzfahrtbranche hat jedoch eine besondere Verantwortung. […] Sauberes Wasser, weiße Eis- und Schneeflächen in der Arktis oder auch reine Luft in norwegischen Fjorden – all das verbindet der Urlauber mit einer Kreuzfahrt. Derzeit hat aber gerade die stark wachsende Anzahl an “Traumschiffen” großen Anteil daran, dass genau diese Naturschätze in Gefahr sind,” kritisiert der NABU die Branche.
7. Flüssig-Erdgas ist auch keine Lösung
Ein alternativer, relativer sauberer Treibstoff ist Flüssigerdgas (auch „Liquefied Natural Gas” oder LNG genannt). Stiegen Schiffe darauf um, ließe sich damit der Ausstoß von Schwefeldioxid, Feinstaub, Stickoxiden und Kohlendioxid stark reduzieren. Der Nachteil ist aber gravierend: Damit LNG flüssig bleibt, muss es mit viel Energieaufwand auf minus 162 Grad Celsius gekühlt werden. Außerdem entweicht beim Transport und bei der Lagerung von Flüssigerdgas häufig das Gas Methan, das 25-fach klimaschädlicher ist als Kohlendioxid.
Trotzdem nutzen immer mehr Schiffe das relativ günstige und saubere Flüssigerdgas als Treibstoff. Der amerikanische Fracking-Boom und die dadurch sinkenden Erdgaspreise befeuern diese Umstellung. Auch das deutsche Kreuzfahrtunternehmen Aida hat 2017 mit dem Bau des ersten Flüssigerdgas-Kreuzfahrtschiffs begonnen. Aber nachhaltig ist diese Lösung nicht: Der Ausstoß von CO2 sinkt nur um 20 Prozent. Gleichzeitig aber verstärken Flüssiggas-Antriebe die umweltschädlichen Folgen von Fracking und Raffinerien.
8. Verbesserungen kommen - aber zu langsam
Klar, bei Kohlekraftwerken oder Dieselautos liegt Vieles im Argen. Aber immerhin gibt es an Land ein Problembewusstsein und Verbesserungen sind in Sicht. Nicht unbedingt, weil es die Wirtschaft so wollte, sondern weil es Politik und Gesellschaft erzwungen haben.
Genau das fehlt in der Hochseeschifffahrt. Selbst in der Binnenschifffahrt, also, auf Flüssen, Seen und Kanälen, gibt es Fortschritte. Der Berliner Senat will beispielsweise mittels einer Bundesratsinitiative die Umweltzonen aufs Wasser ausweiten und Rußfilter verpflichtend machen.
Aber verpflichtende Regulierungen im internationalen Schiffsverkehr sind ungleich schwieriger und langsamer durchzusetzen. Ein Alleingang Deutschlands oder gar eines Hafens ist nahezu unmöglich, da die Schiffsindustrie dann auf Standorte mit laxeren Regeln ausweichen würde. In vielen Fällen ist eine bindende Regulierung auch nur im Rahmen der UN-Schifffahrtsorganisation IMO möglich, was viele Länder und Schifffahrtsunternehmen verhindern wollen.
Aber meine persönliche Einschätzung am Ende dieser Recherche: Jede dritte Schiffsbewegung beginnt oder endet innerhalb der Europäischen Union. Die größte Wirtschaftszone der Welt kann von der Schifffahrtsindustrie nicht einfach umschifft werden. Wenn es die Europäische Union mit Klimaschutz und Luftreinhaltung wirklich ernst meint, dann kann sie etwas tun. Die aktuellen Regeln zur Reduktion von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Treibhausgasen sind zu lasch.
Redaktion: Sebastian Christ; Produktion: Rico Grimm; Bildredaktion: Martin Gommel. Aufmacherfoto: fancy crave/unsplash