Die kurze Erklärung:
Nein, die Erde ist kein abgeschlossenes, isoliertes System. Sie verliert sogar jedes Jahr an Gewicht; unser Planet tauscht Materie mit seiner Umgebung aus, zumindest zu einem kleinen Teil. Und er wird wärmer. Aber dazu kommen wir später.
Wer es beantwortet:
Adrien Schwane hat Energietechnik an der RWTH Aachen studiert. Anschließend hat er ein Jahr am Institut für Energie- und Klimaforschung des Forschungszentrums Jülich als wissenschaftlicher Mitarbeiter gearbeitet. Danach wurde er Projektleiter für Privatkunden bei wegatech Greenergy im Bereich Gebäudeversorgung mit erneuerbarer Energie.
Die ausführliche Antwort:
Die Erde verliert Masse und gewinnt neue dazu
Die Erde tauscht Materie mit ihrer Umgebung aus. Es kommen nicht nur Meteoriten, also Gesteinsbrocken aus dem Weltall, auf die Erde, sondern es verlassen uns auch manchmal ein paar Astronauten, um zum Beispiel auf den Mond zu fliegen (auch wenn sie bisher alle wieder zurückgekommen sind).
Die Meteoriten und Astronauten machen im Verhältnis zur Gesamtmasse der Erde nur einen geringen Anteil aus. Die Erde gewinnt jährlich etwa 40.000 Tonnen an Masse durch Meteoriten hinzu. Sie verliert aber auch Masse, wobei der größte Effekt durch die flüchtigen Gase Wasserstoff (95.000 Tonnen pro Jahr) und Helium (1.600 Tonnen pro Jahr) zustande kommt. Damit verliert die Erde pro Jahr 50.000 Tonnen Gewicht, was bei einer Masse von 5.972.000.000.000.000.000.000 Tonnen (oder in Kurzform 5,9 x 10^21 Tonnen) aber kaum auffällt.
Worin sich die Erde von einer Thermoskanne unterscheidet
Wissenschaftler unterscheiden zwischen offenen, geschlossenen und abgeschlossenen Systemen. Bei einem offenen System kann sowohl Materie als auch Energie mit der Systemgrenze ausgetauscht werden. In vielen Fällen ist der Stofftransport aber zu vernachlässigen. Man spricht dann von einem geschlossenen System, in dem lediglich Wärme mit der Umgebung ausgetauscht wird.
Ein Materieaustausch und teilweise auch ein Energieaustausch kann dann vernachlässigt werden, wenn er im Vergleich zu anderen Phänomenen sehr klein ist. Abgeschlossene oder isolierte Systeme, beispielsweise Thermoskannen, tauschen weder Energie noch Materie mit der Systemgrenze aus. Streng genommen wäre die Thermoskanne ein offenes System, so wie im Prinzip alle Systeme, die wir uns vorstellen können. Denn wenn kochendes Wasser mehrere Tage in der Kanne stehen gelassen wird, erkaltet es irgendwann auf Zimmertemperatur. Das ist für unsere Anforderung aber weniger wichtig. Denn auch wenn wir die Thermoskanne öffnen (oder eben länger stehenlassen) und einige Wasserdampfmoleküle die Kanne verlassen, haben wir trotzdem genügend heißes Wasser zum Trinken übrig. Und normalerweise wollen wir Wasser in einer Thermoskanne nicht wochenlang stehen lassen, bevor wir es trinken. Deshalb können wir das vernachlässigen und sie als abgeschlossenes System ansehen.
Selbst ein Eisblock strahlt Wärme aus
Mit welchem System haben wir es im Falle der Erde zu tun? Die Sonneneinstrahlung sorgt dafür, dass die Erde kein kalter Gesteinsbrocken ist, sondern ein relativ warmer Planet mit zahlreichen Lebensformen. Da wir an der Grenze zum Weltall auf das Vakuum, das heißt keine nennenswerten Mengen von Material treffen, ist Wärmestrahlung die einzige Möglichkeit für einen Energieaustausch der Erde. Da bei ihr kein materieller Träger benötigt wird, im Gegensatz zur Wärmeleitung (etwa bei Holz oder Metall) und zur Konvektion, also der Übertragung durch Gas- und Flüssigkeitsströmung (beim Fön).
Alle Körper, die eine Temperatur oberhalb des absoluten Nullpunkts von minus 273,15 Grad Celsius haben, strahlen Wärme aus. Der absolute Nullpunkt ist die niedrigstmögliche Grenze der Temperatur, die nicht unterschritten werden kann. Hier stehen physikalisch gesehen alle Atome komplett still. Wir bemerken die Wärmestrahlung eines Eisblocks jedoch nicht, da wir selbst viel mehr Wärme ausstrahlen. Mit einem technischen Gerät wie der Wärmebildkamera lässt sie sich allerdings sichtbar machen.
Da alle Körper eine Wärmestrahlung aussenden (das ist ein Naturgesetz, das sogenannte Stefan-Boltzmann Gesetz), strahlt nicht nur die Sonne Energie an die Erde ab, sondern auch die Erde Energie ans Weltall. Beide Energiemengen müssen sich am Ende ausgleichen, denn die Erde als Ganzes bleibt in ihrer Temperatur nahezu konstant, dazu später mehr. Die Strahlungsleistung der Sonne beträgt 1.367 Watt pro Quadratmeter, wobei nur ein Bruchteil davon auf der Erde ankommt. Nämlich die, die von der Sonne senkrecht auf die Erde fällt. Dieser senkrechte Teil der zur Sonne zugewandten Erdkugelhälfte entspricht einem Kreis mit dem Radius der Erde, wie in der Zeichnung veranschaulicht wird.
Die Energie der Erde geht in die Atmosphäre – ein Teil bleibt aber hier, wie in einem Gewächshaus
Die Temperatur der Erde ergibt sich vereinfacht aus der Differenz zwischen der Energie durch die Sonneneinstrahlung und der Wärmestrahlung der Erde. Will man die Strahlungsenergie der Erde genau ermitteln, muss man eine Energiebilanz um die Erde aufstellen. Aus dieser Energiebilanz erhält man dann die durchschnittliche Temperatur der Erde. (Die Rechnung findet ihr in der Anmerkung.) Demnach beträgt sie theoretisch 5 Grad Celsius. Tatsächlich aber liegt sie bei 15 Grad Celsius.
Dieser Unterschied beruht im Wesentlichen auf dem Treibhauseffekt. Dabei spielt nicht nur das Kohlendioxid eine Rolle, sondern insbesondere der Wasserdampf, der für den natürlichen Treibhauseffekt verantwortlich ist.
https://www.youtube.com/watch?v=q1wP42f5GAc
Und das geht so: Die Erde strahlt entsprechend ihrer Temperatur Wärme ab. Diese trifft auf die Moleküle in der Atmosphäre, also auch auf Wasserdampf und Kohlendioxid. Die Moleküle absorbieren die Strahlung und geben sie in alle Richtungen wieder ab, auch zurück an die Erde. Die Erde nimmt die Energie wieder auf und erwärmt sich, ähnlich wie bei einem Gewächshaus.
Durch den natürlichen Treibhauseffekt hat sich über Jahrtausende ein Gleichgewicht eingestellt zwischen der eingehenden und der ausgehenden Energiemenge, wodurch sich die Durchschnittstemperatur von 15 Grad Celsius herausgebildet hat. Im Gegensatz zu Wasserdampf, welcher seit jeher den natürlichen Treibhauseffekt antreibt, ist der Kohlendioxidanteil in der Atmosphäre bisher gering. Durch den erdgeschichtlich gesehen in extrem kurzer Zeit stark ansteigenden Anteil von Kohlendioxid ist dieses Gleichgewicht gestört. Es verbleibt mehr Energie in Form von Wärme auf der Erde als ins Weltall abgestrahlt wird, was dazu führt, dass die Temperatur der Erde ansteigt, was den Klimawandel und die damit einhergehenden Probleme verursacht.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Erde ist also eigentlich ein offenes System. Weil der Verlust an Materie aber so gering ist, spricht man der Einfachheit halber von einem geschlossenen System, welches lediglich einen Energieaustausch mit seiner Umgebung vornimmt. Infolge des Treibhauseffekts wird die Erde jedoch immer energiereicher.
Esther Göbel hat den Text mit erarbeitet; gegengelesen hat Vera Fröhlich; das Aufmacherbild ausgesucht hat Martin Gommel, Quelle: NASA