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Vor ziemlich genau drei Jahren hat sich in einem ganz bestimmten Moment mein Blick auf Deutschland verändert. Damals veranstaltete ich nach einem Jahr Pandemie-Pause wieder ein Zeltlager für Kinder und Jugendliche.
Ich hatte schon eineinhalb Jahre über das Leben junger Menschen in der Pandemie berichtet, stand auf dem Zeltplatz und ließ meinen Blick schweifen: Ich sah Kinder, die in einem großen Kreis Yoga in der Abendsonne machten, alle folgten den Anweisungen präzise und ruhig. Ein Zelt weiter hörten 20 Kinder gerade einem Jungen zu, der Gitarre spielte und sang. Der Junge trug Hörgeräte und hatte ADHS. Die vielen Menschen überforderten ihn sonst. Mit der Gitarre war er plötzlich selbstbewusst und gehörte dazu. Vor mir tippelten gerade zehn Kids mit Schwimmweste zum Kanufahren. Zwei Jungs erzählten sich aufgeregt, was sie machen würden, wenn sie kenterten.
Damals schrieb ich darüber auf Twitter. Dann auf Instagram, Linkedin und Facebook. Ich schrieb: „All das brauchen Kinder. All das haben wir unseren Kindern eineinhalb Jahre lang genommen.“ Und ich war wütend: „Das mag pathetisch klingen, aber als ich da so stand, war ich ehrlich angewidert davon, was für eine Nebenrolle Kinder und Jugendliche in der Corona-Politik gespielt haben.“
Allein auf Twitter haben mehr als 15.000 Menschen meinen Beitrag geliked. Auf den anderen Plattformen kamen Zehntausende hinzu. Scheinbar traf ich ein Gefühl, das viele hatten: Unser Umgang mit Kindern und Jugendlichen muss sich verändern.
Mit ein paar Monaten Verzögerung haben auch die Politiker:innen gemerkt, wie weit verbreitet dieses Gefühl ist. Sie versprachen Änderungen. Und eine bessere politische Wahrnehmung der jungen Generation. Passiert ist seitdem: kaum etwas. Wie enttäuscht junge Menschen davon sind, zeigt Studie um Studie.
Und sie haben allen Grund dazu. Das versteht man nochmal besser, wenn man sich ein neues Diskussionspapier des Bundesjugendkuratoriums (BJK) ansieht. Das BJK ist ein Sachverständigengremium der Bundesregierung, dem bis zu 15 Fachleute aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Wissenschaft angehören. Allein, weil der Bildungswissenschaftler Aladin El-Mafaalani Teil des Gremiums ist, denke ich: Da steckt ziemlich viel Kompetenz drin.
In ihrem Papier weisen die Expert:innen auf drei Probleme hin, die man kennen sollte, wenn man mit Kindern und Jugendlichen arbeitet oder sich eine Meinung zu Generationengerechtigkeit bilden möchte.
Ja, es gibt eine Generationsschieflage der Demokratie
Eigentlich müssen wir junge Menschen behandeln wie eine Minderheit, denn sie sind eine. Und zwar jetzt schon. Bereits heute ist über die Hälfte der Wahlberechtigten älter als 53 Jahre und dieses Medianalter wird weiter steigen.
Der Anteil der 15- bis 24-Jährigen sinkt mit Ausnahme des Jahres 2015 seit 2005 kontinuierlich und liegt derzeit bei zehn Prozent. Das hat Folgen, wie mir der Demokratieforscher Wolfgang Gründinger erklärt hat: „Die Politiker:innen in Deutschland sind auf die jungen Menschen nicht angewiesen. Ich glaube, wenn junge Menschen auf einmal auch wählen dürften, würde unsere Demokratie auch mehr Spaß machen.“
Das BJK schreibt: „Es liegt schon jetzt eine altersbezogene Schieflage im Hinblick auf die demokratische Gewichtung der Generationen vor, die sich weiter verstärken wird.“ Denn: Immer mehr Menschen werden in Rente gehen. Das wiederum führt zu einer Verschiebung der demokratischen Kräftefelder: „Die größte Wählergruppe ist dann nicht nur relativ weit im Lebensverlauf fortgeschritten, sondern auch nicht mehr systematisch im Erwerbsleben aktiv.“
Das BJK stellt eine wichtige Frage: Wie risikobereit, zukunftsorientiert, nachhaltig, dynamisch und generationengerecht kann die Demokratie dann noch sein?
Ja, es gibt eine Generationsschieflage im Sozialstaat
Das BJK spricht in seinem Papier eine Wahrheit aus, die (denke ich) viel zu wenigen Politiker:innen bewusst ist: „Die Konsolidierungs- und Austeritätspolitik war geprägt durch einen erheblichen Mangel an zukunftsorientierten Investitionen in Bildung, Klimaschutz, nachhaltige Mobilitäts- und Energiepolitik.“
Das Sozialsystem wird in den kommenden Jahrzehnten vor eine ziemlich harte Probe gestellt werden: Weil immer mehr Menschen in Rente gehen und immer weniger junge Menschen nachkommen, müssen immer weniger Menschen das Geld erwirtschaften, das der Sozialstaat braucht – sowohl, um die Rente der Alten zu sichern, als auch um das Aufwachsen der Jungen zu stärken. Die einfache Mathematik dahinter: Es wird weniger Geld in den Sozialstaat gelangen, gleichzeitig wird aber mehr Geld gebraucht.
Selbst heute, in einer Zeit, in der das Problem lange noch nicht so groß ist, wie es in den kommenden Jahrzehnten sein wird, gelingt es nicht, ausreichend in das Leben junger Menschen zu investieren. Das BJK schreibt:
„Seit mehr als zehn Jahren zeigen alle relevanten Studien einen Abwärtstrend im Hinblick auf die Kompetenzentwicklung – und zwar auf jeder Ebene des Schulsystems und in allen Bundesländern. Dementsprechend ist seit einigen Jahren die Anzahl und der Anteil der Abgänger:innen ohne qualifizierte Schul- und/oder Berufsabschlüsse hoch. Gleichzeitig gelingt es nach wie vor nicht, alle Kinder mit Kita- und Schulplätzen zu versorgen.“
Das zeigt auch: Wenn wir diese offensichtlichen Probleme lösen wollen, müssen sie bald angegangen werden. Die Zeit wird tatsächlich knapper.
Junge Menschen sind nur Zuschauer:innen
Das dritte Problem, das das BJK anspricht, habe ich in meinem Newsletter schon häufig beleuchtet: Junge Menschen dürfen nur zuschauen, mitmachen sollen sie meistens nicht. Und das, obwohl sie von vielen Krisen am stärksten betroffen sind. Die öffentliche Debatte findet ohne die Jugend statt. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass Kinder und Jugendliche in Talkshows, Nachrichten und Artikeln nicht vorkommen, dass es uns kaum noch auffällt.
Das BJK schreibt: „Sozialpolitisch werden vor allem Pflichten der jüngeren Generation formuliert, aber kaum Rechte. Entsprechend lässt sich eine starke Spreizung der Reaktionen beobachten: unterschiedliche Formen der Politisierung und des Protests, aktives soziales Engagement, aber auch politische Abstinenz oder verschiedene Radikalisierungstendenzen in der jungen Generation.“
Brauchen wir einen Minderheitenschutz für junge Menschen?
Meine kurze Antwort lautet: Ja, brauchen wir. Auch das BJK stellt „rechtlich bindende, also aus dem politischen Wettbewerb herausgelöste Grundrechte für Jüngere“ zur Debatte. Der Begriff „Minderheitenschutz“ sei zwar eigentlich anders gemeint, würde aber trotzdem passen. Denn wenn es um Altersdiskriminierung gehe, gehe es fast ausschließlich um alte Menschen, auch bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Ich glaube, dass struktureller Adultismus, also die Machtungleichheit zwischen Kindern und Erwachsenen und darausfolgend die Diskriminierung jüngerer Menschen, allein aufgrund ihres Alters, hier eine subtile, aber große Rolle spielt, wenn nicht die entscheidende. Das zeigte sich mal wieder nach der Europawahl, als Erwachsene von oben herab und abfällig darüber sinnierten, warum junge Menschen denn plötzlich rechts seien. Das Problem: Die meisten Erwachsenen wissen gar nicht, was dieser Adultismus sein soll, wie er sich äußert und wie man ihn umgehen kann. Deshalb möchte ich genau das in einem Artikel erklären.
Kennst du Beispiele für Adultismus, gute Literatur, Menschen, mit denen ich sprechen sollte? Dann schreib mir gerne an bent@krautreporter.de.
Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Bent Freiwald