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Letzte Woche ist eine Studie über junge Menschen erschienen, die viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Nein, ich meine nicht den Nationalen Bildungsbericht. Da steht nicht viel Neues drin: Überall fehlt Personal und es wird zu wenig Geld für die wirklich wichtigen Dinge ausgegeben.
Ich meine eine andere Studie, nämlich eine Bertelsmann-Studie über Einsamkeit junger Menschen in Deutschland. Die Ergebnisse solltest du kennen.
Fast jede:r zweite Befragte fühlt sich einsam
Vorab kurz die Formalien: Für die Studie wurden im März 2.532 Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren online befragt. Bevor du jetzt denkst: „Online? Dann ist es ja klar, dass dort viele Menschen angeben, einsam zu sein!“ So ist es nicht. Die Gruppe der Befragten wurde offline ausgesucht, nur die Befragung selbst war online.
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Insgesamt lag der Anteil der stark einsamen jungen Menschen bei zehn Prozent, je nach Geschlecht und Altersgruppe zwischen zwei Prozent und 14 Prozent. Aber zählt man noch diejenigen hinzu, die sich „moderat einsam“ fühlten, so erhöhen sich diese Werte auf 46 Prozent.
Hier kommt ein WTF-Fakt: Der Anteil der emotional Einsamen liegt 2024 bei 60 Prozent (14 Prozent stark einsam) und der Anteil der sozial Einsamen bei 39 Prozent (zehn Prozent stark). Warum WTF? Deshalb: Im Vergleich zu den 2021 und 2023 durchgeführten Studien ist das eine Verbesserung!
Manche Gruppen sind besonders einsam
Es gibt auch Geschlechterunterschiede: Junge Frauen sind häufiger von Einsamkeit betroffen als junge Männer. Mit etwa 19 bis 22 Jahren wird Einsamkeit am stärksten empfunden.
Diese Gruppen sind ebenfalls besonders stark betroffen:
- Menschen mit Migrationshintergrund
- Menschen, die in mittelgroßen Städten leben
- arbeitslose Menschen
- Menschen mit niedrigem Schulabschluss
- geschiedene oder verwitwete Menschen
Wenig überraschend: Diese besonders einsamen Gruppen waren häufig auch diejenigen Gruppen, die von einer besonders geringen Lebenszufriedenheit berichteten.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und autoritären Einstellungen
Die Ergebnisse der Befragung besorgen mich aber noch aus einem anderen Grund, der klar wird, wenn man sie mit einer weiteren, früheren Studie verbindet. Und ja, das sagt man oft, aber hier wird es gefährlich für die Demokratie.
Denn wie das Progressive Zentrum, ein unabhängiger und gemeinnütziger Thinktank, im vergangenen Jahr herausgefunden hat, gibt es einen Zusammenhang zwischen jugendlicher Einsamkeit und autoritären Einstellungen. Einsamkeit hängt positiv mit Verschwörungsmentalität, der Billigung politischer Gewalt und autoritären Einstellungen zusammen.
So glaubt die Hälfte der Jugendlichen, die Regierung verheimliche wichtige Informationen. Unter Einsamen ist diese Überzeugung deutlich ausgeprägter als unter Nicht-Einsamen (58 Prozent gegenüber 47 Prozent). Und jede vierte Person stimmt bei dieser Aussage eher zu: „Geheime Gruppen kontrollieren die Gedanken der Menschen, ohne dass diese davon wissen.“ Die Gruppe der Einsamen kommt hier auf doppelt so viele Prozentpunkte wie die Gruppe der Nicht-Einsamen (zehn Prozent vs. fünf Prozent).
Der Behauptung, „die Regierung weiß oft über terroristische Anschläge Bescheid und lässt diese geschehen“, stimmen 31 Prozent der nicht-einsamen Jugendlichen, aber 46 Prozent der einsamen Jugendlichen zu.
Der Aussage, „einige Politiker haben es verdient, wenn die Wut gegen sie auch schon mal in Gewalt umschlägt“, stimmen 25 Prozent der Nicht-Einsamen, aber 34 Prozent der Einsamen zu.
Verbringen junge Menschen immer weniger Zeit mit ihren Freund:innen?
Wir sind mittendrin in einer Krise der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Einsamkeit ist Teil dieser Krise. Wenn ich über Zahlen wie oben berichte, fragen mich Leser:innen oft, ob das nicht alles normal sei und ob die Zahlen vor, sagen wir, 20 oder 30 Jahren nicht genauso aussahen. Leider fehlen in den meisten Fällen gute Vergleichszahlen.
Man kann sich aber annähern. Neulich bin ich im Buch „The Anxious Generation“ von Psychologe Jonathan Haidt über eine Statistik gestolpert. Laut der „American Time Use Study“ betrug die Zeit, die junge Amerikaner:innen im Alter von 15 bis 24 mit ihren Freund:innen verbracht haben, im Jahr 2003 fast 160 Minuten pro Tag. Im Jahr 2019 ist dieser Wert auf ungefähr 40 Minuten pro Tag geschrumpft.
Eine Statistik, die das für Deutschland und den gleichen Zeitraum aufschlüsselt, konnte ich bisher nicht finden. Man muss aber annehmen, dass der Trend hier ähnlich ist.
Und jetzt?
Anja Langness, die die Studie der Bertelsmann-Stiftung mit betreut hat, hat eine klare Haltung dazu, was die Gesellschaft tun sollte. Voraussetzung sei es, das Thema Einsamkeit aus der Tabuzone zu holen und Jugendliche dort anzusprechen, wo sie ohnehin bereits sind: in der Schule und online.
Dazu gehören laut Langness Online-Beratungsstellen wie „Krisenchat“, an die sich junge Menschen jederzeit wenden können – kostenlos und vertraulich. Dazu gehöre auch, in Schulen psychische Gesundheitskompetenz zu vermitteln. (Aber bitte kein neues Schulfach dafür einführen. ) Auch Freizeitangebote seien wichtig. „Denn Freundschaften, Sport und Bewegung können Einsamkeit besonders gut vorbeugen.“
Ich habe das Gefühl, das Fass ist etwas größer, als viele es bisher wahrhaben wollen; sowohl was Einsamkeit und die psychische Gesundheit angeht, als auch die schwindende Zeit mit Freund:innen betreffend.
→ Hier kannst du die Bertelsmann-Studie nachlesen.
→ Und hier geht es zur Studie „Extrem einsam“ des Progressiven Zentrums.
Schlussredaktion: Isolde Ruhdorfer, Bildredaktion: Philipp Sipos