Als ich vor über drei Jahren mit meiner damaligen Kollegin Esther Göbel in einem Artikel erklärt hatte, warum wir bei Krautreporter meistens gendern, waren viele Leser:innen sauer. Einige schrieben uns, dass sie ihre Krautreporter-Mitgliedschaft kündigen würden.
Das ist ungefähr das Level an Wut, mit dem die Debatte ums Gendern geführt wird. Und wie jede Debatte wird sie nochmal ein paar Stufen wütender, wenn Schulen im Spiel sind.
Zuletzt stellte Bayern klar: Schluss mit dem Gendern! Seit April ist es tatsächlich verboten, an Schulen, Hochschulen und Behörden zur Umschreibung von Geschlechtern Sonderzeichen zu verwenden. In Sachsen hatte das Kultusministerium schon 2021 entschieden, dass Gender-Sonderzeichen an Schulen nicht verwendet werden. Auch in anderen Bundesländern gibt es schon ein Gebot oder ein Verbot oder eines von beidem wird diskutiert.
Eine Gruppe wird mal wieder nicht gefragt
Im September 2023 hat der MDR seine Leser:innen gefragt, wie sie zum Genderverbot in Schulen stehen. 29.000 Menschen haben geantwortet und eine Mehrheit (85 Prozent) findet das Verbot von Genderzeichen in Schulen richtig oder eher richtig, titelt der MDR. Wie die meisten Online-Umfragen (auch die von Krautreporter) war diese Umfrage natürlich nicht repräsentativ.
Aber insgesamt zeigt sich, so schreibt es der MDR: Je älter die Befragten sind, desto häufiger befürworten sie die Verbannung der Gender-Sonderzeichen aus der Schule. Aber: Ein Teil der Teilnehmer:innen ihrer Umfrage waren sogar jung! Also, vergleichsweise jung. Ein Drittel der unter 30-Jährigen lehnt das Verbot ab, heißt es.
Wie viele von den unter 30-Jährigen selbst noch zur Schule gehen, weiß man leider nicht. So viele werden es nicht sein. Bei den meisten endet die Schulzeit ja planmäßig ein bisschen früher.
Das Problem bei der Gendern-in-Schulen-Debatte ist ein bekanntes. Eins, auf dem die Idee dieses ganzen Newsletters beruht: Erwachsene reden darüber, in welcher Umgebung Kinder und Jugendliche aufwachsen sollten, welche Sprache sie hören sollten, welche Anrede zumutbar ist. Sie fragen die Kinder aber nicht selbst.
Ein Hoch auf Kika
Zum Glück gibt es Kika. Ja, den Fernsehsender für Kinder von der ARD und dem ZDF. Auf der Republica, die vergangene Woche in Berlin stattgefunden hat, haben der Redakteur Daniel Seiler und die Medienforscherin Saskia Weisser von Kika die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung zum Gendern vorgestellt. Und zwar: einer Befragung unter Kindern! Daniel Seiler sagt: „Wir haben uns 2021 dazu entschieden, die Debatte zu versachlichen. Wir wollten nicht über die Kinder hinweg diskutieren.“ Auf diese Idee kamen die Ministerien, die Gendern in Schulen jetzt verboten haben, bisher nicht.
Im März und April hat Kika insgesamt 827 Kinder zwischen sechs und 13 Jahren befragt. Dafür besuchten die Mitarbeiter:innen eines Befragungsinstituts die Kinder zu Hause und gingen mit ihnen einen Fragebogen durch. Kika wollte wissen: Welche Sprachformen kennen die Kinder überhaupt? Wie werden sie in den Schulen angesprochen? Wer fühlt sich von welchen Formen angesprochen? Und was wünschen sie sich? Ich finde: Wer sich zur Genderdebatte in Schulen äußern will, muss diese Daten kennen. Deshalb kommen hier die wichtigsten Ergebnisse.
Wie werden die Kinder derzeit angesprochen?
Zunächst wollten die Studienautor:innen wissen, was die Kinder in ihrem Alltag überhaupt erleben. Die meisten werden neutral angesprochen (46 Prozent), also mit Formen wie „Liebe Kinder …“ oder „Liebe alle …“
Das generische Maskulinum („Liebe Schüler …“) erleben 30 Prozent der Kinder, 17 Prozent erleben eine geschlechterdifferenzierte Ansprache („Liebe Schülerinnen und Schüler …“). Nur drei Prozent erleben, dass Lehrkräfte in ihrem Alltag mit einem sogenannten Glottisschlag gendern.
Interessant finde ich: Der Wert für das generische Maskulinum lag bei der Befragung von 2021 noch bei zehn Prozent – und damit 20 Prozentpunkte unter dem aktuellen Wert. Es scheint so, dass Lehrkräfte das generische Maskulinum heute also deutlich häufiger benutzen als noch 2021. „Wir sehen aber auch, dass das generische Maskulinum unter den Kindern akzeptiert wird. Die Kinder haben dafür wenig Problembewusstsein, denen fällt das oft nicht auf“, sagt Kika-Redakteur Seiler.
Wer ist mitgemeint?
Als Zweites wollten die Autor:innen herausfinden, wie die Kinder die verschiedenen Ansprachen verstehen. Also, wer alles mitgemeint ist. Beim generischen Maskulinum sagen 68 Prozent, dass bei der Ansprache alle Kinder gemeint seien. Aber: 31 Prozent sagen, damit seien nur Jungen gemeint.
Bei der doppelten Ansprache verstehen fast alle Kinder, dass damit alle gemeint sind. Und bei der Form mit Sonderzeichen sagen 60 Prozent, dass alle Kinder gemeint sind, aber 32 Prozent wissen nicht, wer gemeint ist.
Wie bewerten sie die verschiedenen Varianten?
Sowohl die Anrede „Schüler“ als auch die „Schülerinnen und Schüler“ finden die allermeisten gut oder total gut. Bei der gegenderten Variante sind es nur 29 Prozent. Und während kaum jemand die ersten beiden Varianten ablehnt, lehnen 32 Prozent die Form „Schüler*innen“ ab.
„Erstaunlich ist das nicht. Kinder erleben ja das, was sie mitkriegen als das, was das Normale ist“, sagt Saskia Weisser. Sprich: Wenn nur drei Prozent der Kinder überhaupt gegenderte Sprache im Alltag hören, wäre es sehr überraschend, wenn sie diese Form mit „total gut“ bewerten würden.
Rund 50 Prozent der Kinder kennen den Glottisschlag oder den Genderstern, das sind etwa 12 Prozentpunkte mehr als noch 2021. Und etwa 90 Prozent können die Formen korrekt interpretieren.
Was wünschen sich die Kinder?
Kommen wir zur vielleicht wichtigsten Frage. Wie wollen die Kinder selbst angesprochen werden? Ungefähr die Hälfte der Kinder wünscht sich, mit „Schüler“ angesprochen zu werden. 32 Prozent finden „Schülerinnen und Schüler“ am besten und 14 Prozent wollen am liebsten gegendert angesprochen werden. Das sind doppelt so viele Prozentpunkte wie noch vor drei Jahren.
Aber auch hier gibt es einen Alterseffekt. Bei den 8- bzw. 9-Jährigen befürworten nur 7 Prozent die gegenderte Form. Bei den 12- bzw. 13-Jährigen sind es bereits 30 Prozent.
Und genau hier setzt Seiler auch an, wenn es darum geht, welche Form denn jetzt die richtige ist. Man müsse das, zumindest bei Kika, von Format zu Format entscheiden, je nachdem, wer die Zielgruppe ist. „Wenn wir alle ansprechen wollen, müssten wir das generische Maskulinum eigentlich ausschließen. Gleichzeitig fällt dann aber auch der Genderstern raus, aufgrund der Lesekompetenz und vom Verständnis her.“ Es bleibt: die Beidnennung, also „Schülerinnen und Schüler“.
Was folgt aus all dem?
Wer sich eindeutige Daten erhofft hat, wird jetzt enttäuscht sein. Weder kann man aus der Studie ableiten, dass Kinder Gendern generell ablehnen, noch, dass Kinder die gegenderte Anrede einfordern.
Ich bin selbst kein Lehrer. Wäre ich aber Lehrer, wäre ich sehr unzufrieden damit, wenn 31 Prozent meiner Schüler:innen denken würden, ich meinte mit meiner Ansprache nur Jungen. „Liebe Schüler“ wäre für mich also sowieso keine Option.
Dass bei der Form mit Sonderzeichen bzw. Glottisschlag ein Drittel nicht weiß, wer damit gemeint sein soll, ließe sich natürlich schnell beheben. Eine kurze Erklärung reicht. Ob ich aber „Liebe Schülerinnen und Schüler“ sagen würde oder doch „Liebe Schüler:innen“ hinge sicher auch davon ab, ob in meiner Klasse auch non-binäre Kinder wären. Und auch davon, wie die Klasse denn selbst dazu steht. Dafür müsste man sie natürlich fragen, und dann die Freiheit haben, selbst zu entscheiden.
Diese Freiheit gibt es in Bayern, Sachsen und anderen Bundesländern mittlerweile nicht mehr.
Seid ihr selbst Lehrer:in? Dann interessiert mich, wie ihr es mit dem Gendern in Schulen haltet und welche Lösung für euch funktioniert. Schreibt mir an bent@krautreporter.de!
Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos