Zunächst: Es ist das siebte Mal, dass die Studie durchgeführt wurde. Das heißt, es gibt langsam einen Grundstock an Ausgaben der Vorjahre, mit denen man die aktuellen Ergebnisse vergleichen kann. Wenn man das macht, sind die Jugendlichen so pessimistisch wie noch nie. „Noch herrscht ein Grundoptimismus vor“, sagt der Sozialwissenschaftler und Co-Autor der Studie Klaus Hurrelmann dem Spiegel, „den müssen wir bei der Jugend bewahren.“
Die psychische Belastung ist in vielen Bereichen auf dem Höhepunkt
Im Vergleich zu den früheren Studien scheint die Stimmung jetzt zu kippen. Das sieht man vor allem in den Angaben zur psychischen Belastung.
11 Prozent geben an, wegen psychischen Störungen in Behandlung zu sein.
51 Prozent geben an, dass sie unter Stress leiden.
36 Prozent, dass sie unter Erschöpfung leiden.
33 Prozent haben Selbstzweifel.
33 Prozent sind antriebslos.
25 Prozent gereizt.
In fast allen dieser Bereiche sind die Werte so hoch wie noch nie in den vergangenen drei Jahren. Wer unsere Serie noch nicht kennt – im Zusammenhang „Was du tun kannst, wenn dein Kind psychisch erkrankt“ geht es unter anderem darum, wie schlecht sich der Staat um die psychische Gesundheit von jungen Menschen kümmert und eine Mutter erzählt, wie es ist, wenn die Tochter suizidal ist. Außerdem haben wir mehr als 300 Kinder und Jugendliche gefragt, welche Worte ihnen guttun, wenn sie psychisch erkrankt sind.
Wieder eine neue größte Sorge
Besonders interessant finde ich, dass die „Jugend im Dauerkrisenmodus“, wie es so oft heißt, schon wieder eine neue Krise als größte Sorge ausmacht. 65 Prozent geben an, dass die Inflation ihnen Sorgen bereitet. 60 Prozent nennen den Krieg in Europa und Nahost.
Fragte man Jugendliche vor der Pandemie nach ihrer größten Sorge, nannten sie die Klimakrise. 2020 war es Covid-19. 2022 der Krieg in der Ukraine. Zuletzt bereitete ihnen die Energiekrise die größten Sorgen. Nun also wieder etwas Neues: Inflation.
Zum ersten Mal wurde auch nach der Sorge vor teurem Wohnraum gefragt: 54 Prozent teilen diese Sorge.
Junge Menschen benutzen ihr Smartphone mehr, als sie möchten
Jede:r dritte Befragte gibt an, dass man sein Nutzungsverhalten des Smartphones Sucht nennen könnte. 54 Prozent sagen, sie benutzen ihr Smartphone viel mehr, als sie möchten.
Jugendliche mit einer hohen täglichen Bildschirmzeit am Smartphone haben nach eigenen Angaben deutlich stärker mit psychischen Belastungen zu kämpfen.
Soweit können die Ergebnisse niemanden überraschen, der sich in den letzten Jahren damit beschäftigt hat, wie es jungen Menschen in Deutschland geht. Aber weil das alles noch nicht besorgniserregend genug ist, kommt hier der Teil über den bereits am meisten diskutiert wird.
Auch das noch!
Unter jungen Menschen in Deutschland zeichnet sich anscheinend ein Rechtsruck ab. Wäre kommenden Sonntag Bundestagswahl, würden 22 Prozent der Befragten zwischen 14 und 29 Jahren die AfD wählen. Auch das noch. Vor zwei Jahren wollten nur 9 Prozent die AfD wählen.
Danach folgen die CDU/CSU mit 20 Prozent und die Grünen mit 18 Prozent. Die Koalitionspartner der Ampel verlieren übrigens alle – besonders die Grünen, aber ja, auch die FDP.
Ein Unterschied, der vor einigen Wochen schon mal öffentlich besprochen wurde, wird auch hier deutlich: 64 Prozent der AfD-Sympathisanten sind männlich. Bei den Grünen ist die Mehrheit hingegen weiblich: 54 Prozent. Dieses Phänomen hat mittlerweile einen Namen: politischer Gendergap.
Natürlich analysieren schon diverse Medien, woran dieser AfD-Anstieg liegen könnte. Die Studie selbst kommt zu dem Ergebnis, dass der Anstieg auch an den sozialen Medien liegt. Die Mehrheit der 14- bis 29-Jährigen informiert sich über Nachrichten und politische Entwicklungen in sozialen Medien. Und da ist die AfD deutlich präsenter als andere Parteien, gerade auf Tiktok. Hier sind vier der erfolgreichsten deutschen Politiker:innen, die die Plattform nutzen, von der AfD.
Alles auf Tiktok zu schieben, würde aber zu kurz greifen. Auf Zeit Online heißt es: „Der größte Fehler, den Politik und Gesellschaft jetzt machen könnten, wäre, so zu tun, als wären sie davon überrascht. Sie haben die immensen Zukunftssorgen ihres Nachwuchses seit Jahren ignoriert.“ Und das stimmt. Jugendliche werden bei politischen Entscheidungen nach wie vor weder gefragt noch an ihnen beteiligt. Am deutlichsten wurde das in der Pandemie. So kommt im Vergleich zu Erwachsenen bei Jugendlichen noch ein entscheidender Faktor hinzu: Selbst, wenn sie wollten, könnten sie ihre Unzufriedenheit nicht in Handlungen umwandeln. Ihnen fehlt die politische Macht.
Kennt ihr Jugendliche, die sich Gehör verschaffen wollen?
Das kann man natürlich alles wegnicken. Ich weiß nicht, der wievielte Text dieser Art von mir das mittlerweile ist. Ich werde oft belächelt, wenn ich schreibe, dass unser Umgang mit Jugendlichen der Demokratie schadet. Ich finde: Die Zahlen geben mir recht.
Ich würde euch die Studie hier jetzt wirklich gern verlinken. Aber sie ist, wie viel zu oft, leider nicht öffentlich zugänglich. Damit du jetzt nicht komplett pessimistisch aus diesem Newsletter gehst, hier ein kleiner Hoffnungsschimmer: Es gibt Menschen, die versuchen, an all dem zu arbeiten. Einer der wichtigsten Schritte dabei ist, Jugendlichen zu zu hören. Im Mai veranstaltet das Projekt „Kollekt“ ein Wochenende, an dem sie mit 14- bis 23-Jährigen Handlungsempfehlungen für die Politik entwickeln. Damit ihre Anliegen endlich berücksichtigt werden und sie Ansätze gegen Einsamkeit und Radikalisierungstendenzen finden. Falls ihr junge Menschen in dem Alter kennt: Es sind noch Plätze frei! Hier gibt es mehr Infos und die Anmeldung. Die Teilnahme ist kostenlos.
Schlussredaktion: Isolde Ruhdorfer, Fotoredaktion: Bent Freiwald.