Vor ein paar Wochen habe ich mir das System rund um Schulbegleitungen genauer angeschaut. Denn Kinder, die im Unterricht nicht alleine zurechtkommen, bekommen oft eine Schulbegleitung zur Seite gestellt – nicht unbedingt eine gute Idee, wie meine Recherche zeigt. Um einen Einblick in den Arbeitsalltag zu bekommen, habe ich mit vielen Schulbegleitungen gesprochen. Einige von ihnen haben mir von prekären Arbeitsbedingungen berichtet. Einer davon war Krautreporter-Leser Christian: Er hat über ein Jahr in Thüringen als Schulbegleitung gearbeitet. Obwohl der Bedarf nach Schulbegleitungen immer größer wird und Eltern sowie Kinder immer länger auf Hilfe warten müssen, war Christian zwischendurch zwangsarbeitslos und wurde am Ende dazu gedrängt, zu kündigen. Hier erzählt er, warum er wahrscheinlich nicht nochmal als Schulbegleiter arbeiten wird. Ein Faktor: das frustrierende Schulsystem.
Wie in den meisten Städten war es auch in Jena kein Problem, als Quereinsteiger ohne einen bestimmten Abschluss als Schulbegleitung eingestellt zu werden. Ein persönliches Bewerbungsgespräch beim Träger, polizeiliches Führungszeugnis vorzeigen und es ging los.
Ich bin durch Zufall Schulbegleiter geworden, denn eigentlich habe ich einen Bachelor in Politikwissenschaften gemacht. Mir wurde aber schnell klar, dass ich nicht in diesem Bereich bleiben will. Stattdessen macht es mir Spaß, mit Jugendlichen zu arbeiten, beispielsweise habe ich ein FSJ in der schulnahen Sozialarbeit gemacht. 2019, damals war ich 28, habe ich mich deshalb für ein Studium in Sozialer Arbeit in Jena beworben. Ich wurde aber leider abgelehnt. Mein Plan B: Als Schulbegleiter arbeiten und mich ein Jahr später wieder bewerben.
Viele Lehrkräfte hielten nichts von Inklusion
Den Großteil meiner Zeit als Schulbegleiter habe ich einen achtjährigen Jungen mit einer ADHS-Diagnose begleitet. Damals stand auch im Raum, ob der Junge nicht auch Autist sei. Ich war gut vorbereitet, mein Vorgesetzter hat mir meine Aufgaben genau beschrieben und etwas sozialpädagogisches Vorwissen hatte ich ja schon. Ich habe mein Begleitkind motiviert, wenn die Konzentration nachließ, ihn beruhigt, wenn er sich aufgeregt hat und zwischen ihm und anderen Schüler:innen vermittelt. Er hatte eine Impulskontrollschwäche und wurde deshalb schnell aggressiv. Im Kunstunterricht zum Beispiel wurde er so wütend, dass er Sachen geworfen hat. In Fächern, bei denen die Aufgabenstellungen klarer und weniger subjektiv waren, wie Mathe, war das nicht so.
Rückblickend muss ich sagen: Mit den Erfahrungen und dem Wissen, das ich heute habe, wäre ich ein besserer Schulbegleiter. Ich habe oft nicht verstanden, was in meinem Begleitkind vorging. Mittlerweile könnte ich das besser einschätzen.
In der Pädagogik gibt es zwar keine Musterlösungen – was an einem Tag richtig ist, kann an einem anderen völlig falsch sein – aber das finde ich daran auch so spannend.
Weiterbildungen zum Thema ADHS oder Autismus hat der Träger nie angeboten. Obwohl viele der Kinder davon betroffen sind und wir Schulbegleitungen uns das gewünscht hätten. Nur eine Fortbildung zu Kindeswohlgefährdung wurde angeboten. Eine Kollegin, die seit mehreren Jahren als Schulbegleitung beim selben Träger arbeitet, hat diese Fortbildung mittlerweile zwölfmal gemacht.
Viele der anderen Schulbegleitungen waren auch Quereinsteiger:innen und wir haben die Pausen zusammen verbracht. Sich mit ihnen auszutauschen war für mich wichtig, dadurch habe ich mich an der Schule zugehörig gefühlt. Auch mit manchen Sonderpädagog:innen und einem der Klassenlehrer habe ich mich gut verstanden. Aber viele der Lehrkräfte haben uns Schulbegleitungen von oben herab behandelt. Eine Lehrerin war sehr autoritär. Sie hat mit uns Schulbegleitungen wie mit Kindern gesprochen, uns angeschrien und ein Handyverbot erteilt. Manchen Lehrkräften war auch nicht klar, was eine Schulbegleitung eigentlich ist und wofür wir da sind. Und einige von ihnen hatten grundsätzlich eine schlechte Meinung vom Konzept Inklusion, glaube ich.
Teilweise kann ich das nachvollziehen – es ist ein relativ neues Thema, was den Lehrer:innen zusätzlich aufgebürdet wird. Aber ich erinnere mich zum Beispiel an einen Jungen im Rollstuhl, der sich nur mithilfe eines Tablets äußern konnte und permanent aggressiv war. Die Schulbegleiterin des Kindes sagte zu mir, dass das an der Klassenlehrerin und deren Umgang mit ihm liege. Denn es hieß immer nur: „Geh mal raus mit ihm.“ An einer anderen Schule habe ich das Kind und den Schulbegleiter später wieder getroffen – er war wie ausgewechselt. Schon krass, was ein wohlwollendes Umfeld bewirken kann.
Ich war drei Wochen zwangsarbeitslos
Weil ich keine spezielle Ausbildung hatte, war ich insgesamt zufrieden mit den Arbeitsbedingungen, den festen Arbeitszeiten und dem Gehalt. Bei 30 Stunden pro Woche habe ich netto 1.200 Euro verdient. Bei manchen Trägern müssen sich die Schulbegleitungen über die Sommerferien arbeitslos melden. Das liegt daran, dass alle Schulferien und Feiertage zusammen die 30 Tage regulären Urlaubsanspruch übersteigen. Ich hatte Glück mit meinem Träger, denn ich hatte einen Jahresvertrag. In den Sommerferien konnte ich deshalb drei Wochen in einer anderen Einrichtung, die auch zum Träger gehört, aushelfen und dann drei Wochen Urlaub nehmen.
Aber um ehrlich zu sein: Ich habe in der Einrichtung Sachen gemacht, die ich rechtlich gar nicht durfte. In dem Heim leben mehrfach schwerstbehinderte Menschen, die ich gepflegt habe. In der zweiten Woche wurde ich gefragt, warum ich als gelernter Pfleger so zaghaft mit den Bewohner:innen umginge. Aber: Ich bin Politikwissenschaftler und kein gelernter Pfleger. Erst dann bemerkten wir, dass der Trägerverein das nicht kommuniziert hatte. Aufgaben wie Duschen, Waschen oder Toilettengänge begleiten hätte ich gar nicht übernehmen dürfen als Aushilfe.
Das war nicht das einzige Mal, dass die Kommunikation schief ging. Bei Kindern und Jugendlichen mit einer emotional-sozialen Beeinträchtigung, wie meinem Begleitkind, findet regelmäßig ein sogenanntes Hilfeplangespräch statt. Dort kommen das Jugendamt, die Erziehungsberechtigten, die Schulbegleitung und der Träger zusammen. Wir haben besprochen, wie sich das Kind entwickelt hat und ob weitere Stunden für mich als Schulbegleitung bewilligt werden. Dieses Gespräch hätte eigentlich Anfang des Schuljahres stattfinden sollen. Die Sachbearbeiterin war aber krank, also wurde das Gespräch um einen Monat verschoben. Im nächsten Monat kam wieder etwas dazwischen. Das passierte drei oder vier Mal.
Im November hieß es dann vom Jugendamt: Die Maßnahme ist ausgelaufen. Es gab keine rechtliche Grundlage mehr dafür, dass ich das Kind betreuen kann. Ich war daraufhin insgesamt drei Wochen zwangsarbeitslos. Ich durfte nicht zum Kind und saß stattdessen daheim – ohne Bezahlung. Noch fataler als meine eigene Situation war, dass mein Kind in dieser Zeit schlichtweg keine Begleitung mehr hatte. Ende November wurde endlich ein Termin für das Gespräch gefunden und ich durfte wieder arbeiten.
Am Ende musste ich kündigen, obwohl ich gern weitergearbeitet hätte
2020 klappte es dann doch noch mit meinem Studium in Sozialer Arbeit. Parallel dazu habe ich 18 Stunden in der Woche weiter als Schulbegleiter gearbeitet. Als mir das zu viel wurde, wollte ich meine Stunden reduzieren. Der Träger sagte mir dann, ich müsse die vereinbarte Stundenzahl leisten oder eben kündigen. Obwohl ich eigentlich gerne weitergearbeitet hätte und auch finanziell davon abhängig war, musste ich am Ende kündigen.
Mittlerweile habe ich mein Studium in Sozialer Arbeit beendet und arbeite in einer Inobhutnahmestelle. Ob ich nochmal als Schulbegleiter arbeiten würde? Wahrscheinlich nicht. Obwohl es für mich sehr schön war, eine enge Bindung mit meinem Begleitkind und auch mit dem Rest der Klasse aufzubauen. Ich glaube aber, auf Dauer wäre es mir zu langweilig, nur ein Kind zu betreuen und immer dieselben Aufgaben zu übernehmen. Und ich finde das Schulsystem und wie mit einem darin umgegangen ist, einfach zu frustrierend.
Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger.