Collage: Jugendliche schauen auf eine Stadt.

Ernest Brillo, Meiying Ng/Unsplash

Kinder und Bildung

Analyse: So bekommen Kinder in Städten tatsächlich politische Macht

Wenn wir die Demokratie retten wollen, müssen die Erwachsenen Macht abgeben.

Profilbild von Bent Freiwald
Bildungsreporter

Die Kinder und Jugendlichen in Windeck, Nordrhein-Westfalen, hatten sich einen Skatepark gewünscht. So hatten sie es nach mehreren Tagen mit Workshops und Diskussionen beschlossen. Die Euphorie war groß und Alexandra Gauß, ihre Bürgermeisterin, musste sie nun bremsen.

„Eine große Skateanlage kostet ganz leicht über 100.000 Euro. Die große Lösung können wir uns schlichtweg nicht leisten“, sagt sie in einem Video, das sie auf den Plattformen ihrer Gemeinde hochgeladen hat.

Aber sie hat eine Alternative parat: Ein modularer Pumptrack, den sie gern am Freibad aufbauen würde. „Hier kann man skaten, hier kann man mit dem Scooter drauf und auch mit dem Fahrrad“, erklärt sie. Und: So ein Pumptrack sei deutlich günstiger. „Eigentliche Entscheidungsträger seid aber ihr: Möchtet ihr mit uns in die kleine Lösung gehen oder sollen wir das Projekt weiter nach hinten schieben? Ich freue mich über eure Rückmeldungen.“

Alexandra Gauß ist bei den Grünen und seit 2018 Bürgermeisterin der Gemeinde Windeck, etwa 20.000 Menschen leben hier. Normalerweise nimmt sie keine Videos auf. Dieses Mal schon. Sie wendet sich direkt an die Kinder und Jugendlichen ihrer Gemeinde; sie erklärt ihre Politik und macht ihnen ein Angebot, wie sie mitbestimmen können. Damit ist sie die absolute Ausnahme in Deutschland.

Jugendliche sind politisch, sie fühlen sich aber nicht ernst genommen. Eine Studie der Vodafone-Stiftung zeigt: 73 Prozent der 14- bis 24-Jährigen sehen die Anliegen und Interessen der jungen Generation von der Politik nicht ausreichend berücksichtigt. Und noch verheerender: 67 Prozent haben das Gefühl, die Politik nicht beeinflussen zu können.

Ihr Gefühl trügt nicht, die meisten politischen Entscheidungen werden getroffen, ohne dass Jugendliche dazu überhaupt befragt werden. Dabei gibt es schon längst Städte, Gemeinden und Kommunen in Deutschland, die das ändern. Ihre Ideen könnten dafür sorgen, dass junge Menschen endlich mitmachen und die Politik beeinflussen können – vielleicht nicht die der Bundesregierung, aber die vor Ort, vor ihrer Haustür. Und das könnte in den kommenden Jahren noch deutlich wichtiger werden.

Die Haltung der Erwachsenen ist entscheidend

Die politische Macht in Deutschland liegt bei den Erwachsenen. Gerade in den Gemeinden und Kommunen: Deutsche Bürgermeister:innen sind in erster Linie männlich (es gibt mehr Bürgermeister, die Thomas heißen als weibliche Bürgermeisterinnen) und in zweiter Linie alt. Anfang des 20. Jahrhunderts war ein Drittel der Menschen in Deutschland jünger als 16 Jahre. Heute ist deren Anteil auf 15 Prozent geschrumpft. In den meisten Bundesländern dürfen Kinder und Jugendliche nicht wählen, bei der Bundestagswahl sowieso nicht. Ob sie in die Entscheidungen vor Ort einbezogen werden, hängt deshalb vor allem davon ab, ob die Erwachsenen das zulassen.

In der Theorie hätten viele Erwachsene damit auch überhaupt kein Problem, sagt David Löw Beer. Er ist Projektleiter „Regionale Nachhaltigkeitstransformationen“ am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit in Potsdam und hat einige Beteiligungsformate in der Lausitz begleitet. „Ich habe noch nie erlebt, dass sich jemand offen gegen Jugendbeteiligung ausspricht“, sagt er, „außer eine Politikerin der AfD“.

Ein Porträt von David Löw Beer.

David Löw Beer ist Projektleiter „Regionale Nachhaltigkeitstransformationen“ am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit in Potsdam und hat einige Beteiligungsformate in der Lausitz begleitet. Er sagt: „Beim Thema Jugendbeteiligung ist die Haltung von Erwachsenen entscheidend.“

Das Gefährliche sei, wenn es bei Lippenbekenntnissen bleibe. Das sei aber keine Seltenheit, sagt Löw Beer. „Da steht dann ein Ministerpräsident vor Jugendlichen und sagt: ‚Da müssen Sie mich erstmal überzeugen, dass es sich lohnt, dass ich mir Ihre Ideen angucke.“ Jugendliche dürften nicht als erste demokratische Erfahrung machen, dass sich die Erwachsenen eigentlich gar nicht für ihre Projekte interessieren.

„Die Beteiligung von Jugendlichen steht bei den meisten Kommunen einfach nicht sonderlich weit oben. Die haben andere Prioritäten“, sagt Dirk Neubauer. Der parteilose Landrat in Mittelsachsen war zuvor Bürgermeister der 5.000-Einwohner:innen-Stadt Augustusburg. Er sagt, der Fokus liege auf der Finanznot oder der Wegeplanung. „Für Jugendarbeit brauchen Sie immer jemanden, der es macht. Bei kleinen Kommunen fehlt dafür die Luft.“

Oft ist Kommunalpolitiker:innen unklar, warum sie junge Menschen überhaupt beteiligen sollen. Dabei sei es schlicht und ergreifend eine Frage des Selbsterhalts: „Der normale Lauf ist: Wenn ich groß bin, gehe ich weg. Das ist eine Entheimatung. Beteiligung kann diesen Automatismus verändern.“

Wenn der Bus nicht fährt, bleibt jeder Jugendclub leer

Eine Wahl haben Deutschlands Politiker:innen eigentlich nicht. In der UN-Kinderrechtskonvention steht in Paragraf 12 nicht nur, dass Kinder und Jugendliche ihre Meinung frei äußern können müssen. Sondern auch, dass „die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife“ berücksichtigt werden muss. Einige Bundesländer machen das konkreter. In der Kommunalverfassung von Brandenburg beispielsweise heißt es: „Die Gemeinde sichert Kindern und Jugendlichen in allen sie berührenden Gemeindeangelegenheiten Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte.“ Wichtig ist das Wort „berührend“, denn dadurch geht es nicht mehr nur um Kitas und Schulen, sondern um alle Orte einer Stadt, also auch um das Rathaus, Aufzüge, Schwimmbäder, Gehwege oder die Gestaltung der Innenstadt.

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Damit Kinder und Jugendliche mitreden können, müssen sie allerdings auch vor Ort sein. „Durch das Schulsystem sitzt das Kind erstmal den ganzen Tag in der Schule, morgens und nachmittags jeweils eine Stunde im Bus. Da bleibt nicht mehr viel übrig vom Tag“, sagt Landrat Dirk Neubauer. Sein Landkreis in Sachsen hat eine Gesamtfläche von 2.200 Quadratkilometern. Die Wege sind nicht nur zur Schule weit. Auch für die Fahrten zu den Sportvereinen und den Freund:innen muss man dort deutlich mehr Zeit einplanen als in der Stadt.

Die Kinder und Jugendlichen sind dem öffentlichen Nahverkehr geradezu ausgeliefert. Sie sind noch mehr als die Erwachsenen darauf angewiesen, dass dieser existiert. Wenn Jugendliche nicht von A nach B kommen, bleibt jeder Jugendclub leer. In den meisten Gemeinden müssen Kinder und Jugendliche dafür zahlen, das Busnetz nutzen zu können, wenn es überhaupt eines gibt.

Porträt von Alexandra Gauß.

Alexandra Gauß ist seit 2018 Bürgermeisterin der Gemeinde Windeck in Nordrhein-Westfalen. Die Grünenpolitikerin sagt: „Teilhabe von Jugendlichen hängt vor allem an einer Sache: Mobilität.“ Foto: Rene Schwerdtel.

„Teilhabe von Jugendlichen hängt an der Mobilität“, sagt Alexandra Gauß, die Bürgermeisterin mit dem Video. In ihrer Gemeinde in Nordrhein-Westfalen war das Busnetz bis vor Kurzem auf die Wege zur Schule beschränkt. „Ich muss aber nicht nur an die Kids aus der Grundschule denken, sondern auch an die, die zum Fußball wollen, zu Freunden. Sonst bist du immer auf die Eltern oder Großeltern angewiesen“, sagt Gauß. Deshalb fahren die Busse jetzt nicht nur, wenn die Schule beginnt und endet, sondern auch nachmittags. „Meine Tochter fährt mit ihrem Bus und ihrem Ticket ganz stolz drei Orte weiter, ich muss sie nur noch abholen.“

Jugendparlamente? Sind nicht die Lösung

Als ich die Krautreporter-Community gefragt habe, ob sie Städte kennen, in denen Kinder und Jugendliche einbezogen werden, bekam ich viele Mails. In nahezu allen berichteten mir die Leser:innen von Städten, die ein Jugendparlament oder einen Jugendgemeinderat eingeführt haben. Hier sollen gewählte junge Menschen die Interessen aller jungen Menschen vertreten. So wie es in der repräsentativen Demokratie vorgesehen ist.

Ist das die Lösung? Oftmals nicht, hier fühle sich nur ein bestimmter Teil der jungen Mensch wohl, sagt Stefanie Buhr. Sie ist seit über zehn Jahren die Koordinatorin für Kinder- und Jugendinteressen in Potsdam, einer Stadt, die vielen Gemeinden in Deutschland als Vorbild dient, wenn es um Jugendbeteiligung geht. „Viele Jugendliche wollen nicht in den großen, langwierigen Prozess eintauchen oder sich in den politisch geprägten Ausschüssen bewegen“, sagt Buhr. Oft seien kleine Beteiligungsprojekte viel motivierender und erfolgsversprechender als die großen. „Die meisten wollen sich projektbasiert einbringen, immer dann, wenn es sie besonders interessiert oder sie konkret betroffen sind.“ Bei Jugendparlamenten müssen sich die Jugendlichen oftmals direkt für ein oder zwei Jahre dazu verpflichten, sich einzubringen. Das schreckt ab.

Kinder- und Jugendparlamente sind wie Schülervertretungen: Sie erreichen immer die Gleichen; oft privilegiert, gut gebildet, politisch aktiv. Für die Jugendlichen müsse es aber so einfach sein wie möglich, sich einzubringen, sagt Stefanie Buhr. Gerade für die, die von ihren Eltern nicht bei Beteiligungsverfahren unterstützt werden können. „Verwaltungssprache ist extrem komplex, sie muss viel stärker vereinfacht werden. Man muss die Themen auf das Wesentliche runterbrechen. Selbst Erwachsene haben mit dieser Art der Ausdrucksweise ihre Probleme. Das Recht auf Information ist in den Kinderrechten verankert, die Erwachsenenwelt muss sich der Lebenswelt der Kinder anpassen und nicht umgekehrt“, sagt sie.

Eigentlich, fordert sie, müsse es mehr Stellen wie ihre geben. Als Koordinatorin für Kinder- und Jugendinteressen in Potsdam ist sie direkt dem Oberbürgermeister unterstellt und hat somit auch die politische Macht, die es braucht, um die Interessen von Kindern und Jugendlichen in die verstaubten Verwaltungshallen zu tragen.

In Potsdam können sich Jugendliche auf verschiedenen Ebenen einbringen. Einerseits top down: Wenn die Stadt etwas plant, versucht sie, die Kinder und Jugendlichen bei der Planung immer einzubeziehen. Andererseits aber auch buttom up: Wenn Jugendliche selbst eine Idee haben, können sie sich jederzeit an das Kinder- und Jugendbüro wenden, das sie dann bei ihrem Vorhaben unterstützt. Zuletzt ist deshalb etwa das Schüler:innen-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr deutlich günstiger geworden. Stefanie Buhr sagt: „Die Verwaltung wird nicht freiwillig, von sich aus das Schülerticket günstiger machen. Das sind hohe Kosten für einen kommunalen Haushalt. Der Druck muss von der anderen Seite kommen, die Stimmen der Jugendlichen sind da total wichtig.“

Die Macht liegt in den Händen der Achtklässler:innen

Ein Ort, der bei der Umsetzung helfen kann, ist die Schule. Die ist zwar oftmals selbst überhaupt nicht demokratisch aufgebaut – trotzdem verbringen Kinder und Jugendliche hier die meiste Zeit des Tages, sie haben schließlich keine andere Wahl. Deshalb trifft man hier nicht nur diejenigen Jugendlichen, die aktiv den Weg in die Politik suchen, sondern alle.

Erik Flügge ist Autor, Politikberater und Experte für Beteiligung. Dass Jugendparlamente und andere Beteiligungsformate immer die gleichen Kinder und Jugendlichen erreichen, stört ihn schon länger. Deshalb hat er 2018 gemeinsam mit dem Kommunalberater Udo Wenzl den sogenannten 8er-Rat ins Leben gerufen.

Die Idee: Alle Kinder der achten Klassen einer Stadt setzen sich zu Beginn des Schuljahres schulübergreifend in einer großen Aula oder der Stadthalle zusammen und überlegen, welche Probleme es in ihrer Stadt oder in ihrem Leben gibt. Im Laufe des Jahres arbeiten die Jugendlichen an Lösungen für die Probleme, für die sie sich interessieren; und am Ende des Schuljahres präsentieren und diskutieren sie ihre Ergebnisse bei öffentlichen Ausstellungen, mit Kommunalpolitiker:innen und Verwaltungsangestellten. Dann ist der nächste achte Jahrgang dran, Jahr für Jahr.

„Unser Ziel ist nicht, dass eine der Ideen der Jugendlichen umgesetzt wird, sondern dass alle Ideen umgesetzt werden“, sagt Erik Flügge. Oftmals seien die Ideen auch keine große finanzielle Investition. „Wir hatten mal Jugendliche, denen der Bus nach der Schule immer genau vor der Nase weggefahren ist“, erzählt Flügge. Dass der Bus letztendlich vier Minuten später losfuhr, war keine teure Lösung, aber der Weg dahin sei lang gewesen. „Da müssen dicke Bretter gebohrt werden beim Busunternehmen, auch das lernen die Jugendlichen.“

Damit das Projekt funktioniert, müssen alle Akteure mitziehen: die Schulen, die Kommunalpolitik, die soziale Jugendarbeit, die das Projekt vor Ort unterstützen soll – und natürlich die Jugendlichen. „Wir konnten den 8er-Rat nicht freiwillig gestalten, denn dann würden wir wieder immer die gleichen Jugendlichen erreichen“, sagt Flügge. „Wir konnten es aber auch nicht unfreiwillig gestalten, denn dann wäre das einfach Unterricht.“ Also haben sie den Mittelweg gewählt: Alle müssen vor Ort sein, aber ob sie sich an jeder Diskussion beteiligen oder mit ihrem Handy an die Seite setzen und daddeln, entscheiden die Jugendlichen selbst. Flügge schätzt: Fünf Prozent schalten ab und machen nichts, alle anderen sind dabei. „Das ist eine super Quote.“

Am besten funktioniere der 8er-Rat in Städten mit 20.000 bis 40.000 Einwohner:innen, erklärt Erik Flügge. „Einfach, weil die Gruppe der Achtklässler:innen dann eine gute Größe hat.“ In größeren Städten müssten andere Formate gefunden werden.

Wenn es kein Geld gibt, können Kinder und Jugendliche auch nicht mitbestimmen

„Die Haushalte von Städten sind sehr verkopft. Da ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten, viele Themen konkurrieren miteinander“, sagt Stefanie Buhr. Deshalb gibt es demnächst in Potsdam ein Kinder- und Jugendbudget: 30.000 Euro stehen jungen Menschen dort zur Verfügung, um ihre Projektideen selbst umzusetzen. Die Jugendlichen können Vorschläge machen, wofür das Geld verwendet wird. Eine Jury, die wiederum ausschließlich aus Kindern und Jugendlichen besteht, entscheidet dann, welche Vorschläge umgesetzt werden. Die Kriterien für die Vergabe der Gelder entwickeln die Kinder und Jugendlichen selbst. „Die jungen Menschen können super einschätzen, ob die Ideen gerecht und fair sind, ob davon viele was haben oder nur einzelne profitieren würden“, sagt Buhr.

In einer Studie haben Wissenschaftler:innen untersucht, welche Auswirkungen so ein Bürgerbudget auf die Wahlbeteiligung haben kann. Dafür verglichen sie New Yorker Bürger:innen, die mit Bürgerhaushalten in Berührung gekommen sind, mit solchen, die damit nichts zu tun hatten. Und sie stellten fest: Unter denjenigen, die bei einem Bürgerbudget einbezogen wurden, war die Wahlbeteiligung um 8,4 Prozentpunkte höher. Die Autor:innen schreiben: „Darüber hinaus stellen wir fest, dass diese Effekte bei Personen, die häufig eine geringere Wahlwahrscheinlichkeit haben, größer sind – junge Menschen, Wähler mit geringerem Bildungsstand und geringerem Einkommen, schwarze Wähler:innen und Menschen, die in ihrer Nachbarschaft zur Minderheit gehören.“

Von einem solchen Budget für Kinder und Jugendliche kann Alexandra Gauß, die Bürgermeisterin aus Nordrhein-Westfalen, nur träumen. Und da ist sie nicht die Einzige. Laut Städte- und Gemeindebund sind mehr als 2.000 Gemeinden in Deutschland hoch verschuldet. Was das konkret bedeutet? „Ich habe als Bürgermeisterin 1.500 Euro für das ganze Jahr zur Verfügung, die ich frei verwendet darf“, erklärt Gauß. „Da machen andere nicht mal einen Sektempfang mit.“

Für das Pumptrack, das sie als Alternative zum Skatepark tatsächlich aufstellten, verwendete sie keinen einzigen kommunalen Cent. Stattdessen sammelte sie Spenden. Privatleute, Unternehmer:innen, Ratsmitglieder, Verwaltungsangestellte, der Beigeordnete und auch Alexandra Gauß selbst spendeten für das Projekt. Heute fahren Kinder mit ihren Rollern und Fahrrädern über die Bahn; und können online mitbestimmen, wo das mobile Pumptrack als Nächstes aufgestellt werden soll. „Für eine Flächengemeine wie Windeck ist das sowieso die bessere Lösung“, sagt Gauß.

Der Kampf um die Köpfe der Jugendlichen ist in vollem Gange

Ein Porträt von Dirk Neubauer.

Dirk Neubauer ist seit August 2022 Landrat von Mittelsachsen und war vorher Bürgermeister von Augustusburg. Im Sommer interviewte ihn die Taz zur Frage, wie er es schafft, die AfD klein zu halten. Foto: privat.

Ausgerechnet jetzt, während des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, inmitten der Klimakrise und dem Erstarken demokratiefeindlicher Parteien, hat die Ampel-Regierung vor, die Mittel für politische Bildung in Deutschland zu kürzen. Um ein Fünftel soll das Budget verringert werden, so sieht es der Haushaltsentwurf vor. Für die Bundeszentrale für politische Bildung beispielsweise wäre das eine Kürzung von 95 auf 75 Millionen Euro. Betroffen wären Projekte in Regionen, in denen das rechtsextreme oder rechtsorientierte Spektrum besonders stark ist. „Da holen wir die Leute nicht in Seminarräume, sondern gehen dahin, wo sie sind. Das ist deutlich zeit- und ressourcenaufwendiger als andere Projekte“, sagte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale gegenüber Table Media.

Dirk Neubauer, der Landrat, hält das Sparen für grundfalsch. Er fordert das glatte Gegenteil: 10.000 Euro für jede Kommune, über deren Verwendung Kinder und Jugendliche entscheiden dürfen. „Sonst wird das in den chronisch klammen Kommunen nie was mit der Jugendbeteiligung.“

Wenn Neubauer durch seinen Landkreis Mittelsachsen fährt, hängen dort das ganze Jahr über AfD-Plakate wie im Wahlkampf. Auf denen sieht er AfD-Politiker:innen, die zu Veranstaltungen einladen. Der dritte Weg, eine rechtsextreme und neonazistische deutsche Kleinpartei, richtet Familienfeste mit Hüpfburgen und Grillwurst aus. „In einer Gegend, in der politische Bildung vernachlässigt wird, ist das gefährlich“, sagt Neubauer. „Die wissen gar nicht, an wessen Grill sie da gerade stehen.“ Das verfange gerade bei jungen Menschen.

In den Polizeiberichten, die ihm täglich vorgelegt werden, häufen sich Meldungen über geschmierte Hakenkreuze. „Das macht niemand mit 55 Jahren, das machen Jugendliche. Der Kampf der rechten Parteien um die Köpfe der jungen Menschen ist längst in vollem Gange. Wir dürfen da nicht einfach zuschauen.“


Transparenzhinweis: Mit Alexandra Gauß, Dirk Neubauer, David Löw Beer und Stefanie Buhr habe ich Ende September auf einer Veranstaltung der Hertie-Stiftung diskutiert. Ich habe eine Podiumsdiskussion zu Jugendbeteiligung und Strukturwandel moderiert, an der sie teilnahmen. Die meisten Aussagen stammen aus den Gesprächen, die wir zur Vorbereitung für dieses Panel geführt haben.

Die Gemeinde Windeck hat am Projekt „Jugend entscheidet“ der Hertie Stiftung teilgenommen. Da ich für die Moderation der Podiumsdiskussion von der Stiftung ein Honorar bekommen habe, habe ich mich dazu entschlossen, im Artikel nicht auf dieses Projekt einzugehen.

Redaktion: Johannes Laubmeier, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

So bekommen Kinder in Städten tatsächlich politische Macht

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