Ein Schulkind geht an der Hand einer Frau einen Gang im Schulgebäude entlang.

Choreograph, LumiNola/Getty Images

Kinder und Bildung

Analyse: Was eine Schulbegleitung können muss? Meistens nichts

Kinder, die im Unterricht allein nicht zurechtkommen, bekommen eine Schulbegleitung. Meine Recherche zeigt: Vielleicht ist das die völlig falsche Idee.

Profilbild von Leoni Bender

Manche Geräusche, die Marie in der Schule hört, sind für sie unerträglich. Am schlimmsten ist es, wenn es fast still ist – und sie nur das Kratzen von Stiften über dem raschelnden Papier hören kann. In solchen Momenten rennt sie aus dem Klassenzimmer.

Marie ist in der Grundschule, als bei ihr eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wird. Die Lehrkräfte werden mit der Situation alleine nicht fertig, sie werden mit ihr nicht fertig. Also gehen Maries Eltern zum Jugendamt in Freiburg und beantragen eine Schulbegleitung, die Marie im Alltag an ihrer Schule helfen soll. Kinder und Jugendliche, die mehr Hilfe brauchen als die Schule liefern kann, haben einen Rechtsanspruch darauf.

Marie kommt auf eine Warteliste. Und es passiert erstmal nichts. Die Frage, ob sie weiter auf ihre Grundschule gehen kann, hängt nun davon ab, ob einer der vielen verschiedenen Träger von Schulbegleitungen jemanden findet, der sie unterstützen kann – und will.

So wie Marie geht es vielen Kindern in Deutschland. Immer mehr Kindern wird attestiert, dass sie eine besondere Förderung brauchen, die über normalen Unterricht hinausgeht. Und hier kommen Schulbegleitungen ins Spiel.

Schulbegleitungen übernehmen eine Schlüsselrolle bei dem Vorhaben, auch Kinder mit Förderbedarf auf Regelschulen zu unterrichten, kurz: bei der Inklusion. Meine Recherche zeigt: Ausgerechnet über diese Schlüsselrolle herrscht in Deutschland erstaunlich viel Unklarheit. Der Bedarf ist riesig, Eltern warten teils Monate lang auf Hilfe und ob die Inklusion gelingt, ist eigentlich Glückssache. Deshalb starten wir bei Krautreporter einen Zusammenhang, der erklärt, was hinter dem System steckt – und welche Ideen es gibt, das System zu verändern. Das hier ist der erste Teil.

Vielen ist nicht klar, wofür eine Schulbegleitung überhaupt da ist

Die Geschichte der Schulbegleitungen ist eine Geschichte der Verwirrung. Und diese beginnt im Jahr 2009 als in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert wurde. Das heißt: Deutschland hat sich verpflichtet, die Konvention umzusetzen. Die Konvention besagt eigentlich, dass alle Menschen das Recht haben, an qualitativ hochwertiger Bildung teilzuhaben und ihr Potenzial voll zu entfalten. Also: Jede Schule nimmt jedes Kind auf. Statt in Förderschulen sollen Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen möglichst inklusiv in einer Regelschule unterrichtet werden. Sie sollen nicht weiter ausgegrenzt werden.

Wie gut das klappt? Nun, Ende August 2023 reisten Vertreter:innen des Bundes und der Bundesländer nach Genf, um sich vor den Vereinten Nationen zu erklären. Zum zweiten Mal hatte die UN überprüft, wie Deutschland die Behindertenrechtskonvention umsetzt. Amalia Gamio, Vizepräsidentin des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderung, sagte in Richtung der Deutschen: „Es tut mir leid, dass ich so ehrlich bin. Es ist ein Skandal, was Sie hier zum Teil antworten.“

Laut des deutschen Schulbarometers fühlen sich 71 Prozent der Lehrer:innen bei der Umsetzung von Inklusion überfordert. Die Schulbegleitungen sind eine Antwort Deutschlands darauf, wie Kinder mit Förderbedarf trotzdem die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. In der Krautreporter-Community-Post habe ich euch im Juli um Hilfe gebeten, um das System dahinter besser zu verstehen. Fast 30 Leser:innen haben sich bei mir gemeldet, darunter viele Schulbegleitungen. Einer davon war Christian. Er hat über ein Jahr lang in Thüringen Jugendliche begleitet und sagt: „Vielen an der Schule ist nicht so richtig klar, was eine Schulbegleitung ist – und wofür man eigentlich da ist.” Wie kann das sein?

Jeden Tag kommt eine andere Schulbegleitung – wenn sie überhaupt kommt

Aber zurück zu Marie. Ihre Mutter Anna erinnert sich, wie es weiterging: „Wir haben ewig rumtelefoniert und standen bei vielen Trägern auf der Matte.” Der Ablauf der Beantragung ähnelt sich meistens. Erst wird der Antrag auf Schulbegleitung beim Jugendamt oder Sozialamt gestellt. Da bei Marie eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wurde, geht es bei ihr über das Jugendamt. Es wird ein psychologisches Gutachten und ein Bericht der Schule erstellt, die Sacharbeiter:in des Jugendamts stellt einen Leistungsbescheid aus. Mit dem Bescheid geht es zu verschiedenen Trägervereinen, beispielsweise einem Büro der Caritas oder der Lebenshilfe, die Schulbegleitungen anstellen.

Kurz vor Ende des vierten Schuljahres klappt es bei Marie. Ein privater Trägerverein stellt der Familie zwei Personen zur Verfügung, die die Tochter abwechselnd begleiten sollen. Das funktioniert. Aber im nächsten Schuljahr – auf der weiterführenden Schule – geht das Prozedere wieder von vorne los. Erst eine Woche vor Schulbeginn findet der Trägerverein jemand passenden. Und die Person will auch nur so lange bleiben, bis ihr Referendariat startet. „Der Umstieg auf die weiterführende Schule war wirklich schlimm für Marie. Sie hatte eine extrem unruhige Klasse, ist ständig rausgerannt und hatte Nervenzusammenbrüche”, sagt Anna.

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Kurz vor Weihnachten kündigt der Trägerverein den Vertrag – das Argument: Die Tochter sei “nicht beschulbar”. Auf Druck des Jugendamtes, das die Maßnahme eigentlich für ein Jahr bewilligt hat, wird der Träger gezwungen, bis Ende Februar weiterzumachen. Es kamen jeden Tag wechselnde Leute, erzählt Anna. Manchmal wusste man erst morgens, wer – und ob – jemand kommt. „In der Zeit hat Marie riesige Rückschritte gemacht und hatte kein Vertrauen mehr.”

Laut einer Umfrage von Autismus Deutschland sind Schulausschlüsse von Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung keine Seltenheit. Insgesamt fast ein Fünftel der befragten Eltern gab an, dass ihr Kind schon einmal von der Schule ausgeschlossen wurde, teilweise über Monate hinweg. Häufiger Grund war demnach, dass die Schulbegleitung ausfiel.

Parallel zu diesem Chaos sucht Maries Familie nach Alternativen, wendet sich sogar an eine private Personalagentur. Von einem anderen lokalen Anbieter bekommen sie schließlich eine Heilpädagogin vermittelt, die die Schulbegleitung auch langfristig übernehmen möchte. Auch die Chemie zwischen ihr und Marie stimmt. Langsam macht sie Fortschritte und kann besser am Unterricht teilnehmen. Dann, drei Tage vor Ende der Sommerferien, kommt die Nachricht, dass die Schulbegleitung auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben ist. „Es ist ein großes Problem, wenn jemand ausfällt”, sagt Anna. Reserven für Vertretungen haben die Träger-Agenturen kaum.

So gefragt sind Schulbegleitungen

Maries Fall zeigt, wie schwierig es ist, eine geeignete Schulbegleitung zu finden. Wie bei allen sozialen Berufen herrscht krasser Personalmangel. Der Dachverband der Caritas, der etwa 6.000 lokale Mitgliedsverbände hat, schreibt mir: „Die Nachfrage nach Schulbegleitungen kann grundsätzlich derzeit nicht gedeckt werden. Es gibt örtliche Wartelisten für Schulbegleitungen.”

Wie groß das Problem ist, kann ich nicht genau sagen, weil niemand das kann. Wie viele Kinder und Jugendliche deutschlandweit überhaupt einen Anspruch auf Schulbegleitung haben, lässt sich kaum beantworten. Durch die kommunale Selbstverwaltung gibt es keine bundesweiten Statistiken. Ich habe bei den zuständigen Ministerien der Bundesländer nachgefragt und festgestellt, dass jedes Bundesland die Zahlen anders erhebt – oder gar nicht. Die Tendenz ist aber eindeutig: Die Nachfrage nach Schulbegleitungen ist seit dem Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in den letzten Jahren stark gestiegen. Ein Beispiel ist Nordrhein-Westfalen. Waren 2012 noch knapp 5.000 Schüler:innen dazu berechtigt, eine Schulbegleitung zu bekommen, waren es neun Jahre später schon fast 23.000:

Auch die Zahlen der anderen Bundesländer, die mir Auskunft darüber geben konnten, bestätigen den starken Anstieg. So gab es beispielsweise in Baden-Württemberg 2014 insgesamt 2.884 Empfänger:innen, während es 2021 schon 7.095 waren. In Rheinland-Pfalz stieg die Zahl von 1.662 Personen (2012) auf 3.701 (2021) und in Schleswig-Holstein von 930 (2011) auf 2.844 (2021).

Was eine Schulbegleitung können muss? Meistens nichts

Wenn es um Schulbegleitungen geht, ist vieles verwirrend. Das beginnt schon beim Namen. In Berlin heißen die Begleitungen Schulhilfe, in Hessen spricht man von Teilhabeassistenz. In Rheinland-Pfalz gibt es Integrationshilfen und in Baden-Württemberg Schulbegleitungen.

Das liegt auch daran, dass es keine regionalen oder bundesweiten Standards für Schulbegleitungen gibt. Normalerweise sind Schulbegleitungen kein Teil des Kollegiums an der Schule. Sie werden vom Jugendamt oder Sozialamt finanziert und häufig von externen Arbeitgebern eingestellt. Das alles passiert in kommunaler Selbstverwaltung. Wie die Beantragung und die Umsetzung von Schulbegleitungen konkret abläuft, kann sich von Kommune zu Kommune unterscheiden.

Was so eine Schulbegleitung können muss? Oftmals nichts. Sie muss lediglich ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und schon kann es losgehen. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch überqualifizierte Begleitungen gibt.

Der Fachverband Schulbegleitungen setzt sich dafür ein, das Berufsbild Schulbegleitungen professioneller zu machen – und einheitlicher. Nils Diers ist der Vorsitzende des Verbandes. Er sagt, die meisten Träger arbeiten mit ungelernten Hilfskräften. „Aber die Voraussetzungen sind überall anders. Hamburg arbeitet überwiegend mit völlig unqualifiziertem Personal, Freiburg dagegen stellt überwiegend qualifizierte Personen an.” Dadurch gebe es in Freiburg aber auch nur einen kleineren Kreis an Schüler:innen, die für Schulbegleitung überhaupt infrage kommen.

KR-Leserin Pamela arbeitet als Bereichsleitung bei einer evangelischen Sozialstation, die Schul- und Kitabegleitungen vermittelt. „In der Praxis versuche ich, eine völlig unbedarfte Kraft nicht auf ein schwer verhaltensauffälliges Kind loszulassen”, sagt sie. In einem Vorstellungsgespräch und einem Kennenlernen zwischen potenzieller Schulbegleitung, den Eltern, der Schule und dem Kind kann die persönliche Eignung festgestellt werden: „Das muss aber meistens sehr kurz gehalten werden, da es nicht durch den Kostenträger vergütet wird.”

Auch eine gesetzliche Verpflichtung zu Fortbildungen existiert nicht. Das bestätigt mir der Dachverband der Caritas, der seine Schulbegleitungen aus eigenem Antrieb beispielsweise zu Kinderschutz, Gewaltprävention oder Traumapädagogik schult. Allerdings gibt es nicht mal innerhalb des Verbandes bundesweite Standards: Die Fortbildungen variieren von Ortsverband zu Ortsverband, da die Mitgliedsverbände wirtschaftlich, juristisch und operativ autonom sind. Auch das Deutsche Rote Kreuz und die Diakonie, die viele lokale Trägervereine für Schulbegleitungen haben, können mir dazu keine Auskunft geben – je nach Ort gebe es unterschiedliche Bedingungen und Regeln.

Diese Unübersichtlichkeit sei symptomatisch für das Thema Schulbegleitung, sagt der Erziehungswissenschaftler Marian Laubner: „Es gibt so viele unterschiedliche Standards und alles ist zersplittert – von Bundesland zu Bundesland, von Kommune zu Kommune und von Schule zu Schule.”

Wofür sind die nochmal da?

Die unklaren Verhältnisse spiegeln sich auch im Schulalltag wider. Schulbegleitungen haben keine feste Position in der Schule – dafür aber gleich mehrere Vorgesetzte. Sie sind meist bei (unterschiedlichen) externen Trägern angestellt, der Schulleitung unterstellt und den Lehrkräften untergeordnet. Dazu müssen sie sich mit den Eltern abstimmen und natürlich gut mit dem Kind oder Jugendlichen auskommen. Sie sind also abhängig von vielen Personen. Und deren zum Teil widersprüchliche Erwartungen können zu Rollenkonflikten führen, wie die Erziehungswissenschaftlerin Anika Lübeck beschreibt. Lübeck beschäftigt sich schon seit elf Jahren mit Schulbegleitungen und ihrer Rolle in den Schulen. Durch ihre Anstellung bei externen Trägern, seien Schulbegleitungen an den Schulen oft isoliert: „Für viele ist es schwierig, Einzelkämpfer:innen zu sein”, sagt Lübeck.

Bleibt die Frage, was Schulbegleitungen eigentlich genau machen – und was sie machen sollen.

Was sie machen sollen, ist nicht so einfach zu beantworten. Offiziell sollen Schulbegleitungen in der Schule keine pädagogischen Aufgaben übernehmen, sondern lediglich lebenspraktische Hilfestellung geben. Also: Ausräumen der Schultasche, einfache pflegerische Aufgaben wie Hilfe beim Toilettengang oder auf dem Schulgelände begleiten oder bei der Kommunikation mit Lehrkräften und Mitschüler:innen unterstützen. Das schreibt beispielsweise das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie.

In der Praxis sei das aber nicht umsetzbar, denn sie übernehmen auch pädagogische Aufgaben, sagt der Erziehungswissenschaftler Laubner: „Eigentlich dürfen sie gar nicht so viel, wie sie tun.” KR-Leser Tom, der mehr als zwei Jahre als Schulbegleitung gearbeitet hat, sagt: „Die Grenzen meines Aufgabenbereichs waren sehr diffus.” Wenn er sich zufällig auskannte, habe er manchmal Unterrichtsinhalte erklärt oder der Mutter geholfen, schulrechtliche Angelegenheiten zu regeln.

Feste Strukturen an den Schulen, beispielsweise gemeinsame Konferenzen, um sich mit ihnen auszutauschen, gebe es nicht, berichten mir verschiedene Schulbegleitungen. Sie werden meist kaum in die Planung einbezogen. Das Potential der Schulbegleitungen werde unterschätzt, sagt Laubner. „Keine Lehrkraft sieht die Klasse so häufig wie die Schulbegleitung. Dadurch haben sie einen guten Überblick und können eine wichtige Ressource für die Klassen-Dynamiken sein – wenn man sich als Lehrkraft mit ihnen austauscht.”

Auch das hat Folgen. So schreibt zum Beispiel KR-Leserin Miriam, dass sie sehr abhängig von den jeweiligen Lehrkräften sei: „Wenn ich auf Antipathien stoße, kann ich meine Arbeit nicht gut machen.” Michi erzählt wiederum, dass sie sich an ihrer Schule wertgeschätzt fühlt: „Die Lehrer sind dankbar, dass ich da bin. Ich habe allerdings auch schon von einer Kollegin gehört, dass sie vor dem Klassenzimmer sitzen musste.”

Petra arbeitet als Lehrerin an einer Grundschule, an der in fast jeder Klasse eine Schulbegleitung ist. Sie hat in der Zusammenarbeit gemischte Erfahrungen gemacht: „Eine Schulbegleiterin war immer barfuß unterwegs und hat das auch von ihrem Begleitkind verlangt – weil ‘Schuhe unnatürlich sind’”. Am Ende habe sie sie aus dem Klassenraum verwiesen. Es hänge besonders von der Persönlichkeit ab, ob die Zusammenarbeit klappt, sagt Petra. „Wenn die Chemie stimmt, sind sie eine große Hilfe.”

Ist es also eher Glückssache, ob Inklusion am Ende gelingt? „Klingt schlimm, aber treffend”, sagt die Erziehungswissenschaftlerin Anika Lübeck. „Weil wir keine fachlichen Standards haben, ist der Schlüssel, dass alle Personen, die zusammenarbeiten, sich gut verstehen.”

Wer seinen Job gut macht, verdient weniger

Die meisten Schulbegleitungen, mit denen ich gesprochen habe, haben den Job nur für eine kurze Zeit gemacht. KR-Leserin Luise beispielsweise hat ihren Job als Schulbegleitung wegen der unsicheren Arbeitsbedingungen aufgegeben und arbeitet mittlerweile als Förderschullehrerin. Sie war über ihren freien Träger für eine festgelegte Stundenanzahl pro Woche eingeplant. „Gezahlt wurden aber nur wirklich geleistete Stunden”, sagt sie.

Das sei nicht unüblich, erklärt mir die Bereichsleiterin Pamela: „Viele Kostenträger zahlen nur, wenn die Hilfe erbracht wird. Bei Krankheit des Kindes rutschen die Schulbegleitungen dann in die Minusstunden.” Außerdem seien die Verträge meistens zweckbefristet, das heißt an die Begleitung des einen Kindes gebunden. Also: Macht das Kind seinen Abschluss, oder das Jugendamt bewilligt keine weitere Hilfe, läuft auch der Vertrag aus. Durch den hohen Bedarf sei zwar die Chance hoch, schnell einen neuen Fall zu finden, sagt Pamela. Aber eine Restunsicherheit bleibe.

Diese Unsicherheit ist fest im System eingebaut. Denn: Schulbegleitung machen sich im besten Fall nach einer gewissen Zeit selbst überflüssig. „Wenn du eine gute Schulbegleitung bist, sägst du an deinem eigenen Ast”, sagt Lübeck. Bei einem sogenannten Hilfeplangespräch, das meistens alle sechs Monate stattfindet, besprechen das Sozial- oder Jugendamt mit Eltern, Träger und Schulbegleitung, wie viele Stunden bewilligt werden. Wenn es gut läuft, das Kind also Fortschritte macht, werden die Stunden reduziert. „Wer seinen Job also gut macht, verdient weniger”, sagt Lübeck.

Eine Schulbegleitung pro Klasse – ist das die Zukunft?

Aktuell heißt Inklusion, das alte System mithilfe von Schulbegleitungen größtenteils zu erhalten. Das bestätigt auch Marian Laubner: „Wenn es sie nicht gäbe, würde sicher einiges gegen die Wand fahren. Aber es würde erforderlich machen, dass sich das System Schule, wie es jetzt funktioniert, mehr infrage stellen und verändern muss.”

Es gibt bereits Ideen, Schulbegleitungen anders einzusetzen. Eigentlich sind sie für ein Kind da – und der Weg dahin ist oft eine lange Bürokratie-Hölle, wie meine Recherche gezeigt hat. Sogenannte Pool-Modelle könnten das ändern. Das bedeutet: Nicht ein einzelnes Kind hat eine ausschließlich für dieses Kind bewilligte Schulbegleitung, die Unterstützung wird stattdessen für mehrere Kinder gebündelt – oder die Schulbegleitung wird sogar als Assistenz für die gesamte Klasse eingestellt. Der Landkreis Soest in Nordrhein-Westfalen hat die sogenannte Systemischen Schulassistenz eingeführt. Dabei sind die Schulbegleitungen für alle Schüler:innen einer Klasse zuständig und fester Teil des Kollegiums. Auch im Kreis Pinneberg in Schleswig-Holstein sollen künftig alle 530 Klassen der Grund- und Gemeinschaftsschulen eine feste Assistenz bekommen.

So kann auch eine mögliche Stigmatisierung der Kinder verhindert werden, die eine Schulbegleitung brauchen. Die Bereichsleiterin Pamela hält Pool-Lösungen für sinnvoll. Aufwändige Beantragungsverfahren werden erleichtert und es entstehen sicherere Arbeitsverhältnisse, sagt sie. Außerdem lassen sich leichter Vertretungen finden, weil Ausfälle im Schulbegleitungspool einer Schule kompensiert werden können.

So weit ist Maries Schule noch nicht. Aber: Nach längerer Krankheit kam die Heilpädagogin, die ihre Schulbegleitung war, mit reduzierten Stunden zurück. Mittlerweile ist Marie auch nicht mehr so abhängig von ihr, sagt ihre Mutter Anna. Sie schafft es, in die Schule zu gehen, auch wenn keine Schulbegleitung da ist. „Meine Tochter hat einfach Zeit gebraucht, die man uns nicht geben wollte.”


Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Rico Grimm, Fotoredaktion und Grafiken: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger.

Was eine Schulbegleitung können muss? Meistens nichts

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