Es gibt Demonstrationen, mit denen rechnet man: Solche für Frieden in der Ukraine, gegen das Sterben im Mittelmeer oder den Lehrermangel. Und es gibt Demos, mit denen rechnet man nicht.
In Berlin, auf dem Platz vor dem roten Rathaus, haben sich am Dienstag hunderte Privatschüler:innen und Lehrkräfte versammelt, weil sie wollen, dass der Senat ihnen mehr Geld zur Verfügung stellt. Mittendrin: ein Plakat, auf dem groß „Bildungsgerechtigkeit“ steht. Zugegeben: Es ist merkwürdig, dass ausgerechnet Privatschüler:innen für Bildungsgerechtigkeit demonstrieren. Meistens sind Privatschulen das Symbol für die Ungerechtigkeit schlechthin.
Die Frage, wie Privatschulen finanziert werden, ist aber relevant. Auch für meine Recherche über den Boom der Privatschulen, in der ich schon knietief stecke. Und immer wieder merke ich, dass über die Finanzierung von privaten Schulen erstaunlich wenig bekannt ist. Bei Privatschulen denken viele direkt an reiche Eliteinternate, die als echtes Feindbild dienen können. Dass Waldorfschulen, Montessorischulen und Freie Demokratische Schulen auch zu den Privatschulen gehören, geht schnell unter.
So werden Privatschulen finanziert
In all diesen Fällen ist die Finanzierung grundsätzlich aber gleich: Privatschulen bekommen für jede Schülerin und jeden Schüler einen festgeschriebenen Anteil des Geldes, das der Senat (im Falle von Berlin) für Schüler:innen an öffentlichen Schulen ausgibt. Wie hoch dieser Anteil ist, variiert von Bundesland zu Bundesland. In Berlin sind es durchschnittlich vergleichsweise hohe 93 Prozent. Davon müssen aber nicht nur die Lehrkräfte bezahlt, sondern auch das Gebäude instand gehalten und die Reinigung und die Energiekosten beglichen werden. Weil 93 Prozent nicht 100 Prozent sind, müssen Privatschul-Eltern die Differenz oftmals selbst bezahlen. In dem Aufruf zur Demo stand, dass Privatschulen in Berlin endlich fair bezuschusst werden müssen. Warum?
Was treibt die Privatschüler:innen also vor das Rote Rathaus?
Zum ersten Mal seit zwölf Jahren erhalten die Privatschulen 2023 geringere Zuschüsse als im Vorjahr. Denn wie viel Geld die Privatschulen pro Schüler:innen bekommen, hängt, wie oben erwähnt, davon ab, wie teuer Schüler:innen an öffentlichen Schulen sind. Das berechnet der Berliner Senat oder in anderen Bundesländern die jeweiligen Ministerien. Weil immer mehr Quereinsteiger:innen in den öffentlichen Schulen unterrichten und die wiederum weniger Gehalt bekommen, muss der Senat rein rechnerisch weniger Geld pro Schüler:in an den öffentlichen Schulen ausgeben. Und schon bekommen auch die Privatschulen weniger Geld.
Für eine Waldorflehrerin aus Berlin-Zehlendorf, die lieber anonym bleibt, ist die Sache ganz einfach: „Der Senat zahlt nicht für die Schulen, sondern für die Kinder. Und wenn der Senat für jedes Kind eine gewisse Summe hat, die Bildung wert ist, sollte diese Summe an jeder Schule gleich sein, egal ob öffentlich oder privat.“
Nun können Eltern ihr Kind natürlich auch auf eine öffentliche Schule schicken. Dass sie das nicht tun, ist ihre – private – Entscheidung. „Es ist wichtig, dass es eine Vielfalt gibt. Wir können innovative Ideen viel schneller ausprobieren als staatliche Schulen.“ Aber: „Die Freiheit, die wir privaten Schulen haben, wünsche ich den öffentlichen Schulen auch.“
Klar ist: Die öffentlichen Schulen sind marode, überall fehlt Geld im öffentlichen Schulsystem. Ist es da wirklich die beste Idee, Privatschulen jetzt noch mehr Geld zu geben? Die Waldorflehrerin sagt: „Da fallen mir andere Bereiche ein, die man gegeneinander ausspielen sollte, bei denen man sparen sollte, damit sowohl die öffentlichen als auch die privaten Schulen mehr Geld bekommen können.“
Regelungen wie an öffentlichen Schulen? „Das ginge mir zu weit“
Vor dem Roten Rathaus malen manche Privatschüler:innen ihre Plakate erst vor Ort. Dort steht: „Bildung wird kaputtgespart“, „Chancengleichheit sichern“ oder „Gleichberechtigung für alle Schulen“. Die Menge an Lastenfahrrädern lässt den Platz voller wirken, als er ist.
Dass die Privatschulen weniger Geld bekommen sollen, kritisiert auch Nikolaus Harloff: „Das sind für unsere Oberschulen allein 330.000 Euro pro Jahr, die uns jetzt fehlen“, sagt er. Harloff ist Schulleiter der Grundschule der Internationalen Schule Berlin und spricht erst auf der Bühne vor dem Rathaus und dann mit mir.
Eltern, die ihr Kind an seine Schule in Berlin-Steglitz schicken, müssen derzeit 510 Euro pro Monat bezahlen. Einen Rabatt für Eltern, die sich das nicht leisten können, gibt es zwar. 164 Euro müssen sie dann aber immer noch aus eigener Tasche zahlen. Dass Eltern, die Bürgergeld empfangen, sich auch den geringeren Betrag nicht leisten können, ist Harloff bewusst. Er sagt: „Wir sind dazu gezwungen.“
Er will deshalb eine Vollfinanzierung. Also: Privatschulen sollen genauso viel Geld bekommen wie öffentliche Schulen. Die Logik verstehe ich durchaus: Wenn Privatschulen voll finanziert werden, müssten sie keine Elternbeiträge erheben und schon wären sie auch für Eltern mit wenig Einkommen eine Option.
Ich habe Harloff gefragt, ob ein Staat, der 100 Prozent der Kosten deckt, dann nicht auch Regeln dafür aufstellen darf, wer auf diese Schulen geht. Harloff: „Der Staat muss die Kontrolle über die Bildung haben, das steht völlig außer Frage!“ Aber eine gesetzliche Regelung, dass alle interessierten jungen Menschen aus dem Einzugsgebiet einen Zugangsanspruch bekommen? „Das ginge mir zu weit. Meine Schule ist bilingual, deutsch und englisch. Im Einzugsgebiet meiner Schule habe ich Schüler und Eltern, die Bilingualität vielleicht gar nicht wollen!“
Es fehlen mächtige Verbündete
Auf dem Platz vor dem Roten Rathaus spüre ich die Entschlossenheit der Eltern und Lehrkräfte. Nach den Gesprächen verstehe ich besser, warum die Privatschüler:innen und die Lehrkräfte davon überzeugt sind, für mehr Bildungsgerechtigkeit auf die Straße zu gehen.
Das für mich Schwierige daran ist aber, dass eine politisch mächtige Gruppe, vor allem Akademikereltern, nicht mehr mit der Politik diskutieren, wie man das öffentliche Schulsystem in Berlin verbessern könnte. Weil sie ihr Kind lieber auf eine Privatschule schicken. Dem öffentlichen Schulsystem fehlen so Verbündete, die es so dringend bräuchte. Auf Twitter schreibt eine Mutter: „Die Eltern, die sich bewusst für staatlich entschieden haben, versuchen bei uns ALLES, um was zu ändern. Wir sind aber zu wenige.“
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Christian Melchert