Hinweis: Dieser Artikel enthält Schilderungen von Suizid.
Im Juni 2020 fand Alix Puhl den Abschiedsbrief ihres Sohnes. Von Emil aber fehlte jede Spur. Mit 80 Helfer:innen suchte sie einen Wald ab, in dem sie ihn vermutete. Wie in einem schwedischen Krimi. Aber sie fanden ihn nicht.
Vier Tage später erweiterte sie das Suchgebiet. Alix Puhl und ihr Mann hatten einen großen E-Mail-Verteilter aufgebaut. 400 Menschen halfen. Zwei Hunde entdeckten Emil schließlich zufällig in einem anderen Waldstück.
Emil war zuvor in professioneller psychotherapeutischer Behandlung gewesen. Geholfen hatte sie nicht. Der Suizid war das letzte Kapitel eines Kampfes, der bei vielen Kindern und Jugendlichen schon viel früher und im Kleinen beginnt. Wie auch Alix Puhl und ihr Mann sind viele Eltern damit völlig überfordert.
„Nach Emils Tod haben sich immer mehr Eltern bei uns gemeldet, denen es so ging wie uns“, sagt Puhl. Einige kamen die Puhls sogar besuchen. Im Wohnzimmer der Familie erzählten sie von Suizidversuchen ihrer Kinder, von Depressionen und anderen psychischen Krankheiten und plötzlich sind die Puhls nicht mehr nur Betroffene – sie werden selbst zu Seelsorgern: „Fast alle Eltern, mit denen wir über die psychische Krankheit ihrer Kinder gesprochen haben, sagten: Wir sind mit unserem Problem allein, niemand kennt sich aus.“
Wenn Kinder psychisch erkranken, suchen Eltern nach Antworten. Häufig geben sie sich selbst die Schuld. Manchmal sind sie das auch; etwa wenn sie ihr Kind misshandeln, ihnen keine Aufmerksamkeit schenken – oder zu viel. Manchmal sind sie es nicht.
Während der Corona-Pandemie ging es vielen Kindern und Jugendlichen schlechter, das haben zahlreiche Studien gezeigt. Doch die Belastung ist nicht vorüber, nur weil die Krise vorbei ist: Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) beziffert den Anteil der Jugendlichen, die nach der Pandemie psychisch belastet sind, auf 73 Prozent. Es ist also derzeit wahrscheinlicher, dass dein Kind psychisch belastet ist, als dass es ihm gut geht. Der Grund dafür ist nicht allein Corona. Der Grund ist, dass Kinder und Jugendliche schon immer starken Belastungen ausgesetzt waren. Die Pandemie hat nur gezeigt, wie verletzlich sie wirklich sind. Dass es psychische Krankheiten wirklich gibt. Und dass man sie ernst nehmen muss.
Was bleibt nach der Corona-Krise, die uns alle aufgerüttelt hat, die uns gezeigt hat, dass psychische Gesundheit genauso wichtig ist wie körperliche Gesundheit? Was planen der Staat, die Länder, die Schulen, um Kindern und Eltern zu helfen, die auch heute noch die Folgen der Pandemie spüren? Welche Erfahrungen machen Eltern? Und was können sie heute tun?
Diesen Fragen werden wir in den kommenden Wochen in unserem neuen Zusammenhang „Was du tun kannst, wenn dein Kind psychisch erkrankt“ nachgehen. Dieser Text ist der Auftakt. Er soll Eltern zeigen: Ihr seid nicht allein. Er ist ein Blick auf die ganze Misere. Denn gegen die Versäumnisse des Staates anzukommen, ist für Eltern fast unmöglich. Am deutlichsten zeigt sich dies ausgerechnet dort, wo Jugendliche den Großteil ihrer Zeit verbringen: in den Schulen.
Wie viele Krisen halten Jugendliche aus?
Wir erinnern uns kurz zurück an das Frühjahr 2020. Corona war auf einmal kein chinesisches Problem mehr, sondern unser aller Problem. Am 16. März verkündete ein Bundesland nach dem nächsten, dass die Schulen vorerst geschlossen blieben. Spielplätze verwaisten und wurden mit rot-weißem Flatterband abgesperrt, Schwimmkurse wurden abgesagt, beim Klavierunterricht wurde auf Pause gedrückt und Millionen Eltern und Kinder lernten, was das Wort „Distanzunterricht“ bedeutet (und vor allem: was nicht). Im Laufe der Pandemie berichtete ich über Kinder, für die Schulschließungen gefährlich sind, weil sie niemand mehr schützt. Und ich fuhr durch Deutschland und hörte Jugendlichen zu, die Angst hatten, nichts mehr zu erleben, bevor sie älter werden. Die Welt der Kinder und Jugendlichen stand plötzlich still.
Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster spricht von zwei verschiedenen Wegen, Sicherheit im Leben zu erlangen. „Der erste Weg kommt von innen: das Gefühl, okay zu sein und was zu taugen. Das Gefühl, nicht in Not zu kommen, sich auf die Eltern verlassen zu können. Das Gefühl, nicht ausgegrenzt zu werden, sondern dazuzugehören.“ Der zweite Weg sei die Sicherheit von außen. Auch auf die äußere Welt müsse man sich auf gewisse Weise verlassen können. Eine Welt in Ordnung schafft auch Ordnung im Kopf. Und genau an dieser Ordnung wird seit Jahren massiv gerüttelt. Nicht nur durch die Pandemie.
Dieser Text ist deshalb auch keine Abrechnung mit den Corona-Maßnahmen. Das würde zu kurz greifen. Jugendforscher:innen bezeichnen die Jugendlichen von heute als eine Generation im Dauerkrisenmodus. Fragte man Jugendliche vor der Pandemie nach ihrer größten Sorge, nannten sie die Klimakrise. 2020 war es Covid-19. 2022 der Krieg in der Ukraine. Zuletzt bereitete ihnen die Energiekrise die größten Sorgen.
KR-Leserin Annekatrin hat mit ihren Kindern stets die Nachrichten geguckt und ihnen immer erklärt, was sie nicht verstanden haben. „Heute frage ich mich: War das vielleicht zu viel?“ In der Corona-Zeit machte ihr Sohn Tom seinen Schulabschluss, Mittlere Reife, anschließend ging er auf ein kaufmännisches Berufskolleg. Dort wurde er schwer depressiv und brach seine Ausbildung ab. „Natürlich haben wir überlegt: Liegt das an uns? Was haben wir falsch gemacht? Machen wir nicht genug? Machen wir zu viel?“
Heute gilt die Pandemie weitgehend als vorbei und in den Schulen wird Normalität simuliert. Die Jugendlichen schreiben Tests und Klassenarbeiten, ganz wie früher. Sie kassieren Noten, als hätte es die Schulschließungen nicht gegeben und als würden Untersuchungen nicht zeigen, dass genau diese Schließungen Lernrückstände verursacht haben, bis heute.
Anfang 2023 befragte die Robert Bosch Stiftung Schulleitungen im ganzen Land und veröffentlichte die Ergebnisse im Schulbarometer. 35 Prozent der Schüler:innen zeigen deutliche Lernrückstände, an Schulen mit vielen Kindern aus ärmeren Familien sind es sogar 65 Prozent. Vier von fünf Schulleitungen geben an, keine adäquate Unterstützung für Kinder mit Lernrückständen bieten zu können. Die Bundesregierung wollte das eigentlich verhindern, mit einer Förderung in Höhe von zwei Milliarden Euro für die Jahre 2021 und 2022. Gereicht hat das nicht.
Nach Corona geht es ums Aufholen, nicht ums Aufatmen
KR-Leserin Annekatrin sagt: „An der Schule meines Sohnes wurde das Geld der Aufhol-Hilfe dafür genutzt, dass sich Schüler:innen, die vor dem Abschluss standen, private Nachhilfe nehmen konnten. Es ging nur darum, dass sie ihre Noten bekommen. Um ihre mentale Gesundheit ging es nie.“ Nach Corona geht es also ums Aufholen, nicht ums Aufatmen.
Julian Schmitz ist Kinder- und Jugendpsychotherapeut und Professor an der Universität Leipzig. Er sagt: „Statt die Kinder aufzufangen, verschlimmern die Unterrichts- und Prüfungsbedingungen die Probleme der Kinder oft.“ Der schulische Druck sei immer noch das, was viele am meisten belastet. „Es kann nicht sein, dass wir jetzt sagen: Krisen und Lernrückstände sind egal, wir machen so weiter wie immer.“
Wohin die Mischung aus Krisen, Leistungsdruck und fehlendem Personal an Schulen führt, ist mittlerweile gut dokumentiert. Eine kurze Zusammenfassung:
Essstörungen, Bewegungsmangel und Depressionen von Kindern und Jugendlichen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Es wurden Verzögerungen in der sprachlichen, emotionalen und schulischen Entwicklung festgestellt. Jugendliche haben ihre Ausbildung überdurchschnittlich oft abgebrochen. Bei Kindern, die in schwierigen finanziellen Umständen aufwachsen, schlägt jede dieser Kategorien noch einmal ins Negative aus.
Im Jahr 2021 wurden bei den Mädchen 54 Prozent mehr Essstörungen neu diagnostiziert und 24 Prozent mehr Angststörungen, das zeigt der Kinder- und Jugendreport der DAK. Bei den Jungen kam es zu 15 Prozent mehr neu diagnostizierten Adipositas-Fällen. 45 Prozent der 14- bis 29-Jährigen berichten von Stress, 35 Prozent von Antriebslosigkeit, 32 Prozent von Erschöpfung. 27 Prozent berichten von einer Depression, 13 Prozent von Hilflosigkeit, sieben Prozent von Suizidgedanken.
Ich könnte noch viel mehr solcher Zahlen aufschreiben. Sie sind erschreckend. Und sie werden sich noch lange auswirken: Etwa jede:r zweite Erwachsene, der an einer Depression erkrankt, hat bereits in der Kindheit oder Jugend eine depressive Phase durchlebt.
Psychische Krankheiten gab es schon immer und es wird sie auch immer geben. Einigen Kindern und Jugendlichen geht es heute bereits besser, jetzt, da der Unterricht wieder stattfindet, in Sportvereinen wieder geschwitzt wird. Die Situation wäre wesentlich einfacher, wenn geschlossene Schulen der einzige Grund für die Belastung der Kinder und Jugendlichen gewesen wären. Sie sind aber nicht der einzige Grund.
„Armut ist einer der größten Faktoren für psychische Belastung. Das ist mittlerweile gut erforscht.“
Julian Schmitz
„Armut ist einer der größten Faktoren für psychische Belastung. Das ist mittlerweile gut erforscht“, sagt Julian Schmitz. Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Das sind circa 2,8 Millionen. 28 Prozent der Menschen, die auf Essen von der Tafel angewiesen sind, sind Kinder. Die von der Ampel-Regierung angekündigte Kindergrundsicherung verzögert sich noch immer. Eigentlich soll die Auszahlung 2025 beginnen, Familienministerin Lisa Paus setzt dafür elf Milliarden Euro an. Geld, das Finanzminister Christian Lindner (FDP) bisher nicht bereit ist, freizugeben.
Armut wird nicht von heute auf morgen verschwinden. Mobbing, ein weiterer Stressor, wird nicht verschwinden. Der Leistungsdruck wohl auch nicht. Was also bleibt für die Kinder, denen es in der neuen alten Normalität nach der Corona-Pandemie immer noch schlecht geht? Wie wird ihnen geholfen? Und vor allem: Wer wird ihnen helfen?
Ein Schulpsychologe kümmert sich in Bayerns Grundschulen um 16.000 Kinder
Nachdem sich ihr Sohn suizidiert hatte, begann Alix Puhl, Schüler:innen, Lehrkräfte und Eltern aufzuklären. Gemeinsam mit ihrem Mann gründete sie ein gemeinnütziges Unternehmen in Frankfurt am Main, das mit Fortbildungen unter Lehrkräften, Eltern und Schüler:innen dafür sorgen will, dass psychische Erkrankungen früher erkannt werden. Dafür ließ sie auch 600 Lehrer:innen befragen. Nur jede zehnte Lehrkraft fühle sich gut bis sehr gut vorbereitet auf die Arbeit mit Schüler:innen, die psychisch erkrankt sind, sagt sie. „Lehrer sollen keine Diagnose stellen, sie sollen aufmerksam sein, und dafür brauchen sie Wissen, was ihnen bisher in der Ausbildung nicht vermittelt wird.“
An vielen Schulen sind die Lehrkräfte trotzdem auf sich allein gestellt. Insgesamt geben nur 35 Prozent der Schulleitungen an, dass an ihrer Schule ein Angebot der Schulpsychologie existiert. Selbst an den Schulen, die auf Angebote der Schulsozialarbeit oder Schulpsychologie zurückgreifen können, sagt jede zweite Schulleitung, der Bedarf der Schüler:innen sei damit nicht ausreichend gedeckt.
In Zahlen heißt das: In Sachsen-Anhalt bechwerten sich Schulpsycholog:innen unlängst, dass auf eine:n von ihnen fast 10.000 Kinder kämen. Damit liegt das Bundesland weit über dem Bundesdurchschnitt. Der liegt bei einem Schlüssel von einem Psychologen für 6.300 Kinder. Es geht aber immer noch schlechter. In Bayerns beruflichen Schulen und Grundschulen ist ein:e Psycholog:in für 16.000 Schüler:innen zuständig. Schaut man sich alle Schulformen gemeinsam an, sieht es in den Bundesländern so aus:
Die Kultusministerkonferenz hatte sich eigentlich ein Verhältnis von 1:5.000 als Ziel gesetzt. Das allerdings bereits 1973, also vor 50 Jahren. Andrea Spies ist Vorsitzende der Sektion Schulpsychologie des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Sie sagt, die Versorgung sei eigentlich noch schlechter: „Viele der offiziell gemeldeten Stellen sind gar nicht besetzt, andere nur befristet. Ich sehe kein Konzept, das grundlegend etwas daran ändern will, das psychische Gesundheit wirklich ins Schulsystem holen will. Eigentlich ist das ein Skandal.“ Die Psyche reagiere verzögert, auch auf Krisen, sagt Spies. „Für diesen Umgang mit psychischer Gesundheit – gerade im Bildungssystem – werden wir als Gesellschaft noch lange einen hohen Preis zahlen.“
Andere Länder seien da schon längst weiter. In den USA liege das Verhältnis bei einer Fachkraft für 1.211 Schüler:innen. In der Schweiz sei die Zahl ähnlich, in den skandinavischen Ländern ebenfalls. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen fordert auch für Deutschland eine Quote von 1:1.000.
Bundesfamilienministerin Lisa Paus hat nach dem Abschlussbericht „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ angekündigt, sogenannte Mental Health Coaches ausbilden zu lassen. Also: speziell in mentaler Gesundheit geschulte sozialpädagogische Fachkräfte. Sie sollen Ansprechpersonen für Schüler:innen in akuten Krisensituationen sein, aber erst ab dem Schuljahr 2023/24. Die dafür vorgesehenen zehn Millionen Euro lassen sich übersetzen auf 100 solcher Coaches. In Deutschland gibt es aber 32.000 Schulen. Das reicht also für Coaches an 0,31 Prozent aller Schulen. So schnell können Millionen verpuffen.
Wie hoch der Bedarf bei Kindern und Jugendlichen für Psychotherapie ist, wird nicht einmal erhoben
Wenn wir plötzlich so viel mehr Kinder und Jugendliche mit diagnostizierten psychischen Problemen haben, muss auch der Bedarf nach Psychotherapieplätzen enorm angestiegen sein. Das Problem ist: Wie hoch der Bedarf genau ist, weiß so richtig niemand.
Bei Erwachsenen berechnet der Gemeinsame Bundesausschuss, wie viele Therapeut:innen zugelassen werden müssen, um den Bedarf an Therapien decken zu können. Das funktioniert ziemlich schlecht und sorgt für wochenlanges Verharren auf der Warteliste, wie mein Kollege Martin Gommel und ich recherchiert haben.
Wie hoch der Bedarf bei Kindern und Jugendlichen für Psychotherapie ist, wird hingegen nicht einmal erhoben. Julian Schmitz hat mit seinem Team in Leipzig im vergangenen Jahr berechnet, dass sich die Wartezeiten für Kinder und Jugendliche auf einen Therapieplatz seit Beginn der Pandemie nahezu verdoppelt haben.
„Wir haben im ganzen letzten Jahr keinen konstanten Therapieplatz gefunden, der uns geholfen hat. Das ist zum Verzweifeln.“
KR-Mitglied Heike
KR-Mitglied Heike, die eigentlich anders heißt, sucht seit Ostern vergangenen Jahres nach einem passenden Therapieplatz für ihre depressive Tochter. Sie war kurzerhand in einer Suchtstation untergebracht worden. In ihrem Bezirkskrankenhaus in Berlin war auf keiner anderen Station ein Platz frei. Ausgerechnet dort fing sie an zu rauchen und kam auch mit anderen Drogen in Kontakt. „Wir haben im ganzen letzten Jahr keinen konstanten Therapieplatz gefunden, der uns geholfen hat. Das ist zum Verzweifeln. Wir hätten Beratung gebraucht, die nicht abbricht, wenn das Krankenhaus oder die Therapieeinrichtung wechselt.“
Dabei hat Deutschland im Vergleich zu Ländern wie England und den USA eine ziemlich gute Versorgung. Die Zahl der Psychotherapieplätze für Kinder und Jugendliche ist in den vergangenen acht Jahren um fast 70 Prozent gestiegen. Nur: Das scheint nicht zu reichen.
Die Prävention scheint in Deutschland so schlecht zu funktionieren, dass wir mit dem Reparieren der Kinderseelen nicht hinterherkommen. Im bereits erwähnten Abschlussbericht empfiehlt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach deshalb eine Sonderzulassung von Psychotherapeut:innen für Kinder und Jugendliche. Außerdem soll es mehr Gruppentherapien geben.
Was Eltern tun können
Die Tochter von KR-Mitglied Pia wollte im Sommer 2020, mit 17 Jahren, für ein Jahr ins Ausland. Dort wollte Pia nach dem Schulabschluss ein Gap Year verbringen. Corona kam dazwischen. Sie fing direkt an zu studieren, zog in eine WG, verbrachte die nächsten eineinhalb Jahre vor dem Bildschirm, allein, und lernte über Zoom. Eines Tages rief sie zu Hause an. Sie könne nicht mehr, sagte sie. Sie habe schlimme Gedanken.
„Ich fühlte mich hilflos, ich hatte keine Ahnung, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll“, sagt Pia. „Mir war klar, dass sie professionelle Hilfe brauchte. Die Therapeuten, die ich anrief, vertrösteten mich auf das Jahr 2024, aber ich brauchte jemanden für gestern.“
Die Hilfsprogramme vom Familienministerium, die Kindergrundsicherung, die neuen Therapieplätze für Kinder und Jugendliche – all das wird kommen, irgendwann. Die Kinder aber sind jetzt belastet, einige von ihnen sind krank – oder drohen, es zu werden. Für manche Kinder und Jugendliche kommt die geplante Hilfe zu spät.
Deshalb müssen wir darüber reden, wie Eltern die wenigen Ressourcen, die der Staat zur Verfügung stellt, nutzen können, um ihren Kindern und sich zu helfen. Und wie sie sich in der Zwischenzeit ihren Kindern gegenüber verhalten können. Genau darum wird es in den kommenden Wochen bei Krautreporter gehen. Mein Kollege Martin Gommel und ich werden mit Eltern und Jugendlichen sprechen und sie fragen, was ihnen geholfen hat. Und wir werden mit der Hilfe von Expert:innen herausfinden, was Eltern konkret tun können, wenn ihr Kind psychisch erkrankt.
Das war der erste Teil unseres Zusammenhangs. Hier findest du Teil 2, in dem eine Mutter erzählt, wie es ist, eine suizidale Tochter zu haben.
Hast du oder eine dir nahe stehende Person Suizidgedanken? Erste Ansprechpartner:innen sind Psychiater:innen, Psychotherapeut:innen und Hausärzt:innen. Anonyme Hilfe bietet die Telefonseelsorge unter den Nummer 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222: kostenlos und rund um die Uhr. Die Nummer erscheint auch nicht auf der Telefonrechnung.
Für Kinder und Jugendliche bietet die Youth Life Line Online-Beratung. Die Nummer gegen Kummer hilft am Telefon: Montag bis Samstag, von 14 bis 20 Uhr, unter 0800 1110333 und 116111.
Sorgst du dich um Freunde oder Angehörige? Etwa 80 Prozent aller Selbsttötungen werden zuvor angekündigt. Neben der Telefonseelsorge hilft der „Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen“ unter 0228 71 00 24 24 oder per Mail. Im Zweifel solltest du den Notdienst rufen: 112.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger.