Glaubst du, etwas gegen die Probleme auf der Welt tun zu können?
Ich weiß: Gehts auch eine Nummer kleiner? Aber warum nicht mal groß denken? Darum geht es in diesem Newsletter.
In der letzten Ausgabe unseres Community-Newsletters habe ich unsere Leser:innen damit beauftragt, ihren Teenager-Kindern diese Frage zu stellen. Die Antworten waren sehr unterschiedlich. Ein 16-Jähriger meinte, nicht in der nötigen Machtposition zu sein, um wirklich etwas verändern zu können. Jamie, 15, sagt hingegen: „Viele im meinen Alter sind oft der Meinung, dass es ja jetzt auch keinen Unterschied macht, wenn nur du etwas tust – aber ich sehe das anders.“ Und eine 17-Jährige sagt, dass sie sich alleine fühlt und alleine eh nichts erreichen könnte. Nur eine größere Gruppe von Menschen mit demselben Anliegen würde überhaupt Gehör finden.
Im vergangenen Jahr habe ich viel über die politische Macht von Kindern und Jugendlichen geschrieben. Vor allem darüber, wie klein sie ist und wie sich das ändern könnte. Ich habe auch immer wieder über Studien berichtet, in denen Kinder und Jugendliche befragt wurden. Das passiert nämlich immer noch erstaunlich selten und wenn, dann wird über die Ergebnisse wenig bis kaum geschrieben. Eine erschreckende Statistik ist mir dabei aber anscheinend durch die Lappen gegangen.
Deutschlands Teenager sind besonders hoffnungslos
Im Dezember habe ich an einem Pressegespräch der Hertie-Stiftung teilgenommen. Die Stiftung war mit einem ihrer Projekte (Jugend entscheidet) schon mal Thema hier im Newsletter. Dieses Mal hatte sie eingeladen, um über die Rolle von Schulleitungen in der Demokratiebildung zu sprechen.
Teil des digitalen Pressegesprächs war auch eine Mini-Präsentation von Andreas Schleicher, der „Mister PISA“ von Deutschland, der Bildungsbeauftragte der OECD, also der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er präsentierte viele Daten aus der vergangenen PISA-Studie, bei denen die Länder der OECD miteinander verglichen wurden. Bei einer seiner Folien musste ich stocken. Ich machte einen Screenshot und hörte von da an nur noch mit einem Ohr zu.
Worum ging es? Auf der Folie stand die Überschrift „15-year-old agency regarding global issues (PISA)“. Also: Die Handlungsfähigkeit von 15-jährigen bezogen auf globale Probleme. Dafür wurden sie gefragt, wie sie zu folgender Aussage stehen: „I can do something about the problems of the world“ (Ich kann etwas gegen die Probleme auf der Welt machen).
Die Grafik zeigte die Daten vieler Länder, verteilt über die ganze Welt: von Portugal (hier glauben fast 80 Prozent daran, die Welt verbessern zu können) über den OECD-Durchschnitt (der bei knapp unter 60 Prozent liegt) bis hin zu Deutschland. Deutschland führt die Tabelle sogar an – allerdings von hinten.
Sie wollen etwas verändern – aber sie glauben nicht, dass sie das können
Von allen verglichenen Ländern, immerhin 38, glauben in Deutschland die wenigsten 15-Jährigen, dass sie etwas zum Lösen der Probleme auf der Welt beitragen können: lediglich 40 Prozent. Und das in einem der weltweit reichsten Länder. In einem Industriestaat. In einem Land, das europäischen Führungsanspruch hat. Auf das die Welt blickt (wenn auch nicht immer wohlwollend), wenn Menschen flüchten oder Kriege ausbrechen. Wie bitter.
Jetzt könnte man sich über die deutschen Jugendlichen aufregen. Man könnte ihnen unterstellen, egoistisch zu sein. Sich nicht für die Probleme der Welt zu interessieren. Und nichts zum Lösen dieser Probleme beitragen zu wollen. Man kann aber auch aus einer gegensätzlichen Perspektive auf diesen Wert blicken. Anscheinend vermitteln wir Kindern und Jugendlichen in Deutschland nicht das Gefühl, dass sie etwas verändern können.
Und tatsächlich: Bei einer Studie nach der nächsten kommt heraus, dass Kinder und Jugendliche in Deutschland nicht glauben, dass die Politik sich für sie interessiert oder dass sie Deutschland verändern können. Der internationale Vergleich aber tut noch mehr weh. Er zeigt: Das ist kein allgemeines Problem der Generationen, das derzeit überall auf der Welt auftritt. Es ist ein deutsches Problem. Die Jugend scheint mutlos. Nicht, weil sie nicht wollen würde – auch das zeigen Befragungen. Deutsche Jugendliche sind erstaunlich politisch und wollen eigentlich die Welt verändern. Sie glauben nur nicht daran, dass sie es können.
Welche Rolle die Öffentlichkeit dabei spielt
Wie konnte es so weit kommen? Eine Analyse würde diesen Newsletter bei Weitem übersteigen. Ich glaube aber, die Öffentlichkeit spielt auch eine Rolle. Drei Anrisse:
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Der Blick auf die Jugend ist zu oft von oben herab. Bei den Klimastreiks waren die Aktivist:innen laut der öffentlichen Meinung vor allem Schulschwänzer:innen (keine „Profis“, denen man die Arbeit überlassen sollte). Zu Beginn der Pandemie wurden Jugendliche als rücksichtslos dargestellt (Was fällt ihnen ein, sich draußen in Gruppen zu treffen?). Und wählen sollten Jugendliche auch deshalb nicht, weil ihnen der Weitblick fehle.
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Die öffentliche Debatte findet ohne die Jugend statt. Wir haben uns so daran gewöhnt, dass Kinder und Jugendliche in Talkshows, Nachrichten und Artikeln nicht vorkommen, dass es uns kaum noch auffällt. Achtet mal drauf! Die meisten Debatten machen Erwachsene unter sich aus. Im vergangenen Jahr war ich bei einem ARD-Podcast zu Gast, bei dem es um Kinderfeindlichkeit ging. Ich war einer von mehreren Gesprächspartner:innen. Mit wem die Podcast-Hosts nicht sprachen? Mit Kindern. Deshalb versuche ich bei Krautreporter, mit Jugendlichen zu sprechen, wenn es um sie geht. Zum Beispiel bei der Wehrpflicht, bei der Bundestagswahl oder bei Aktivismus.
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Die Redaktionen interessieren sich nicht wirklich für Kinder und Jugendliche. Wie viele Journalist:innen kennt ihr, die sich vor allem mit Bildung, Kindern und Jugendlichen beschäftigen? Nennt mal ein paar Namen. Eben. Bildung wird in den meisten Redaktionen stiefmütterlich behandelt. Ich kenne Redaktionen großer, deutscher Tageszeitungen, in denen das Bildungsressort bis zur Pandemie lediglich zehn Prozent der Arbeit eines einzigen Redakteurs zugeschrieben war. Alle paar Monate wird eine wütende Reporter-Mutter oder ein -Vater mit einem meinungsstarken Kommentar beauftragt. Sie haben oft Recht. Und es geht auch oft um Kinder und Jugendliche. Aber immer aus der Perspektive der (Journalist:innen-)Eltern. Das reicht nicht.
Journalist:innen, die sich mit den Themen Kinder, Jugendliche und Bildung jeden Tag auseinandersetzen, kann man an einer Hand abzählen. Symptomatisch: Bei der Wahl der Journalist:innen des Jahres des „Medium Magazin“ gibt es so allerhand Kategorien: Wirtschaft, Politik, Kultur. Welche Kategorie es bislang nie gab? Bildung.
„Die Jugend von heute“?
Waren deutsche Jugendliche schon immer so hoffnungslos, wenn es um ihre Rolle in der Welt geht? Ich weiß es nicht. Leider fehlen Vergleichswerte mit früheren Generationen. Der Blick auf die Jugend allerdings ist natürlich nicht erst seit der Pandemie herablassend, sondern schon seit Jahrhunderten. Erwachsene finden gefühlt schon immer, dass die Jugend von heute besonders faul, respektlos, schlimm, aufmüpfig ist.
Warum eigentlich? Genau darum geht es in meinem nächsten Newsletter. Denn eine Studie aus den USA hat genau das untersucht – und liefert überraschende Antworten. Hier könnt ihr den Newsletter kostenlos abonnieren, um die Ausgabe nicht zu verpassen.
Redaktion: Julia Kopatzki, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert