Auf dem Foto sieht man eine Collage: Rechts ein schwarz-weiß Portraitbild von Rudolf Steiner, links eine Gruppe von Mädchen, die sich an den Händen halten und im Kreis ihren Namen tanzen.

NASA | Gemeinfrei | urbancow/Getty | Collage: Philipp Sipos

Kinder und Bildung

Der Sinn und Unsinn von Waldorfschulen, verständlich erklärt

Noch nie gingen so viele Kinder auf eine Waldorfschule wie heute. Warum finden manche das gefährlich? Was können wir von den Schulen lernen? Und was haben Karma und Kuhfladen mit alldem zu tun?

Profilbild von Bent Freiwald
Bildungsreporter

Vor drei Jahren feierten die Waldorfschulen ihren 100. Geburtstag. Zum Festakt in Stuttgart erschien hoher Besuch. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann nannte die Waldorfschule eine der „erstaunlichsten und erfolgreichsten deutschen Bildungsideen des letzten Jahrhunderts“. Stuttgarts Oberbürgermeister lobte, dass die Schulen keine „Paukmaschinen“ hervorbringen würden.

Richtig so. Unser Schulsystem ist doch viel zu sehr auf Noten ausgelegt.

Nicholas Williams, der als Lehrer an drei unterschiedlichen Waldorfschulen unterrichtet hatte, sieht das etwas anders. Er sagte in der Süddeutschen Zeitung: „Waldorf richtet Tag für Tag Schaden an.“

Waldorf richtet Schaden an?

Der Lehrer ist mit seiner Ansicht jedenfalls nicht allein. Die Schulen haben zahlreiche Kritiker:innen. Der Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann von der Universität Wien sagt: „Die Waldorfschulen lassen ihre Weltanschauung still und heimlich in ihre Arbeit einfließen. Ähnlich wie auch bei anderen Sekten ist das ein schleichendes Gift.“

Und als in Hamburg eine öffentliche Grundschule und eine Waldorfschule zusammengeschlossen werden sollten, versuchten viele diesen Schritt zu verhindern. Ein Verein, der aus zahlreichen renommierten Wissenschaftler:innen besteht, schrieb in einem offenen Brief an den Hamburger Schulsenator: „Die Waldorfpädagogik wurde durch den Esoteriker und Okkultisten Rudolf Steiner gegründet und ist Teil seiner esoterischen, anthroposophischen Lehre. Sie enthält ein Sammelsurium von anti-aufklärerischen, pseudowissenschaftlichen und rassistischen Ideen.“

Moment mal. Waldorfschulen, das waren für mich immer die Schulen, die alles eben ein wenig anders machen als die öffentlichen Schulen. Sie sind kreativer! Die Kinder sind viel draußen, sie singen, töpfern, gärtnern, spielen Theater, musizieren und …

… tanzen ihren Namen?

Ja!

Darauf kommen wir später nochmal zurück. Denn auch die Eurythmie (so lautet das Fachwort für das „Namen tanzen“) entspringt der Anthroposophie.

Anthroposophie, was ist das nochmal?

Die Anthroposophie ist eine Weltanschauung, auf die sich freie Waldorfschulen auf der ganzen Welt berufen. Manche Kritiker:innen halten Anthroposophie nur für esoterischen Quatsch. Aber es gibt auch andere, die finden, dass diese Ideologie gefährlich ist und den Kindern schadet.

Um das zu verstehen, müssen wir drei Fragen klären:

  1. Was genau ist Anthroposophie?
  2. Warum halten einige sie für gefährlich?
  3. Und wie viel dieser Weltanschauung steckt heute noch in Waldorfschulen?

Das klingt, als sei die Anthroposophie total bedrohlich. Aber wie viele Kinder gehen überhaupt auf Waldorfschulen?

Noch nie gingen so viele Schüler:innen auf Waldorfschulen wie heute. Allein in Deutschland gehören dem Bund nach eigenen Angaben 253 Schulen an, an denen rund 90.000 Schüler:innen unterrichtet werden. Im europäischen Ausland kommen nochmal 559 Schulen dazu, außerhalb Europas weitere 379 auf allen Kontinenten der Welt. Auf dieser Karte siehst du anhand der eingekreisten Ziffern, wie die Schulen sich regional verteilen:

Eine Weltkarte gibt Aufschluss über die weltweite Verteilung von Waldorf-Schulen.

Hintergrund: NASA | Gestaltung: KR

Wo wir gerade bei Zahlen sind! Bevor ich diesen Text geschrieben habe, habe ich übrigens unsere Leser:innen gefragt, was sie an Waldorfschulen interessiert. 539 Menschen haben mitgemacht. Die Fragen, die am häufigsten gestellt wurden, beantwortet dieser Text. Zum Beispiel:

Waldorfschule – ja oder nein?

Das beschäftigt viele Eltern, weil die einzige richtige Alternative zur öffentlichen Schule an vielen Orten oft die Waldorfschule ist. Waldorfschulen sind sogenannte anerkannte Ersatzschulen in freier Trägerschaft, also nicht staatlich. Das verschafft ihnen viel mehr Freiheiten als den meisten staatlichen Schulen. Trotzdem werden bis zu 85 Prozent der Kosten vom Staat übernommen.

Meine Nichte war auch auf so einer alternativen Schule, der Montessori-Schule …

Moment. Waldorf und Montessori würde ich nicht in einen Topf werfen. Die beiden Schulen unterscheiden sich sehr. Nur so viel: Im Vergleich zur Reformpädagogik von Maria Montessori war die Waldorfpädagogik eher ein konservativer Rückfall. In den Montessori-Schulen gibt es etwa jahrgangsübergreifenden Unterricht und die Schüler:innen entscheiden selbst, was sie wann lernen wollen. In der Waldorfschule hingegen dreht sich alles um die „geliebte Autorität“ der Lehrkraft.

Ach komm. Ich höre auch viel Gutes über Waldorfschulen.

Ich auch. Unter Waldorf-Schüler:innen waren übrigens eine Menge berühmte Leute: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Medizin-Nobelpreisträger Thomas Südhof oder auch die Schauspielerin Sandra Bullock. Der frühere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi und der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl haben ihre Kinder auf Waldorfschulen geschickt. Der Grünen-Politiker Boris Palmer war da, Wolfgang Porsche, Aufsichtsratsvorsitzender der Porsche AG, und Prominente wie Heiner Lauterbach, Martin Semmelrogge, Jochen Schweizer, Michael Ende, Wotan Wilke Möhring, Sarah Wiener.

Und du hast Recht: Es gibt natürlich gute Gründe dafür, dass so viele Eltern sich für die Waldorfschulen entscheiden. Oftmals wollen sie dem Leistungsdruck an den Regelschulen (das ist das Fachwort für alle allgemeinbildenden Schulen, deren Träger der Staat oder eine Gemeinde ist) entgehen. An Waldorfschulen können die Schüler:innen zum Beispiel nicht sitzenbleiben. Und es wird bis zuletzt nahezu komplett auf Noten verzichtet. Das fordern manche Lehrer:innen auch für öffentliche Schulen, auch hier bei Krautreporter. An den zentralen Abiturprüfungen können Waldorfschüler:innen am Ende ihrer Schulzeit trotzdem teilnehmen. In den Zeugnissen stehen bis dahin keine Ziffern zwischen eins und sechs, sondern schriftliche Einschätzungen der Lehrer:innen.

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In den vergangenen Wochen haben mir ehemalige Waldorfschüler:innen immer wieder erzählt, dass ihre Noten an Regelschulen niemals fürs Gymnasium gereicht hätten. Weil die Waldorfschule eine Einheitsschule ist und nicht zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium unterscheidet, war das dort aber kein Problem. Ihr Abitur haben sie trotzdem geschafft. Und auf dem Weg dahin haben sie genäht, gesägt, gepflanzt, gefeilt, Theater gespielt und musiziert.

Genau, Waldorfschulen machen einfach mehr Spaß.

Viele Waldorf-Schüler:innen sind tatsächlich sehr zufrieden mit ihrer Schulzeit:

Diagramme geben Aufschluss über die Verteilung verschiedener positiver Aussagen von Waldorf-Schüler:innen. Ein Großteil stimmt jeweils zu.

Hintergrund: NASA | Gestaltung: KR

Ich hätte diese Aussagen so in meiner Schulzeit wahrscheinlich nicht unterschrieben.

Das mag sein – aber richtig gute, sprich wissenschaftliche Vergleichswerte sind mir in meiner Recherche nicht begegnet. Denn wenn man die Prozentzahlen mit solchen von Schüler:innen an öffentlichen Schulen vergleicht (was die Autor:innen der dargestellten Befragung gemacht haben), ignoriert man, dass die Waldorfschulen eine viel weniger durchmischte Klientel haben.

Wer geht denn auf Waldorfschulen?

Waldorfschüler:innen kommen überdurchschnittlich oft aus gut situierten, bildungsbürgerlichen Familien. Man könnte auch zusammenfassend sagen, das seien Eliteschulen. Denn wie eigentlich bei jeder Privatschule müssen Eltern für ihre Kinder dort bezahlen. Ein Beispiel: Bei den Berliner Waldorfschulen sind das zwischen 150 und 200 Euro pro Monat.

Laut der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland befinden sich kaum Kinder ohne deutsche Staatsangehörigkeit unter den Schüler:innen:

Auf öffentlichen Schulen haben 10,7% der Kinder keine deutsche Staatsbürgerschaft, auf Waldorf-Schulen sind es nur 2,6%.

Hintergrund: NASA | Gestaltung: KR

Umso erstaunlicher ist, dass Waldorfschüler:innen im Vergleich öfter Nachhilfe nehmen als Schüler:innen an öffentlichen Schulen. 45,9 Prozent der Waldorfschüler:innen haben laut dieser 2012 veröffentlichten Befragung in den zwölf Monaten, bevor sie befragt wurden, regelmäßig oder gelegentlich Nachhilfe erhalten. Zum Vergleich: Bei der Shell-Jugendstudie von 2010 lautete dieser Wert für alle Schulformen 24 Prozent. Die Autor:innen der Waldorf-Befragung schreiben: „Waldorfschüler fühlen sich naturgemäß schlechter auf staatliche Abschlussprüfungen vorbereitet als Schüler an Regelschulen.“


Was hinter Waldorfschulen steckt, ist nur eines von vielen Themen, denen sich unser Bildungsreporter Bent Freiwald widmet. Wenn du seine nächste Recherche nicht verpassen möchtest, abonniere seinen Newsletter The Kids Are Alright.


Der größte Unterschied aber ist die Weltanschauung, auf die sich die Waldorfschulen berufen. Wer sich mit Waldorfschulen auseinandersetzt, landet nämlich sehr schnell bei Querdenkern, Körperhüllen, Karma, Wiedergeburt und Kuhfladen.

Kuhfladen?

Genau. Und damit sind wir bei der Anthroposophie.

Was hat es mit dieser Anthroposophie nun auf sich?

Anthroposophie soll eine Anleitung zur Selbst- und Welterkenntnis liefern. Sie soll „das Geistige im Menschenwesen“ zum „Geistigen im Weltenall“ führen, so die Idee ihres Erfinders Rudolf Steiner.

Das klingt religiös.

Ist es in gewisser Weise auch. Aber als Religion wollte Steiner die Anthroposophie nicht bezeichnen. Sie sollte über allen Religionen und Konfessionen stehen und all diese miteinander verbinden.

Ich würde es so zusammenfassen: Anthroposophie ist eine Weltanschauung, die davon ausgeht, dass es eine geistige Welt gibt, dass also die Naturwissenschaften und der Materialismus nicht alles erfassen können. Diese geistige Welt könne man laut Rudolf Steiner (zu dem kommen wir im übernächsten Absatz) nur erkennen, wenn man seinen Geist schule. Dann aber könne man zu „übersinnlicher Erkenntnis“ gelangen, hellsehen und einer der Eingeweihten werden.

Überzeugte Anthroposophen glauben ähnlich wie Buddhisten an die Wiedergeburt und an Karma. Oder wie Rudolf Steiner sagt: Das Weltall und der Mensch sind aus dem „all-einen göttlich-geistigen Urgrund“ entsprungen. Sie haben deshalb einen grundsätzlich anderen Blick als die meisten anderen Menschen auf Medizin, Gesellschaft, Politik, Landwirtschaft, das Bankenwesen und eben auch die Pädagogik.

Okay, verstehe. Und Rudolf Steiner, wer war das nochmal?

Über Steiners Leben könnte man ganze Bücher schreiben, das haben andere auch getan. Hier eine Super-Ultra-Kurzform seines Lebens: Rudolf Steiner wurde 1861 in Kraljevec, damals Kaisertum Österreich, heute Kroatien, auf einem Bahnhof geboren. Gestorben ist er am 30. März 1925 in Dornach, Schweiz. Dieser Ort wird gleich noch wichtig.

Er studierte in Wien an der Technischen Universität Biologie, Chemie, Physik und Mathematik, das Studium beendete er aber nie. Er arbeitete als Erzieher und Hauslehrer in einer jüdischen Familie. Später zog er nach Weimar, um am Goethe- und Schiller-Archiv zu arbeiten. Er war generell ein riesiger Goethe-Fan.

Von Weimar aus reichte er seine Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock ein. Er bestand mit der Note „rite“, also nur ausreichend. Steiner behauptete gegen Ende des 19. Jahrhunderts, über ein „Geheimwissen“ zu verfügen, das ihm Einblicke in ein geistiges Weltengedächtnis ermögliche. Er bezeichnete sich selbst als Hellseher, Hellhörer und Hellschmecker.

Steiner war ein Hellseher?

Das sagte er zumindest. Durch die Hellseherei hatte er seiner Aussage nach Einblicke in die verborgenen Lebensjahre Jesu Christi.

Wild.

Ein Portrait von Rudolf Steiner.

Unter Anthroposophen wird Steiner auch heute, fast 100 Jahre nach seinem Tod, verehrt, manche sagen vergöttert. In den meisten Waldorfschulen hängt ein Portrait von ihm an der Wand. Das ist er:

Später ging Steiner nach Berlin, wo er an einer sozialistischen Arbeiter-Bildungsschule arbeitete und Herausgeber einer Literaturzeitschrift war. Bald geriet er in eine Krise, bis er 1902 in die Theosophische Gesellschaft eintrat, dessen Generalsekretär er später wurde.

Die Theosophische Gesellschaft?

Das ist eine Gruppe Menschen, die an die Theosophie glaubt. Diese Lehre besagt, dass der Geist und das Übersinnliche den Materialismus besiegen sollen. Viele von Steiners Ideen entspringen dieser Idee (auch, wenn seine Anhänger:innen das oft bestreiten). Als Generalsekretär reiste Steiner durch ganz Deutschland und hielt Vorträge. Er wurde zu einem Mann, dem die Leute zuhören. Viele verehrten ihn als Menschenführer. Doch dann kam es zum Knall. Steiner trennte sich von der Theosophischen Gesellschaft, weil er mit der damaligen Präsidentin Annie Besant in einen Streit darüber geriet, ob der hinduistische Junge Jiddu Krishnamurti ein wiedergeborener Jesu Christi sein könne.

Das klingt etwas absurd.

Und dennoch war es der Startpunkt einer riesigen Bewegung. Heute ist die Theosophie kaum noch verbreitet, Steiners eigene Ideologie, die Anthroposophie, hingegen schon. 1912 spaltete Steiner sich endgültig von seinen Vorgänger:innen ab und gründete die Anthroposophische Gesellschaft. Immer mehr Menschen schlossen sich ihm an. In der Schweiz, in Dornach, ließ er das erste Goetheanum bauen, eine Art Tempel der Anthroposophen. 1922 brannte es ab, den Neubau erlebte Steiner schon nicht mehr. Heute sieht das Gebäude so aus:

Frontansicht des Goetheanum in Dornach.

Wladyslaw Sojka

Innenansicht des Goetheanums in Dornach.

Wladyslaw Sojka

Das sind ja interessante Formen.

Rudolf Steiner war es wichtig, dass sich die anthroposophische Architektur den Menschen anpasst, deshalb sollte das Goetheanum keine rechten Winkel enthalten. Daran halten sich übrigens auch viele Waldorfschulen heute noch. Und warst du schon mal in einem dm-Markt?

Was hat die Drogeriekette damit zu tun?

Die Regale stehen dort schräg im Raum, um einen rechten Winkel zu verhindern. Der dm-Gründer Götz Werner war bekennender Anthroposoph.

Ein anthroposophischer Drogeriemarkt? Gibt es noch mehr Marken, auf die das zutrifft?

Es gibt mittlerweile unzählige Unternehmen, die nach den anthroposophischen Ideen von Rudolf Steiner handeln. Der Bio-Supermarkt Alnatura, die GLS-Bank und die Kosmetikfirmen Wala (Dr. Hauschka) oder Weleda. Alle Cremes, Seifen und Arzneimittel, die Weleda verkauft, werden nach anthroposophischen Richtlinien hergestellt. Dazu gehören auch Rituale. Das Wasser, in dem Substanzen aufgelöst werden, muss auf eine bestimmte Art geruckelt werden, damit diese ihre ganze Kraft entfalten können.

Auch Demeter, das vielleicht bekannteste Bio-Siegel in deutschen Supermarktregalen, hat einen anthroposophischen Ursprung. Seine Landwirt:innen halten Pflanzen für Vermittler zwischen Erde und Kosmos. Wer seine Produkte „biologisch-dynamisch“ nennen möchte, muss sich an Rudolf Steiners Ideen halten. Heißt zum Beispiel: Im Herbst mit Kuhfladen gefüllte Kuhhörner auf seinen Feldern vergraben, damit sie die Wintererdkräfte aufnehmen.

All diese Ideen, auch die, die ich dir gleich zum Thema Pädagogik und Kinder vorstellen werde, beruhen auf keinerlei wissenschaftlicher Basis.

Aber sind denn alle Waldorflehrer:innen Anthroposophen?

Nein, nicht alle, aber einige. Der Anteil der Waldorflehrer:innen, die sich intensiv auf die Anthroposophie Rudolf Steiners einlassen, liegt laut dieser Befragung bei 95,6 Prozent – was genau sie damit meinen, ist schwer zu sagen. Ein Drittel (33,9 Prozent) der Befragten bezeichnet sich selbst als engagierte praktizierende Anthroposophen.

Warum heißen die Schulen eigentlich Waldorfschulen und nicht Rudolf-Steiner-Schulen, wenn er sich das alles ausgedacht hat?

In der Schweiz und in einigen anderen Ländern heißen sie tatsächlich Rudolf-Steiner-Schulen. Der deutsche Name aber stammt von der ehemaligen Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart. Fabrikbesitzer Emil Molt wollte den Kindern seiner Arbeiter:innen eine gute Schulbildung ermöglichen. Deshalb beauftragte er Rudolf Steiner damit, eine Schule zu gründen. So entstand 1919 die erste Waldorfschule der Welt auf der Uhlandshöhe in Stuttgart.

Eine Reklamemarke der Zigarettenmarke Waldorf-Astoria Zigaretten.

Dass Zigaretten etwas mit Waldorfschulen zu tun haben, wusste ich vor dieser Recherche auch nicht.

Wenn es immer noch engagierte Anthroposoph:innen unter den Waldorflehrer:innen gibt, welche konkreten Auswirkungen hat die Weltanschauung dann auf den Unterricht in Waldorfschulen?

Die Anthroposophie schleicht sich auf vielfältige Weise in den Alltag der Schüler:innen ein. An manchen Schulen mehr als an anderen. Sie kann etwa die Sitzordnung beeinflussen, das Alter, in dem die Kinder Lesen lernen oder auch die Sicht auf ihre Körper.

Ihr Körperbild?

Anthroposophen glauben, dass Menschen, nachdem sie bei der Geburt die schützende Körperhülle ihrer Mutter verlassen haben, vier weitere Körperhüllen für jeweils sieben Jahre durchlaufen. Zuerst den „physischen Leib“ zwischen null und sieben Jahren, dann den „Ätherleib“ zwischen sieben und 14, dann den „Astralleib“ bis zum 21. Lebensjahr und schließlich das Ich als Seelenkern. Diese Hüllen kann man nicht sehen, aber die nicht-sichtbare Welt spielt sowieso eine große Rolle in der Anthroposophie. Körperhüllen umgeben Menschen demnach wie eine Art Aura.

Laut Steiner sollen Kinder bis zu ihrem siebenten Lebensjahr nur mit dem Guten in der Welt konfrontiert werden. Sie sollen nur nachahmen. Heißt oftmals: Sie sollen noch nicht schreiben und rechnen lernen. Im Laufe meiner Recherche haben mir Eltern von Waldorfschüler:innen erzählt, dass die Lehrkräfte richtig wütend wurden, weil ihre Kinder schon schreiben konnten, als sie in die Schule kamen.

Außerdem sortieren Anthroposophen Menschen nach Temperamenten. Sie unterscheiden zwischen Cholerikern, Sanguinikern, Phlegmatikern und Melancholikern. Ihren Sitz haben diese Temperamente der Lehre nach im Ätherleib und ihnen kann jeweils ein Naturelement zugeordnet werden: Dem Choleriker das Feuer, dem Sanguiniker die Luft, dem Phlegmatiker das Wasser und dem Melancholiker die Erden. Die Temperamente sind der Lehre nach bei jedem Kind anders ausgeprägt und eines dominiert.

Eine Hauptaufgabe der Klassenlehrer:innen an der Waldorfschule soll laut Erziehungswissenschaftler Heiner Ullrich deshalb die Temperament-Erziehung sein. Um das vorherrschende Temperament bei seinen Schüler:innen zu erkennen, soll die Lehrkraft sich ihren Körper genau anschauen (Melancholiker gehen demnach zum Beispiel etwas vorgebeugt, sind hager und knochig) und vor allem ihre charakteristischen Gesten und Mimiken studieren. Im österreichischen „Anthro-Wiki“ werden den Temperamenten sogar Gesichtszüge zugeordnet:

4 verschiedene Gesichtsausdrücke, sortiert nach den vier Temperamenten.

Anthrowiki

Das Temperament der Kinder kann Richtschnur zahlreicher Unterrichtsmaßnahmen werden. Zum Beispiel werden Kinder mit dem gleichen Temperament immer wieder nebeneinander gesetzt. So sollen sie lernen, mit ihrem Temperament umzugehen, oder wie Steiner sagt: es zu heilen.

Das ist ja fast wie bei der hinduistischen Kastenlehre. Einmal drin, kommt man nie mehr raus!

Anthroposophen sagen, man könne sein Temperament bis zu einem gewissen Grad beeinflussen, durch sein Karma.

Das Karma? Das kommt doch aus dem Buddhismus und Hinduismus?

Genau darauf beruhen die Ideen. Steiner schrieb, dass in jedem Mensch ein geistiger Ursprung oder Kern lebe, der vor der Geburt aus den geistigen Welten herabsteige, um sich mit der leiblich-seelischen Hülle zu verbinden; beim Tod löse er sich wieder von ihr, um sich im nächsten Leben erneut zu verkörpern. Kurz gesagt: Wiedergeburt.

In der nächsten Reinkarnation, also nach der Wiedergeburt, werde die Seele dann durch das Karma für seine Gedanken und Taten des vorangegangenen Lebens belohnt oder bestraft.

Das heißt, wenn ich über einen echt guten Text über Waldorfschulen stolpere, dann, weil ich im vorangegangenen Leben nett war?

Könnte man so sagen!

Ha!

Ja, das klingt alles ein bisschen witzig. Das ist es aber spätestens dann nicht mehr, wenn wir an Krankheiten, Behinderungen, Mobbing oder sexuellen Missbrauch denken. Was Steiner dazu schreibt, verstehe ich so: Derlei Einschnitte sind kein Zufall, sondern Bestrafung für Sünden im vorigen Leben. Jeder ist selbst an seinem Schicksal schuld.

Um Gottes Willen. Wo wir gerade bei Krankheiten sind: Als das Coronavirus ausgebrochen ist, habe ich immer wieder von einer Verbindung zwischen Waldorf und Querdenken gelesen. Was ist da dran?

Medien haben immer wieder darüber berichtet, dass bei den Querdenker-Demos immer wieder auch Waldorflehrer:innen und -Eltern dabei waren. Anthroposophische Ärzt:innen hielten Reden und riefen dazu auf, sich nicht impfen zu lassen. In der ARD sagte ein Waldorflehrer, der im Vorstand seiner Schule in Sachsen ist:

„Wir haben keine außergewöhnliche Pandemie […] Wir haben eine im natürlichen Verlauf. Und in dem Sinne ist die Panik das eigentlich Verwerfliche, die erzeugte Panik. Sie bevormundet und entmündigt Menschen.“

In einer öffentlich gewordenen Mail an eine Mutter schrieb dieser Lehrer außerdem: „Die Krise ist eine vorbereitete Aktion zur Knechtung und Ausbeutung der ganzen Menschheit.“

Ja, gut – einzelne, komische Lehrer:innen gibt es aber an jeder Schule.

Das stimmt. Der Blogger und Journalist Oliver Rautenberg, der sich seit 13 Jahren mit Anthroposophie und Waldorfschulen beschäftigt und wahrscheinlich der lauteste Kritiker überhaupt ist, hat Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Corona an über 80 Waldorfschulen zusammengetragen. Das ist fast ein Drittel aller deutschen Waldorfschulen. Rautenberg wertet die Ergebnisse derzeit noch aus.

Noch ein Beispiel: An einer Waldorfschule in Freiburg kam es zu einem Corona-Ausbruch mit über 100 Infektionen nach Schulveranstaltungen. Insgesamt hatten 52 Schüler:innen und drei Lehrkräfte ein medizinisches Attest, das sie vom Maskentragen befreite. Nur: Lediglich drei dieser Atteste waren gültig. Die Staatsanwaltschaft wurde eingeschaltet.

Ausbrüche gab es auch an öffentlichen Schulen.

Stimmt. Und der Bund Freier Waldorfschulen sprach sich auch öffentlich für das Einhalten der Corona-Maßnahmen aus. Allerdings schrieb dieser auf seiner Homepage auch, dass Corona durch eine bestimmte Planetenkonstellation zustande kam und eine gute Beziehung zur Sonne dagegen helfe. Dort fand man auch ein Video, in dem ein Arzt davor warnte, dass Maskentragen für Kinder unter elf Jahren riskanter sei, als auf eine Maske zu verzichten. Darüber berichteten selbst die Tagesthemen.

Der Arzt im Video ist nicht irgendein Arzt, sondern eine Art Chefarzt aller anthroposophischen Mediziner: Georg Soldner. Soldner ist stellvertretender Leiter der Medizinischen Sektion des Goetheanum in Dornach.

Schon 2015 räumte der Bund der Freien Waldorfschulen ein, „dass Waldorfschulen eine gewisse Anziehungskraft auf Menschen auszuüben scheinen, die dem rechten oder verschwörungstheoretischen Spektrum angehören“, nachdem mehrere Reichsbürger versucht hatten, in Waldorfschulen Fuß zu fassen.

Hat Rudolf Steiner auch gesagt, dass man keine Masken tragen soll?

Davon weiß ich nichts, aber eine gewisse Impfskepsis hat in der Anthroposophie durchaus Tradition. Als ab dem 1. März 2020 nur noch Kinder, Erzieher:innen und Lehrkräfte, die gegen Masern geimpft sind, in die Kita oder Schule kommen durften, waren laut einer Auswertung des Landesgesundheitsamtes Baden-Württemberg rund 30 Prozent der Waldorfkinder, die vom Kindergarten auf die Schule wechseln sollten, nicht geimpft. Bei den anderen Kindern lag diese Quote bei den Schuleingangsuntersuchungen nur bei etwa fünf Prozent.

Helmut Zander, einer der wenigen Wissenschaftler:innen, die sich intensiv mit der Anthroposophie auseinandergesetzt haben, schreibt, die Waldorfschulen „dürften mitverantwortlich für die europaweite Verbreitung von Masern sein.“

Halten Kritiker:innen die Anthroposophie nur deshalb für gefährlich, weil sie an Alternativmedizin festhalten?

Nicht nur, aber auch. In der Pandemie hat Impfskepsis natürlich ganz konkrete Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen. Und die anthroposophische Marke Weleda, der Marktführer im Bereich der alternativen Medizin, ging sogar noch weiter: Bis 2015 vertrieb Weleda noch das Produkt „Iscador“, es bestand aus Misteln und wurde als Mittel zur Krebstherapie verkauft. Dass dieses Produkt über den Placebo-Effekt hinaus wirkt, wurde allerdings nie wissenschaftlich nachgewiesen.

Aber du sprachst noch von anderen Gefahren?

Die größten Gefahren stecken in der Ideologie selbst. Etwa im Umgang mit Kritiker:innen. Viele meiner Gesprächspartner:innen der letzten Wochen wollten aus Angst vor persönlichen Angriffen lieber anonym bleiben. Eine Mutter schrieb mir, „dass die anderen gemeingefährlich sind.“

Das Investigativ-Fernsehmagazin „Report Mainz“ hat im Jahr 2000 mit enttäuschten Müttern von Waldorfschüler:innen gesprochen. Schon damals trauten sie sich nur verpixelt vor die Kamera, weil sie als Verräterinnen beschimpft wurden:

https://youtu.be/4e7Q6wF3Wb4?t=20

Aussteiger, die anonym bleiben wollen … Hat der Erziehungswissenschaftler oben Recht, wenn er die Waldorfschulen mit einer Sekte vergleicht?

Es gibt unglaublich viele verschiedene Definitionen dafür, was eine Sekte ist. Einige Merkmale, die in den meisten Definitionen genannt werden, erfüllt die Anthroposophie: Es gibt eine Führungspersönlichkeit, die verehrt wird, und regulierte Lebensbereiche, die kontrolliert werden. Außerdem trennt sich die Welt der Anthroposophie in Eingeweihte und Nicht-Eingeweihte.

Offiziell aber werden weder die Anthroposophie noch Waldorfschulen als Sekte eingestuft. Denn: Wer sein Kind von der Waldorfschule nehmen möchte, meldet es einfach ab. Zum Beispiel, wenn sie keine Lust mehr auf das Fach Eurythmie haben.

Also das Namen tanzen?

Genau. Auf Youtube gibt es ein Video, indem man lernt, wie man die einzelnen Buchstaben des Alphabets tanzt. Es hat über 800.000 Aufrufe:

https://www.youtube.com/watch?v=u2ZNY570O9Q

Für Steiner ist die Eurythmie in der Schule eine „geistig-seelische Gymnastik“, bei der es nicht wie beim herkömmlichen Turnen nur um körperliche Ertüchtigung geht, sondern um die „Durchseelung des Leibes“ und die „Durchgeistung der Seele“. Es werden Gedichte getanzt, Prosa und eben auch Buchstaben, Vokale, Konsonanten, und da landet man schnell bei Namen.

Okay, aber Tanz beiseite. Oben heißt es, die Anthroposophie sei rassistisch. Was ist da dran?

Steiners Lehre enthält eindeutig rassistische und antisemitische Stellen. Er schrieb zum Beispiel, dass Schwarze Menschen ein „starkes Triebleben“ hätten, weil die Sonne durch ihre dunkle Haut hindurch ihren Stoffwechsel zum „kochen“ bringen würde.

Oder auch das hier:

„Die Europäer sind hinaufgestiegen zu einer höheren Kulturstufe, während die Indianer stehengeblieben sind und dadurch in Dekadenz gekommen sind.“

Über das Judentum schrieb er, es habe sich „längst ausgelebt“ und „keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens“. Dass es sich dennoch erhalten habe, sei „ein Fehler der Weltgeschichte“.

Aber waren Rassismus und Antisemitismus in den 1920er Jahren nicht auch deutlich verbreiteter als heute? Ich will seine Aussagen nicht relativieren und finde schrecklich, was er schreibt – ich glaube nur, dass viele so gedacht haben. Auch Nicht-Anthroposophen.

Sicherlich. Aber auch in den 20er Jahren waren nicht alle Menschen rassistisch und antisemitisch. Steiner allerdings unterscheidet sieben menschliche „Kulturstufen“. Die Aufgabe der arischen Rasse, also der weißen Menschen, ist es, laut Steiner, die Kräfte des Denkens auszuprägen. Er glaubte, dass in dieser kulturellen Evolution der Menschheit die weißen Rassen die Welt anführen; alle anderen bleiben auf früheren Kulturstufen zurück. Das ist aber keine Wissenschaft, sondern purer, sehr klassischer Rassismus.

Werden denn auch die Kulturstufen und die Rassenlehre an Waldorfschulen unterrichtet?

In den vergangenen Wochen haben mir ehemalige Waldorfschüler:innen immer wieder erzählt, dass sie die verschiedenen Wurzelrassen und damit verbundene „Kulturstufen“ aus ihrem Geschichtsunterricht kennen. Dort wird auch die Geschichte über Atlantis erzählt, von der die Menschheit laut Steiners Evolutionserzählung abstamme.

Neulich habe ich mit einer ehemaligen Waldorfschülerin telefoniert, die erst mit 29 Jahren verstanden hat, dass die Dinge über Atlantis, die in ihrem Geschichtsheft standen, Mythen sind und keine geschichtlichen Fakten. Unterscheiden konnte sie das damals nicht. Direkt auf der nächsten Seite ging es um das Kastensystem in Indien. Aber das gilt selbstverständlich nicht für alle Waldorfschulen. Es ist nur eine Anekdote.

Wie gehen Anthroposophen denn mit den Rassismus-Vorwürfen um?

Weil die Rassismus-Vorwürfe immer wieder auftauchen, hat die Anthroposophische Gesellschaft in den Niederlanden eine Kommission damit beauftragt, die Schriften und Vorträge von Steiner auf rassistisch diskriminierende Äußerungen zu durchsuchen. Im Gesamtwerk bezeichneten sie 16 Stellen als „im heutigen Verständnis strafbar“. 66 Stellen seien „minder schwerwiegend“. Weitere 162 Stellen, in denen der Rassebegriff vorkam oder Stellung zum Judentum bezogen wurde, fanden sie unproblematisch.

Im Jahr 2000 berichtete „Report Mainz“ über ein Buch des Schweizer Steiner-Schülers Ernst Uehli, in dem er sich rassistisch äußerte. Das Buch wurde Waldorflehrer:innen zur Lektüre empfohlen. Manche Waldorfeltern empörte die Berichterstattung damals mehr als die Lektüre. Die Taz zitierte eine Mutter: „Wir sind keine Rassisten, das ist alles jüdische Propaganda!“

Das muss ich jetzt nochmal fragen: Die Leute, die ich kenne, die auf Waldorfschulen waren, haben mir alle nichts von Wiedergeburt und Karma und Temperamenten erzählt. Du kannst mir doch nicht sagen, dass das an allen Waldorfschulen unterrichtet wird.

Das stimmt. Nicht alles, was Steiner selbst geschrieben hat, findet Eingang in die Unterrichtsinhalte. Aber einiges. Zum Verständnis: Anthroposophie soll laut Steiner nicht als „Was“, also als eigenes Schulfach, unterrichtet werden, sondern als „Wie“. Die Weltanschauung soll also maßgebend sein für die Methoden des Lehrens und des Erziehens. Steiner schreibt:

„Man muss sich bemühen, möglichst ohne dass man theoretisch Anthroposophie lehrt, sie so hineinzubringen, dass sie darinnensteckt.“

Es ist ein wenig wie mit der Kultur, in der man aufwächst. Wer in England aufwächst, findet es ganz normal, auf der linken Seite der Straße zu fahren und mit dem Kopf zu nicken, wenn er „Yes“ sagen will. In Bulgarien hingegen fährt man rechts und schüttelt den Kopf, wenn man etwas bejahen möchte. Heißt: Selbst, wenn Anthroposophie kein Unterrichtsfach ist, beeinflusst es die Schüler:innen, wenn sie die bestimmende Weltanschauung ist.
Klar ist aber auch: Wie die einzelnen Waldorfschulen die Ideen der Anthroposophie umsetzen oder nicht, unterscheidet sich teils sehr.

Also alles halb so schlimm?

Das kann niemand genau sagen. Die meisten Studien dazu werden von Anthroposoph:innen in Auftrag gegeben oder sogar selbst durchgeführt.

Unabhängige Quellen gibt es wenige. Nicht mal in den wichtigsten Büchern über die Waldorfpädagogik trauen sich Autoren wie Helmut Zander oder Heiner Ullrich die Frage nach dem konkreten Einfluss der Anthroposophie auf Waldorfschulen abschließend zu beantworten.

Klar ist: Waldorflehrkräfte müssen auch heute noch während ihrer Ausbildung an Seminaren an Hochschulen oder an Fortbildungen teilnehmen, an denen genau das Menschen- und Weltbild weitergegeben wird, das Rudolf Steiner sich ausgedacht hat.

Verstehe mich nicht falsch: Nur weil Rudolf Steiner sich vor über hundert Jahren rassistisch und antisemitisch geäußert hat, heißt das nicht, dass dieser Rassismus an jeder einzelnen Waldorfschule noch heute eine Rolle spielt. Inwiefern Waldorfschulen anthroposophische Ideen umsetzen, müssen Eltern von Schule zu Schule selbst herausfinden.

Langsam frage ich mich trotzdem, warum Waldorfschulen überhaupt so erfolgreich sind.

Meine Kollegin Silke Jäger hat mal einen guten Artikel über den Sinn und Unsinn von Heilpraktikern geschrieben. Ihr Fazit: Heilpraktiker sind vor allem deshalb so erfolgreich, weil der Medizinbetrieb Defizite hat. Zum Beispiel, dass sich die Hausärzt:innen wegen der hohen Auslastung kaum Zeit für ihre Patient:innen nehmen können.

Ähnlich ist es auch bei Waldorfschulen. Hätte das Schulsystem in Deutschland nicht so offensichtliche Schwächen, lass es die Ungerechtigkeit sein, der Leistungsdruck oder der Fokus auf Noten, wären Waldorfschulen vermutlich auch nicht so erfolgreich. Sie werden als Alternative angesehen, die sie für viele Eltern und Schüler:innen ja auch ist. Dass sie einen ideologischen Unterbau haben, an den viele der Lehrkräfte glauben, sieht man den Schulen auf den ersten Blick nicht an.

Waldorfschulen ohne den ideologischen Unterbau – das wäre doch mal was.

Stimmt. Es wird immer wieder gefordert, dass Regelschulen sich die guten Seiten der Waldorfpädagogik abschauen sollen: Nähen, Gärtnern, Stricken, Häkeln, Schlossern, Feldmessen, Bildhauerei, Theaterspielen oder Spinnen. Viele fänden es gut, wenn Kinder in Schulen mehr mit ihren Händen machen würden und mehr Zeit an der frischen Luft verbringen würden. Am Ende ist es doch so: Alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind. Und auf der Waldorfschule lernt man nunmal Kreativität wie nirgends sonst.

Würdest du Eltern am Ende also doch empfehlen, ihr Kind auf eine Waldorfschule zu schicken?

Ich glaube, das können Betroffene selbst viel besser beantworten als ich. Deshalb spreche habe ich für einen zweiten Artikel mit Waldorfschüler:innen und deren Eltern gesprochen und ihnen genau diese Frage gestellt. Wenn du selbst Erfahrungen mit Waldorfschulen gemacht hast und mir davon erzählen möchtest, schreib mir an bent@krautreporter.de.


Für den nächsten Teil der Serie haben Bent und Leoni recherchiert, wie der Deutsche Staat Waldorfschulen jedes Jahr mit Millionen fördert, ohne genau zu wissen, wohin das Geld eigentlich fließt. Hier kannst du den Text lesen.


Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger

In der Grafik zum Anteil der Schüler:innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft hatte sich ein Fehler eingeschlichen. Der Anteil beträgt 2,6 Prozent an Waldorfschulen, nicht wie in einer alten Version der Grafik beschrieben 0,25 Prozent. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

Der Sinn und Unsinn von Waldorfschulen, verständlich erklärt

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