Vielleicht hätten meine Plattfüße mich gerettet. Wahrscheinlich hätte ich aber trotzdem dienen müssen; der Bundeswehr, der Gesellschaft, Deutschland. Mein Glück: Zwei Jahre, bevor ich gemustert worden wäre, schaffte der damalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg die Wehrpflicht nach 55 Jahren ab. Nein, er setzte sie aus. Was aufs Gleiche hinauskam.
Ich dachte: für immer. Jetzt, nach der Invasion der Ukraine durch Putin, schreibt Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen, in seinem Blog: „Im Gegensatz zu meiner Partei bin ich sowohl für eine gut ausgerüstete Bundeswehr als auch für eine allgemeine Wehrpflicht“. Carsten Linnemann aus dem CDU-Vorstand sagt: „Ich setze mich seit Jahren für ein Gesellschaftsjahr ein. Für Schulabgänger, junge Frauen, junge Männer. Ein Jahr für die Bundeswehr, aber auch für soziale Dienste, Hilfsorganisationen, THW, Feuerwehr, Vereine.“ Und Sigmar Gabriel twittert: „Ein Jahr Dienst für das Gemeinwohl, was ist daran schlimm?“
Klar: Die meisten Politiker:innen sprechen sich gegen eine erneute Wehrpflicht aus, selbst der Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn. Aber längst nicht alle.
Und mit denen, die das betreffen würde, mit den jungen Menschen, spricht wieder niemand. Deshalb bin ich heute zur Friedensdemo in Berlin gegangen und habe Schüler:innen gefragt, was sie eigentlich von dieser Debatte halten. Hier sind die meiner Meinung nach wichtigsten Stimmen.
„Mein Onkel hat mir erzählt, was er alles gemacht hat, um ausgemustert zu werden. Ich habe ihn immer ausgelacht. Ich dachte, das würde mir selbst nicht mehr passieren.“ – Dejan (16)
„Ich will nicht zum Bund. Vielleicht will ich nach dem Abi ein Freiwilliges Soziales Jahr machen. Das weiß ich noch nicht. Aber ich will das selbst entscheiden.“ – Marcel (17)
„Ich habe auf Youtube gesehen, dass es junge russische Soldaten gibt, die selbst total überrascht waren, dass sie jetzt auf einmal im Krieg sind. Und jetzt wird diskutiert, ob wir jungen Leute nicht wieder ein Jahr zur Bundeswehr sollen. So viel Glück, wie unsere Generation hat mit Corona und so, geht dann wahrscheinlich auch direkt ein Krieg los in Deutschland und wir sind wie die jungen Russen mitten im Krieg.“ – Nico (19)
„Vor ein paar Monaten haben wir im Unterricht noch darüber gesprochen, warum wir es gut finden, dass es keine Dienstpflicht mehr gibt. Und auch, warum das total sinnvoll ist. Und jetzt ist plötzlich alles anders?“ – Finja (17)
„Das ist eigentlich ja typisch. Die letzten zwei Jahre waren scheiße. Bald ist das endlich vorbei, dachte ich. Ich will ins Ausland. Und stattdessen soll ich jetzt wieder ein Jahr machen, was irgendwelche Politiker entscheiden?“ – Susan (17)
„Nach der Schule will ich direkt studieren, am liebsten Musik. Einen Bundesfreiwilligendienst habe ich bisher nicht geplant. Und zum Bund zu gehen schon mal gar nicht.“ – Jakob (16)
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„Ich selbst will nach der Schule sowieso ein soziales Jahr machen. Und ganz ehrlich: Die meisten meiner Mitschüler wissen eh nicht, was sie nach der Schule machen sollen.“ – Kay (17)
„Ich finde das gar nicht schlecht. Wir sollten uns alle sozial engagieren. Aber alle zum Bund finde ich auch nicht richtig.“ – Noah (17)
„Meine Eltern meinen, dass ihnen das Jahr im Altenheim gut tat. Ich glaube ihnen das auch. Aber ich würde nach zwei Jahren Corona eigentlich auch mal gern selbst entscheiden, wie mein Leben aussehen soll.“ – Tobi (16)
„Warum eigentlich nicht? Offensichtlich leben wir jetzt in ganz anderen Zeiten als noch vor einer Woche. Ich mein, ich hab da keinen Bock drauf, aber so richtig kann sich unsere Bundeswehr doch gerade nicht wehren, oder?“ – Enis (20)
„Erst 100 Milliarden für die Bundeswehr und dann die Wehrpflicht wieder einführen? Was ist eigentlich das Ziel? Dass wir die mächtigste Militärnation der Welt werden? Ich habe da Angst vor.“ – Hannah (18)
Ich selbst finde es ziemlich anmaßend, dass Politiker so sorglos darüber sinnieren, dass diese durch Corona so stark eingeschränkte Generation von Jugendlichen doch eigentlich auch mal für die Bundeswehr oder zu Sozialdienst verpflichtet werden sollte. Meine Argumente (und Witze) könnt ihr drüben auf Twitter verfolgen.
Wie seht ihr das? Vielleicht ganz anders? Schreibt mir an bent@krautreporter.de
Redaktion und Schlussredaktion: Esther Göbel, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert