An einem Ende des Platzes, neben dem Beachvolleyballfeld, machten gerade 30 Kinder in einem großen Kreis Yoga. Sie warfen Schatten in der Abendsonne. Keins der Kinder hatte davor je Yoga gemacht. Aber alle folgten den Anweisungen präzise und ruhig.
Ein Zelt weiter hörten 20 Kinder gerade einem Jungen zu, der Gitarre spielte und dazu sang. Ring of Fire von Johnny Cash. Der Junge trägt Hörgeräte und hat ADHS. Die vielen anderen Menschen überfordern ihn sonst. Mit der Gitarre war er plötzlich selbstbewusst und gehörte dazu.
Vor mir tippelten gerade zehn Kids mit Schwimmweste zum Kanufahren. Zwei Jungs erzählten sich aufgeregt, was sie tun würden, sollten sie kentern.
Ich stand vor meinem Zelt und schaute über den Platz. All das passierte gleichzeitig. All das brauchen Kinder. All das haben wir unseren Kindern eineinhalb Jahre lang genommen. Zu einem kleinen Teil wegen eines Virus.
Aber zu einem viel, viel größeren Teil, weil wir Erwachsenen – und damit meine ich in erster Linie Politiker:innen – so egoistisch waren, unsere eigenen Verlangen und den Willen, wiedergewählt zu werden, vor die Wünsche und Träume von Kindern zu stellen.
Meine Meinung steht fest: Für mich ist ab jetzt jedes einzelne Gespräch oder Statement über Corona, das nicht bei Kindern und Jugendlichen beginnt, ein verlorenes.
Das ist ein Newsletter von Bent Freiwald. Parallel zu unseren langen Magazin-Texten verschicken unsere Reporter:innen immer wieder kurze Analysen, Meinungsbeiträge und Rechercheskizzen, die einen Blick in ihre Arbeit hinter den langen Stücken ermöglichen sollen. Manche der Newsletter sind Kickstarter für anschließende, tiefere Recherchen. Deswegen holen wir sie ab und an auf die Seite.
Was die Kinder jetzt noch an Bildung und Freizeit verpassen, verpassen sie nicht wegen des Virus, sondern weil wir die falschen Prioritäten setzen.
Weil uns Einkaufen ohne Maske wichtiger als Präsenzunterricht ist. Weil uns ein volles Fußballstation wichtiger als das Flötenkonzert in der Grundschule ist. Und weil uns Luftfilter in Schulen erst zu viel kosten und dann nicht angebracht werden.
Dass uns das alles nicht um die Ohren fliegt, liegt nur daran, dass Kinder 1.000 Mal tapferer sind als Erwachsene. Die halten das aus, scheinbar. Die testen sich die ersten drei Tage des Zeltlagers selbst und sprinten danach wieder zum Tischkicker. Weiter geht´s!
Das, was jetzt kommt, mag pathetisch klingen. Aber als ich da so stand, im Zeltlager, war ich ehrlich angewidert davon, was für eine Nebenrolle Kinder und Jugendliche in der Corona-Politik gespielt haben.
Am ersten Tag fragte mich ein Kind, was es machen soll, wenn es draußen ein anderes Kind trifft. Ich war ein bisschen baff.
Ich: „Wenn du es magst, umarm es.“
Kind: „Cool!“
Und weg war es.
Eine Mutter schrieb uns einen Tag nach Rückkehr: „Wir sind so dankbar. Gerade in der schweren Zeit war es für die Kinder endlich mal etwas Normalität, sie konnten ohne Einschränkungen wieder Kind sein. Dieses Stück Freiheit kann man mit keinem Geld der Welt aufwiegen.“
In dieser Fotoreportage haben wir Bilder veröffentlicht, die während der zwei Wochen im Zeltlager entstanden sind.
Schlussredaktion: Esther Göbel