Manchmal wurde mein Basketballtrainer richtig laut. „Beeeent!“, hat er dann durch die Halle geschrien und ich wusste schon ganz genau, was ich falsch gemacht hatte. Aber: Meistens unterbrach er die Angriffe im Training nicht, um uns nur zu sagen, was wir falsch gemacht hatten, sondern um uns zu zeigen, was wir besser hätten machen können.
Eine alte Basketball-Weisheit lautet: Alle machen Fehler, aber am Ende gewinnt das Team, das weniger Fehler macht. Als ich das dritte Kapitel des Buches „How We Learn“ des Neurowissenschaftlers Stanislas Dehaene gelesen habe, habe ich mich an die vielen Stunden in der Sporthalle erinnert. Daran, wie normal der Umgang mit Fehlern deshalb war, wie wichtig, und wie präzise mein Trainer mir Feedback gegeben hat („Die Füße beim Blockstellen ein paar Grad weiter Richtung Grundlinie!“) – und wie grundlegend verschieden der Umgang mit Fehlern wiederum in der Schule ist.
Feedback hat bei den meisten Schüler:innen einen schlechten Ruf. Das ist absurd. Theodore Roosevelt soll mal gesagt haben: „The only man who never makes a mistake is the man who never does anything“ (deutsch: Der einzige Mensch, der nie Fehler macht, ist der, der nichts tut). Und ich denke, da hatte er recht.
Fehler machen ist nämlich eigentlich super! Denn es bedeutet, dass wir lernen! Deshalb sind die richtige Fehlerkultur und das richtige Feedback so wichtig – und bilden die dritte der vier Säulen des guten Lernens, die ich in meiner Newsletter-Serie beschreibe.
Fehler kann man im Gehirn messen
Starten wir mit der wichtigsten Frage: Warum? Warum ist es so wichtig, Fehler zu machen? Die Antwort liefert eine der Grundeinsichten übers Lernen: Das Gehirn lernt immer dann etwas dazu, wenn es eine Lücke zwischen dem gibt, was es vorhersagt (oder erwartet) und dem, was es wahrnimmt. Mit anderen Worten: Überraschung ist einer der grundlegenden Treiber des Lernens.
Das kann man sogar ziemlich genau messen. Lest mal folgenden Satz:
„Ich esse meine Suppe am liebsten mit einer Schaukel.“
In eurem Gehirn hätte ich gerade ein sogenanntes N400-Signal messen können (jedenfalls, wenn ich ein EEG-Gerät an euch angeschlossen hätte, aber das führt für diesen Newsletter etwas zu weit). Ein N400 ist ein ereignisbezogener, elektrischer, negativer Wellenausschlag, der 400 Millisekunden nach dem Input im linken Temporallappen auftaucht, zum Beispiel, wenn Wörter nicht in den Kontext passen. Hier: die Schaukel. Etwas ähnliches passiert, wenn ihr diesen Satz lest:
„Zögere nicht, die Medizin wann immer zu nehmen du dich krank fühlst!“
Hier stimmt was mit dem Satzaufbau nicht: Syntax. Euer Gehirn hat gerade ein P600-Signal ausgelöst. Ein positiver Wellenausschlag 600 Millisekunden, nachdem ihr den Satz gelesen habt. In der Region, die für Syntax zuständig ist (Broca’s Areal).
Fehler ohne Feedback bringen rein gar nichts
Diese Signale sind wichtig. Es geht aber nicht darum, möglichst viele Fehler zu machen. Es geht darum, möglichst gutes Feedback zu bekommen. Eine Jägermetapher: Der Jäger schießt, wertet aus, wie sehr er das Ziel verfehlt hat, und nutzt diese Fehlerrückmeldung, um seinen nächsten Schuss anzupassen. Wenn ihm die Augen verbunden sind und er gar nicht sieht, wie weit er daneben geschossen hat, kann er seinen nächsten Schuss auch nicht anpassen. Ganz einfach: kein gutes Feedback, kein Fehlersignal, kein Lernen.
Deshalb ist Feedback so wichtig, auch in der Schule. Und deshalb müssen wir darüber reden, dass das am meisten verbreitete Feedback-Instrument gutes Feedback sogar noch verhindert: Noten.
Das ist ein Newsletter von Bent Freiwald. Parallel zu unseren langen Magazin-Texten verschicken unsere Reporter:innen immer wieder kurze Analysen, Lesetipps und Rechercheskizzen, die einen Blick in ihre Arbeit hinter den langen Stücken ermöglichen sollen. In diesem Fall: Bents vierteilige Serie über Hirnforschung und lernen. Manche Newsletter halten wir für interessant auch für Leser:innen, die die einzelnen Newsletter gar nicht abonnieren. Deswegen holen wir sie ab und an auf die Seite. Unten könnt ihr Bents Newsletter abonnieren.
Noten sind unpräzise und können Angst und Stress auslösen
Noten haben eine ganz offensichtliche Schwäche: Sie sind wahnsinnig unpräzise. Eine Note für eine Klassenarbeit ist eine simple Summe aus den gemachten Fehlern, ganz egal, was für Fehler das sind. Noten sagen nichts darüber aus, warum wir einen Fehler gemacht haben oder wie wir uns korrigieren könnten. Eine 6 in Mathe ist kein hilfreiches Feedback, wir lernen durch sie gar nichts – in erster Linie bringt uns eine 6 in Mathe das soziale Stigma der Inkompetenz. Sie ist peinlich, vielleicht verheimlichen Schüler:innen sie ihren Mitschüler:innen oder Eltern. Noten sind außerdem wie Züge: meistens zu spät dran. Wer weiß ein paar Wochen nach einer Klausur noch, was er sich bei der Beantwortung der einen Matheaufgabe gedacht hat? Genau.
Auch sollte man die negativen Effekte von schlechten Noten auf Schüler:innen nicht vergessen: Entmutigung. Stigmatisierung. Hilflosigkeit. Nochmal: Fehler zu machen ist das Natürlichste der Welt, sie zeigen lediglich, dass wir etwas versucht haben. Dafür bestraft zu werden, mit schlechten Noten, kann sich nur negativ auf die Motivation auswirken, durch Stress und durch Angst. Beides verhindert, dass wir lernen. Denn wer gestresst ist oder Angst hat, kann nicht kreativ sein. Das macht Sinn, aus Sicht der Evolution: Wer einen Säbelzahntiger sieht, soll nicht kreativ sein, sondern rennen, und zwar schnell und weit weg.
Testet euch! Nicht nur auf Covid-19
Werden wir mal konstruktiver: Wenn Noten nicht sonderlich viel helfen – was dann? Optimal wäre es ja, wenn Feedback Schüler:innen dazu ermutigt, sich zu beteiligen, sie dazu ermutigt, Antworten oder offene Fragen zu suchen und Hypothesen aufzustellen – und vor allem: diese dann anzupassen. Das klingt abstrakt. Ist es auch. Aber ein Instrument kann all das sehr konkret: Tests.
Das Wissen und die Ideen der Schüler:innen zu testen, das zeigt Studie nach Studie, ist eine der besten Strategien, wenn es darum geht, dass sie etwas lernen sollen (wollen). Regelmäßiges Testen sorgt dafür, dass Dinge lange im Gedächtnis bleiben und nicht nur bis zur nächsten Klausur. Jedenfalls, wenn nicht nur die gerade gelernten Zusammenhänge getestet werden, sondern auch die Basis, und zwar immer und immer wieder. Sich zu testen heißt: sich der Realität stellen, zu stärken, was man bereits weiß und herauszufinden, was man noch nicht weiß. Das ist dann schon Meta-Wissen: zu wissen, was man nicht weiß. Und das geht ohne Tests kaum.
Tests werden missverstanden
Das Problem: Oft sind Tests nicht dafür gemacht, diese Stärken auszuspielen, sondern lediglich dafür, Noten zu geben, die Schüler:innen zu bewerten. Dabei sind Noten das Uninteressanteste an jedem Test. Es gibt einen einfachen, aber nachgewiesenen Zusammenhang: Je mehr du dich testest, desto besser bleibt das Gelernte im Kopf.
Das Komische: Lehrkräfte und Schüler:innen halten Tests oft für eine Unterbrechung des Lernvorgangs, die sein muss (Notengebung), aber eigentlich den Lernfluss stört. Gelernt werde während des Unterrichts, bei Tests wird das Gelernte überprüft. Ich erinnere mich an keinen Test, bei dem ich dachte: Ah, ja cool, dann schauen wir mal, was ich schon kann, um voranzukommen. Eher schon: Ah, scheiße, ich weiß nicht, ob ich das schon alles weiß, hoffentlich erwischt mich der Lehrer nicht auf dem falschen Fuß.
Natürlich braucht man dafür eine andere Test-Kultur: Wenn Tests immer benotet werden, immer ein bisschen angsteinflößend angekündigt und nicht als das verkauft werden, was sie sein könnten, nämlich der beste Weg, um etwas zu lernen und zu verstehen – dann wird sich das schlechte Image von Fehlern auch nicht ändern. Teaching to the Test, also Lehren für den Test, ist leider oft Alltag. Richtig wäre: Teaching through the Test, also Lehren mit Hilfe des Tests.
Schlussredaktion: Susan Mücke