Herr Lampe, in der Pandemie hören viele Leute plötzlich Podcasts mit Virolog:innen und diskutieren über Fachbegriffe wie Reproduktionsraten und Übersterblichkeit. Spielt Wissenschaft jetzt eine größere Rolle in der Gesellschaft?
Ja, klar. Von Corona sind wir auf einmal alle betroffen. Alle wollen die Antwort auf die Frage, wann sie jetzt endlich wieder in den Baumarkt können. Auf einmal interessieren sich Leute für Studien. Und schon hat Wissenschaft einen ganz anderen Stellenwert, auch für die Politik. Dabei haben sich aber manche Institute auch selbst ganz schön selbst entzaubert. Die Leopoldina zum Beispiel, die für viele ihrer Anregungen keine Belege hatte, und offensichtlich auch mit Gegenwind nicht so gut umgehen kann.
Vertrauen die Menschen der Wissenschaft denn jetzt in der Krise? Verschwörungstheorien haben ja gerade viel Aufwind.
Mein Eindruck – oder vielleicht auch meine Hoffnung – ist, dass es eigentlich nur eine kleine Gruppe ist, die Verschwörungstheorien anhängt. Eine kleine Gruppe, die aber wahnsinnig laut ist. Es gibt vielleicht einige, denen das mit den Lockerungen gut in den Kram passt und die diese Theorien gern hören. Aber so richtig dahinter stehen zum Glück nur wenige.
Und ich habe auch nicht das Gefühl, dass die Leute deswegen der Wissenschaft weniger vertrauen. Ja, ich habe schon von ein paar Leuten gehört, der Virologe Christian Drosten regiere das Land. Trotzdem denke ich, die Leute sehen durchaus, dass die Regeln nicht von Wissenschaftler:innen, sondern von Politiker:innen gemacht werden. Wenn, dann richtet sich das Misstrauen eher gegen die Politik.
Ist die Wissenschaft von der Gesellschaft zu weit weg?
Ganz klares Jein. Die Wissenschaft gibt es nicht. Wir Wissenschaftler:innen sind ja alle unterschiedlich, arbeiten mit verschiedenen Methoden, in verschiedenen Feldern. Es ist schwierig, da eine allgemeine Aussage zu treffen. Aber ich weiß schon, was Sie meinen – es gibt schon eine Distanz. Wissenschaft hat in der Gesellschaft zwar noch ein gutes Ansehen, aber Wissenschaft und Gesellschaft sind voneinander abgerückt.
Wie ist es denn dazu gekommen?
Zum einen haben Wissenschaftler:innen sich lange nicht in die Debatten eingemischt. Sie haben wenig nach außen kommuniziert, nach dem Motto: Lass mich in Ruhe meine Forschung machen, sollen mich die Zeitungen ab und an mal interviewen und das reicht.
Es gibt für Wissenschaftler:innen auch kaum Anreize dazu. Wenn ich ein Labor mit mehreren Angestellten leite, muss ich dafür sorgen, dass alle ihren Job behalten und Gelder einwerben. Das klappt, indem ich wissenschaftliche Aufsätze schreibe, nicht, indem ich Wissenschaftskommunikation mache. Das ist also oft kein böser Wille.
Zum Glück gibt es aber gerade Bewegung. Zum Beispiel sind vor allem Fördergelder von der Europäischen Union immer öfter an Konzepte zur Wissenschaftskommunikation gebunden. Aber andere Entwicklungen machen es Wissenschaftler:innen wieder schwerer.
Zum Beispiel?
Universitäten stehen in Konkurrenz zueinander. Das bedeutet, dass alles, was die Pressestellen nach außen tragen, meist auch Werbung ist. Die Pressestellen kämpfen also immer mit dem Interessenkonflikt zwischen PR und Wissenschaftskommunikation. Auch die Digitalisierung hat Probleme mit sich gebracht: Durch die sozialen Medien kann jeder, der sonst nur Informationen empfangen hat, plötzlich Sender sein. Da sind viele Wissenschaftler:innen und wissenschaftlichen Einrichtungen nicht mitgekommen. Wissenschaft ist zwar hocheffektiv in dem, was sie tut, aber träge darin, sich an solche Veränderungen anzupassen.
Von wem geht die Distanz eigentlich aus – von den Wissenschaftler:innen oder von den Menschen ohne akademischen Hintergrund?
Von beiden Seiten. Manche Wissenschaftler:innen argumentieren, sie wollten Wissenschaft nicht für Dumme erklären müssen. Da denke ich immer: Ich weiß nicht, wovon du redest – ich sehe nur viele Interessierte. Du bist selbst der Dumme, wenn du nicht siehst, wie man Dinge simpel erklären und Faszination wecken kann. Man muss nicht Medizin studieren, um zu verstehen, was man gegen Heuschnupfen tun kann. Aber klar, das ist auch nicht leicht. Dinge zu vereinfachen, ohne zu lügen, ist das Schwierigste. Es kommt auf die richtige Metapher an.
Auf der anderen Seite habe ich auch schon Leute sagen hören: Was haben Wissenschaftler:innen jemals für uns getan? Sie haben eine Menge für uns getan, aber sie haben die Klappe gehalten und nicht darüber geredet.
Nur ein Prozent der Menschen ohne akademisches Elternhaus haben einen Doktortitel. Sie sind ein Arbeiter:innenkind und als solches eine Ausnahme unter den Doktor:innen. Können Sie sich besser in Nicht-Wissenschaftler:innen hineinversetzen?
Nein, das glaube ich nicht. Ich kenne viele Leute, die großartige Wissenschaftskommunikation machen und aus einem akademischen Haushalt stammen. Dafür braucht man Empathie, muss sich gut in andere hineinversetzen können. Dass ich Arbeiter:innenkind bin, hat für mich auch nie eine besonders große Rolle gespielt. Ich habe nie darunter gelitten. Meine Eltern haben immer gesagt: Wenn du Bock auf Uni hast, geh dahin, und sie haben mir das auch ermöglicht. Jetzt sind sie stolz wie Bolle.
André Lampe hat Physik studiert und seine Doktorarbeit über Mikroskopie geschrieben. Jetzt bringt der 40-Jährige mit seinem Projekt „Plötzlich Wissen!“ Menschen in Kneipen und Fußgängerzonen Wissenschaft nahe. Lampe ist Moderator, Science-Slammer, Berater, Podcaster. Seine Leidenschaft ist Wissenschaftskommunikation.
Warum vermitteln Sie denn so gern Wissen?
Ich habe das, ehrlich gesagt, nicht aus Überzeugung angefangen, sondern weil ich Bock hatte, auf der Bühne zu stehen. In der Uni habe ich mich in der Fachschaft engagiert, darüber habe ich dann manchmal Vorträge für Schüler:innen gehalten. Dann kamen die Poetry-Slams dazu, später die Science-Slams.
Trotzdem hatte ich 2013 auf einer Veranstaltung noch die Einstellung: ‚Ich erzähle zwar etwas über Wissenschaft, aber ich mache doch nicht so etwas Abgefahrenes wie Wissenschaftskommunikation.‘ Erst als die anderen Teilnehmer:innen mir widersprochen haben, ist mir ein Licht aufgegangen. Dann konnte ich mein Treiben zuordnen und habe angefangen, das zu professionalisieren.
Mit ihrem Projekt „Plötzlich Wissen!“ kommen Sie in Kneipen und Fußgängerzonen mit Menschen ins Gespräch. Sie machen Experimente, erklären, beantworten Fragen. Unter anderem haben Sie die Übersäuerung der Weltmeere anhand von Rotkohlsaft und einem Strohhalm erklärt. Wie machen Sie das?
Ich erkläre die Dinge, die ich selbst cool und spannend finde. Und ich mache sehr gern Experimente. Das ist zwar schwierig, weil man dafür immer ein paar Dinge dabei haben muss. Aber wer weiß, vielleicht baue ich mir nach Corona einen Bollerwagen für „Plötzlich Wissen!“, damit ich in der Fußgängerzone mehr Experimente machen kann. Ansonsten erzähle ich auch gern Geschichten. Beispielsweise die über den Nagel in einer Kirche in Osnabrück, der bestimmt, was in Deutschland eigentlich Normalnull ist – also zeigt, auf welcher Höhe Gemeinden liegen.
Wie reagieren die Leute darauf?
Wir haben jetzt mit über 500 Personen über Wissenschaft geredet. Wirklich negativ hat noch niemand reagiert. Aber ganz oft glauben die Leute uns nicht, dass wir Wissenschaftler:innen sind. Die sagen: „Ihr seht doch ganz normal aus.“ Ich trage meinen Kittel nun mal nicht 24 Stunden. Einmal ist es passiert, dass eine Frau von sich erzählt hat, sie habe mit Wissenschaft nicht wirklich was am Hut. Später kam dann heraus, dass sie einen Master in Geophysik hat. Die Leute denken, dass Wissenschaftler:innen ein elitärer Kreis sind, zu dem man nur dann gehört, wenn man jedes Jahr zwei Paper in einer höchst angesehen Zeitschrift veröffentlicht.
Wir müssen oft erklären, wie Wissenschaft überhaupt funktioniert. Manche Leute denken, wir erfinden etwas, patentieren das und haben dann Geld für neue Forschung. Da haben die Unis, aber auch die Politik versäumt zu erklären.
https://twitter.com/andereLampe/status/1238431107156193281
Hat die Wissenschaft eine Bringschuld der Gesellschaft gegenüber?
Wissenschaft ist in Deutschland zu einem großen Teil von Steuergeldern finanziert. Also haben wir verdammt nochmal die Pflicht, was zurückzugeben. Meiner Meinung nach müsste jede:r, der von Steuern bezahlte Forschung betreibt, sich rechtfertigen, wenn er oder sie seine Ergebnisse dann nicht auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht.
Und was kann ich als Nicht-Wissenschaftler:in tun, um das einzufordern?
In jedem Fall können sie sich mit Fragen, die sie haben, an wissenschaftliche Institute wenden. Vielleicht wollten sie schon immer mal wissen, warum Windkraftanlagen nur drei Blätter haben. Oder sie haben eine Frage zum Artenschutz in der Ostsee. Suchen sie eine:n Wissenschaftler:in oder ein Institut heraus, das daran forscht und stellen sie denen ihre Frage. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird man ihnen freudig antworten.
Was wäre denn ein Beispiel für richtig gute Wissenschaftskommunikation?
Es geht nicht um das eine perfekte Beispiel. Es geht darum, dass jede:r ein bisschen macht. Eigentlich müsste Wissenschaftskommunikation für jede:n Wissenschaftler:in wie Zähneputzen sein. Selbstverständlich.
Es muss ja nicht jede:r Science-Slams veranstalten oder twittern oder in Kneipen Leute ansprechen. Man kann auch schreiben oder Grafiken erstellen oder mit Bürger:innen im Sinne von Citizen-Science zusammenarbeiten. Oder sich von der Uni-Pressestelle beraten lassen.
Aber ist es denn überhaupt erstrebenswert, dass Nicht-Wissenschaftler:innen und Wissenschaftler:innen mehr miteinander zu tun haben?
Ganz klar: Ja! Ich wünsche mir, dass mehr Menschen uns sagen, was sie beschäftigt, was sie gern wissen würden. Und dass Wissenschaftler:innen ihnen auch zuhören. Teilhabe ist so wichtig. Und es kann nur bereichernd sein, wenn man mit Menschen kommuniziert, die außerhalb der eigenen Bubble stehen.
Wissenschaft darf sich nicht abschotten. Das wäre das Schlimmste, was man machen kann. Der Elfenbeinturm gehört nicht wieder aufgebaut. Der gehört eingerissen. Oder es muss überall so viele Eingänge, Aufzüge, Treppen geben, dass einfach jede:r reinkann.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel