Wenn sich mehrere Tausend Wissenschaftler:innen gegen ein Unternehmen stellen, das höhere Gewinnspannen hat als Google und Facebook, kann man von einer Revolte sprechen. Auf der ganzen Welt haben Universitäten und Bibliotheken ihre Verträge mit dem niederländischen Wissenschaftsverlag Elsevier auslaufen lassen. Die Wissenschaftler:innen, die bei diesen Unis arbeiten, haben seitdem keinen geregelten Zugang mehr zu den Artikeln, die bei Elsevier erscheinen. Dabei sind sie eigentlich auf den Marktführer angewiesen: Seit Jahrhunderten tauschen Wissenschaftler:innen auf diese Weise ihr Wissen untereinander aus – sie lesen die Artikel ihrer Kolleg:innen und veröffentlichen ihre eigenen Ergebnisse. Ohne Austausch kein Fortschritt.
Mit ihrer Blockade unterstützen die Wissenschaftler:innen eine Projektgruppe, in der sich über 700 Einrichtungen aus ganz Deutschland zusammengeschlossen haben. Das Projekt DEAL sagt den großen Verlagen den Kampf an – und die ganze Welt blickt auf ihre Verhandlungen. Denn die drei größten Verlage – Wiley, Springer und Elsevier – verlangen immer mehr Geld dafür, dass man ihre Zeitschriften lesen darf. Die Erkenntnisse Tausender Studien liegen hinter den Bezahlschranken dieser Verlage.
Damit soll jetzt Schluss sein. Ich habe mit Bernhard Mittermaier gesprochen, der bei den Verhandlungen von DEAL mit den Verlagen selbst mit am Tisch sitzt. Der Leiter der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich in Nordrhein-Westfalen erklärt, welche Ziele das Projekt hat, welche Erfolge sie bereits erzielt haben, warum die schwierigste Aufgabe noch bevorsteht und in welcher Situation in den Verhandlungen der Bleistift in seiner Hand schon mal brechen konnte.
Herr Mittermaier, auf der Plattform Reddit hat ein Nutzer gefragt: Wenn ihr ein Unternehmen komplett aus der Welt schaffen könntet, welches wäre es? Die populärste Antwort, mit über 13.000 Upvotes, war der Wissenschaftsverlag Elsevier.
Das finde ich ziemlich cool. Aber nicht besonders überraschend. Als wir angefangen haben mit den drei großen Verlagen zu verhandeln, sind uns Wiley und Springer erstmal entgegengekommen. Es gab Übergangsverträge, die keine Preissteigerung vorsahen – das gab es noch nie. Bei Elsevier war das anders. Der Verlag ist eine Art Feindbild geworden und noch dazu der größte Verlag im Geschäft.
Warum verhandelt das Projekt DEAL überhaupt mit den Verlagen?
Es gibt wissenschaftliche Zeitschriften, die weltweit nur noch 300 Abonnenten haben. „Publizieren“ heißt ja eigentlich „öffentlich machen“, aber mit Öffentlichkeit hat das nur noch wenig zu tun, wenn man als Wissenschaftlicher seine Artikel in diesen Zeitschriften publiziert. Deshalb kam die Idee: Wir müssen die Zeitschriften frei zugänglich machen, sonst liest sie keiner. Derzeit liegen aber fast alle Zeitschriften hinter einer Bezahlschranke. Wer sie lesen will, muss Geld bezahlen oder ein Abo abschließen.
Gerade einmal 15 Prozent der wissenschaftlichen Zeitschriften sind frei zugänglich, das ist viel zu wenig. Wir möchten, dass die Verlage komplett auf Open Access umstellen, die Artikel also alle frei lesbar sind. Aber die Verlage sind da sehr, sehr, sehr zögerlich. Die Idee der DEAL-Verträge ist: Wir schaffen zwar nicht die komplette Umstellung auf Open Access, aber den Einstieg, den Startschuss für eine Veränderung des Systems.
Bei einigen Zeitschriften hat die Transformation zu Open Access geklappt. Zum Beispiel beim Magazin Lingua, das es heute nicht mehr gibt. Die Redakteure haben ein neues Magazin gegründet (Glossa), bei dem die Artikel nicht mehr hinter einer Bezahlschranke versteckt sind. Warum nicht immer so?
Das ist nicht so einfach zu verstehen. Die Wissenschaftler sind an das gängige Modell gewöhnt. Man publiziert seit 200 Jahren in Zeitschriften, so tauschen Wissenschaftler ihr Wissen aus. Dieses Argument ist logisch durchaus angreifbar, mal ganz vorsichtig formuliert.
Der vielleicht wichtigere Grund: Publikationen in relevanten Zeitschriften spielen für Wissenschaftler eine große Rolle. Davon hängen oft sogar ihre Jobs ab. Wie relevant ein Magazin ist, entscheidet der sogenannte Impact-Faktor, der etwas über die Qualität einer Zeitschrift aussagen soll. Dieser Faktor hat zwar mit der Qualität eines Magazins nichts zu tun, aber das ist denjenigen, die den Faktor verteidigen, offenkundig egal. Wissenschaftler, die in Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor veröffentlicht haben, bekommen mehr Fördergeld. Das ist ein Skandal.
Das zwingt die Wissenschaftler dazu, in diesen teuren Magazinen zu veröffentlichen – selbst, wenn sie eigentlich lieber in frei zugänglichen Zeitschriften veröffentlichen wollen. Wenn von Geldgebern das Signal käme: Für uns zählt der Inhalt und nicht der Name der Zeitschrift, dann wäre der ganze Laden sofort am Rutschen. Aber dieses Signal kommt nicht.
Wie ist es, bei Verhandlungen mit am Tisch zu sitzen, auf die die ganze wissenschaftliche Welt blickt?
Das ist schon aufregend. Es ist eine Ehre, dort teilnehmen zu können. Ich habe auch viel fürs Leben gelernt. Auch über Verhandlungen. Wenn ich jetzt Möbel kaufen gehe, mache ich das anders als früher. Über Preise lässt sich schließlich verhandeln.
Ein weiterer Grund für die Verhandlungen sind die teuren Preise der Abos. Selbst Universitäten wie Harvard oder die University of California haben gesagt: Wir können uns die teuren Abos nicht mehr leisten.
Die Bibliotheken haben seit Jahren das gleiche Geld zur Verfügung. Aber die Verlage haben die Abos immer teurer gemacht, weil sie eine Monopol-Stellung haben. Das klingt erstmal verrückt: Wie kann man bei über 3.000 Zeitschriften auf dem Markt ein Monopol haben? Aber die Verlage haben für jeden einzelnen Artikel tatsächlich ein Monopol, weil sie die Rechte an den Artikeln besitzen und man die Artikel demnach nur bei ihnen lesen kann. In diesen Artikeln stehen aber wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse. Forscher:innen brauchen diese Erkenntnisse für ihre Arbeit.
Erhöhen die Verlage die Preise also schlichtweg, weil sie wissen, dass die Wissenschaftler:innen auf die Artikel angewiesen sind?
Ja, das kann man so sagen. Aber es gibt noch ein zweites Problem: Die Zahl der Wissenschaftler steigt jedes Jahr, damit auch die Zahl der Artikel und damit auch letztlich die Zahl der Zeitschriften, weil die Verlage immer neue Zeitschriften gründen. Die Abos, die die Bibliotheken abschließen, damit ihre Wissenschaftler die Artikel lesen können, umfassen eigentlich nie einzelne Zeitschriften, sondern immer gleich mehrere Hundert eines Verlags, weil die einzelnen Zeitschriften-Abos noch viel teurer wären. Aus Sicht der Verlage ist es dann völlig normal, dass die Abos immer mehr Geld kosten müssen, schließlich bieten sie immer mehr Zeitschriften an. Immerhin: Für Wissenschaftler war es bisher annähernd kostenlos, Artikel zu schreiben.
Wieso annähernd?
Bei manchen Zeitschriften müssen wir Bibliothekare immer noch dafür bezahlen, wenn unsere Wissenschaftler wollen, dass die Zeitschriften ihre Abbildungen auch in Farbe drucken. Als Bibliotheksleiter bin ich dann dafür zuständig, ich hatte schon Rechnungen über 10.000 Euro für einzelne Artikel – nur für die Farben! Da komme ich mir vor wie im 19. Jahrhundert. In manchen Gebieten der Hirnforschung kommt man gar nicht drum herum, die Bilder farblich darzustellen, sonst sieht man gar nichts. Und dann wird es teuer.
Warum sind die Verlage so lange mit ihrem Geschäftsmodell durchgekommen?
Bisher gab es kein zentrales Verhandlungsteam in Deutschland, das über die Preise diskutiert hat. Die Unis haben alleine oder in kleinen Gruppen mit den Verlagen darüber verhandelt, wie viel Geld sie für das Lesen wissenschaftlicher Artikel bezahlen müssen. In Großbritannien gibt es hingegen eine einzige Einrichtung, die für alle Universitäten des Landes mit den Verlagen verhandelt. Die haben natürlich eine viel größere Macht. Deshalb haben sich jetzt 700 Einrichtungen in Deutschland zusammengeschlossen.
Was hat das Projekt DEAL bisher erreicht?
Wir haben uns mit zwei der drei großen Verlage geeinigt. Mit Wiley haben wir bereits einen fertigen Vertrag ausgearbeitet, mit Springer gibt es jetzt ein sogenanntes Memorandum of Understanding, das die Eckpunkte festlegt.
Was verändert sich für Wissenschaftler:innen durch die neuen Verträge mit Wiley und Springer?
Die Wissenschaftler können jetzt auf alle Zeitschriften der Verlage frei zugreifen. In der Vergangenheit hatten sie nur Zugriff auf ein ausgewähltes Portfolio. Wenn Wissenschaftler früher einen Artikel für alle frei zugänglich in einer eigentlich kostenpflichtigen Zeitschrift veröffentlichen wollten, musste ihr Institut dafür nochmal Geld bezahlen. Durch die neuen Verträge fragt der Verlag künftig, ob ein Artikel frei zugänglich sein soll – ohne dafür mehr Geld zu verlangen. Da kreuzt man natürlich „ja“ an – alles andere wäre ja Unsinn.
Was ändert sich für Privatpersonen wie mich, die nicht an einer Uni arbeiten?
Privatpersonen können Artikel aus deutscher Feder künftig kostenlos lesen. Das sind immerhin 20.000 Artikel pro Jahr bei Wiley und Springer zusammen.
Ich muss für einen Artikel also immer noch bis zu 30 Euro zahlen, wenn er erschienen ist, bevor die Verlage die Verträge unterzeichnet haben?
Das ist richtig …
Schade. Wenn Bibliotheken nicht mehr dafür bezahlen müssen, dass ihre Wissenschaftler:innen die Artikel lesen können, müssten sie aber einiges an Geld sparen …
Das kann man so nicht sagen. Es gibt jetzt die sogenannte Publish-and-Read-Gebühr. Wenn Bibliotheken diese Gebühr bezahlen, können ihre Wissenschaftler sowohl Artikel lesen als auch veröffentlichen. Das kann man so zusammenfassen: Früher haben die Bibliotheken nur dafür bezahlt, dass ihre Forscher die Artikel lesen können. Heute bezahlen wir dafür, dass unsere Wissenschaftler ihre Artikel veröffentlichen können. Wir haben mit Wiley und Springer abgemacht, dass es 2.750 Euro kostet, einen Artikel in ihren Zeitschriften zu publizieren. Man muss aber bedenken: Die Ausgangslage war ein massives Umsatzplus von Springer und Co. Die Verlage haben anfangs gesagt: „Wir weiten das Angebot aus, und eure Artikel sollen Open Access sein – wenn niemand mehr dafür bezahlt, die Zeitschriften zu lesen, nehmen wir ja viel weniger Geld ein. Das wird erstmal alles teurer für die Bibliotheken.“ Die Verlage wollten, dass wir doppelt so viel Geld bezahlen wie bisher. Wahnsinn. Wir haben sie dann auf die gleiche Höhe runtergehandelt.
Also bezahlen die Unis und Bibliotheken gar nicht weniger?
Wie diese Rechnung ausgeht, hängt davon ab, wie viel die Wissenschaftler publizieren. Die Verlage rechnen damit, dass sie immer mehr veröffentlichen. Dann kämen sie – auch mit den neuen Verträgen – auf ein Umsatzplus. Wenn man nicht ganz so optimistisch ist, werden die Kosten ungefähr gleich hoch sein, oder ein bisschen geringer.
Das heißt, die Kosten werden nur umverteilt.
Ja. Man kann aber auch anders formulieren: Bisher haben wir für das Lesen bezahlt, jetzt bezahlen wir für das Publizieren. Unterm Strich ist das sinnvoller, weil die Verlage eine Dienstleistung erbringen, wenn sie Artikel veröffentlichen. Und genau diese Dienstleistung wird jetzt bezahlt.
Stichwort günstiger: Die Forschung der Wissenschaftler:innen bezahlt der Staat, die Wissenschaftler:innen, die die Artikel prüfen, machen das freiwillig – sie kosten dem Verlag also auch nichts. Wieso dann noch 2.750 Euro pro veröffentlichtem Artikel? Was bezahlt man da?
Dieser Preis ist nicht gerechtfertigt. Bei Zeitschriften, die sich selbst tragen müssen, und das ist bei den großen Verlagen der Fall, würden dreistellige Publikationsgebühren völlig ausreichen, um die Kosten zu decken. Vierstellig ist zu viel und 2.750 Euro pro Artikel erst recht. Langfristig muss es wesentlich günstiger werden für die Unis – das ist klar.
Mit Wiley und Springer haben Sie sich geeinigt. Gleichzeitig haben immer noch knapp 200 Einrichtungen in Deutschland keinen Zugang zu den Zeitschriften des größten Verlags, Elsevier. Was ist das Problem?
Elsevier war der erste Verlag, der offen für Verhandlungen war. Wir haben bereits 2016 damit begonnen. Aber als wir uns nicht einigen konnten, haben 70 Einrichtungen aus Deutschland ihren Vertrag mit Elsevier gekündigt, um Druck auf die Verhandlungen auszuüben.
Es gab vier Wochen lang keinen Aufstand der Wissenschaftler, die keinen Zugang mehr zu den Artikeln von Elsevier hatten. Da hätten die Forscher auf der ganzen Welt natürlich auf die Idee kommen können, dass man gar keinen Zugang zu den Artikeln von Elsevier braucht, um ordentlich arbeiten zu können. Also hat der Verlag den Zugang nach einem Monat wieder freigeschaltet – umsonst, freiwillig, mit der Begründung, dass ihnen die Wissenschaft so sehr am Herzen liegt. Ende 2017 hatten wir uns dann immer noch nicht geeinigt, weitere Verträge liefen aus, und auf einmal hatten 200 Einrichtungen keinen Zugang mehr.
Und nicht nur das: Auch die Verträge aller schwedischen Universitäten liefen Ende 2017 aus. Zunächst haben diese Unis ihren bisherigen Vertrag um ein halbes Jahr verlängert, aber ihre Verhandlungen waren ergebnislos. Elsevier konnte Deutschland und Schweden den freien Zugang natürlich nicht ewig gewähren, sonst hätten die anderen Länder gesagt: Warum sind wir so doof und bezahlen dafür überhaupt?
Wie ging es dann weiter?
Bei der nächsten Verhandlungsrunde am 3. Juli 2018 waren wir ganz kurz davor, uns zu einigen. Aber dann hat Elsevier die Verhandlungen wieder platzen lassen, weil ihnen die Inhalte plötzlich nicht mehr gepasst haben.
Womit genau war Elsevier nicht einverstanden?
Wir haben bei DEAL eigentlich simple Eckpunkte beschlossen: Die teilnehmenden Unis und Organisationen sollen freien Lese-Zugang zu allen Zeitschriften haben. Die künftigen Publikationen von Wissenschaftlern an diesen Unis sollen nicht mehr hinter Bezahlschranken liegen, sondern frei zugänglich sein. Das ist die „Publish-and-Read“-Gebühr, auf die sich die anderen Verlage eingelassen haben.
Elsevier hingegen wollte nur 30 Prozent seiner Artikel frei zugänglich machen. Dafür gibt es aus meiner Sicht keinen vernünftigen Grund. Ganz oder gar nicht. Aber daran scheiterte es letztlich. Elseviers Vorschlag war dann, zunächst nur die Kosten festzulegen. Wofür die Unis inhaltlich überhaupt bezahlen, wollten sie noch offenlassen. Das ist so, als gingen Sie zum Autohändler und er sagt: „Okay, das Auto kostet 30.000 Euro, da sind wir uns schon mal einig. Aber was für ein Auto sie dafür bekommen, müssen wir dann anschließend besprechen“. Vielleicht erwarten Sie eine Mercedes S-Klasse, bekommen am Ende aber einen Fiat Panda. Auf dieses Spiel haben wir uns nicht eingelassen. Deshalb haben nach wie vor viele Unis und Einrichtungen keinen Zugang zu Elsevier-Artikeln.
Das muss doch ein Problem sein für die Wissenschaftler:innen.
Nein. Das ist kein Problem.
Warum nicht?
Natürlich ist es bequemer, einfach auf die Seite von Elsevier zu gehen und alle Zeitschriften dank eines großen Abos lesen zu können. Aber es gibt viele Wege, wie man an einen Artikel kommt, auch wenn man kein Abo mit dem Verlag hat. Eine Möglichkeit ist die Fernleihe. Die Zentrale Medizin Bibliothek in Deutschland hat sich auf die auslaufenden Verträge mit Elsevier vorbereitet, indem sie ihren Mitarbeitern eine Urlaubssperre verhängt hat. Sie haben einen Ansturm auf die Fernleihe erwartet. Aber passiert ist nichts. Sie haben es in ihrer Statistik noch nicht mal bemerkt. Die Wissenschaftler besorgen sich die Artikel auf anderen Wegen.
Was sind das für andere Wege?
Manchmal kaufen wir Artikel für Artikel einzeln bei Elsevier ein. Eine andere Möglichkeit ist die Plattform Researchgate. Elsevier beklagt immer, dass auf dieser Plattform Artikel illegal hochgeladen werden. Das mag vielleicht auch sein, aber das ist noch nicht mal der Hauptzweck der Plattform. Wenn man einen Artikel googelt, landet man schnell auf Researchgate und kann dort die Autoren mit einem Klick fragen, ob man ihn lesen darf. Das ist sehr bequem.
Wenn das alles kein Problem ist, warum werden dann überhaupt neue Verträge abgeschlossen?
Jede einzelne Uni könnte ohne Vertrag leben, aber das funktioniert nicht für das ganze System. Dann würden die Verlage gar kein Geld mehr verdienen, und von jetzt auf gleich wären die Zeitschriften tot. Es gibt genug Leute, die das gar nicht so schlimm fänden. Ich persönlich verfolge diesen revolutionären Ansatz nicht. Ich hätte zwar nichts dagegen, wenn diese Revolution geschehen würde. Mir wäre es nur lieber, wenn sie mit Ansage passiert. Wenn die Wissenschaft erklären würde, dass sie keine Zeitschriften mehr braucht. Das durch die Hintertür zu machen, fände ich schwierig. Die Wissenschaftler unterstützten uns derzeit sehr massiv in den Verhandlungen mit Elsevier. Aber ob die Unterstützung genauso groß wäre, wenn wir ganz auf die Zeitschriften der Verlage verzichten wollten – das weiß ich nicht.
Wie ist der Stand bei den Verhandlungen mit Elsevier heute?
Es gab seit Juli 2018 keine offiziellen Verhandlungen mehr. Es gab lediglich informelle Gespräche zwischen einzelnen Personen.
Wie optimistisch sind Sie, dass die Verhandlungen auch offiziell wieder aufgenommen werden?
Ich bin sehr optimistisch. Die Einigung mit Springer übt ordentlich Druck aus. Elsevier ist jetzt in Erklärungsnot. Wenn die beiden großen Konkurrenten in der Lage sind, einen Vertrag abzuschließen – warum Elsevier nicht? Es haben auch nicht nur Unis in Deutschland ihre Verträge mit Elsevier auslaufen lassen, auch die University of California hat ihren nicht verlängert. Die Wissenschaftler dort veröffentlichen circa ein Drittel so viele Artikel wie ganz Deutschland. Das ist eine Hausnummer, und das erhöht den Druck. Diese Hängepartie kann und wird nicht ewig weitergehen. Wenn wir in diesem Jahr wieder zu keinem Ergebnis kommen, werden wir nicht weitermachen. Dann würden wir aufhören zu verhandeln.
Die Verhandlungen mit den Verlagen waren zäh und lang. Was hat sie dabei am meisten geärgert?
Richtig ärgerlich finde ich es, wenn es ständig wechselnde Gesprächspartner gibt und diese neuen Gesprächspartner uns weismachen wollen, dass sie nicht genauestens informiert seien über das, was bislang gesprochen wurde. Die lassen sich dann alles noch einmal erklären, und es endet immer gleich: „Aber das geht doch nicht. Deutschland macht nur fünf Prozent der Publikationen aus, und Sie wollen auf alle Artikel aus der ganzen Welt kostenlos zugreifen?“
Dieses Argument haben wir aus drei vier verschiedenen Mündern in mehreren Sitzungen nacheinander gehört. Da kann man dann schon mal den Bleistift in der Hand zerbrechen. Erstens ist das Unsinn, und zweitens ist es nervig, das vier Mal hintereinander zu hören. Letztendlich haben wir uns durchgesetzt: Es wäre unsinnig, für das eigene Publizieren zu bezahlen und dann nochmal für das Lesen anderer Artikel. Das hat Wiley verstanden, Springer auch, und jetzt muss das nur noch Elsevier verstehen.
Die Verträge mit Wiley und Springer laufen jeweils drei Jahre, mit einer Option auf ein weiteres Jahr. Das heißt, es wird zu neuen Verhandlungen kommen. Was sollte sich Ihrer Meinung nach dann verändern?
Wir haben bereits viel erreicht: Alle Artikel, die in Deutschland bei diesen Verlagen veröffentlicht werden, sind künftig frei zugänglich. Aber wenn dieses Modell Schule macht und andere Länder auch noch solche Verträge abschließen, nimmt der Anteil der Open-Access-Artikel in den Zeitschriften immer mehr zu. Die Verlage werden Probleme bekommen, eine Zeitschrift im Abo zu verkaufen, wenn die Hälfte sowieso schon frei zugänglich ist. Die Hoffnung ist, die Verlage durch die Hintertür dazu zu bekommen, auf Open Access umzustellen. Denn alle Aufrufe, es freiwillig zu tun, waren fruchtlos.
Redaktion: Theresa Bäuerlein; Foto- und Schlussredaktion: Vera Fröhlich.