Angenommen, in deiner Nachbarschaft soll von Steuergeld (also von deinem Geld) eine neue Straße gebaut werden.
Das Bauunternehmen bezahlt seine Mitarbeiter:innen nicht, sondern berechnet ihnen eine Gebühr dafür, dass sie die Straße bauen dürfen.
Die Bauaufsicht, die dafür verantwortlich ist, dass die Straße den Standards entspricht, wird auch nicht bezahlt.
Und wenn du über die fertige Straße fahren willst, musst du ein teures Jahresabonnement abschließen oder 30 Euro Gebühren für eine einmalige Fahrt zahlen – obwohl die Straße von deinem Geld gebaut wurde.
Alle Damen und Herren Steuerzahler:innen würden mir sicher zustimmen, wenn ich sagte: Absurd. Oder?
Wahrscheinlich wärst nicht nur du wütend, auch der Bund der Steuerzahler wäre schnell auf dem Plan und würde sich diesem Skandal widmen: Das kann doch nicht wahr sein!
Aber es ist wahr. Nur geht es hier nicht um Straßenbau, sondern um wissenschaftliche Veröffentlichungen. Also um Studien, Untersuchungen, Experimente – und um die Frage, wie all diese Veröffentlichungen unter die Leute gebracht werden.
Wissenschaftliche Verlage wie Springer Nature aus Deutschland oder Elsevier aus den Niederlanden haben dank eines Geschäftsmodells, das dem Straßenbau-Beispiel oben folgt, eine höhere Gewinnmarge als Google und Facebook. Sie machen mit jedem Euro, den sie umsetzen, deutlich mehr Gewinn als diese zwei Internet-Giganten.
Alle wollen ins Nature-Magazin
Um die ganze Tragweite zu verstehen, lohnt es sich, den Weg einer wissenschaftlichen Publikation nachzuzeichnen. Keine Angst, hier geht es jetzt nicht um die langwierige und manchmal langweilige Arbeit, die hinter einer Studie steckt. Die Grundzüge reichen völlig. Deshalb zu Beginn eine gute Nachricht: Eine gewitzte Biologin hat endlich herausgefunden, wie drei winzig kleine Veränderungen an zwei Aminosäureketten dafür sorgen, dass man nach einer durchzechten Nacht keinen Kater mehr bekommt. Das stimmt zwar leider nicht, aber tun wir mal so.
Der gängige Weg wäre, dass sie ihre Erkenntnisse in einem relevanten Fachmagazin veröffentlicht, denn dafür bekommt sie die größte Aufmerksamkeit als Forscherin. Denken wir mal groß: Sie veröffentlicht im Nature Magazin, das ist so etwas wie die beliebteste Disco der Stadt: Da wollen alle rein. Der Ablauf bis zur Veröffentlichung sieht so aus:
Die bahnbrechende Idee zum Verhindern eines Katers passt wahrscheinlich nicht auf eine Seite. Aber vielleicht auf 20, ganz grob, denn so lang ist nun die Zusammenfassung, die die Biologin geschrieben hat. Die schickt sie an einen unserer Hauptprotagonisten: an einen wissenschaftlichen Verlag (Schritt 1). In diesem Fall an Nature. Der Verlag sorgt nun dafür, dass erfahrene Wissenschaftler:innen ihre Zusammenfassung lesen und prüfen, ob alles richtig ist. Das nennt sich: Peer Review (Schritt 2).
Vielleicht entdecken die Wissenschaftler:innen zwei, drei kleine Fehler, aber nach dem Peer Review steht fest: Die komplizierte Veränderung an den Aminosäuren sorgt wirklich dafür, dass wir keinen Kater mehr bekommen. Darauf erstmal einen Schnaps!
Der Verlag akzeptiert den Artikel (Schritt 3) und publiziert ihn im Nature Magazin (Schritt 4). Ruhm, Ehre, Geld!
Wer bezahlt: wir. Wer profitiert: vor allem die Verlage
Nun: Ruhm und Ehre sind der Biologin tatsächlich sicher. Aber Geld … hier fängt es an, tricky zu werden. Denn sie verdient daran erstmal nichts. Mehr noch: Sie (beziehungsweise ihre Universität) muss oft sogar dafür bezahlen, dass ein Artikel veröffentlicht wird, bis zu 10.000 Euro. Die Verlage rechtfertigen das so: Sie müssen ihre Redakteure bezahlen, machen Marketing, verbreiten die Artikel und machen das Layout.
Aber nicht nur die Biologin muss bezahlen. Damit ihre Kolleg:innen oder Journalist:innen den Artikel lesen können, müssen sie ebenfalls viel Geld bezahlen. Weltweit machen wissenschaftliche Zeitschriften so einen Umsatz von 7,6 Milliarden Euro. Denn obwohl die Wissenschaftlerin den Großteil der Arbeit gemacht hat (sie hat den Artikel schließlich geschrieben und daran geforscht), besitzt der Verlag nun die Rechte am Artikel und versteckt ihn üblicherweise hinter einer Paywall. Also hinter einer virtuellen Mauer, die allen den Zugang versperrt, die nicht bezahlt haben.
Für ihre Arbeit am Anti-Kater-Mittel haben wir die Biologin schon bezahlt, mit unseren Steuern. Mehr noch: Wir haben sogar die Wissenschaftler:innen bezahlt, die das Peer Review für den Artikel gemacht haben, also die Standards kontrolliert haben. Denn die werden gar nicht vom Verlag bezahlt. Sie machen diese Arbeit freiwillig und bekommen lediglich ihren ganz normalen Lohn, von uns Steuerzahler:innen.
Und trotzdem dürfen wir den Artikel nicht einfach so lesen. Bibliotheken bezahlen viel Geld, damit wenigstens ihre eigenen Wissenschaftler:innen Zugang zu den wichtigsten Magazinen bekommen. Und das Geld, mit dem sie teure Abos abschließen, ist – du ahnst es schon: Steuergeld.
Für einen Artikel zahlen wir also mindestens dreifach: Wenn er entsteht, wenn er geprüft wird, und damit wir ihn lesen dürfen. Akademiker:innen arbeiten kostenlos für die Verlage; und Verlage verkaufen Artikel teuer an andere Akademiker:innen.
Erinnere dich nochmal an das Straßenbau-Beispiel von oben: Eine Straße wird von deinen Steuergeld gebaut, die Bauarbeiter:innen bekommen dafür keine Bezahlung, und wenn du die Straße nutzen willst, musst du nochmal bezahlen. Das Bauunternehmen, das diese verrückten Umstände durchsetzt, sind in unserem Fall die Verlage.
Kaum ein Unternehmen macht prozentual so viel Gewinn wie die großen Verlage
Die drei größten wissenschaftlichen Verlage der Welt, Elsevier, Springer und Wiley, machen gemeinsam circa 58 Prozent des Umsatzes, der weltweit mit solchen Magazinen gemacht wird.
Von den Gewinnmargen dieser drei Verlage können selbst die erfolgreichsten Unternehmen nur träumen. Die Gewinnmarge gibt die Differenz (pro Produkteinheit) zwischen Kosten und Erlös an. Das heißt im Falle von Elsevier, etwas vereinfacht: Für einen Artikel, der mich als Journalist 30 Euro kostet, wenn ich ihn lesen möchte, gibt der Verlag in der Produktion nur circa 19 Euro aus.
Nicht mal Google oder Facebook erreichen die Gewinnmarge von Elsevier. Und bei Elsevier geht es nicht um Autos oder TV-Serien, sondern um ein öffentliches Gut: um Wissen.
Wie konnte es soweit kommen?
Um das herauszufinden, telefoniere ich mit Claudia Frick. Sie ist Bibliothekarin am Forschungszentrum in Jülich, Nordrhein-Westfalen, und setzt sich seit Jahren dafür ein, Wissen frei zugänglich zu machen. Beim Kongress des Chaos Computer Clubs 2018 sprach sie vor 17.000 Menschen über dieses Thema. Sie sagt: „Als es noch keine Zeitschriften gab, schickten sich die Wissenschaftler ihre Ergebnisse einfach per Post zu, nach dem Motto: ‘Was hältst du davon?’“
Aber seit es Zeitschriften gibt, kostet das Veröffentlichen in diesen Zeitschriften Geld, denn sie zu produzieren und zu drucken, muss bezahlt werden. Das ist erstmal nicht weiter verwunderlich, erklärt aber noch nicht, warum es im Laufe der Jahre so teuer wurde.
Im Rückblick kann man zwei Gründe ausmachen, die wissenschaftliches Publizieren sehr teuer und die Verlage sehr reich gemacht haben.
Der erste Grund: Man kann einen Artikel in genau einem Magazin veröffentlichen. Die Informationen, die in diesem Artikel stehen, finden andere Forscher:innen nirgendwo sonst. In unserem Beispiel würde das heißen: Wer das biologische Wundermittel gegen den Kater am nächsten Morgen kennenlernen will oder selbst zu diesem Thema forschen möchte, braucht Zugang zu genau diesem Artikel unserer Biologin. Forscher:innen müssen auf dem Laufenden bleiben, das ist ihr Beruf. Und die Bibliothekare müssen dafür sorgen, dass sie das können. Das wissen die Verlage und treiben die Preise für ihre Magazine in die Höhe.
Große Hoffnung setzte man auf die Digitalisierung der Magazine, die großen Verlage waren bereits totgesagt: Weniger Druckkosten, keine Extrakosten für Farbdrucke mehr; ein einfaches PDF herunterzuladen – das kann ja nicht so viel kosten. Es kam anders. Während das Internet beispielsweise in der Musikbranche dafür sorgte, dass man sich nicht mehr für gebündelte Angebote interessierte (man konnte jetzt jeden Musiktitel einzeln herunterladen und musste nicht mehr ein ganzes Album kaufen), war es in der Zeitschriftenbranche genau andersherum.
Die Verlage bündelten die einzelnen Magazine zu einem großen Angebot. Mit einem jährlichen Abo hatten die Bibliotheken plötzlich Online-Zugang zu hunderten von Zeitschriften gleichzeitig. Wer das Abo nicht bezahlen wollte, dem fehlten auf einmal gut ein Viertel aller wissenschaftlichen Artikel. Sich einzelne Zeitschriften zu kaufen, macht seitdem keinen Sinn mehr, das große Abo ist nur geringfügig teurer: „Man abonniert drei Zeitschriften von einem Verlag und dann könnte man preistechnisch auch einfach alle 100 nehmen. Da kauft man dann leider auch Zeitschriften, die man überhaupt nicht braucht“, sagt Claudia Frick.
Selbst die größten Unis können sich das nicht mehr leisten
Seit ein paar Jahren wehren sich Bibliotheken, Unis und Institute gegen die hohen Preise für Zeitschriftenabos. Immer mehr Einrichtungen kündigten ihr Abo bei Elsevier – weil sie es sich nicht mehr leisten können. Das betrifft nicht nur kleine Bibliotheken mit wenig Geld. Selbst große Institute haben ihr Abo gekündigt, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft. Und auch echten Elite-Unis sind die Abos zu teuer:
Auch die größte staatliche Universität der USA, die University of California, mit ihren 27.500 beschäftigten Wissenschaftler:innen, hat ihr Abo beim niederländischen Verlag gekündigt. Außerdem hören immer mehr Wissenschaftler:innen auf, die Peer Reviews zu machen, für die sie vom Verlag nicht bezahlt werden.
Claudia Frick sieht, dass der Druck auf die Verlage größer wird: „Viele Wissenschaftler und Unis hatten lange Angst davor, die Abos zu kündigen. ‚Wie sollen wir nur ohne Elsevier klarkommen?‘, haben sie gefragt.“ Die Antwort ist: „Es ist total einfach, wir haben damit gar kein Problem“. Ihre Bibliothek in Jülich hat seit Anfang des Jahres keine Magazine von Elsevier mehr abonniert. Seitdem müsse sie zwar einzelne Artikel freischalten; Artikel, die ihre Wissenschaftler:innen unbedingt brauchen. Aber oft komme man auch anders an die Artikel, über Kolleg:innen beispielsweise. Claudia Frick sagt: „Die Ehrfurcht vor den Verlagen zu verlieren, das ist vielleicht eine der größten Hürden derzeit.“
Wie schaffen es die Unis, wieder Zugang zu dem Wissen tausender Forscher:innen zu bekommen? „Das Ziel muss sein, dass es nicht nur günstiger wird, Magazine zu lesen. Es muss kostenlos sein, und zwar nicht nur für Unis, sondern für jeden“, sagt Frick.
In Deutschland gibt es derzeit eine Revolution. Die ganze Welt blickt hier her. Denn über 700 Einrichtungen haben sich zusammengeschlossen. Sie sagen den großen Verlagen den Kampf an. Ihre Ziele: Freier Zugang für alle Artikel, die in Deutschland veröffentlicht werden – und endlich transparente Preise. Welche Strategien die Einrichtungen dabei haben, welche Erfolge sie schon erzielt haben und warum die schwierigste Aufgabe noch bevorsteht, beschreibe ich im nächsten Teil der Serie.
Redaktion: Philipp Daum; Fotoredaktion: Vera Fröhlich. Schlussredaktion: Philipp Daum.