Bevor ich drei Monate als Lehrer gearbeitet habe, hat mir meine Schulleiterin einen Tipp gegeben, den ich bis heute nicht vergessen habe, vielleicht nie vergessen werde: Je lauter das Kind, desto ruhiger bist du. Da sprachen mindestens 30 Jahre Berufserfahrung zu mir: Wenn das Kind völlig freidreht, hilft kein Schreien – da hilft nur: selbst Ruhe ausstrahlen.
Mit diesem Tipp im Gepäck ging ich also in den Unterricht, viel mehr pädagogische Weisheiten hatte ich nicht parat, natürlich nicht, darin wurde ich ja gar nicht ausgebildet. Ich war allerdings auch nur eine kurzzeitige Vertretung. Eine andere Nummer sind da Quereinsteiger:innen, die bleiben meistens länger, denn von Lehrer:innen gibt es (das wird euch jetzt nicht überraschen) vielleicht ein, zwei zu wenig in Deutschland.
Diese Woche habe ich beim Tagesspiegel gelesen, dass sich der Anteil von Quereinsteiger:innen an Berliner Grundschulen innerhalb der letzten zwei Jahre mehr als verdoppelt hat. Nicht an allen Grundschulen – es geht um Brennpunktschulen, also um Schulen, an denen mehr als 80 Prozent der Kinder aus sogenannten Sozialtransferfamilien stammen:
Eigentlich müsste es ja so sein: Dort, wo die herausfordernsten Schüler:innen zur Schule gehen, sollten die erfahrensten Pädagog:innen arbeiten. Was den Anteil von Quereinsteiger:innen angeht, ist es genau andersherum: An Brennpunktschulen ist der Anteil um 150 Prozent größer als an privilegierten Schulen (Chancengerechtigkeit bleibt eben doch ein Märchen. Der Tagesspiegel berichtet weiter über die vielen Vorschläge, das zu ändern: Zum Beispiel könnte die Bildungsverwaltung die Lehrer:innen zuweisen, um so zu regulieren. Oder man könnte eine Quote festlegen, wie viele Quereinsteiger:innen maximal an einer Schule unterrichten dürfen. Oder man versucht, Lehrer:innen anzulocken. Zum Beispiel, indem Beförderungen erst möglich sind, wenn man an einer herausfordernden Schule gearbeitet hat. Oder, oder, oder … man beschäftigt sich so sehr mit der Verteilung von Quereinsteigern, dass man ganz vergisst, was das eigentliche Problem ist: Uns fehlen, verdammte Axt, Lehrer:innen.
Grundschulverbot oder Vorschulpflicht oder was denn jetzt?
Wo wir gerade beim Thema Chancengerechtigkeit sind, Carsten Linnemann (stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union) sagte der Rheinischen Post: „Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen.“
„Populistischer Unfug“ und „der völlig falsche Weg“ sei das, sagte Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein (ebenfalls CDU) der Süddeutschen Zeitung. Katja Kipping (Die Linke) sagte der Nachrichtenagentur dpa: Mit seinen Äußerungen zu Grundschulkindern gehe Linnemann auf „Stimmenfang im rechten Sumpf“.
Auf Twitter lese ich, Linnemanns Aussagen seien rassistisch, diskriminierend, AfD-Gehabe. Man kann sich ja so sehr aufregen.
In der Debatte ist also ganz schön viel Pfeffer drin – so viel Pfeffer, dass der Faktenfinder der ARD überprüft hat, was der Herr Linnemann denn genau gesagt hat: Das von vielen Medien berichtete „Grundschulverbot“ habe er nicht gefordert, stattdessen habe er viel mehr eine „Vorschulpflicht“ ins Spiel gebracht („… hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen“).
Mittlerweile hat sich auch die dpa entschuldigt, denn diese hatte die Zuspitzung „Grundschulverbot“ erstmals erwähnt. Auf Twitter schreibt ihr Nachrichtenchef Froben Homburger: „Wir haben mit dieser selbst gewählten Formulierung die Äußerungen über ein journalistisch zulässiges Maß hinaus zugespitzt und zudem den falschen Eindruck erweckt, es handle sich um ein Zitat.“ Anschließend interviewten sie Carsten Linnemann nochmal selbst, nachzulesen bei T-Online.
Was bleibt, ist Linnemanns Vorschlag, Kinder später einzuschulen, wenn sie nicht gut genug Deutsch sprechen (also doch ein Verbot?). Was ich für großen Quatsch halte. Darüber lange zu diskutieren, halte ich aber für nicht besonders ergiebig – ist eben nur ein Vorschlag eines CDU-Politikers. Währenddessen geht die Empörung weiter. Ist auch viel einfacher, sich über die Äußerungen eines CDU-Manns aufzuregen, als diese kurz mal hinten anzustellen und über Bildung zu diskutieren. Das ist tatsächlich häufig mühsam, und langatmig, führt aber zu mehr.
Die Debatte zeigt aber auch: Der Tipp meiner damaligen Schulleiterin gilt nicht nur für Lehrer:innen. Wenn die anderen freidrehen, hilft kein Zurückschreien. Da hilft nur: Ruhe bewahren.
Woran ich gerade arbeite
Ich unterbreche meinen Zusammenhang zur Frage „Was sollen wir lernen“ und schreibe an einem Text, den sich viele von euch nach meinem Erklär-Text zum Gehirn gewünscht haben. Arbeitstitel: Was in deinem Gehirn passiert, wenn du etwas vergisst. Kleiner Spoiler: Vergessen ist eigentlich ziemlich super. Wenn ihr Fragen oder Literaturtipps zu diesem Thema habt, schreibt mir an bent@krautreporter.de.
Bis nächste Woche!