Über gentechnisch veränderte Organismen wird heiß diskutiert. Aber selten halte wir inne, um eine grundlegende Frage zu stellen: Gibt es überhaupt diese „GVOs“? Das ist eine wichtige Frage, denn niemand in dieser Diskussion kann wirklich sagen, was genau ein solcher Organismus ist. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass GVO ein kulturelles Konstrukt ist. Es ist schlichtweg eine Metapher. Wir verwenden sie, um über eine Reihe von Ideen zu sprechen. Sie lässt sich nicht genau einer klaren Kategorie der realen Welt zuordnen.
Aber gentechnisch veränderte Organismen haben wie andere kulturelle Konstrukte – beispielsweise Geschlecht oder Rasse – natürlich ihre Grundlage in der Wirklichkeit: Wir können grob „männlich“ oder „asiatisch“ definieren. Aber wenn wir versuchen, Grenzen zu ziehen, tauchen alle möglichen Probleme auf. Und die Definitionen von GVO sind viel unpräziser – ein „Nerd“ (Computerfreak, Fachidiot, Sonderling) könnte in etwa eine gleichwertige Kategorie sein. Jeder weiß, was ein Nerd ist – aber alles Wissen würde schnell in sich zusammenfallen, wenn wir alle Nerds kennzeichnen und Regeln für sie aufstellen müssten. Denn die Definition eines Nerds hängt vom Kontext ab; sie hängt davon ab, wer fragt. Das Gleiche gilt hier.
Wie ein Forscher es formulierte: „Es ist theoretisch und praktisch unmöglich, den angeblich gemeinsamen Nenner für alle diese [GVO-] Produkte genau festzulegen.“
Das hat echte Probleme zur Folge. Menschen streiten sich über GVOs, weil sie sich um ihre Sicherheit oder um die Unversehrtheit der Umwelt oder um die Menschenrechte sorgen. Aber weil die Kategorie so löchrig ist, kann sich jede Art von Politik im Bereich GVO – ob Förderung, Einschränkung oder Verbot – direkt gegen eben diese Werte richten.
Du wirst gewiss jetzt widersprechen, vielleicht einwenden, dass du Definitionen kennst, die eigentlich ganz gut funktionieren. (Ich habe mich sicher auch schon einmal dran versucht). Aber lass uns mal zusammen einen näheren Blick darauf werfen, wie weit man in der Praxis mit solchen Definitionen kommt.
Definition: Gene einer Spezies auf eine andere Spezies übertragen
Das Übertragen von Genen zwischen Arten heißt Transgenese. Dies scheint eine klare Abgrenzung zu sein, und meistens (wir werden darauf zurückkommen, wenn wir über die Natur sprechen) ist sie es auch. Wissenschaftlern gelingen heute Gen-Übertragungen, die früher unmöglich waren, zum Beispiel ein funktionsfähiges bakterielles Gen in das Genom von Auberginen zu integrieren.
Aber GVOs als transgene Organismen zu definieren, greift oft zu kurz. Es umfasst nicht das sogenannte Gen-Silencing, bei dem Wissenschaftler mit bestimmten Labortechniken ein Gen ausschalten, und auch nicht viele Formen des sogenannten Genome Editings, dem Einfügen oder Entfernen von Genmaterial mit biochemischen Methoden. Dies ist nach dem Durchbruch der CRISPR-Technik radikal einfacher geworden ist und boomt daher.
Die Biotech-Firma Cibus in San Diego/USA nutzt bereits diese neue Technik zur Veränderung von Pflanzen-Genen, nicht zuletzt als Reaktion auf die steigende Nachfrage nach „gentechnikfreien“ Produkten. Obwohl Cibus also Gene verändert ‒ durch gezieltes Optimieren vorhandener Gene, nicht durch Einbringen fremder Gene ‒ fallen so hergestellte Pflanzen nicht unter die Definition von GVOs als „transgene Organismen“, wie sie in der US-Politik verankert ist.
Diese Definition lässt auch die Mutagenese außen vor: Dabei werden Pflanzen Strahlung oder erbgutverändernden Chemikalien ausgesetzt, um die Gene zu zerstückeln oder zu „verändern“. Wie du dir vorstellen kannst, führt dies eher zu ungewollten Ergebnissen als zur Genübertragung. Weil aber die ganze kritische Aufmerksamkeit auf gentechnisch veränderte Organismen gerichtet ist und alle Regeln darauf abzielen, bei der Transgenese potenzielle Risiken zu vermeiden, konzentrieren sich die Unternehmen inzwischen mehr auf die Mutagenese.
Bloomberg-Reporter Jack Kaskey berichtete:
Der Gewinn der Landwirtschaftssparte der BASF stieg 2012 um 27 Prozent gegenüber dem Vorjahr, teilweise aufgrund der höheren Nachfrage nach mutiertem Saatgut in Osteuropa, wie der jüngste Jahresbericht des Unternehmens ausweist. „Die Flexibilität ist da, diese Technologie auf einer breiten Basis zu verwenden“, sagt Jonathan Bryant, Vizepräsident der weltweiten strategischen Marketing-Gruppe für Herbizide (Unkrautvernichtungsmittel) bei der BASF. „Weil es eine herkömmliche Zuchtmethode ist … zugänglich für eine breite Palette an Saatgutunternehmen.“
Anders ausgedrückt, haben unsere Anstrengungen, Gefahren durch Regulierung von GVOs zu vermindern, einen Boom bei einer risikoreicheren Form der genetischen Veränderung ausgelöst.
Ein Ausweg aus dem Dilemma scheint doch ganz naheliegend: einfach die Definition erweitern! Ist es nicht jedes Mal eine „gentechnische Veränderung“ eines Organismus, wenn man in seinen Genen bastelt? Wie wäre es, wenn wir GVOs definieren als…
Definition: Alle Veränderungen von Organismen, die nicht in der Natur vorkommen können
Doch mit diesem grobmaschigen Netz fangen wir alle möglichen Dinge, bei denen wir überhaupt nicht an Gentechnik denken. Das ist das Problem. Bei dieser Definition würde auch das Veredeln von Bäumen dazugehören – das Aufpfropfen von Zweigen einer Spezies auf den Wurzelstock einer anderen. Pfropfen ist eine uralte Kulturtechnik, Artgrenzen zu überschreiten und die besten Merkmale zweier Organismen zu kombinieren, die sich nicht kreuzen können, sich also nicht vermehren lassen. Aber Pfropfen verändert nicht wirklich Gene, sodass wir es mit einem kleinen Kniff ausschließen könnten: „Organismen, deren genetisches Material in einer Art und Weise verändert wurde, die auf natürlichem Wege durch Befruchtung bzw. natürliche Neukombination von Genen nicht vorkommt.“ So die Definition der Europäischen Union.
Aber auch ohne diesen Trick fallen eine Menge coole Sorten unter die Definition, von denen die Landwirte inzwischen abhängig sind. Zum Beispiel gibt es eine französische Weizensorte namens Renan, die besonders nützlich für Landwirte ist, die keine Pestizide einsetzen. Denn Renan ist sehr resistent gegen Krankheiten. Er wurde in den 1940er Jahren gezüchtet und hat seine Eigenschaften auf viele andere Weizensorten übertragen. Stephen Jones vom berühmten Bread Lab der Washington State University arbeitet derzeit mit einem Nachkommen von Renan, angepasst an die Westküste der USA. Diese Gene haben sich durchgesetzt.
Renan wurde von Züchtern geschaffen, die das genetische Material aus Weizen mit dem aus zwei anderen entfernter verwandten Arten kombinierten. Damit dies gelang, badeten sie die Pflanzen in Colchicin, das die Chromosomen daran hindert, sich wieder zusammenzukoppeln, nachdem sie sich während der Zellteilung aufgesplittet hatten – sie verdoppelten damit die Zahl der Chromosomen in den Pflanzen. Später wurden die Pflanzen Röntgenstrahlen ausgesetzt, um einen Teil der DNA durcheinanderzuwürfeln, und so bekamen sie die Kombination von Eigenschaften, die sie haben wollten.
Wie der Landwirt aus Ontario/Kanada und Saatgut-Experte Terry Daynard schrieb:
“Was ist also der Unterschied zwischen Renan und vielen anderen GVO-Sorten? Nicht viel, scheint es, außer der Tatsache, dass Renan viel mehr transgenes Material enthält, keiner großen Zahl an Tests auf Sicherheit und Umweltverträglichkeit unterzogen wurde wie andere GM-Events und man wenig über die Mechanismen der übertragenen Gene weiß.
Denken Sie daran, während Sie Ihr Baguette in einem ‚Bio-Café sur la Rive Gauche, Paris,‘ genießen.”
Renan wurde keinen Tests unterzogen, weil die Europäische Union beschlossen hat, dass gentechnisch veränderte Organismen, die mit diesen Techniken gezüchtet wurden, davon befreit sind. Es gab bereits zu viele mit dieser Technik geschaffene gute Sorten – und sie waren bereits im Umlauf –, um sie alle derselben Kontrolle zu unterziehen, die viele transgene Sorten vereitelt hatte. Das gleiche gilt für die Mutagenese. Es gibt so viele wunderbare Mutanten: krankheitsresistenter Kakao, meine Lieblingssorte an braunem Bioreis, Gerste für Bier und teuren Whisky, die Grapefruit-Sorten Star Ruby und Ruby Red, Erbsen, Birnen, Erdnüsse, Pfefferminze und Tausende mehr.
Im Jahr 1995 definierte in den USA das National Organic Standards Board „genetically modified organism“ (GMO) und orientierte sich dabei an der EU Regelung. Als dann 2012 eine Revision anstand, stellten die Mitglieder des Gremiums fest, dass nach der geltenden Definition viele Biobauern GVOs anbauten.
Als er diesem Problem auf den Grund ging, entdeckte der Unterausschuss, dass die genetische Manipulation des Zuchtmaterials bereits in vielen Sorten stattgefunden hat, die derzeit in der ökologischen Landwirtschaft verwendet werden. Eine Auswahl:
- Krankheitsresistente Tomaten (Embryorettung, um Resistenzgene einzuführen)
- Weizen und Gerste (Doppelt-haploid-Technologie, verwendet Kreuzungen von Weizen und Mais zusammen mit Embryorettung und Colchicin-Gen-Verdoppelung)
- Hybrid-Mais-Elternlinien (Doppelt-haploid-Technologie, um Reinerbigkeit in der ersten Generation zu erhalten)
- Kernlose Clementinen und Mandarinen (Mutationen durch Bestrahlung)
- (Kohl-)Hybriden der Gattung Brassica (Zellfusion mit Rettich-Eigenheiten)
Das alles kam wieder im Jahr 2014 auf den Tisch, als der Humboldt County in Kalifornien GVOs gemäß der Definition von 1995 verbieten wollte. In einem Leitartikel wies Biologie-Professor Mark Wilson darauf hin, dass diese Maßnahme nach hinten losgehen könnte:
Wahrscheinlich bauen viele Landwirte Sorten an, bei denen es irgendwann in ihrer Züchtungs-Geschichte zu Gen-Verdopplungen oder Zellfusionen gekommen war. Die Bauern, die diese Pflanzen anbauen, wissen wahrscheinlich nichts davon.
Was würde passieren, wenn eine der mächtigen GVO-Unternehmen (die auffallend still gewesen sind), oder auch nur ein schelmischer Student in Erscheinung treten würden, (…) um den County zu zwingen, den Buchstaben des Gesetzes tatsächlich Folge zu leisten? Die Landwirte hätten 30 Tage, um die Kulturen zu zerstören, die sie in gutem Glauben gepflanzt hatten – und noch wichtiger: Kulturpflanzen, bei denen es keinen vernünftigen Grund gibt anzunehmen, dass sie irgendwie gefährlich seien. Ein massiver Einschnitt bei unseren heimischen Bauern könnte die Folge sein.
Glücklicherweise hat niemand versucht, das Gesetz durchzusetzen und die die Bauern zu zwingen, solche GVOs zu zerstören. Dennoch könnte ein Purist darauf bestehen, dass dies der einzige vernünftige Weg ist: Zumindest können wir eine scharfe Grenze ziehen zwischen Grundlagen, Pflanzenvermehrung und genetischen Veränderungen, die nicht in der Natur vorkommen. Richtig? Falsch.
Die Natur ist ein Gentechniker
Lange Zeit dachte man, dass Gene nicht von einer Spezies einer Pflanze zu einer anderen springen. Aber dann fanden einige Wissenschaftler heraus, dass es ein Gen gibt, das vom Reis auf die Gerste gewechselt war. Und dann entdeckten Wissenschaftler immer mehr solcher Fälle. Heute sieht es so aus, als ob im Grunde alle Pflanzen einige Cross-Species-Techtelmechtel in ihren Stammbaum haben.
Als ich auf Twitter nach Beispielen fragte, die der Laien-Definition von gentechnisch veränderten Organismen trotzen, erhielt ich viele Antworten, darunter Notizen zu Süßkartoffeln…
https://twitter.com/SavorTooth/status/677225524805021696
… und ein Hinweis auf diese abgefahrene Publikation über ein Pflanzenvirus, das erst ein Wirbeltier infizierte und in diesem Tier dann einen DNA-Handel eröffnete.
https://twitter.com/Pvincell/status/677283035109326848
Parasiten verändern andauernd die Gene ihrer Wirte. Bakterien unterschiedlichster Arten tauschen ständig Gene untereinander aus. Wenn wir GVOs als Gen-Kombinationen definieren, die die Natur nicht macht, dann ist nichts ein gentechnisch veränderter Organismus. Was wäre aber, wenn wir sie als Ergebnis der genetischen Veränderung durch Menschen definieren?
Definition: Von Menschen gemachte genetische Veränderung
Diese Definition führt auch sofort zu Problemen, weil jede Domestizierung durch Züchtung Genome modifiziert. Wenn ein Landwirt Samen von der besten Pflanze nimmt, ist er nach dieser Definition ein Gentechniker. Ich glaube, selbst die Puristen würden zustimmen, dass das zu weit geht. Ist es das, was wir wollen? Ein Landwirt, der Samen auswählt, ist zusammen mit der Pflanze in einem Evolutionsprozess. Die Änderungen passieren langsam genug, so dass die Auswirkungen auf die weitere Umgebung erkennbar sind. Also lass uns die Definition noch einmal optimieren: Ein GVO ist ein Organismus, von einem Menschen mittels moderner gentechnischer Verfahren gezüchtet wird, und zwar in einem Labor statt draußen auf dem Acker.
Ich denke, diese Definition kommt dem am nächsten, was die meisten Leute denken, wenn sie GVOs hören. Diese Version bedeutet Saatgut, das von einem Unternehmen kontrolliert wird, weit vom natürlichen Zusammenhang entfernt, und nicht Samen von Kleinbauern in engem Dialog mit den Elementen. Imperium vs. Demokratie also.
Das Problem dabei ist aber, dass die meisten Menschen nicht wissen, wie weit wir uns von den Bauern entfernt haben, die Samen züchten, die auf ihr Land passen. Mit wenigen Ausnahmen verwenden Saatgutzüchter Hochdurchsatztechniken und Gewebekultur, um in einer Saison das zu erreichen, was zuvor eine Generation gedauert hat, und so arbeiten sie schon seit einem halben Jahrhundert. Es gibt ein paar Landwirte und Saatgutunternehmen, die nur mit freiabblühenden Nicht-Hybriden arbeiten, aber eben nur ein paar. Nach dieser Definition sind die meisten Lebensmittel mit diesen heimeligen Kindheitserinnerungen - gentechnisch veränderte Organismen.
Leider hat die Sache mit den Bauern als ko-evolutionären Saatgutzüchtern nicht sehr gut funktioniert. Jahrhundertelang waren die Ernteerträge im Wesentlichen niedrig. Erst als professionelle Züchter anfingen, sich mit der Genetik zu beschäftigen, stiegen die Erträge.
Deshalb sind die meisten Landwirte bereit, jedes Jahr Spitzenpreise für kommerzielles Saatgut zu zahlen, statt die kostenlosen, traditionellen Sorten zu retten.
Pflanzenzüchter Matt DiLeo, der die obige Grafik gemacht hat, schreibt:
Ich glaube, ich habe in etwa der Hälfte der Maisforschungs-Präsentationen, in denen ich je saß, Varianten dieser Grafik gesehen. Sie zeigt die erstaunliche Zunahme der durchschnittlichen Maiserträge in den USA seit Beginn der professionellen Pflanzenzüchtung. Mir wurde gesagt, verantwortlich für etwa 60 Prozent dieser Erhöhung der Ausbeute seien die Genetik (vor allem die Einführung von Hybridsaatgut) und für etwa 40 Prozent der Pflanzenbau (verbesserte Düngung, Bodenbearbeitung, Herbizide und dichtere Bepflanzung).
Diese Ertragssteigerung ist auch für die Umwelt wichtig. Wenn wir wirklich wieder zu Kleingrundbesitzern zurückwollen, die in geduldiger Ko-Evolution mit ihren Früchten leben, müsste die Landwirtschaft massiv ausgebaut werden, mit dem entsprechenden ökologischen Fußabdruck.
Wir können ihn nicht genau definieren, aber wir erkennen einen GVO, wenn wir ihn sehen
Der Richter am Obersten US-Gerichtshof, Potter Stewart, stand vor ähnlich mangelhaften Definitionen, als er versuchte zu erklären, was „Hardcore“-Pornografie ist. Er schrieb: „Ich werde heute nicht weiter versuchen, die Art von Material zu definieren, die eine solche kurze Beschreibung umfassen muss, und vielleicht würde mir das auch nicht in verständlicher Form gelingen. Aber ich erkenne es, wenn ich es sehe.“
Wie Pornografie widersetzt sich GVO strengen Definitionen, denn, wie Pornografie, sind diese Organismen ein kulturelles Konstrukt mit Grenzen, die sich mit der Zeit verschieben. Vielleicht ist die genaue Definition eine soziale und vom Kontext abhängige Definition: Organismen, die sich in einer Weise vermehren, die Menschen bedrohlich finden. Vor den gentechnisch veränderte Organismen wehrten sich Menschen gegen die künstliche Bestäubung von Blumen, mit der Begründung, die Gärtner würden Gott spielen. Wenn es dagegen heute noch Bedenken gäbe, würden wir diese veränderten Blumen sicher als gentechnisch verändert sehen. Diese kulturelle Definition trägt nichts zu einer Grenzziehung bei, aber es ergibt so eine schnuckelige Sammlung von Eigenschaften – eine Gestalt – die wir alle begreifen können.
Wie sonst kann man Käse erklären? Stell dir ein Rad Bauernkäse vor – das passt sicher nicht in die Vorstellung von gentechnischen Veränderungen. Aber zur Herstellung von Käse wird ein Enzym gebraucht, Lab oder Labferment heißt es, das es möglich macht, den Käsebruch von der Molke zu trennen. Und die meisten Käsehersteller nutzen heute dafür eine gentechnisch hergestellte Version des Enzyms. Früher benutzte jeder Lab. Lab wird gewonnen, indem frisch geschlachteten, wenige Tage alten Kälbern der Magen ausgekratzt wird. Aber über die Jahre fingen wir im Westen an, immer mehr Käse zu essen und immer weniger Kalbfleisch. Mit der Folge, dass es einfach nicht mehr genügend Kälbermägen zur Gewinnung von Lab gibt.
Die Lösung des Problems war ein gentechnisch hergestelltes Bakterium, das dasselbe Enzym produziert. Aber vielleicht, weil diese Bakterien stets im Labor bleiben, oder vielleicht auch, weil dies kaum in die öffentliche Diskussion kam, deswegen fühlt sich Käse einfach nicht als GVO an.
Und warum ist das alles wichtig? Nun, sobald die Menschen einmal verstanden haben, wie schwammig die bisher geläufige Definition eines gentechnisch veränderten Organismus tatsächlich ist, beginnen sie zu erkennen, wie schwer es sein würde, eine substanzielle Änderung durch Regelung für diese Organismen zu erreichen.
Es gibt GVOs, die den Einsatz von Pestiziden verringern, und welche, die den Einsatz von Pestiziden steigen lassen. Es gibt welche zur Förderung von Monokultur und für Kleinbauern mit Fruchtfolge. Es gibt GVOs, die Hand in Hand mit Herbiziden arbeiten, und nicht-GVOs, die Hand in Hand mit Herbiziden arbeiten. Es gibt gentechnisch veränderte Organismen, die von Großkonzernen kontrolliert werden – und welche, die von Universitäten verschenkt werden.
Die Frage „Sein oder Nichtsein – GVO oder kein GVO“ ist nicht wirklich sinnvoll. Die wirkliche Frage, die wir stellen sollten, ist: Wie schnell und in welcher Richtung soll die landwirtschaftliche Innovation gehen?
Aufmacherbild: iStock / vanbeets
Der Artikel von Nathanael Johnson ist auf Englisch im Online-Magazin Grist erschienen. Krautreporter hat den Artikel mit Genehmigung des Autors übersetzt. Für fachliche Korrekturen und Anregungen bedanken wir uns herzlich beim Gentechnik-Experten und KR-Genossenschaftsmitglied Christoph Weigel.