Eine Collage zeigt verschiedene Fotos aus der Krautreporter-Redaktion

© Krautreporter/Martin Gommel

Gute Nachrichten

Wie wir die effizientesten Meetings aller Zeiten einführten

In Meetings labern alle rum, aber nichts geht voran? Es geht auch anders.

Profilbild von Rebecca Kelber
Reporterin für eine faire Wirtschaft

Zuerst einmal ein Geständnis: Als es vor knapp einem Jahr hieß, dass wir die Art und Weise, wie wir arbeiten, auf den Kopf stellen sollen, war ich skeptisch. Als ich hörte, dass wir für die Umstellung wenige Wochen Zeit haben würden und in jeder Woche nur ein 90-minütiges Meeting für den Prozess reserviert war, war ich sicher: Das kann nicht funktionieren. Nun ja, zum Glück lag ich falsch.

Ein Grund für meine Fehleinschätzung: In diesen 90-minütigen Meetings gab es keinen Raum zum Rumlabern, wie ich es gewohnt war. Sie waren die effizientesten, in denen ich jemals gesessen habe. Wir trafen ohne lange Diskussionen Grundsatzentscheidungen und einigten uns auf das Regelwerk, mit dem wir bis heute arbeiten.

Auch heute noch kommen wir jeden Donnerstag zu einem dieser Meetings zusammen. Seit knapp einem Jahr moderiere ich sie (oder wie es bei uns im besten Denglisch-Office-Jargon heißt: Ich habe die Rolle der Facilitatorin inne). Deshalb stelle ich euch unsere Meetings vor und erkläre, was sie so produktiv macht.

Falls dir der Plural aufgefallen ist: Es gibt drei unterschiedliche Meetingtypen, jede Woche ist ein anderes dran:

  1. Im Spannungsmeeting treffen wir gemeinsam Entscheidungen, die unsere Zusammenarbeit betreffen. Das könnte eine Regel sein, wie wir neue Kolleg:innen einarbeiten oder ob jemand einen neuen Aufgabenbereich übernimmt und zum Beispiel Krautreporter nach außen hin repräsentiert. Aber wir können auch beschließen, wozu wir dringend eine Weiterbildung brauchen. Was genau Spannungen sind, erkläre ich gleich.
  2. In Update-Meetings geben wird uns kurze Projektupdates und besprechen Operatives, das für alle wichtig ist. Wir hören zum Beispiel, wie gut unsere Texte gelaufen sind und an welchen Verbesserungen für die Website das Produkt-Team gerade bastelt.
  3. Im Clear-the-Air-Meeting ist Raum für alle zwischenmenschlichen Konflikte, die in der Luft liegen. Mit Moderatorin und (möglichst) gewaltfreier Sprache. Was es damit auf sich hat, erklärt euch Martin im nächsten Krautreport genauer.

Ich konzentriere mich hier auf die ersten beiden Meetingtypen. Statt euch mit technischen Unterschieden zu langweilen, fokussiere ich mich auf die Gemeinsamkeiten. Sie machen den Zauber dieser Meetings aus. Zuerst die wichtigste: Die Meetings haben eine feste Struktur, die keine Debatten erlaubt, und sie haben Moderatorinnen wie mich, die dafür sorgen, dass wir diese Regeln einhalten.

Schon an der Vorbereitung arbeiten alle mit

Wer die Tagesordnung bestimmt, hat die Macht. Er oder sie entscheidet, worüber geredet wird und worüber nicht. Bei Krautreporter teilen wir uns diese Macht. In Tabellen können alle vor dem jeweiligen Meeting eintragen, worüber wir sprechen sollen oder wo jemand eine Spannung fühlt.

Wenn du schonmal mit New Work zu tun hattest, kennst du dieses Wort wahrscheinlich. Mich hat der Begriff am Anfang verwirrt und inzwischen glaube ich, dass man Spannungen nicht so gut erklären kann, man muss sie fühlen.

Ich versuche es trotzdem: Einer Spannung liegt die Wahrnehmung zugrunde, dass wir über etwas reden sollten, um gemeinsam zu einer Lösung zu kommen. Das kann ein Problem sein, das jemandem aufgefallen ist. Es könnte aber auch ein Projekt sein: Vielleicht will Lea unbedingt, dass wir eine Party zum zehnjährigen KR-Jubiläum organisieren. Also bringt sie eine Spannung ein. Die sollte konkret und konstruktiv sein. Lea sollte also nicht „Warum organisiert niemand eine KR-Party?“ in die Tabelle eintragen, sondern einen Vorschlag machen. Dazu, wie groß die Feier werden und wann sie ungefähr stattfinden soll. Bevor jemand eine Spannung in die Tabelle einträgt, sollte er oder sie mit allen Leuten Rücksprache halten, deren Aufgabenspektrum davon betroffen ist. Das ist in diesem Fall unter anderem Leon als Geschäftsführer. Er kann sagen, wie viel Geld wir für eine solche Party zur Verfügung haben. Danach kann Lea die Spannung unter ihrem Namen eintragen und auf einer Skala von 1 bis 10 einordnen, wie dringend sie das Thema findet. Nach der Dringlichkeit entscheidet sich, über welche Spannungen wir als Erstes reden.

Meine Aufgabe als Facilitatorin ist es, mir vor dem Meeting diese Spannungen anzuschauen und zu prüfen, ob sie bestimmte Kriterien erfüllen: Geht die Spannung uns wirklich alle an? Sonst kann sie auch in kleinerer Runde besprochen werden. Und ist die Spannung so konkret und konstruktiv, dass wir zu einer guten Entscheidung kommen können? Ansonsten bitte ich den Spannungsinhaber, die Spannung zu überarbeiten. Du merkst, wir bereiten Termine intensiv vor. Das macht sich im Meeting selbst bezahlt.

So läuft ein Meeting bei Krautreporter ab

Unsere Meetings starten alle mit einem Check-in. Jede:r sagt kurz, wie es ihr:ihm geht. Danach folgt eine kurze Blattkritik, in der ein Redaktionsmitglied fünf Minuten lang Feedback zu einigen Texten der vergangenen Woche gibt. Damit es schnell geht, sind keine Rückfragen erlaubt. (Ein großer Unterschied zu früher, wo wir oft eine Stunde über vier Texte diskutiert haben.)

Im Update-Meeting folgen Informationen aus den verschiedenen Arbeitskreisen. Dadurch wissen alle Bescheid, woran andere Teams gerade arbeiten. Im Spannungs-Meeting besprechen wir die Spannung von unserer Liste. Der:die Spannungsinhaber:in, in unserem Fall also Lea, stellt jetzt ihr Problem vor (wir machen keine Party?) und ihren Lösungsvorschlag (wir organisieren eine Party! Und zwar folgendermaßen…). In beiden Meetings frage ich nach den Updates und den Spannungen, ob jemand Verständnisfragen hat. Damit ist genau das gemeint, wonach es klingt: Wer etwas nicht verstanden hat, kann jetzt nachfragen. Hat jemand nicht verstanden, woran das Newsletter-Team arbeitet? Oder vielleicht will Martin von Lea wissen, wie groß die Party werden soll: Eher 30 Personen oder 300?

Mehr zum Thema

Wenn Lea alle Fragen beantwortet hat, beginnt die Meinungsrunde. Und damit kommen wir zum Knackpunkt, um Debatten zu vermeiden: Ich rufe jede:n (egal ob Praktikant oder Redakteurin) genau einmal auf. Dann darf die Person sagen, was sie von dem Vorschlag hält. Fände Martin es blöd, dass die Party nur für 30 Personen sein soll, kann er jetzt Kritik äußern. Aber Martin und Lea dürfen keine Diskussion darüber anfangen, warum das nun sinnvoll ist. Das hält die Meetings kurz, konstruktiv und verhindert, dass sich die Unterhaltung so lange im Kreis dreht, bis allen schwindlig ist und wir in die falsche Richtung stolpern.

Nach der Meinungsrunde hat Lea die Möglichkeit, ihren Vorschlag anzupassen. Wenn alle eine Party für 300 Personen wollen, könnte sie das zum Beispiel so ändern. Wenn Lea aber weiß, dass dafür kein Geld da ist, muss sie das nicht. Danach frage ich, ob jemand Sicherheitsbedenken hat und deshalb ein Veto einlegt. Die Hürde für ein Sicherheitsbedenken ist relativ hoch. Dafür müssen diese beiden Fragen mit ja beantwortet werden: „Wird genau dieser Vorschlag Krautreporter wahrscheinlich schaden?“ „Kann ich noch dagegen steuern, wenn der Schaden eintritt oder ist es dann schon zu spät?“ Dieses Verfahren nennt sich Konsent und heißt: Wir können sehr viel ausprobieren, weil es sich im Zweifelsfall noch anpassen lässt. Damit gehen viele Freiheiten für uns einher. Das Partybeispiel zeigt aber auch: Nach so einem Meeting organisiert man vielleicht auf einmal eine Party mit und hat deshalb weniger Zeit, Texte zu schreiben.

Ist es nicht traurig, nicht mehr zu diskutieren?

Viele Journalist:innen lieben Diskussionen. Auch deshalb war die neue Meetingstruktur für uns am Anfang verwirrend. Wir waren es gewohnt, Meinung und Fragen zu kombinieren und so lange zu Wort zu kommen, bis unsere Meinung (hoffentlich) gewonnen hat. Zumindest die Lauteren im Team. Die Leiseren haben oft gar nichts gesagt oder nicht genug, selbst wenn sie die besseren Argumente hatten. So läuft das jetzt nicht mehr. Viele finden das super, zum Beispiel Bent. Martin sagt, ihm fehlen manchmal die Diskussionen. „Aber die Vorteile überwiegen bei Weitem die Nachteile. Denn unsere Meetings sind jetzt produktiver, kürzer und weniger konfliktreich.“ Gespräche, um bei Konfliktpunkten voranzukommen, gibt es ja immer noch – aber eben vor dem Meeting zwischen den Personen, deren Aufgabenbereich betroffen ist.

Die meisten in der Redaktion halten viel von unserem System. Aber natürlich gibt es auch Kritikpunkte. Lea ist ambivalent, wie sie die Meetings findet: „Es zwingt mich dazu, immer das große Ganze im Blick zu haben. Ich kann nicht nur meine Texte schreiben. Das gibt mir zwar mehr Entscheidungsmacht, ist aber auch anstrengend.“ Und Lars sagt: „Es dauert manchmal sehr lange, bis die Meetings stattfinden, aber dann wird die Spannung sehr schnell bearbeitet.“

Ich bin davon überzeugt: Die Arbeitswelt wäre besser, wenn mehr Unternehmen auf diese Weise ihre Entscheidungen treffen würden. Es erleichtert Veränderungen und macht die Arbeit demokratischer.


Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos