Kürzlich hatten mehrere Krautreporter-Mitglieder skurrile Vorschläge. Wir sollten die Teams in der Redaktion in „Sauerkraut“, „Blaukraut“ und „Rotkraut“ umbenennen, schlug KR-Mitglied Jacob vor. Silke empfahl uns „in Anlehnung an die rasenden Reporter“ Gruppennamen wie „Gazelle“, „Wiesel“ und „Gepard“. KR-Mitglied Lotte war für „hübsche Kindergartengruppen-Namen“ wie „Panda“ oder „Sonnenblumen“.
Falls du dich jetzt fragst, ob es uns bei Krautreporter noch gut geht: ja, tut es. Ziemlich gut sogar. Ein Jahr ist es her, dass wir unsere Arbeitsweise radikal verändert haben. Wir haben keine Chefredaktion mehr und arbeiten dafür selbstorganisiert. Darüber hat mein Kollege Bent Freiwald geschrieben: Er hat erklärt, wie genau das funktioniert, wenn sich eine Redaktion agil und in sogenannten „Sprintteams“ organisiert. Für diese Teams schlugen die KR-Mitglieder Namen vor, denn Team A, B und C kam uns unkreativ vor.
In diesem Jahr hat sich einiges im neuen System eingespielt, anderes haben wir verändert. Lustige Teamnamen haben wir leider immer noch nicht, obwohl ich stark dafür lobbyiert habe. Zeit für ein Fazit.
Was wir verändert haben
Wir arbeiten jetzt seit mehreren Monaten mit allen Kolleg:innen zusammen, die neu dazugekommen sind. Deshalb ist es oft ziemlich voll im Büro. Letzte Woche musste meine Kollegin Rebecca Kelber auf dem Sofa arbeiten, was sie aber nicht so schlimm fand, glaube ich.
Die wichtigste Änderung ist, dass wir nicht mehr in drei, sondern in zwei Sprintteams arbeiten. Ein Sprintteam ist dafür verantwortlich, dass in einem bestimmten Zeitraum jeden Tag ein Text auf Krautreporter.de erscheint. Wir wechseln uns dabei ab: Team A muss zwei Wochen lang die Seite bestücken, danach ist Team B an der Reihe.
Die Arbeit in drei kleinen Teams funktionierte oft schlecht. Wenn nämlich eine Kollegin krank und der andere Kollege im Urlaub war, konnte es schnell passieren, dass eine Person allein für den Tag verantwortlich war. Ziemlich stressig. Deshalb arbeiten wir nun in zwei größeren Teams. Doch auch das führte wieder zu Problemen.
Denn, sehr vereinfacht gesagt, schreibt Team A eher über Gefühle und Team B eher über Politik. Und das fiel auch den Mitgliedern auf. KR-Mitglied Leila schrieb uns Anfang des Jahres: „Ich bin in letzter Zeit etwas enttäuscht gewesen von eurer Berichterstattung.“ Ein Grund dafür sei, dass innerhalb von einer Woche mehrere pessimistische Artikel hintereinander erschienen seien. Diese „Negativ-Reihe“ am Jahresanfang habe sie ziemlich beschäftigt.
Konkret ging es um folgende Texte:
- Fünf globale Trends, die 2024 zum Problem werden könnten
- Wir erleben keine Krise der Demokratie, sondern ihr Ende
- Die Teenie-Querdenker:innen
- Welche Fehler die Grünen beim Heizgesetz gemacht haben
- Kernfusion – ziemlich geil, aber nutzlos in der Klimakrise
Leila schreibt: „Danach war meine Zukunftspanik komplett.“ Liebe Leila, das tut uns leid! Es war auch deine Nachricht, die uns dazu gebracht hat, nicht mehr im Wochenrhythmus die Welt untergehen zu lassen. Wir fassten einen Entschluss, der für eine bessere Themenmischung sorgt und achten mehr auf eine konstruktive Blickweise.
Du merkst, wenn sich ein Problem auftut, drehen wir an kleinen Schrauben. Dadurch tauchen neue Probleme auf und wir müssen nachjustieren. Manche Änderungen sind kleiner, andere größer. Klar ist aber: Wer mehrere Wochen im Urlaub ist, wird immer in eine Krautreporter-Redaktion zurückkommen, die minimal anders arbeitet als vorher.
Konkret haben wir in einem Jahr 185 „Spannungen“ in unseren großen Meetings bearbeitet. Eine Spannung kann ein Problem sein, das wir lösen müssen. Es kann eine Aufgabe sein, die jemand übernehmen muss oder eine Frage, die jemand in großer Runde besprechen möchte. Mithilfe von Spannungen treffen wir Entscheidungen und verbessern unseren Arbeitsalltag. Wenn du genau wissen willst, wie das funktioniert, dann lies den Text meines Kollegen Bent.
Die Mitglieder haben sich Sorgen gemacht – zu Recht
In dem Text über unsere Arbeitsweise heißt es: „Wenn es keine Chefetage gibt, kümmert sich auch niemand qua Position darum, dass du dich nicht in den Burnout arbeitest.“ Das sprachen auch einige Mitglieder in den Kommentaren an. Oliver zum Beispiel kommentierte, ihm sei wichtig, dass wir einen „sicheren Abstand zum Burnout“ halten. „Zum einen seid ihr mir als Menschen viel wichtiger als das Produkt, zum anderen möchte ich lieber noch länger von euch lesen.“
Ja, der Abstand zum Burnout ist geringer geworden. Ich muss nicht nur als Redakteurin Texte schreiben und redigieren. In meiner Rolle als Produzentin denke ich mir knackige Überschriften aus und veröffentliche Texte, in meiner Rolle als Sprintmanagerin habe ich im Blick, welche Texte meines Teams wann erscheinen. Zusätzlich moderiere ich regelmäßig Meetings und achte darauf, dass wir uns an die Regeln unserer Arbeitsweise halten. Ich schreibe viel weniger als früher, weil ich häufig damit beschäftigt bin, nicht den Überblick über meine Aufgaben zu verlieren. So geht es auch anderen in der Redaktion.
Manchmal ist trotz aller Regeln unklar, wer für eine bestimmte Aufgabe verantwortlich ist – und niemand erledigt diese Aufgabe. Zum Beispiel hat Bent in dem Text über unsere Arbeitsweise angekündigt, dass in wenigen Wochen ein zweiter Artikel dazu erscheint. Dann passierte monatelang nichts. Es fühlte sich niemand verantwortlich.
Warum es trotzdem die beste Arbeitsweise für uns ist
Trotz dieser Nachteile glauben wir, dass die selbstorganisierte Arbeitsweise die richtige für uns ist. So zu arbeiten passt zu unserer journalistischen DNA bei Krautreporter: Wir wollen nicht einfach nur wie andere Onlinemedien sein, nur eben ein bisschen kleiner. Die ursprüngliche Idee der Gründer Sebastian Esser, Philipp Schwörbel und Alexander von Streit war es, verschiedenen Autor:innen eine journalistische Heimat zu geben. Das selbstorganisierte Arbeiten wird dieser Idee von Krautreporter am ehesten gerecht.
Unsere Arbeitsweise bedeutet: Alle, die Bock haben, können Entscheidungen treffen, Änderungen vorantreiben, die Arbeit effizienter machen. Es spielt keine Rolle, wie viel Erfahrung die Person hat oder wie lange sie schon bei Krautreporter arbeitet. Jede:r kann, ja, muss sogar dort Energie hineinstecken, wo die eigenen Stärken liegen. Wenn irgendwo ein Problem auftaucht oder wenn etwas nervt, können wir uns nicht darauf verlassen, dass sich schon jemand darum kümmert. Wir müssen uns konstant selbst darum bemühen, dass Krautreporter eine Redaktion ist, in der wir gerne arbeiten.
Diese Arbeitsweise ist sicher nicht für alle geeignet. Aber wir glauben, dass sie dafür geeignet ist, wie Krautreporter sein soll: agil, lebendig und demokratisch.
Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos