Der Oktober ist rum und dieser Text eine Special Edition: In der aktuellen Folge meines Newsletter stelle ich euch nicht wie sonst Menschen vor, die mir dieser Tage gute Laune machen, sondern drei Bücher, die selbiges tun. Warum? Weil der Oktober Buchmesse-Monat ist. Pünktlich zum Herbst erinnere ich mich nostalgisch an meine Studentinnentage, an denen ich 14-Stunden-Schichten auf der Frankfurter Buchmesse schrubbte. Seitdem leitet die Buchmesse für mich verlässlich die Lesezeit des Jahres ein. Wie sollte man besser vorbereitet sein für Herbst und Winter als mit hervorragenden Büchern? Also legen wir los:
Nele Pollatschek: Kleine Probleme
„Es war Freitag, der 31. Dezember, und ich musste noch was erledigen. Also alles.“ Das steht auf dem Buchrücken dieses sehr amüsanten Bands und trifft den Inhalt hervorragend. Nele Pollatschek skizziert in ihrem neuen Buch den 49-jährigen Lars, einen sympathisch-verpeilten Kauz und Familienvater von zwei quasi erwachsenen Kindern, der noch einiges auf seiner To-do-Liste hat, bevor in der Silvesternacht die Korken knallen: Das Bett der Tochter soll er aufbauen, die Regenrinne säubern, aufräumen, einen Nudelsalat für die Familie kredenzen, den Vater anrufen undundund. Die Uhr tickt, die Zeit läuft, das Leben zerrinnt, während Lars mal wieder nicht in die Gänge kommt und sich in seinen eigenen Gedanken verliert.
Oberflächlich betrachtet geht es in diesem Buch um die Banalität des Alltags, der doch in jedem Leben so viel Leben schluckt, wer kennt es nicht?! Nur folgerichtig lässt Pollatschek ihren Protagonisten übers Putzen philosophieren, über richtige und falsche Ikea-Schrauben und einen Notfallnudelsalat. Aber natürlich geht es um viel mehr als das, nämlich um die ganz großen Dinge: eine Ehe, der die Puste ausgeht, ein Meisterwerk, das nie geschrieben wurde und überhaupt um die Frage, wie man das alles schaffen soll, dieses Leben, das doch endlich ist und in dem die Zeit (und eigene Energie) nie reicht.
„Wenn ich mir mein Leben so anschaue“, lässt Pollatschek Lars an einer Stelle denken, „dann ist wirklich noch nie etwas am Weltuntergang gescheitert, auch nicht an Außerirdischen, nicht mal an Wildschweinen, aber wirklich viel, eigentlich alles, scheitert an nichts.“ Es sind solche Sätze, die dieses Buch so fantastisch machen: die Komik, die in der tragischen Figur Lars steckt. Nele Pollatscheks Buch ist klug und wahr, allerdings auf eine schnörkellose, dafür aber sehr witzige Art. Und ihr Protagonist mausert sich im Laufe des Buches vom Loser zum Helden, dem man nichts mehr wünscht, als dass er es doch noch irgendwie schafft, seine Liste rechtzeitig abzuarbeiten und dem Leben ein Schnippchen zu schlagen. Aus all diesen Gründen ist „Kleine Probleme“ mein Lieblingsbuch in diesem Herbst.
Meine zweite Empfehlung hat gerade erst den diesjährigen Deutschen Buchpreis gewonnen: „Echtzeitalter“ von Tonio Schachinger. Viel Lob hat dieses Buch bekommen – zu Recht?
Ich habs für euch gelesen und finde: ja, absolut! Zwar könnte mir Schachingers Protagonist Till, ein erst 15- und dann 16-jähriger Junge, der eine traditionsreiche Wiener Eliteschule besucht und in seiner Freizeit erfolgreich Age of Empire 2 zockt, nicht ferner sein. Ich bin mehr als doppelt so alt wie Till, ich kenne Wien nicht, ich habe noch nie in meinem Leben ein Computerspiel gespielt, ich bin nicht bewandert in österreichischer Politik, und ich habe anders als Till auch nie unter einem despotisch-strengen Lehrer gelitten (der im Buch konsequent einfach nur „der Dolinar“ heißt). Trotzdem schafft Schachinger es, dass ich mich für seinen Protagonisten interessiere und über 365 Seiten dranbleibe an seinem Leben, in dem ein Mensch geht, dafür aber ein anderer die Bühne betritt.
Wie macht der Autor das? Ich glaube, es ist die feine Ironie, die sich durch Schachingers Buch zieht, die einen Kontrapunkt zur schlichten, aber sehr präzisen Sprache setzt, sowie der Gegensatz von Hoch- und Gaming-Kultur, der im Buch neben Tills Coming-of-age-Geschichte mitverhandelt wird. So entwickelt Schachingers Buch einen ganz eigenen Witz, aber auf eine subtilere Weise als etwa Pollatscheks Buch.
Und dann ist da ja nicht nur das Werk, sondern auch noch der Autor. Tonio Schachinger ist mir so grundsympathisch, dass ich sein Buch wahrscheinlich selbst dann toll fände, wenn es eigentlich schlecht wäre. Ich mag es, wie man ihm bei der Preisverleihung des Deutschen Buchpreises sein Unwohlsein ob des Rampenlichts ansieht, wie erfrischend, bescheiden und unprätentiös er in seiner Dankesrede spricht (gäbe es das Wort „unprätentiös“ noch nicht, könnte Schachinger es erfunden haben) und wie er es auch noch schafft, die vielleicht authentischsten und treffendsten Worte zu den unfassbaren Geschehnissen in Israel und Gaza zu finden (kann man am Ende der Preisverleihung hören.)
Kommen wir zu meiner dritten Empfehlung: Ferdinand von Schirach: Regen. Diese rund 50 Seiten schmale Erzählung ist mir aus Zufall über den Weg gelaufen. Denn ich bin kein Schirach-Fan beziehungsweise: Ich hatte vorher noch nie ein Buch von diesem Mann gelesen, der weltweit schon mehr als zehn Millionen Bücher verkauft haben soll. Ich hätte auch dieses Buch von ihm nicht gelesen, wenn mich nicht eine gute Freundin, die in Berlin zu Besuch war, in die Berliner Philharmonie mitgenommen hätte. Dort hat von Schirach seinen im August erschienenen Band auf der Bühne aufgeführt und zwar als das, was es ist: ein Monolog.
Der Mann, der in von Schirachs Buch vor sich hin monologisiert, ist ein gescheiterter Autor, der seit 17 Jahren nicht mehr geschrieben hat, seit seine Frau unerwartet gestorben war. Nun ist er Schöffe beim Gericht. Während der Erzählung philosophiert er über Banales; Urlaub, Strand, darüber, warum er keine Feste mag und gern früh ins Bett geht. Von Schirachs Buch dreht sich aber auch um die Liebe, das Schreiben, den Tod, die Philosophie, um Schuld und Vergebung. Eine Melancholie durchzieht die kurzen Sätze, die vor allem auf der Bühne unerwartet viel Komik entfalten. Für mich war von Schirachs Auftritt ein überraschend amüsanter Abend (der Autor tourt noch bis Anfang Dezember durch Deutschland und im kommenden Jahr auch durch die Schweiz und Österreich.) Schaut es euch an, ich kanns empfehlen.
Und das wars für heute auch schon mit meiner Gute-Laune-Liste. Aber auch im kommenden Monat werde ich wieder schwärmen, wird es wieder heißen: „You call it madness – but I call it love.“ Und weil gute Laune ja bekanntlich noch größer wird, wenn man sie teilt: Ich würde mich sehr freuen, wenn du meinen Newsletter abonnierst. Hier gehts lang. Vielen Dank!
Redaktion: Franziska Schindler; Bildredaktion: Philipp Sipos; Schlussredakktion: Susan Mücke; Audioversion: Iris Hochberger