Eine schwangere Frau vor einem Vorhang.

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Geschlecht und Gerechtigkeit

„Ich würde auf keinen Fall anderen Frauen eine Alleingeburt empfehlen“

Im Kreißsaal sah ich Gewalt, darum habe ich mein Kind allein zur Welt gebracht. Trotzdem ist das nicht die Antwort für alle.

Profilbild von Lena Högemann
Freie Redakteurin

Wenn Frauen ihr Kind zur Welt bringen und dabei keine Hebamme und keine Ärztin bei ihr sind, nennt man das Alleingeburt oder auch freie Geburt. Wie viele Frauen sich dafür entscheiden, ist nicht bekannt. Mithilfe einer Befragung von Müttern hat Jobina Schenk, Autorin des Buches „Meisterin der Geburt“ aber über 1.400 Alleingeburten zwischen 1959 und heute erfasst, in den vergangenen zehn Jahren waren es über 100 solcher Geburten jährlich. Für eine Alleingeburt hat sich Selina bei ihrem dritten Kind entschieden – obwohl sie selbst gelernte Hebamme ist. Heute arbeitet Selina als freiberufliche Hebamme, betreut Frauen nach der Geburt und bietet Geburtsvorbereitungskurse an. Um zu verstehen, warum sie ihr drittes Kind als Alleingeburt zur Welt brachte, muss Selina ihre ganze Geschichte erzählen:


Als ich 2013 schwanger wurde, war mir klar: Wenn die Schwangerschaft komplikationslos verläuft, werde ich mein Kind zuhause zur Welt bringen. Als Hebammenschülerin habe ich miterlebt, wie Gebärende in der Klinik gewaltvoll behandelt worden sind. Das System im Kreißsaal war teilweise sehr hierarchisch, die Ärzt:innen trafen meist die Entscheidungen. Sie führten Eingriffe durch und gaben Medikamente, ohne die Frauen richtig zu informieren. Das waren keine selbstbestimmten Geburten, das war Gewalt. Von dem, was ich im Kreißsaal erlebt habe, hatte ich teilweise Albträume.

Dass zuhause für mich der sicherste Ort ist, wusste ich sofort. Ich meldete mich bei einem Geburtshaus zur Vorsorge an, dort fühlte ich mich sehr wohl – und ich meldete mich für eine Hausgeburt an. „Beim ersten Kind zuhause zu gebären, du bist ja mutig“, haben Menschen aus meinem Umfeld zu mir gesagt. Und ich dachte jedes Mal: „Ihr seid so mutig, dass ihr ins Krankenhaus geht und die Verantwortung dort abgebt.“ 

Als ich abends zuhause Wehen bekam, habe ich diese eine lange Zeit einfach veratmet. Die meiste Zeit saß ich auf der Toilette, weil sich das für mich gut angefühlt hat. Als die Geburt fortgeschritten war, habe ich den Hebammen Bescheid gegeben. Heute würde ich sagen: Die Geburt meines ersten Kindes lief bis zu dem Moment entspannt und gut, bis die Hebammen kamen. 

Eigentlich kümmern sich zwei Hebammen um eine Hausgeburt, aber in meinem Fall kamen sie überraschend zu dritt. Eine von ihnen war wohl eine neue Kollegin, die eingearbeitet werden sollte. Ich kannte die Frau nicht und sie hat sich mir auch nicht vorgestellt. Das hat mich ziemlich aus dem Konzept gebracht. Ich habe mich nicht wohl gefühlt mit dieser fremden Person.

Ich saß immer noch auf der Toilette, aber unser Badezimmer war recht klein. Zu klein für meinen Partner und die drei Hebammen. Darum sollte ich ins Wohnzimmer wechseln. Dort sind die Wehen schwächer geworden und die Abstände größer, gegen Ende einer Geburt sollte das andersherum sein. Statt maximal eine Stunde dauerte meine Pressphase zweieinhalb Stunden. Während dieser Zeit saßen die Hebammen um mich herum und warteten mit mir auf die nächste Wehe. Ich habe mich dadurch unter Druck gesetzt und beobachtet gefühlt. Das wurde mir erst im Nachhinein bewusst.

Totale Erschöpfung nach der ersten Geburt

Als meine Tochter zur Welt kam, war ich völlig erschöpft von diesen stundenlangen Presswehen. Ich habe gezittert, konnte sie nicht einmal halten. 

Nach der Geburt eines Kindes ist es wichtig, dass die Plazenta, also der Mutterkuchen, der das Kind ernährt hat, geboren wird. Bei mir hat sie sich nicht gelöst. Nach dreißig oder vierzig Minuten haben die Hebammen und ich selbst angefangen, an der Nabelschnur zu ziehen, um zu prüfen, ob die Plazenta gelöst war. Wir haben dann die Position gewechselt, versucht die Blase zu entleeren und als das nicht funktioniert hat, haben sie den sogenannten Credé-Handgriff angewandt. Sie haben versucht, von außen meine Gebärmutter zusammenzudrücken. Das war schmerzhafter als die gesamte Geburt. 

Ich hatte das Gefühl, dass ich einfach etwas Ruhe gebrauchen und dann die Plazenta auch rauskommen würde, aber eine der Hebammen war unruhig. Sie hat den Krankenwagen gerufen, um mich in die Klinik zu verlegen – ohne es mit mir abzusprechen. Ich wollte nicht ins Krankenhaus, aber ich habe innerlich resigniert. Als ich im Rettungswagen lag, haben sich die Rettungssanitäter über Hebammen und Hausgeburten ausgelassen. Im Krankenhaus wollten verschiedene Ärztinnen und Ärzte an der Nabelschnur ziehen, den schmerzhaften Handgriff nochmal durchführen. Ich habe irgendwann gesagt: Stopp, es reicht. Ich will eine Vollnarkose und ich will, dass dieser Albtraum vorbei ist. Mehr als zwei Stunden nach der Geburt meines Kindes haben die Ärzt:innen in Vollnarkose die Plazenta gelöst. 

Respektlose Ärztin nach der OP

Ich kann mich ganz genau an diesen einen, sehr verletzenden Moment erinnern, als ich aufgewacht war nach der OP und das erste Mal in Ruhe mein Kind halten konnte. Ich hatte endlich keine Schmerzen mehr. Dann kam die Ärztin rein, die mich operiert hatte. Sie hat mir mit der Hand über die Wange gestreichelt, wie bei einem kleinen Kind und mir gesagt, dass der Eingriff eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Die Plazenta hatte sich schon gelöst. Das war so übergriffig, wie sie mich da gestreichelt hat. Als wäre ich ein kleines Kind, das nicht weiß, was es tut.

Meine erste Geburt hat mich ganz klar dazu bewegt zu sagen: So möchte ich mein zweites Kind nicht zur Welt bringen. Ich will auf keinen Fall nochmal erleben, dass ich in meinem Geburtsprozess gestört werde, und mich wegen einer fremden Person unwohl fühle.

Beim zweiten Kind spielte ich mit dem Gedanken einer Alleingeburt. Mein Partner hatte aber Angst. Er hatte ja mitbekommen, wie schlecht es mir nach der ersten Geburt ging, als ich gezittert hatte und so erschöpft war. Sich vorzustellen, dass er das Baby und eine Zweijährige versorgen muss und sich allein um mich kümmern muss, das verängstigte ihn. Ich selbst war immer im großen Vertrauen zu mir. Ich war mir sicher, dass alles gut wird. Aber ich wollte seine Angst nicht ignorieren.

Zweite Geburt mit Hebamme zuhause

Deshalb habe ich mir eine Hebamme gesucht, von der ich wusste, dass sie sich aus dem Geburtsgeschehen raushalten und mir auch keinen Druck machen würde. Im Geburtshausteam haben sie mir gesagt, dass sie mir nicht garantieren können, dass bei meiner Geburt diese Hebamme arbeitet. Ich habe mir den Dienstplan angesehen und mir gesagt: Ich werde nur dann Wehen bekommen, wenn diese Hebamme im Dienst ist. So war es auch. Die Geburt dauerte zwei Stunden und nur die letzten 45 Minuten war die Hebamme dabei, aber sie hat sich komplett zurückgezogen. Sie hat mich nicht untersucht und mir klar signalisiert, dass ich die Chefin der Geburt bin. Sie hat im Nebenraum gewartet und kam nur dazu, als der Kopf geboren wurde. Es war eine schmerzfreie und schöne Geburt, von der ich keine Verletzungen davongetragen habe. Auch für die Plazenta hat mir die Hebamme Zeit gelassen. Nach einer Stunde hat sie sich gelöst und ist rausgekommen. Das war sehr heilsam für mich.

Wie es zur Alleingeburt kam

Als ich zum dritten Mal schwanger war, war eine Geburt mit dieser Hebamme nicht mehr möglich. So wusste ich erst nicht, mit wem ich diese dritte Geburt machen sollte. Zum Glück hatte mein Mann durch die zweite gute Geburt an Vertrauen dazugewonnen. Aber ich habe trotzdem nicht einfach so entschieden, dass das eine Alleingeburt wird. Ich habe mich wieder bei dem Hebammenteam angemeldet. Ich wollte, dass sie zur Sicherheit in Rufbereitschaft sind. Aber mein Gefühl war so, dass ich dachte: Die kommen einfach etwas später, wenn mein Kind schon auf der Welt ist.

Die Alleingeburt mit meinem Sohn ging auch wieder nachts los. Es war Winter, draußen lag Schnee. Die Hebamme meinte, sie bräuchte mindestens eine Stunde zu uns. Ich war mit ihr in Kontakt und hatte das Gefühl, dass sie noch nicht losfahren bräuchte, weil meine Wehen noch nicht so intensiv waren. Ich saß wieder auf der Toilette. Als die Fruchtblase gesprungen ist, habe ich nach dem Muttermund getastet – das ist die Öffnung, durch die das Baby kommt. Für mich als Hebamme ist es keine Schwierigkeit, das zu tasten, aber das kann jeder lernen. Wenn der Muttermund circa zehn Zentimeter geöffnet ist, kann das Baby geboren werden. Bei mir war er schon so weit geöffnet, dass die Hebamme es nicht mehr rechtzeitig zur Geburt schaffen würde.

Als ich gespürt habe, dass das Köpfchen geboren wird, bin ich aufgestanden und vor der Toilette in den Hirtenstand gewechselt. Dabei stellt man ein Bein auf und auf dem anderen kniet man. So konnte ich das Baby in meine Hände gleiten lassen. Das hat komplett intuitiv funktioniert, ich habe in dem Moment gar nicht nachgedacht. Als mein Sohn geboren war, habe ich ihn hoch an meinen Oberkörper genommen und mich mit Hilfe meines Mannes hingelegt. Er hat uns zugedeckt und wir haben gekuschelt, bis die Hebamme kam. 

Meine Töchter waren in der letzten Phase der Geburt dabei und haben sie als etwas Natürliches und Kraftvolles wahrgenommen. Sie waren weder verängstigt noch unsicher und erinnern sich auch heute noch an den Moment der Geburt. Ich hatte die beiden gut vorbereitet, Bücher mit ihnen gelesen und viel darüber gesprochen. Während der Geburt war ich ganz bei mir, wollte weder berührt noch angesprochen werden. Mein Mann wusste das. Ich hatte ihm vorher eine To-Do-Liste geschrieben, die er erledigen konnte, wenn die Geburt losgeht. Er hat zum Beispiel Handtücher zum Wärmen auf die Heizung und in den Ofen gelegt, warmes Wasser bereitgestellt, Decken ausgelegt und mit der Hebamme telefoniert. Er war so beschäftigt und ich konnte in Ruhe mit den Wehen arbeiten. 

Information und Kommunikation für gute Geburten

Es ist unglaublich wichtig, schon in der Schwangerschaft gut miteinander zu besprechen, was einem als Gebärende und als Familie wichtig ist. Als Hebamme, die Geburtsvorbereitungskurse anbietet, ist das ganz klar der wichtigste Aspekt in der Vorbereitung: die Information und Kommunikation mit dem Geburtsteam und der Begleitperson. 

Auch in der Vorbereitung auf eine Alleingeburt ist es umso wichtiger, sich einen Plan B und sogar einen Plan C zu überlegen und auszuarbeiten, für den Fall, dass es Komplikationen gibt oder es nicht so klappt, wie man es sich vorgestellt habe. Wenn mein Kind verlegt werden muss, wenn die Plazenta sich nicht löst, wenn die Blutung zu stark wird: Kann ich einschätzen, welche Blutmenge noch normal ist und welche nicht? 

Ich würde auf keinen Fall anderen Frauen eine Alleingeburt empfehlen. Es kann immer zu unvorhersehbaren Momenten kommen. Deshalb bin ich grundsätzlich dafür, dass eine oder mehrere Hebammen die Geburt begleiten. Sie sind ausgebildet zu erkennen und zu handeln, wenn etwas nicht mehr optimal verläuft. Wenn eine Frau mir sagt, dass sie allein gebären möchte, kann ich das aus eigener Erfahrung nachvollziehen. Trotzdem würde ich der Frau immer empfehlen, ihren Plan mit einem Hebammenteam zu besprechen und sicherzugehen, dass jemand in Rufbereitschaft ist.

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Was ich kritisch sehe, ist ein Trend, dass selbsternannte Alleingeburtsbegleiterinnen ihre Dienste anbieten. Sie machen den Gebärenden große Angst vor Kliniken und dem Fachpersonal. Mir ist bewusst, dass Gewalt in der Geburtshilfe real ist. Ich habe sie vor allem in meiner Ausbildung selbst erlebt und die Frauen müssen darüber informiert sein, dass es das gibt. Die Alleingeburt darf aber nicht die Antwort auf Gewalt in der Geburtshilfe sein, denn es gibt auch bei Alleingeburten furchtbare Geschichten von verletzten und traumatisierten Familien. 

Und gleichzeitig weiß ich, dass dieser Schritt für mich die richtige Entscheidung war. Ich wollte so gebären, wie ich es sich für mich stimmig anfühlte, selbstbestimmt und in Ruhe.


Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger

„Ich würde auf keinen Fall anderen Frauen eine Alleingeburt empfehlen“

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