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Hast du „Vom Winde verweht“ gesehen? Ich nicht. Ich möchte diesen Film niemals schauen müssen. Dabei ist er ein Klassiker. Für Menschen, die sich für Popkultur interessieren, eigentlich ein Muss. Aber: Er geht fast vier Stunden. Vier! Die Vorstellung, über vier Stunden zu sitzen und dabei zuzuschauen, wie quasi nichts passiert, macht mich ganz unruhig. Ich möchte sofort so weit wie möglich weg und nie wieder kommen.
So ähnlich geht es mir, wenn ich auf vier Jahre Schwarz-Rot unter Friedrich Merz und dessen zu erwartende Queerpolitik schaue.
Vier Jahre gähnendes Nichts.
„Ein Zurück wird es mit uns nicht geben.“ Das schrieb die SPD in das Wahlprogramm zur Bundestagswahl über queere Errungenschaften. Sie meinte damit vor allem das Selbstbestimmungsgesetz.
Die Union will das Gesetz abschaffen. Es ist zum Symbol der verteufelten „Wokeness“ geworden. „Kinder- und Jugendschutz statt beliebiger Identitätspolitik“ nennt die Union das in ihrem Wahlprogramm. Für Menschen unter 18 Jahren fordert die Partei darin wieder verpflichtende psychologische Gutachten. Auch bei Erwachsenen soll eine „ausführliche unabhängige Zweitberatung“ vor dem Wechsel des Geschlechtseintrags notwendig sein.
Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es denen, die möchten, ihre Vornamen und ihren Geschlechtseintrag selbstbestimmt auf dem Standesamt ändern zu lassen. Bis zur Einführung des neuen Gesetzes im vergangenen Jahr waren dafür ärztliche Gutachten und ein richterlicher Beschluss notwendig. Die Ampelkoalition hat das alte Gesetz im letzten Jahr durch das Selbstbestimmungsgesetz ersetzt. Von der CDU/CSU-Fraktion stimmte niemand dafür.
Nur zwei Geschlechter
Im ersten TV-Duell zur Wahl sollten Friedrich Merz und Olaf Scholz den Halbsatz beenden: „Dass es für die Trump-Regierung nur zwei Geschlechter gibt, …“ Merz sagte, er könne das nachvollziehen. Scholz sagte, er halte die Entscheidung für unangemessen. Jeder Mensch solle so glücklich werden, wie er glücklich sein wolle.
Vergangene Woche bekräftigte der neue queerpolitische Sprecher der SPD, Falko Droßmann, in einem Interview: „Das Selbstbestimmungsgesetz bleibt!“
Vermutlich werden sich beide, CDU und SPD, ein bisschen durchsetzen. Friedrich Merz und der CDU/CSU sind queere Rechte zu egal, um dafür einen Streit mit der SPD anzufangen. Trans und andere queere Menschen eignen sich gut als Sündenböcke und Ablenkungsmanöver im Wahlkampf. Die tatsächliche Abschaffung des Selbstbestimmungsgesetzes und die dann notwendige Neuregelung bringen der Partei aber kaum was.
Die Union erreicht aber etwas anderes: eine Pattsituation. Oder anders: kompletten Stillstand in der Queerpolitik.
Und keine Verbesserung in Sicht
Es ist nahezu ausgeschlossen, dass eine der wirklichen queerpolitischen Forderungen der SPD umgesetzt wird. Die CDU/CSU hatte sich schon im Vorfeld gegen die gewünschte Überarbeitung Artikel 3 im Grundgesetz ausgesprochen. Der Artikel „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“ definiert im dritten Absatz konkret, wer genau gemeint ist: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Eine zentrale Forderung ist seit einigen Jahren, die sexuelle Identität mit in die Liste aufzunehmen. Die CDU/CSU hält das für unnötig.
Auch an einer Reform des Familien- und Abstammungsrechts, um Regenbogenfamilien gleichzustellen, ist die Union laut Wahlprogramm nicht interessiert. Und dass sie den Aktionsplan „Queer Leben“ der Ampel-Regierung weiter umsetzt, ist ebenfalls utopisch. Der Plan fasst die zentralen Punkte der Queerpolitik der Ampel zusammen.
In den kommenden vier Jahren ist von keiner einzigen rechtlichen Verbesserung für queere Menschen auszugehen. Dafür wird die SPD das Selbstbestimmungsgesetz wahrscheinlich verteidigen können.
Immerhin: Die SPD löst damit ihr Versprechen ein, dass es mit ihr „kein Zurück“ geben wird.
Es gibt aber auch kein „nach Vorne“.
Redaktion: Isolde Ruhdorfer