Wir waren frisch nach Oldenburg gezogen, da klingelte der Bofrost-Vertreter an unserer Tür. Er versuchte, meinem Mann ein Abo zu verkaufen, mit den Worten: „Damit Ihre Frau immer was Leckeres in der Tiefkühltruhe hat.“ Alle Nachbarinnen wären bereits glückliche Kundinnen. Ich fühlte mich wie auf einer Zeitreise in die Fünfzigerjahre, wie in einem Scherzfilm von Loriot. Nur leider war das hier kein Witz, sondern mein neues Wohnumfeld.
Wo war ich hier bloß gelandet? Ich, die um die Welt gereiste Medienfrau und Feministin, plötzlich zwischen bügelnden, Tiefkühlkost servierenden Hausfrauen? Und wie kam ich hier wieder raus? Diese Frage beschäftigte mich in den folgenden Monaten immer wieder.
Es war das Jahr 2022, als wir beschlossen, aus Hamburg wegzuziehen. Der Grund? Die Corona-Pandemie. Und die hohen Mieten. Die Dreizimmerwohnung, in der wir wohnten, war für uns längst zu klein geworden. Während der Lockdowns arbeiteten mein Mann und ich abwechselnd am Küchentisch – und kümmerten uns um unseren zweijährigen Sohn. Wir stellten den Wäscheständer auf den einzigen freien Platz, räumten jeden Tag tausend Dinge hin und her und träumten von einem Garten.
Größere Wohnungen waren teuer. Ein Umzug ins Grüne kam für uns lange Zeit nicht in Frage. Unsere Arbeit, die Kita und unser Freundeskreis waren in Hamburg. Wir fühlten uns im urbanen Umfeld sehr wohl. Als ich wieder schwanger wurde, half das Tetrisspielen nichts mehr. Wir brauchten mehr Platz. Für ein paar Quadratmeter mehr hätten wir jedoch das Doppelte unserer bisherigen Miete bezahlt.
In vielen Städten mangelt es an bezahlbaren Wohnungen, die groß genug für Familien sind. Jede dritte Großstadt-Familie lebt auf zu kleinem Raum. Manche unserer Hamburger Freunde entschieden sich sogar gegen ein weiteres Kind, um in der Innenstadt bleiben zu können. An Laternenpfählen sahen wir immer wieder Aushänge von verzweifelten Familien auf Wohnungssuche, die aus unserem Viertel verdrängt wurden. Wir wollten das Spiel um die hohen Mieten nicht länger mitspielen und zogen in ein Haus nach Oldenburg.
Von dem Umzug erhoffte ich mir auch Entschleunigung: Am Vormittag für die Redaktion arbeiten, am Nachmittag mit den Kindern im Garten spielen. Mehr Platz haben, mehr Hilfe von den Großeltern. Vielleicht sogar ein Arbeitszimmer für mich allein. Trotzdem mussten wir am Ende viel für unser neues Leben aufgeben. Vor allem ich, als Mutter.
Weite Wege, viel Autofahren
Da waren zunächst einmal die weiten Wege. In Hamburg konnten wir alles zu Fuß erreichen: die Kita, den Wochenmarkt, das skandinavische Café. Das sparte Zeit und machte die Vereinbarkeit leichter. Am Abend ging ich manchmal mit Freundinnen in die Weinbar. Ich war nicht nur Mutter, sondern auch noch Journalistin, beste Freundin und einfach ich selbst. Mein Leben war abwechslungsreich.
Seit dem Umzug trage ich zum ersten Mal im Leben einen Autoschlüssel am Schlüsselbund. Als Taxi-Mama fahre ich die Kinder zur Kita, zur Kinderärztin, zum Klavierunterricht. Zu Fuß lässt sich hier kaum etwas erreichen. Zeit für mich selbst und für meine Erwerbsarbeit ist dadurch viel knapper geworden. Um Fahrstress zu vermeiden, bleiben wir an den Nachmittagen nun meistens zuhause.
Keine Spielplätze, mehr Aufräumen
Dann waren da die fehlenden Freizeitangebote in der Nähe. In Hamburg waren wir ständig unterwegs. Die Cafés waren unser erweitertes Wohnzimmer, die Parks unsere Gärten. Mit dem Umzug bekamen wir zwar einen eigenen Garten. Nur: Spielen wollten unsere Kinder dort nicht. Ohne andere Kinder langweilten sie sich auf der Rutsche und der Schaukel. Begegnungsorte für Familien gibt es hier nicht.
Während in Neubauvierteln auch Spielplätze eingeplant werden, haben bestehende Wohnviertel wie unseres oft keine Treffpunkte für Familien. Der einzige Spielplatz in unserer Nähe war seit Monaten abgesperrt. Seine Renovierung schien für die Stadt keine Priorität zu haben.
Weil wir ständig zuhause waren, lagen auch mehr Spielsachen herum. Ich räumte stundenlang Autos, Puppen und Legosteine treppauf, treppab. Und dachte mir: Dafür habe ich doch nicht studiert.
Kein Kitaplatz? Die Mutter bleibt zuhause!
Drittens waren da die fehlenden Kitaplätze. Natürlich hatten wir uns Monate vor unserem Umzug darum bemüht. Leider ohne Erfolg. Denn Niedersachsen hat ein anderes Kitasystem. Hier werden Kinder nur einmal im Jahr eingewöhnt. Das Kindergartenjahr startet im August. Unser Umzug war jedoch im März. Pech für uns.
Die Folgen? Ich verlängerte meine Elternzeit unbezahlt um ein halbes Jahr, während mein Mann das Geld für unseren Hauskredit verdiente. Unser Plan, als Elternpaar weiterhin Gleichberechtigung zu leben, wurde dadurch erstmal erschwert.
Vor allem ich empfand die lange Wartezeit als Rückschlag, denn nach der Pandemie und der Elternzeit wollte ich beruflich endlich durchstarten. Jetzt saß ich wieder Vollzeit mit unseren Kindern zuhause. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Veraltete Rollenbilder
Und schließlich waren da die traditionellen Rollenbilder. Zwar ist Oldenburg eine Universitätsstadt. Hier am Stadtrand, wo Wald und Wiesen beginnen, sind die Leute jedoch traditionell eingestellt. Einige meiner Nachbarinnen sind den ganzen Tag zuhause, bügeln die Wäsche und warten auf den Ehemann.
Als ich mir an einem Sonntag eine Pizza holte, wunderte sich meine Nachbarin, dass ich mir etwas zu essen holte – nur für mich. Sie fragte mich, wo meine Kinder seien. Als Hamburgerin war es für mich völlig normal, mir mittags etwas vom Thai zu holen oder allein in ein Café zu gehen. Mein Mann und ich teilen uns die Care-Arbeit auf, er war gerade mit unseren Kindern unterwegs. Für die nur wenige Jahre ältere Frau schien der Gedanke fernzuliegen, dass meine Kinder bei ihrem Vater waren. Dass ich das überhaupt erklären musste, ließ mich ahnen, welche Erwartungen hier noch für Mütter galten.
Krautreporter-Leserin Sina ging es ähnlich, als sie vor einigen Jahren mit ihrem Mann und ihren Kindern von der Stadt aufs Land zog: „Ich wurde ab Einzug von den anderen Müttern beschämt, dass ich Vollzeit arbeite und meine Kinder im Kindergarten betreuen ließ“, schreibt sie mir. „Mein Mann bekam dagegen vorgelebt, dass er eine Familie haben kann, ohne viel dafür tun zu müssen.“
Auch in Hamburg gab es noch keine echte Gleichberechtigung. Auch dort kannte ich Väter, die ihre Frauen mit der Care-Arbeit alleinließen. Doch anders als hier gingen die Mütter dort nach einem Jahr wieder arbeiten, viele in der Medienbranche, so wie ich. Sie teilten sich die Elternzeit mit ihrem Mann und lasen dieselben feministischen Bücher.
Es war eine gentrifizierte Blase, das war mir damals schon bewusst. Aber ich hatte in dieser Blase gelernt, Mutter zu sein. Die Freiheiten und modernen Rollenbilder, die dort galten, waren meine Normalität. Dass es woanders nicht selbstverständlich ist, als Mutter noch andere Ziele und Träume zu haben, machte mir erst der Umzug ins Grüne schmerzlich bewusst.
Frauen haben beim Wohnen weniger die Wahl
Lange Zeit schämte ich mich dafür, dass mir das Ankommen so schwerfiel und glaubte, es wäre mein persönliches Versagen. Heute weiß ich, dass es nicht an mir lag. Ich bin einfach ein Stadtmensch, habe eine andere Mentalität.
Als Kind lebte ich auf dem Dorf, doch nach dem Abitur zog ich dort so schnell wie möglich weg. In einer guten Gegend in der Stadt zu wohnen, bedeutete für mich auch, es geschafft zu haben. Vor ein paar Jahren, vor der Wohnkrise, wären Familien wie wir einfach dortgeblieben. Heute geht das wegen der hohen Mieten für viele nicht mehr. Das trifft vor allem die Frauen.
Immer wieder überlegte ich, meine Familie zu überreden, wieder wegzuziehen. Zurück nach Hamburg, wo es mehr Jobs für mich gibt und ich als Mutter besser reinpasse. Doch meine Kinder fühlten sich in unserem neuen Zuhause wohl. Und meine Eltern waren froh, uns in der Nähe zu haben. Einen Umzug nur für mich und meine Karriere einzufordern, kam mir als Mutter zu egoistisch vor. Ich wollte das Glück meiner Familie nicht zerstören.
Noch immer erwarten wir von Müttern, dass sie zuerst an andere denken sollen. Trotz der Emanzipation gestehen wir Vätern eher einen Umzug für ihre Karriere zu. Auch finanzielle Macht spielt eine Rolle. Die meisten Mütter verdienen weniger Geld, aufgrund von Teilzeit, mehr Care-Arbeit und dem Gender Pay Gap. Unsere Arbeit wirkt dann weniger wichtig als die des Mannes. Auch das wirkt sich auf die Wahl des Wohnortes aus.
In meinem Fall war es nicht mein Mann, der mich zum Umzug nach Oldenburg drängte. Es war unser gemeinsamer Wunsch. Auch mein Mann steckte für unser neues Leben im Grünen zurück, er hatte nun Pendlerstress. Anders als ich fand er jedoch schnell Anschluss. Er unterhielt sich am Gartenzaun über Fußball und seinen neuen Grill. Ihn fragten die Nachbarn auch nach seiner Arbeit – mich als Mutter jedoch nie.
Ankommen
Schließlich beschlossen wir, das Beste aus der Situation zu machen. Wir kauften uns ein Lastenrad und brauchen nun nicht mehr so oft mit dem Auto zu fahren. Ich baute mir eine Selbstständigkeit als Journalistin auf. Über soziale Medien fand ich neue Freundinnen. Im Frühling, wenn es wieder wärmer wird, genieße ich es, mit Kaffee und Laptop im Garten zu sitzen.
Auch ein Kitawechsel half mir beim Ankommen. Mittlerweile gehen unsere Kinder in eine Kita in der Innenstadt. Dort sind andere Eltern, die ähnlich ticken wie wir und mich nicht auf mein Muttersein reduzieren. Vor Kurzem besuchte ich eine feministische Lesung und fühlte mich wieder ein bisschen wie früher, in der City. Trotzdem: In unserem Wohnviertel bleibe ich die Fremde. Bis vielleicht weitere moderne Familien folgen werden.
Neulich sprachen wir über das Thema Wohnen. Mein Mann sagte, dass auch er Hamburg vermisse. Vielleicht ziehen wir in ein paar Jahren wieder zurück, wenn die Kinder etwas älter sind. Die ideale Lösung, so scheint es, gibt es aktuell für viele Familien nicht. Besonders nicht für die Mütter.
Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger