Die Doppelgängerin der Gebärmutter kostet 2,99 Euro und liegt kühl und schwer in der Hand. Zwei Kilogramm wiegt sie, mindestens. Innen ist sie weich, fast schwammig. Wie eine Gebärmutter. Außen gelb-grün, innen orange: die Papaya. An diesem Samstag im Januar ist die Frucht ein Symbol im Kampf um straffreie Abtreibungen.
In einem fensterlosen Raum in einem Gebäudeteil der Regensburger Universität wollen heute zwölf Studentinnen und ein Student lernen, wie sie eine Schwangerschaft abbrechen. Wie sie einen Fötus operativ entfernen. An der Papaya. Sie üben das in ihrer Freizeit, weil Schwangerschaftsabbrüche nicht Teil des Medizinstudiums sind.
Für Studierende scheint das die einzige Lösung zu sein: durch Supermärkte ziehen, Papayas einkaufen und von Spenden bezahlen. Sich am Wochenende treffen, erst für einen theoretischen und dann für einen praktischen Teil, ehrenamtliche Ärzt:innen organisieren, die zeigen, wie ein Abbruch abläuft. Wie kann es sein, dass zukünftige Mediziner:innen in Deutschland kaum eine andere Möglichkeit haben, wenn sie wissen wollen, wie Abtreibungen ablaufen?
Der einzige medizinische Eingriff, der unter Strafe steht
Luisa Geiger sitzt vor den 13 Studierenden auf dem Tisch. Sie heißt in Wirklichkeit anders. Ihr Arbeitgeber soll nicht wissen, dass sie Studierenden beibringt, wie man einen Schwangerschaftsabbruch durchführt. Das Krankenhaus, bei dem sie als Assistenzärztin in Ausbildung angestellt ist, lehnt Abtreibungen ab.
Weil vielleicht Paragraf 218 der Grund ist, warum die Studierenden keine andere Möglichkeit haben, Abbrüche zu lernen und weil mit ihm alles beginnt, fängt Geiger auch damit an:
Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Genau wie die Abtreibung für Schwangere strafbar ist, ist sie es für die Ärztin oder den Arzt. „Es ist der einzige medizinische Eingriff, der im Strafgesetzbuch steht“, sagt Luisa Geiger.
Was die zukünftigen Ärzt:innen – und auch Frauen, die abtreiben wollen – tun müssen, damit sie doch nicht ins Gefängnis kommen, regelt Paragraf 218a. Luisa Geiger schaut in den Raum. „Kennt ihr die Voraussetzungen?“, fragt sie. Die Studierenden zählen auf: Die Frau ist maximal in der zwölften Schwangerschaftswoche, sie muss bei einer anerkannten Beratungsstelle gewesen sein und darf frühestens drei Tage danach abtreiben.
Dann darf die Ärztin oder der Arzt, wenn sie oder er will (Ärzt:innen können den Eingriff ohne Begründung verweigern), einen Schwangerschaftsabbruch straffrei durchführen.
Rund 100.000 Frauen lassen jedes Jahr nach der Beratungsregel abtreiben. „97 Prozent der Frauen treiben ab, weil sie zur falschen Zeit schwanger werden“, sagt Geiger. Es ist ein Vorurteil, dass vor allem junge, unvorsichtige Frauen abtreiben: Laut Studien sind nur weniger als ein Prozent der Frauen minderjährig, die eine Schwangerschaft abbrechen lassen. Die Realität ist, dass viele abtreiben, weil sie sich nicht bereit fühlen. Weil sie eine Ausbildung machen, mit finanziellen Problemen kämpfen. Weil sie nicht in einer Beziehung leben. Weil sie einfach keine Kinder haben wollen. Oder weil sie schon Kinder haben. Etwas mehr als die Hälfte dieser Frauen sind bereits Mütter.
„Ein Medizinstudium kann nicht alles abdecken, was einem jemals begegnen wird“, sagt Geiger. Das müsse man auch zugeben. Aber es sei verwunderlich, dass die Studierenden jedes noch so kleine Detail der Humangenetik lernen, während dieses Thema kaum behandelt wird. Seit 2023 gilt, dass Schwangerschaftsabbrüche im Medizinstudium in der Theorie gelehrt werden sollen, aber am Ende bestimmen die Länder und die medizinischen Fakultäten über den Lehrplan. Doch auch, wenn sich die Mediziner:innen nach ihrem Studium für die Gynäkologie entscheiden und ihre Ausbildung beginnen, lernen sie womöglich keinen Schwangerschaftsabbruch. Weil ihre Ausbildungsstätte den Eingriff vielleicht gar nicht anbietet. Und so geraten die rund 100.000 Frauen bei ihrer Suche nach Hilfe in ein System, das es Gynäkolog:innen kaum ermöglicht, eine Abtreibung zu erlernen.
Diejenigen, die sich daran stören und deren Ausbildung es betrifft, stehen vor zwei Optionen: die Situation akzeptieren oder etwas ändern.
Es war Alicia Baier, die den Papaya-Workshop nach Deutschland brachte. 2003 tauchte die Idee mit dem Workshop an der University of California erstmals auf. Bald übten Studierende an vielen amerikanischen Universitäten an Papayas die Absaugmethode. Als Baier um 2015 bei einer Konferenz war, erzählte ihr eine Ärztin von den Workshops, sagt Alicia Baier am Telefon. Heute ist Baier Gynäkologin und Mitgründerin von Doctors for Choice, einem Netzwerk von Ärzt:innen, die sich für Schwangerschaftsabbrüche einsetzen.
Damals, vor zehn Jahren, war Baier selbst noch Studentin und stellte fest: Der Abbruch wird im Studium gar nicht erwähnt. Sie engagierte sich, schrieb Universitäten in den USA an, ließ sich den Papaya-Workshop erklären, schaute Videos von dem Eingriff an, suchte nach Ärzt:innen, die Abtreibungen durchführen und es Studierenden an der Papaya-Frucht zeigen würden, gründete eine Gruppe Studierender, die sich für Abtreibungen einsetzten, die Medical Students for Choice. 2015 dann organisierte sie den ersten Papaya-Workshop in Deutschland, in Berlin. 40 Studierende kamen. „Ich dachte damals nicht, dass der Abbruch an so vielen Universitäten nicht gelehrt wird und dass sich so viele für den Kurs interessieren“, sagt Baier.
Zehn Jahre ist das her. Zehn Jahre, in denen in Frankreich, den Niederlanden und Irland das Abtreibungsrecht von Frauen gestärkt wurde, in denen Polen es verschärft hat. Nur in Deutschland hat sich nichts verändert. „Dass wir uns immer noch damit herumschlagen, ist symbolisch“, sagt Baier. Sinnbildlich für die Misogynie und das Misstrauen Frauen gegenüber, dass man ihnen nicht zutraue, eine gute Entscheidung treffen zu können. Darum die drei Tage Bedenkzeit, sagt Baier. Sinnbildlich für eine Politik, die aus der Frage um das Recht auf Abtreibung eine Weltanschauung gemacht hat.
„Mit Abtreibungen macht man keine Karriere“
In dem fensterlosen Raum in Regensburg sitzt neben Luisa Geiger Caroline Berg. Auch sie heißt in Wahrheit anders. Auch sie hat Angst um ihren Ausbildungsplatz als Assistenzärztin in der Gynäkologie. Es sei nicht leicht, eine Ausbildungsstelle zu finden. Fast unmöglich sei es, einen Arbeitgeber zu finden, der Abtreibungen anbietet. „Mit Abtreibungen macht man keine Karriere“, sagt sie.
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Caroline Berg, die das Seminar zusammen mit Luisa Geiger leitet, nimmt die Papaya. Geiger zeigt auf das Ende der Frucht, das schmal zuläuft, genauso wie der Gebärmutterhals. Sie setzt einen Hegarstift, ein Metallstäbchen, am Strunk an, sticht hinein. Dort wo der Muttermund wäre. Sie steckt in das Loch eine Saugkürette, die einer großen Spritze mit schmalem Schlauch statt Nadel ähnelt. Langsam dreht sie die Kürette in der Hand. Es entsteht ein Vakuum, die braunen Papayakerne gleiten heraus. Bei einer Abtreibung wären sie das Schwangerschaftsgewebe.
Eine Studentin mit weißem Hoodie piekst zu fest in die Papaya und das Metallstäbchen rutscht tiefer hinein als es soll. Womöglich wäre bei einem echten Eingriff die Gebärmutter verletzt worden. Eine andere dreht die Kürette etwas zu vorsichtig, sodass kein Vakuum entsteht.
Was Geiger und Berg an diesem Tag den Studierenden beibringen, verurteilen andere. Sie beenden Leben, sagen Kritiker:innen. Mehr noch: Sie töten ein ungeborenes Kind. Abtreibungsgegner:innen argumentieren, das ungeborene Kind könne schon ab der sechsten Woche Schmerz spüren. Studien zeigen hingegen, dass es frühestens ab der 29. Schwangerschaftswoche Reize wahrnimmt und ein Bewusstsein entwickelt.
Es ist Wissen, dass die Studierenden hier oftmals zum ersten Mal hören. Sprechen Dozierende im Studium über Schwangerschaftsabbrüche, geht es um die Ethik. Also um die Frage, wann Leben beginnt.
Auch Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten haben, brauchen Gynäkolog:innen, die wissen wie man eine Abtreibung durchführt
Was Netzwerke wie Doctors for Choice fordern, werde oft falsch verstanden, sagt Alicia Baier. Sie und andere Ärtz:innen fordern gar nicht, dass Studierende die Absaugung im Medizinstudium üben. Denn das wäre dann der einzige operative Eingriff, der im Lehrplan stünde. „Es geht uns darum, dass die Methoden in der Theorie gelehrt werden, dass über den Ablauf, die Nebenwirkungen und Sicherheit gesprochen wird“, sagt sie. Der Papaya-Workshop, der praktische Teil, bei dem Studierende an den Papaya-Früchten üben, wäre also auch weiterhin freiwillig. Aber der Theorieteil, den würde die Universität lehren. Und statt der paar Studierenden, die sich entscheiden, an ihren Wochenenden einen Vortrag zu hören, würden sich alle damit befassen.
Was man bei der Debatte um die Frage, ob Abtreibungen Teil des Lehrplans sein sollen, nur selten hört, sagt Baier: Nicht nur ungewollt Schwangere brauchen so einen Eingriff. Sondern auch Frauen, deren Schwangerschaft ungewollt abgeht. Die keine Geburt erleben wollen, um am Ende einen toten Fötus zu gebären. Auch sie brauchen Mediziner:innen, die geübt haben, wie man Gewebe absaugt.
Weil es eben stark von der Ausbildungsstätte abhängt, was Gynäkolog:innen lernen, sei es umso wichtiger, dass die Abtreibungsmethoden schon im Studium gelehrt werden, sagt Alicia Baier. Selten lernen die Mediziner:innen verschiedene Methoden, wenn sie Frauen nach einer Fehlgeburt behandeln. Oft schaben sie die Gebärmutter aus, obwohl diese Methode als schmerzhafter gilt und von der WHO nicht empfohlen wird. Und während der Muttermund bei einer Fehlgeburt schon geöffnet ist, ist er es bei einer Abtreibung nicht. Nur ein Unterschied von vielen, sagt Baier. „Man kann den einen Eingriff nicht anhand eines anderen lernen.“
Es gibt auch Gegner:innen des Papaya-Workshops. Ein Klinikum wollte so eine Veranstaltung nicht in den eigenen Räumen anbieten, darum sitzen sie hier in der Regensburger Universität, in diesem dunklen Raum aus Backstein mit graubraunen Teppichboden. Und dann gibt es noch die Vorwürfe, dass die Übung an der Papaya verharmlosend sei. Wer will schon von Mediziner:innen behandelt werden, die sagen, dass sie den Eingriff schon mehrmals geübt haben? An einer Frucht?
Sicher, so eine einmalige Übung befähigt Gynäkolog:innen nicht, den operativen Abbruch durchzuführen, sagt Alicia Baier. „Aber es ist ein erster Schritt“, sagt sie. Die Studierenden treffen auf Ärzt:innen, die abtreiben, von denen sie erfahren können, wie es ihnen damit geht und wie es ist, einer ungewollt Schwangeren gegenüberzustehen. Sie lernen, wo sie die Spritzen für die Betäubung ansetzen müssen. Wie sie die Saugkürette einsetzen, sie wissen jetzt, wie sie in der Hand liegt, wie tief sie diese einführen dürfen. Wenn sie das nicht wissen, wie sollen sie eine Entscheidung darüber treffen können, ob sie eine Abtreibung anbieten oder nicht?
„Lernen Medizinstudierende das, sind sie auch eher bereit, Abtreibungen durchzuführen“, sagt Baier und zitiert eine Studie von 2024. Bei der gaben 15 Prozent der Ärzt:innen an, dass sie Abtreibungen nicht vornehmen, weil sie sich damit nicht sicher fühlen.
Mit fehlendem Wissen wächst die Not der Frau. Während ungewollt Schwangere in östlichen Bundesländern meist schnell Hilfe bekommen, sieht die Situation in Bayern anders aus. Ist eine Frau dort ungewollt schwanger, findet sie nur schwer eine Anlaufstelle. In manchen Regionen gibt es gar keine. Für viele Frauen ist es schwierig, überhaupt einen Abbruch durchführen zu lassen, das zeigt eine Studie aus dem vergangenen Jahr. Auch weil viele die Schwangerschaft und vor allem den Abbruch geheim halten wollen. Zu groß sei die Angst, verurteilt zu werden oder anderen zu begegnen, die einen umstimmen wollen. Eine Angst, die Frauen isoliert.
Das Vorhaben, das Abtreibungsrecht zu reformieren, scheiterte Mitte Februar
Dass sich auch deshalb etwas ändern sollte, dass Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich bis zur zwölften Schwangerschaftswoche straffrei sein sollen und Paragraf 218a damit gestrichen werden soll, wird seit Jahren gefordert.
Am vergangenen Montag beriet der Rechtsausschuss im Bundestag darüber und lud Alicia Baier und weitere Expert:innen ein. Während die einen die Drei-Tages-Frist als ungerecht und bevormundend empfinden, die Versorgungssituation als problematisch ansehen und von stigmatisierten Frauen sprechen, halten andere die Frist für notwendig, damit Frauen eine gut überlegte Entscheidung treffen können. Sie sehen keine Lücken in der Versorgung und sorgen sich um die Achtung des menschlichen Lebens. Am Ende entschied der Ausschuss, dass nicht entschieden werden darf. Baier sagt: „Diejenigen, die gegen die Legalisierung sind, verhindern diese, indem sie die Abstimmung im Bundestag blockieren.“ Damit verzögert sich die Reform weiter.
Baier ist selbst nicht davon überzeugt, dass eine Legalisierung des Abbruchs bis zur zwölften Schwangerschaftswoche alle Probleme löst. Die Versorgungslücke. Oder die Stigmatisierung. Die Lücke im Medizinstudium. Aber: „Die Legalisierung ist die Voraussetzung, damit sich etwas verbessern kann“, sagt sie. Dann könnten Lehrende sich nicht mehr darauf berufen, wenn sie Abtreibungen nicht unterrichten wollen. Dann könnten Ärzt:innen unkomplizierter Medikamente für den Abbruch bestellen, müssten weniger Zeit mit der Dokumentation verbringen und könnten den Eingriff abrechnen. Und womöglich könnte man sogar erreichen, dass die Krankenkasse ihn übernimmt. Bisher muss die Frau dafür selbst bezahlen, das können zwischen 200 und 600 Euro sein.
Auf den Tischen in Regensburg häufen sich die Papayakerne. Eine Studentin schaut etwas enttäuscht auf die wenigen Kerne, die das Vakuum herausgezogen hat. Dabei wäre auch das Gewebe, das man bis zur zwölften Schwangerschaft absaugt, nur traubengroß. Zehn bis 15 Minuten, so lange würde eine Abtreibung mit der Absaugmethode dauern. Etwa so lange dauerte auch die Übung an der Papaya.
Als alle fertig sind, klappt Geiger den Laptop auf. Sie hat ein Video mitgebracht. Darauf eine Frau, ihr Gesicht ist verpixelt. Ihr Körper ist es nicht. Das Video aus den 1990ern zeigt, wie eine Ärztin und ihr Team eine Absaugung durchführen. Wie sie den Muttermund öffnen. Die Saugkürette einführen. Wie Blut und Gewebe durch den Schlauch fließen. Im Raum ist es stockdunkel, während das Video läuft. Und still. Das ist es auch noch kurz, als das Licht wieder angeht.
Dann packen die Kursleiterinnen und die Studierenden alles zusammen, die Papayas, aus denen Marmelade gekocht wird, die Kerne, die getrocknet und als Pfeffer verwendet werden, die Saugküretten, die Spendendose. 13 Studierende mehr wissen nach dem heutigen Tag, wie man eine Abtreibung durchführt. Sicher, es brauche mehr Wissen, mehr Theorie und Praxis, sagt Geiger. Aber zumindest haben die Medizinstudierenden heute ein paar Berührungsängste verloren.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert