3 Fotos sind nebeneinander gestellt. Auf dem ersten sieht man eine junge rothaarige Frau in einem Hochzeitskleid. Auf dem zweiten sieht man die Frau mit ihrer Familie. Sie steht neben ihrem Mann, vor ihr stehen zwei Kinder. Ein drittes Kind trägt sie auf dem Arm. Auf dem letzten Bild ist die Frau älter als auf den letzten beiden. Sie steht allein vor er Kamera und lächelt.

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Geschlecht und Gerechtigkeit

Interview: Wie Tia zur Tradwife wurde und warum sie fliehen musste

Haus, Herd, Kinder, Kirche – so sah die Welt von Tia als Tradwife aus. Heute warnt sie vor der Hausfrauenbewegung, auch, weil diese politisch immer mehr Einfluss gewinnt.

Profilbild von Astrid Probst
Reporterin

Sanfte Stimme, einen Haufen Kinder, aber niemals Chaos oder Krach, das Ketchup wird selbst gemacht. So präsentieren sich sogenannte Tradwives, also Hausfrauen, auf Social Media. Es sieht aus wie eine heile Welt. Und wie ein frei gewählter Lebensentwurf, als hätte sich die Frau freiwillig dafür entschieden. Aber das hat sie selten, sagt Tia Levings.

Levings war selbst eine Tradwife und lebte in einer christlich-fundamentalistischen Gemeinde. Die Amerikanerin sagt: Es war ein Kult. Ein System, in dem Mädchen darauf vorbereitet wurden, dem Mann zu dienen. In dem sie lernten, dass sie ihre Bedürfnisse zurückstellen sollten. Dieser Welt ist Levings entkommen und warnt jetzt davor. Denn der Einfluss christlicher Fundamentalist:innen steigt. Pete Hegseth, den der neu gewählte US-Präsident Donald Trump als Verteidigungsminister berufen will, ist Mitglied der Kirche, aus der sie geflohen ist.


Tia Levings, Sie waren eine sogenannte Tradwife, eine Hausfrau in einem streng religiösen Umfeld. Sie wurden geschlagen, missbraucht, durften nicht wählen gehen und flohen später aus dieser Welt. Sie sagten einmal: Überlebende müssen bereit sein zu erzählen, auch wenn es unangenehm ist. Was ist Ihnen unangenehm?

Früher beherrschte mich die Scham. Zu sagen, dass ich eine unterwürfige Ehefrau war, war mir unangenehm. Dass ich nicht auf dem College war, dass ich nicht studiert habe. Heute ist mir das nicht mehr peinlich. So viele Frauen schreiben mir, dass sie ähnliches erlebt haben. Das passiert so vielen von uns! Wir müssen darüber sprechen. Denn Täter profitieren von unserem Schweigen! Und je mehr wir aufklären, desto eher haben Frauen die Chance, aus diesem System zu fliehen.

Woher nehmen Sie die Kraft dafür?

Ich spüre eine Verantwortung. Es macht mir Angst, dass fundamentalistische Christen immer mehr Macht in Amerika erlangen. Als ehemalige Insiderin will ich darüber aufklären, was solche Menschen mit Amerika vorhaben.

Sie bezeichnen sich in Ihrem Buch als eine perfekt-trainierte Ehefrau. Das haben Sie hinter sich gelassen. Wer sind Sie heute?

Heute bin ich Tia. Einfach Tia. Ich bin Schriftstellerin. Großmutter. Mutter. Partnerin. Ich habe immer noch Rollen, aber ich bleibe dabei ich selbst. Ich muss keine Ideologie mehr vertreten oder mein Verhalten nicht mehr anpassen.

Während wir reden, ist es bei Tia Levings gerade erst früh am Morgen. Auf dem Bildschirm sehe ich eine Frau mit dichten roten Haaren, im Hintergrund ein Bücherregal und darin ihr Buch: „A Well-Trained Wife: My Escape from Christian Patriarchy“ (deutsch: Eine gut erzogene Ehefrau: Meine Flucht vor dem christlichen Patriarchat). Darin erzählt Levings, wie sich ihre Familie einer christlich-fundamentalistischen Gemeinde anschloss. Da war sie zehn Jahre alt.

Sie schildern in Ihrem Buch, dass Sie darauf vorbereitet wurden, eine „gute christliche Ehefrau und Mutter“ zu werden. Worin bestand diese Vorbereitung?

Da gibt es erstens den praktischen Aspekt: Als Ehefrau und Hausfrau musst du alle häuslichen Fertigkeiten beherrschen: kochen, putzen, Babys bekommen und bemuttern. Zweitens gibt es den religiösen Aspekt. Eine Ehefrau soll ein geistliches Vorbild für den Mann und die Kinder sein und ihnen helfen, gute Christen zu werden. Wir sprachen als Teenager viel darüber, warum man das macht. Dass Bügeln eine klösterliche Praxis sei und dem christlichen Reich diene. Wir sollten damit unseren Wert in der Hausarbeit finden. Der dritte Aspekt war, dass wir lernten, unsere eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken. Unsere Freude kam rein davon, anderen zu dienen. Der Leitsatz war „JOY“ – Jesus, Others, You. Frauen finden Freude darin, anderen zu dienen – vor allem dem Ehemann.

Wie ist es möglich, die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken und sich in dieser Welt einzufinden?

Diese Welt ist wirklich eine ganz andere. Sie ist gut darin, nach außen fürsorglich zu wirken. Als seien ihre Mitglieder einfach nur Menschen, die Jesus liebten. Erst wenn man drinnen ist, merkt man, wie Indoktrination funktioniert. Ich war fünf bis sechs Tage pro Woche in der Kirche. Meine Zeit verbrachte ich nur mit Kirchenleuten. Ich lernte, was Sünde war, nämlich, etwas für mich zu wollen, etwa Sex, eine Verabredung oder Kleidung, die nicht bescheiden genug war. Ich fragte mich bald: Welche Musik höre ich? Was ziehe ich an? Das ist Gedankenkontrolle.

https://www.instagram.com/reel/DCGcABFO0hz/?igsh=amlnNWVvbXA2OTJo

Sie kennen sicher Hannah Neeleman, eine berühmte Tradwife, die auf Social Media als Ballerina-Farm auftritt. Manche sagen, dass sie dieses Leben frei gewählt habe. Und jetzt romantisiert sie das Hausfrausein und beeinflusst andere Frauen. Darum sollten wir kein Mitleid mit ihr haben, sondern sie für ihre Entscheidungen verantwortlich machen. Wie sehen Sie das?

Ballerina-Farm ist das Ergebnis einer patriarchalen Bewegung, die es schon lange gibt. Auch ich war daran beteiligt. Aber jetzt hat sie eine kritische Masse erreicht und ist im Mainstream angekommen. Neeleman ist Mormonin, das ist eine religiöse Bewegung, die sehr eng mit dem christlichen Fundamentalismus in Amerika verbunden ist. Sie unterrichtet ihre Kinder zuhause und lebt isoliert auf dem Land. Sie selbst mag dieses Leben als Wahl darstellen und vielleicht auch begreifen. Sie war aber nicht wirklich frei, etwas anderes zu wählen. Weil sie dazu erzogen wurde. Ich denke, wir sollten sie mit etwas Mitgefühl behandeln, aber wir müssen sie auch zur Rechenschaft ziehen. Sie ist mitschuldig. Das macht das Patriarchat: Es verwickelt und manipuliert einen, sodass man sich als Aussteigerin schuldig fühlt, weil man Teil des Systems war. Darum: Hannah Neeleman beeinflusst Frauen, sich gegen sich selbst zu entscheiden. Dafür können wir sie verantwortlich machen.

Wenn wir sie kritisieren, vergessen wir also den Einfluss der Religion?

Ja. Ihr Glaube hat sie dazu getrieben. Niemand entscheidet sich ohne äußeren Zwang gegen die eigenen Wünsche. Neeleman wird, genauso wie ich damals, diese Sehnsucht nach Anerkennung, Liebe, Sicherheit spüren. Das tun wir doch alle. Nur wurde uns von unserer Kirche genau erklärt, wie wir das bekommen. Die Ironie der traditionellen Frauenbewegung ist, dass sie wie Hausfrauen der 1950er Jahre leben, und das romantisieren sie. Aber das ist nicht realistisch. Wir wissen doch, wie sehr die Hausfrauen litten.

Was wir auf Social Media sehen, erinnert oftmals an eine Fantasie. Alles wirkt so aufgeräumt und einfach. Mozzarella selbst machen? Klar! Was wir nicht sehen, ist, was abseits der Kamera passiert.

Und wir sehen diejenigen nicht, die keine Zeit für Social Media haben. In Amerika haben wir keine guten sozialen Sicherheitsnetze. Der Lebensstil als traditionelle Hausfrau ist nur für wenige Privilegierte möglich.

Nara Smith, eine Tradwife auf Tiktok, kocht in Designerkleidung.

Solche Hausfrauen zeigen nicht nur einen schönen Lebensstil. Sie machen Werbung. Sie verkaufen Fundamentalismus. Damit unterstützen sie das patriarchale System.

Nochmal: Wo beginnt und wo endet hier die Selbstbestimmung der Frau?

Die Frage ist: Übertragen diese Frauen ihre Entscheidung auf die gesamte Gesellschaft? Und zwar, indem sie anderen Frauen das Recht entziehen zu wählen, was sie für ihr Leben wollen. Feministinnen dagegen unterstützen, dass sich jeder frei entscheiden können soll. Auch dafür, eine Hausfrau zu sein. Aber schützen Tradwives die Wünsche und Möglichkeiten anderer Frauen? Nein, tun sie nicht. Weil sie Teil einer politischen Bewegung sind. Es war nicht meine Wahl so zu leben. Ich wurde dazu gedrängt.

Tia Levings und ihr Ex-Mann.

Tia Levings und ihr Ex-Mann. privat

Als junges Mädchen sollten Sie aufschreiben, wie Sie sich Ihren Ehemann vorstellen. Auf Ihrer Liste stand, dass er sanftmütig sein und ein gutes Verhältnis zu seiner Familie haben sollte. Ihr späterer Ehemann erfüllte kaum Ihre Wünsche.

Was ich mir wünschte, war egal, sobald er sagte: Ich will dich heiraten. Wenn ein Mann sagt: Ich bin Gottes Wille für dein Leben, darf das ein junges Mädchen nicht infrage stellen. Und, was ich damals nicht begriff, die Liste war nur eine Übung. Wir sollten über nichts anderes nachdenken, als übers Verheiratetsein und Verheiratetwerden. Letztlich gehorchte ich diesem Mann, der sagte: Wir heiraten.

Vor Ihrer Hochzeit fragte Ihr Vater Sie: Willst du diesen Mann heiraten? Sie heirateten ihn und damit einen Mann, der sie später misshandelte. Das konnten Sie damals ja nicht ahnen. Wie sicher waren Sie sich, dass Sie ihn heiraten wollten?

Ich sah das so: Wenn ein Missionar beschließt, nach Afrika zu gehen, wo niemand seine Sprache spricht, wird er große Angst haben, aber er wird auch davon überzeugt sein, dass Gott dies für sein Leben will. Und er ist wahrscheinlich aufgeregt und glücklich, weil er Gott gehorcht. So fühlte ich mich auch. Ich war aufgeregt und glücklich. Nicht, weil ich verliebt war. Sondern weil ich tat, was alle so glücklich machen würde. Ich war gehorsam.

Es fragte also nie jemand, ob Sie glücklich sind?

Mein Glück und das der Frauen liegt in diesem Glauben begründet: in JOY, Jesus, andere, du. Wenn ich jemand anderen glücklich mache, macht mich das glücklich.

Bücher, die Tia Levings lesen sollte, damit sie eine gute unterwürfige Hausfrau wird.

Bücher, die Tia Levings lesen sollte, damit sie eine gute unterwürfige Hausfrau wird. Tia Levings

Nachdem sie mit 19 Jahren geheiratet hatten, gaben Kirchenmitglieder Ihnen Bücher, die Sie als junge Ehefrau lesen sollten. Etwa „Fascinating Womanhood“. Darin werden Verhaltensanpassungen vorgeschlagen. Eine Frau sollte ihre Stimme verändern, so dass sie wie ein Kind klingt.

Die Kirche sagte: Männer finden es attraktiv, wenn du wie ein kleines Mädchen klingst. Du sollst süß klingen; auch wenn du wütend bist. Und du sollst kokett und wie ein kleines Mädchen sein. Das haben wir Frauen in der Gemeinde befolgt. Wir haben uns infantilisiert. Wir taten das, weil wir nicht abgelehnt werden wollten. Aber wenn ein Mann will, dass du wie ein Baby klingst, sollten bei einem vernünftigen Menschen die Alarmglocken schrillen. Eine erwachsene Frau sollte nicht wie ein Baby klingen. Aber das habe ich damals gar nicht hinterfragt.

Letztlich muss die Frau sich also anpassen, damit ein Mann sie mag. Und er muss sich gar nicht um die Liebe einer Frau bemühen?

Ich wusste gar nicht, dass das nicht normal war. Wir hatten keinen Kontakt zu Menschen außerhalb unserer Kirche. Ich wusste nicht, dass andere Frauen einen normalen Tonfall haben und ein eigenes Leben führen.

Laut der Regeln Ihrer Kirche ist es die Schuld der Ehefrau, wenn der Mann wütend wird. Ihr Mann schlug sie, weil Sie ihm einen Grund gegeben hatten, hieß es. Können es Frauen in dieser Welt überhaupt richtig machen?

Nein … Daher kommt der Frust. Weil man so hart arbeitet und so viel von sich aufgibt. Doch es ist nie genug. Das frisst einen auf. Es gibt nie den Punkt, an dem du dir sagen kannst: Jetzt bin ich eine großartige, unterwürfige Ehefrau, eine Frau nach Gottes Willen. Letztlich findet man keinen Frieden.

Das klingt nach Burnout.

Und Depression. Und so vielen anderen Krankheiten. Man bekommt ständig Babys. Weil Frauen nicht verhüten dürfen. Ständig erlebt man Hormonschwankungen, Erschöpfung durch die Mutterschaft. Alles auf einmal.

Sie waren in Ihrer Ehe neunmal schwanger. Ihre Tochter Clara war das dritte Kind und starb kurz nach der Geburt an einem Herzfehler. Das war für Sie ein Wendepunkt.

Ich hatte noch nie zuvor einen Menschen verloren, und durch den Krankenhausaufenthalt war ich zwei Monate lang von meiner Familie getrennt. Ich lernte andere Frauen kennen. Und die Welt da draußen. Die Regeln, die ich gelernt hatte, galten dort nicht. Als ich nach Hause kam, erwarteten die Leute, dass ich kurz trauere und dann weitermache. Das nächste Baby bekomme. Beides konnte ich nicht. Ich wollte Clara nicht einfach vergessen. Das führte zu Konflikten, weil ich selbstbewusster wurde. Ich machte mein Verhalten nicht mehr davon abhängig, wie andere es bewerteten oder ob ich dafür bestraft wurde. Was war das schon im Vergleich zu meinem Verlust? So fühlte ich mich in gewisser Weise befreit.

Was genau war es, das Sie befreite und Ihnen die Kraft und auch den Willen gab, jetzt Nein zu sagen? Bis dahin hatten Sie getan, was andere von Ihnen verlangten – egal wie sehr es Ihnen schadete. Nun konnten Sie es nicht mehr.

Durch den Schmerz war ich so auf mich zurückgeworfen. Es ist wie beim Tauziehen. Zwei Leute ziehen in entgegengesetzte Richtungen. Und weil ich plötzlich losließ, stolperte mein Mann in meine Richtung und war kurzzeitig weniger streng. Ich habe eine Erleichterung gespürt. Ich befolgte immer noch viele der Regeln, aber ich brach zumindest ein bisschen aus, trug Jeans und schnitt meine Haare. Es vergingen sieben Jahre, bevor ich floh, aber innerlich veränderte sich vieles.

Haben Sie damals schon gemerkt, dass Sie die Kraft haben, sich gegen das Weltbild Ihrer Kirche zu stemmen?

Es war weniger ein selbstbewusstes Aufbäumen und mehr ein Nachgeben. Aussteigen war das Einzige, was ich tun konnte, um zu überleben. Mein Mann wurde immer gewalttätiger. Ich war so erschöpft, deprimiert und verängstigt. Ich plante meine Flucht für den 1. November 2007. Während er bei der Arbeit war, wollte ich mit den Kindern gehen. Einfach still und leise.

Wovor hatten Sie damals am meisten Angst?

Als ich ging? Dass er uns töten würde.

Und Sie denken, dass er es getan hätte? Er stieg schließlich in sein Auto, um ins Büro zu fahren. Dort hatte er eine Schusswaffe.

Stunden davor trug er ein Stück Holz herum. Er drohte, mich zu erschlagen. Mir wurde klar, dass es hier nicht nur um den Missbrauch ging, den ich nicht mehr ertrug, es ging darum, dass ich sterben würde, wenn ich bliebe.

Also flohen Sie. Nicht ohne am Abend noch Halloween mit Ihren Kindern zu feiern. Sie planten ein Fest für Ihre Kinder – und Ihre Flucht. Wie erträgt man das gleichzeitig?

Dinge, die Kindern besonders wichtig sind – wie Verkleiden und Süßigkeiten sammeln –, werden von Erwachsenen nicht immer ernst genommen. Woran werden sie sich erinnern? Daran, dass sie Halloween ausfallen lassen mussten? Sie lieben Halloween. Ich habe nur versucht, es nicht schlimmer zu machen, als es sein musste.

Wann fühlten Sie sich nach Ihrer Flucht zum ersten Mal sicher?

Als ich mit meinen Kindern im Haus meiner Eltern ankam; sie haben mich sofort aufgenommen und beschützt. Da lagen etliche Meilen zwischen mir und meinem damaligen Mann. Ich war auch sehr erleichtert, als wir offiziell geschieden waren. Das war am 21. Mai 2008. Seit meiner Flucht habe ich nicht mehr direkt mit ihm gesprochen, nur über Anwälte.

Sie werden häufig gefragt, warum Sie Ihre Eltern in Ihrem Buch nicht stärker kritisieren. Dafür, dass sie Sie nicht vor so einer Ehe bewahrt haben und überhaupt erst in dieses religiöse Umfeld brachten …

Es ist einfach, den Eltern die Schuld zu geben. Aber das wird meiner Geschichte nicht gerecht. Sie dachten, dass ich das Leben wollte, das ich führte. Kein Wunder! Meine Mitschuld besteht darin, dass ich eine heile Familie vorspielte. Meine Eltern waren hart arbeitende Menschen, die einer sehr wohlhabenden Kirche glaubten, als die versprach, sich gut um ihre Kinder zu kümmern. Darum gingen wir dorthin, als wir neu in der Stadt waren und Freunde suchten.

Ich habe mich eher gefragt, ob Sie mit Ihrem Ex-Mann zu sanft umgehen. Sie schreiben, dass er sich in dieser fundamentalistischen Welt wohlfühlte und scheinen fast Verständnis dafür zu haben, dass er gewalttätig wurde.

Ich hätte härter mit ihm umgehen können. Er hat eine Menge böser Dinge getan. Aber er war ein 23 Jahre alter Junge, als ich ihn kennenlernte. Und er war von demselben System geformt worden. Es verweigerte ihm psychologische Hilfe. Männer sind im Patriarchat keine besseren Männer. Ich habe Mitleid mit den Männern, die ebenfalls von diesem System ruiniert werden. Und er ist der Vater meiner Kinder, er ist ihnen wichtig. Es ist zu bequem, ihn zum Bösewicht zu machen und zu sagen, er sei der Grund für all den Missbrauch. Das ist er nicht. Er ist Teil des Systems, das den Menschen beibringt, so zu sein.

An diesen Punkt zu gelangen braucht sicher ganz schön viel Arbeit. Es wäre verständlich, wenn Sie einfach nur wütend wären.

Das stimmt, ich habe aber auch zehn Jahre Traumatherapie hinter mir. Es gab eine Phase, in der ich voller Wut war. Aber die habe ich überwunden. Wenn wir wütend bleiben, verarbeiten wir nicht. Dann hat die Vergangenheit weiterhin die Macht über uns und vergiftet unsere Gedanken.

Wenn man Ihr Buch liest, scheint es so, als hätten Sie innerlich immer schon gewusst, was richtig und was falsch für Sie ist.

Meine innere Stimme war immer da. Und als ich mich immer mehr befreite, entdeckte ich sie wieder. Normalerweise ist es ja Teil der Kindheit herauszufinden, was man will. Aber die Indoktrination hat das verhindert.

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Was wir im Kindesalter erleben, prägt, was wir als gerecht empfinden und was nicht. War es Ihr Glück, dass Sie erst mit zehn Jahren in diese christlich-fundamentalistische Welt gerieten?

Ich glaube schon. Weil ich etwas hatte, auf das ich zurückgreifen konnte. Ich hatte immer dieses tiefe Heimweh nach der Person, die ich früher war. Und ich sehnte mich wirklich nach meiner Autonomie.

Ihre Geschichte zeigt, wie wichtig Sprache ist. Und wie sie unsere Realität erschafft. In Ihrem Umfeld sprachen Ehemänner offen darüber, ihren Frauen den Hintern zu versohlen. Auch Ihr Mann tat das bei Ihnen. Statt von häuslichem Missbrauch zu sprechen, nannte man es Korrektur.

Sprache bedeutet Freiheit. Und Bestätigung. Sie macht etwas begreifbar. Es reicht nicht, etwas als Trauma zu bezeichnen. Ich habe keinen Autounfall erlebt, ich wurde zwangsgesteuert und überwacht. Ich war in einem Kult, die Ideologie steuerte uns und wir benutzten die Sprache eines Kults. Das will ich auch so benennen.

Ihren New York Times Bestseller A Well-Trained Wife veröffentlichte Tia Levings im August 2024. Ihr zweites Buch, The Soul of Healing, erscheint 2026.

Ihren New-York-Times-Bestseller „A Well-Trained Wife“ veröffentlichte Tia Levings im August 2024. Ihr zweites Buch „The Soul of Healing“ erscheint 2026. St. Martin’s Press

Sie haben Jahrzehnte in einem System gelebt, das Frauen erzählte, dass sie nur dafür da seien, dem Mann zu dienen und ihn glücklich zu machen. Wie legt man dieses Denken wieder ab?

Genauso wie ich jeden Tag darauf vorbereitet wurde, eine unterwürfige Frau zu sein, muss ich das jetzt jeden Tag durchbrechen. Eine umgekehrte Indoktrination könnte man sagen. Routinen helfen mir dabei. Das sind ganz simple, wie innehalten und mich erinnern, wo meine Grenzen liegen. Und letztlich eine jahrelange Auseinandersetzung mithilfe von Experten. Ich habe gelernt, dass ich und meine Bedürfnisse an erster Stelle stehen. Ein bisschen wie im Flugzeug: Setzen Sie zuerst sich eine Maske auf und helfen Sie dann den anderen. Mir hilft diese Metapher. Trotzdem falle ich in alte Muster, wenn ich gestresst bin. Aber dann erinnere ich mich daran: Ich kann niemandem helfen, wenn es mir nicht gut geht. Eigentlich ist es gar nicht so kompliziert.

Für mich klingt das kompliziert! Vor allem, wenn man ein People Pleaser ist.

Damit kämpfe ich ständig. Werde ich auch immer. Ich will, dass Leute glücklich sind, sich geliebt und akzeptiert fühlen. Daher ist es für mich schwer und fast eine Rebellion zu sagen: Ich werde ich sein, ob du mich magst oder nicht.

Sie schreiben gerade Ihr zweites Buch. Darin soll es um Ihren Heilungsprozess gehen. Würden Sie sich als geheilt beschreiben?

Ja! Ich habe meine Traumata verarbeitet. Darum kann ich anderen helfen. Ich bin keine Ärztin. Aber ich kann erzählen, wie ich Schreckliches erlebt habe, mich dagegen gewehrt und mein Leben verändert habe.


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger

Wie Tia zur Tradwife wurde und warum sie fliehen musste

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