Eine Frau steht in einem Feld. In ihren Armen hält sie die Silhouette eines Kindes.

Nathan Dumlao/Unsplash | Bearbeitet

Geschlecht und Gerechtigkeit

Du musst dich nicht dafür entschuldigen, keine Kinder zu wollen

Und auch nicht dafür, wenn du das Elternsein liebst.

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Meine Mutter sagte einmal über meine vier Geschwister und mich: „Ich habe euretwegen eine Zeitlang jeden Tag zweimal geweint. Einmal vor Glück, einmal vor Wut.“

Ich habe selbst keine Kinder. Es hat lange gedauert, bis ich meinen Frieden damit gefunden habe. Nach acht Jahren Grübeln und Hadern und einer Fehlgeburt nach einer kurzen Schwangerschaft bin ich jetzt 43 und habe das Thema abgehakt. Es ist eine Erleichterung, nicht mehr darüber nachdenken zu müssen. Dennoch empfindet ein kleiner Teil von mir meine Kinderlosigkeit manchmal als Makel. Als hätte ich irgendeinen Job nicht erledigt, den man gemacht haben muss, um als Mensch wirklich gelebt zu haben.

Wahrscheinlich ließ mich deshalb eine Frage nicht mehr los, die ich auf Twitter gelesen hatte, kurz bevor Elon Musk die Plattform kaufte. „Würdet ihr euch mit dem Wissen von heute noch einmal für Kinder entscheiden?“ Ich fand sie stark. Deshalb erstellte ich eine Umfrage daraus und gab sie an die Krautreporter-Community weiter. Damit auch Menschen mitmachen konnten, die noch gar keine Kinder haben, fügte ich weitere Fragen hinzu: „Möchtest du Kinder?“– „Warum nicht?“

Die Resonanz auf meine Umfrage war überwältigend. Rund 3.300 Menschen nahmen an ihr teil. Die große Mehrheit von ihnen hatte mindestens ein Kind. Als ich mir die Ergebnisse ansah, gab es eine Zahl, bei der ich zusammenzuckte: 25 Prozent. So viele Menschen hatten auf die Frage: „Würdest du dich mit deinem heutigen Wissen wieder fürs Kinderkriegen entscheiden?“ mit „Nein“ geantwortet. Jede:r Vierte!

Wie lässt sich ein solches Ergebnis deuten? Einerseits antworteten rund 75 Prozent mit „Ja“. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie viel Geld, Schlaf und Freiheit das Elternsein kostet. Es zeigt, wie beglückend und erfüllend Kinder sein können.

Andererseits: Wenn so viele Eltern sich heute gegen das Kinderkriegen entscheiden würden – dann muss etwas gewaltig schieflaufen in unserer Gesellschaft.

Beides ist wahr, aber es trifft nicht den Kern dessen, was ich in meiner Recherche herausgefunden habe.

Dabei habe ich Erkenntnisse gewonnen, die ein neues Licht auf die Entscheidung für oder gegen Kinder werfen. Und nebenbei habe ich einen besonders dummen Social-Media-Trend entdeckt.

Na, den Sinn des Daseins verfehlt?

Die britische Autorin Ruby Warrington stellt in ihrem Buch „Women Without Kids“ eine wichtige Frage: „Warum denkst du, Mutter sein zu müssen?“ Bewusst fragt sie nicht: „Warum möchtest du Mutter sein?“ Denn, wie KR-Leserin Elisabeth es in einer Mail an mich auf den Punkt bringt: „Es ist wahnsinnig schwer, das, was man selber wirklich will, zu trennen von dem, was man denkt, dass man es will (oder wollen sollte) und von dem Wunsch, dazuzugehören.“ Wer nicht glaubt, dass es dieses Problem gibt, kann sich ein Forschungsprojekt zur gewollten Kinderlosigkeit der Dualen Hochschule Gera-Eisenach ansehen, bei dem über 1.100 Frauen zwischen 18 und 45 Jahren befragt wurden. 68 Prozent gaben an, dass sie Rechtfertigungsdruck gegenüber Außenstehenden spüren.

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Bücher, Podcasts und Posts von Influencerinnen, die das thematisieren, kommen fast ausschließlich von Frauen und richten sich an ein weibliches Publikum. Ich habe einmal wahllos in Buchtiteln von Frauen, die über ihre Kinderlosigkeit schreiben, das Wort „Mutter“ durch „Vater“ und „Frauen“ durch „Männer“ ersetzt. Das kam dabei raus:

  • Abschied vom Kinderwunsch: Ein Ratgeber für Männer
  • Was wir in die Welt bringen: Männer zwischen „kinderlos“ und „kinderfrei“
  • Nichtvatersein: Von der Entscheidung, ohne Kinder zu leben
  • Erfüllendes Vaterglück oder kinderlose Freiheit?

Vielleicht liegt es an mir, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich diese Versionen der Bücher verkaufen würden. Denn sie lösen ein Problem, das Männer in unserer Gesellschaft nicht haben: Man erwartet von ihnen nicht in jedem Fall eine gute Erklärung, wenn sie kinderlos bleiben. Ich will nicht unfair sein, sicher gibt es Eltern, die ihren Söhnen ein schlechtes Gewissen machen, wenn sie keine Enkel zeugen. Aber wer würde heutzutage sagen, ein Mann hätte den Sinn seines Daseins verfehlt, wenn er keine Kinder hat? Wer würde behaupten, nur ein Vater hätte verstanden, was es heißt, ein Mann zu sein? Tradwifes, also Frauen, die sich hauptsächlich auf Haushalt, Kinderbetreuung und Unterstützung ihrer Ehemänner konzentrieren, weil sie das als ihre natürliche Rolle empfinden, existieren wirklich. Tradhusbands gibt es nur als Witz.

Die Bevormundung bei diesem Thema ist erstaunlich. Jungen Frauen ohne Kinderwunsch wird gönnerhaft gesagt, sie könnten in ihrem Alter noch gar nicht wissen, was sie wollen. Frauen in ihren 30ern wird gesagt, kinderlos zu bleiben, „ginge ja gar nicht“. Frauen in ihren 40ern wird besorgt prophezeit, sie würden es später bereuen, nicht Mutter geworden zu sein. Wie wäre es mit einer steilen These: Vielleicht würden sich auch heute noch mehr Menschen wieder für Kinder entscheiden, wenn sie die Entscheidung frei getroffen hätten?

Wir versagen kollektiv darin, Mütter angemessen zu unterstützen

Natürlich spielen bei der Reue noch andere Faktoren als gesellschaftlicher Druck eine Rolle. Dreiviertel der Teilnehmenden meiner Umfrage waren Frauen. Ein klarer Hinweis darauf, wie stark dieses Thema diese Gruppe anspricht. Gleichzeitig gibt es heute eine offenere Auseinandersetzung damit, dass Muttersein nicht automatisch erfüllend ist und glücklich machen muss. Sicher hat dazu auch die Forschung zum Phänomen des „Regretting Motherhood“ beigetragen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen hat.

Warrington schreibt: „Wir brauchen eine Anerkennung, die über Lippenbekenntnisse hinausgeht und anerkennt, wie verdammt schwierig es ist, in der modernen Welt Kinder zu haben und zu erziehen – angesichts kapitalistischer Anforderungen, wirtschaftlicher Krisen und der zunehmenden Belastung durch die Klimakatastrophe.“ Viele Eltern, die an meiner Umfrage teilgenommen haben, bestätigten das. Sie gaben an, dass sie sich aus Sorge um die Zukunft heute nicht noch einmal für Kinder entscheiden würden. Wichtige Gründe waren außerdem:

  1. Sie fühlen sich vom Staat nicht genug unterstützt. „Ich bin 73“, schreibt etwa Theresia, die zwei Kinder hat. „48 Beitragsjahre Rentenversicherung, 840 Euro Rente, als Familienfrau gearbeitet, wenig verdient, keine Kinderbetreuung.“ Und Holger, dreifacher Vater, sagt: „Die kapitalistischen Lebensumstände lassen dich mit dem ‚Finanzrisiko Kind‘ nahezu allein. Elterngeld und Co. sind nur Trostpflaster, die Arbeitsverdichtung nimmt jeden Raum zum Atmen.“
  2. Sie empfinden die deutsche Gesellschaft als kinderfeindlich. „Niemand hat einen darauf vorbereitet, wie viel Arbeit Kinder machen. Der niemals endende Mental Load, die Sorgen und am schlimmsten, dieses kinderfeindliche Land. Hört man ein Kind schreien, sprechen alle direkt von schlechter Erziehung“, schreibt Judith.
  3. Sie leiden darunter, kaum Freiheit und Selbstbestimmung zu haben. „Ich wünsche mir ständig meine Freiheiten zurück, weniger Verantwortung, weniger Sorgen. Diese andauernde Müdigkeit ist schrecklich“, so Paulina. Und Johanna schreibt: „Ich mag die Person nicht, zu der ich bei dieser enormen Menge an Stress werde. Ich fühle mich zerrissen zwischen Kind, Job und Haushalt und werde keiner dieser Aufgaben gerecht.“

Die Schwierigkeiten, die Eltern beschreiben, sind auch ein politisches Problem. Die Soziologin Nicole Hiekel bemerkt in einem hörenswerten Interview, dass die Familienpolitik in Deutschland zwar aus gutem Grund stark darauf fokussiert sei, die Geburtenrate zu erhöhen: „Deutschland ist eine der am schnellsten alternden Gesellschaften. Wir haben Probleme, wir haben Fachkräftemangel, wir haben eine Sorgekrise, unser Rentensystem ist nicht mehr nachhaltig.“ Gleichzeitig könnte sich die Familienpolitik aber auch stärker daran orientieren, dass es den vorhandenen Kindern und Eltern gut geht.

KR-Leserin Marianne, die sich selbst als „begeisterte Tante“ bezeichnet, schreibt mir: „Ich höre sehr oft bei Eltern, dass sie sich mit dem Kinderthema völlig alleingelassen fühlen. Sie stehen vor überfüllten Kinderarztpraxen, sind aber verpflichtet, diese ganzen vorgeschriebenen Untersuchungen durchzuführen. Dann stehen sie vor geschlossenen oder hoffnungslos überlasteten Kitas oder kriegen erst gar keinen Platz. Gleichzeitig weiß vor allem die Frau, dass das alte Modell ‚Ich werd dann mal Mutter, und mein Leben ist geritzt‘ heute noch weniger funktioniert als einst.“

Das Ergebnis meiner Umfrage in der KR-Community ist nicht repräsentativ. Aber eine Befragung des Marktforschungsunternehmen YouGov von 2016 war es. Dabei wurden 1.200 Väter und Mütter in Deutschland mit der folgenden Aussage konfrontiert: „Wenn ich mich heute noch einmal entscheiden könnte, würde ich (eher) keine Kinder mehr bekommen wollen.“ Acht Prozent der Befragten stimmten dem Satz voll und ganz, weitere elf Prozent überwiegend zu.

Tatsache ist: Laut einer aktuellen Statistik ist die Geburtenrate in Deutschland 2023 auf 1,35 Kinder gesunken – der niedrigste Stand seit 2013. Unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Mutter, ob deutsch oder ausländisch, sank sie damit um sieben Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Der Trend zu weniger Geburten zeigt sich weltweit. Mittlerweile sogar in Nordeuropa, obwohl Länder wie Finnland, Dänemark und Norwegen für ihre fortschrittliche Familienpolitik und Geschlechtergerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt bekannt sind.

„Frauen ohne Kinder sind die Kanarienvögel in der Kohlenmine“, glaubt Warrington. „Unsere Existenz zeigt an, dass die gegenwärtigen Bedingungen auf der Erde nicht förderlich fürs Kinderhaben und Familien sind.“ Das mag übertrieben erscheinen – die Bedingungen auf der Erde waren schon immer hart, aber es spiegelt ein Gefühl wider, das viele Menschen heute haben.

Als wäre Kinderkriegen eine Art Wehrpflicht

Die Zeit ist also reif für Accounts wie die von Tiffany J Marie oder Linda Rohde, die ihren 126.000 beziehungsweise 14.500 Follower:innen auf Instagram regelmäßig aus ihrem #childfree-Leben erzählen. Wer wissen will, wie viel Mut das leider verlangt, sollte die meistgelikten Kommentare unter dem Post lesen, in dem sich Rohde ihren Follower:innen vorstellt. Sie wird beschimpft und lächerlich gemacht, manche machen sich über ihren Körper lustig.

Auf dumme und hässliche Kommentare kann man sich also einstellen, wenn man als Frau öffentlich wagt zu erklären, dass man keine Kinder möchte. Oder bei einem Date. Neulich las ich den folgenden Post einer Schriftstellerin auf Facebook: „An dieser Stelle einen Gruß an den einen Typen, den ich mal kurz datete und der mir erzählte, eine Schwangerschaft sei doch das Schönste, was eine Frau in ihrem Leben erleben könne. Als ich ihm von Dammrissen, Fruchtwasservergiftungen, Einsamkeit und der Gefahr des Todes berichtete und ihn bat, sein dummes Maul zu halten, zuckte er übrigens nur mit den Schultern.“

Wer jetzt denkt, diesen Unsinn könnte man ja leicht vermeiden, wenn man die richtigen Typen datet, versteht nicht das Ausmaß des Problems. Nachdem US-Präsident Joe Biden Kamala Harris als seine Nachfolgerin vorgeschlagen hatte, wollten manche Harris ernsthaft die Kompetenz absprechen, ein Land regieren zu können, weil sie selbst keine Kinder geboren hat (sie hat zwei Stiefkinder). Sie sei daher nicht in der Lage, die Interessen von Eltern und Familien zu verstehen.

https://x.com/willchamberlain/status/1815150185300759014

Der mögliche nächste Vizepräsident der USA, J.D. Vance, sieht das ähnlich und sagt Frauen wie Kamala Harris seien, „kinderlose Katzendamen, die in ihrem eigenen Leben unglücklich sind.“

Selbstverständlich gibt es keinen einzigen US-Präsidenten, der je ein Kind geboren hätte.

KR-Leserin Vera machte mich darauf aufmerksam, wie selbstverständlich das hingenommen wird. „Wir sehen es als irgendwie dringlich, dass weibliche Wesen gebären (sonst sind sie nicht so ganz und gar vollständig), aber bei den männlichen sehen wir da kein Defizit, wir bemerken es nicht mal mit Sicherheit“, schrieb sie mir, als Antwort auf meinen Newsletter indem ich über die Harris-Debatte schrieb.

Es ist, als hätte die Gesellschaft einen Anspruch und ein Recht auf diese Kinder, als wäre Kinderkriegen eine Art Wehrpflicht. Als der MDR eine wirklich ziemlich gute Sendung über freiwillig kinderlose Frauen brachte, regnete es Kommentare wie diese:

„Egoismus gepaart mit der Unfähigkeit Verantwortung zu übernehmen und die Weigerung erwachsen zu werden.“
„Mit solchen habe ich jeden Tag zu tun, spätestens im Pflegeheim bereuen sie alles.“
„Gelebte Egomanie! Eine traurige Folge des sogenannten Feminismus.“
„Letzte Generation nicht durch den Klimawandel, sondern durch Frauen, die nicht Mutter werden wollen. Hierzu muss ich sagen, das deutsche Volk stirbt aus!“

Wer hätte das gedacht? Kinderlose Frauen sind an allem schuld. Sie schaden der Gesellschaft sogar mehr als der Klimawandel! Warum? Weil sie so egoistisch sind. Noch Fragen? Ich hätte da ein paar. Zum Glück habe ich sie in meiner Umfrage gestellt.

Überraschung: Auch Frauen wollen Freiheit

Gut ein Zehntel meiner Umfrageteilnehmer:innen gab an, keine Kinder zu haben. Fast Dreiviertel von ihnen sagte, dass sie auch keine Kinder wollten. Was die Gründe betrifft, hatte ich den Teilnehmenden eine Reihe zur Auswahl gegeben, sie konnten auch mehrere wählen. Am häufigsten klickten sie folgende Aussagen an: „Ich bin ohne Kinder glücklich“ und: „Eigene Kinder passen nicht in das Leben, das ich führen möchte.“

Das passt zu den Ergebnissen des Forschungsprojekts der Dualen Hochschule Gera-Eisenach. Die Sozialwissenschaftlerinnen Claudia Rahnfeld und Annkatrin Heuschkel wollten herausfinden, warum Frauen zwischen 18 und 45 Jahren sich für ein Leben ohne Kinder entscheiden. Ihre Erkenntnisse stellen eine gängige Annahme infrage, die viele Forscher:innen, Politiker:innen und Normalbürger:inen teilen: Nämlich, dass fast alle Frauen einen natürlichen Kinderwunsch haben und hauptsächlich schlechte Rahmenbedingungen für Kinderlosigkeit verantwortlich sind.

In der Studie von Rahnfeld und Heuschkel waren die Hauptgründe allerdings nicht die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf oder eine kinderfeindliche Gesellschaft. Für 82,4 Prozent der befragten Frauen war mehr Freizeit ein entscheidendes Kriterium, gefolgt von einer größeren Chance auf Selbstverwirklichung (80 Prozent) und dem Wunsch, keine Verantwortung für die Versorgung und Erziehung eines Kindes übernehmen zu müssen (73,4 Prozent). 52 Prozent nannten die Sorge vor Überforderung.

Anders gesagt: Die befragten Frauen wollten einfach nicht Mutter werden. Sie hatten Interesse daran, ein kinderloses Leben zu führen, weil sie das für sich persönlich interessanter und freier fanden. Wer hätte das gedacht?

„Keine Kinder zu haben ist keine negative Antwort zu einer Lebensweise, sondern eine positive zu einer anderen“, schreibt die US-Autorin Meghan Daum in dem von ihr herausgegebenen Buch „Selfish, Shallow, and Self-Absorbed: Sixteen Writers on the Decision Not to Have Kids“.

Im Mittelalter gab es mehr kinderlose Paare als heute

Wie Kinderlosigkeit bewertet wird, ist immer auch eine Frage der Werte einer Gesellschaft. Der Witz dabei ist: Kinderlosigkeit war schon immer normal. Laut der Würzburger Literaturwissenschaftlerin Regina Toepfer gab es im Mittelalter in Deutschland doppelt so viele kinderlose Paare wie heute. Was leider auch daran lag, dass die Kindersterblichkeit viel höher war. In jedem Fall waren kinderlose Menschen aber schon immer ein Teil der Gesellschaft.

Warum nur ist es so schwierig, dies als normal zu akzeptieren? Nicht als Ausnahme und auch nicht als Rebellion gegen die Norm?

Auch Rahnfeld und Heuschkel bekamen nach ihrer Studie negative und abwertende Kommentare: „Diese betrafen entweder uns persönlich oder bezogen sich auf das Lebensmodell der gewollt kinderlosen Frauen. Die Entscheidung, keinen Nachwuchs zu bekommen, wurde abgewertet und die Frauen auf ihre „eigentliche Rolle“ in der Gesellschaft hingewiesen, also: Mutter zu werden und sich um den Nachwuchs zu kümmern“, so Heuschkel.

Lieber Botox als Kinder?

Vielleicht ist diese Feindseligkeit gegenüber Frauen ohne Kinderwunsch der Grund für einen bescheuerten Social-Media-Trend, der Mütter und freiwillig Kinderlose gegeneinander ausspielt. Ein extremes Beispiel dafür ist die Influencerin Marcela, die auf Tiktok als childfree.millennial postet. Dort erzählt sie beglückt, sie würde das Geld, das sie für ein Kind ausgeben müsste, lieber in Botox und aufgespritzte Lippen investieren. Die Provokation ist natürlich Absicht. Sie funktioniert nur, weil das Klischee der kinderlosen Frau als selbstverliebter Egomanin existiert. Ruby Warrington wollte ihr Buch ursprünglich nicht „Women Without Kids“ nennen, sondern „Selfish Cunts“. Mit viel Wohlwollen könnte man das als „egoistische Schlampen“ übersetzen. Warrington wollte diesen Titel aus Trotz. Wenn man sowieso dauernd diesem Vorwurf ausgesetzt ist, warum ihn sich dann nicht einfach aneignen?

Aber eigentlich ist es traurig. Wenn es normal wäre, dass Frauen unterschiedliche Lebensentwürfe leben, manche mit und manche ohne Kinder, bräuchte es keine Bücher, die diese Entscheidungen rechtfertigen. Und garantiert bräuchte es keine Influencer:innen, die sich das Klischee der egoistischen Schlampe aneignen. Ich kann verstehen, wenn man Letzteres als notwendigen Akt der Verteidigung begrüßt. Genauso verstehe ich aber, wenn Eltern solche Inhalte wütend machen. Als wären sie selbst schuld daran, dass sie keine Freizeit haben und kein Geld für Faltenbehandlungen.

Dieser Social-Media-Trend schafft Gräben zwischen Eltern und Nicht-Eltern, die niemandem helfen. Im Gegenteil, sie spielen Rechten in die Hände, die Geburtenpolitik statt Familienpolitik wollen. Und sie sind ermüdend. Verrückte Idee: Wie wäre es, wenn wir stattdessen eine Gesellschaft schaffen, in der werdende Eltern und Familien die Ressourcen und die Unterstützung bekommen, die sie brauchen? Und gleichzeitig ebenso Menschen unterstützen, die ihre Zeit und Energie in Lebensentwürfe ohne eigene Kinder stecken wollen? Ich glaube, die Menschen werden nicht aussterben. Aber sie könnten glücklicher sein. Und ihre Entscheidung, Kinder zu bekommen, vielleicht seltener bereuen.


Redaktion: Bent Freiwald, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

Du musst dich nicht dafür entschuldigen, keine Kinder zu wollen

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