Collage: Eine Hand in einem OP-Handschuh hält eine Spritze. Im Hintergrund sieht man viele verschiedene Lippen.

I.am_nah, Gabrielle Henderson, Etty Fidele, Fábio Alves, Oleg Ivanov, JEFERSON GOMES, julio andres rosario ortiz, Tony Litvyak, Renji Desh, Mika Baumeister, Marjan Blan | Unsplash

Geschlecht und Gerechtigkeit

Kommentar: Sophie Passmann, deine Schönheits-OP schadet mir

Kann man Feministin sein und sich die Lippen aufspritzen? Nein. Ich finde, dieser Schritt ist unsolidarisch und ein Rückschlag für alle.

Profilbild von Isolde Ruhdorfer
Reporterin für Außenpolitik

Es gibt Trends, die ich witzig finde, zum Beispiel bunt gefärbte Achselhaare. Es gibt Trends, die meiner Meinung nach hässlich sind, wie etwa tief sitzende Jeans. Und es gibt Trends, die machen mich wütend.

Immer mehr Frauen mit großer Reichweite im Internet erzählen von ihrer Lippenunterspritzung, Botoxbehandlung oder Oberlidstraffung. Viele dieser Frauen wissen, dass sie sich Schönheitsidealen beugen, die sich innerhalb weniger Jahre ändern können. Es sind Frauen, die über Selbstliebe, Achtsamkeit und Feminismus schreiben – und im nächsten Atemzug ihre Eingriffe damit rechtfertigen.

Die Autorin Sophie Passmann veröffentlichte einen Auszug aus ihrem Buch „Pick me Girls“, in dem sie ihre Schönheitseingriffe damit begründet, dass Männer sie danach besser behandeln würden. Das Format „Mädelsabende“, das zum Content-Netzwerk „Funk“ gehört, postete auf Instagram, dass man einfach mal machen könne, worauf man Lust habe, zum Beispiel sich die Lippen aufspritzen. Und die Journalistin Joelle Westerfeld erklärte im Funkformat „Glanz&Natur“ ihre Lippenunterspritzung: Sie sei eben nicht frei von Schönheitsidealen, „ob bei den Lippen, beim Augenbrauen-Zupfen oder der Wimpernwelle.“

Nur Reiche können sich Schönheitseingriffe leisten

Es gibt einen Namen für dieses Phänomen: white feminism oder choice feminism.

Darunter versteht man eine Art des Feminismus, der sich nur für privilegierte – meist weiße – Frauen einsetzt. Choice feminists ignorieren, dass nicht alle Frauen die gleichen Chancen und Ressourcen haben. Sie übersehen, dass Schwarze, behinderte oder arme Frauen auf andere Weise als sie diskriminiert werden.

Schönheitseingriffe sind teuer: Lippenaufspritzen kostet mindestens 400 Euro, eine Lidstraffung 2.000 Euro, eine Brustvergrößerung bis zu 7.000 Euro. Es ist klar, wer sich das leisten kann: reiche Menschen. Arme Frauen bleiben außen vor.

Bei dieser Art des Feminismus geht es nur um einen selbst: Du fühlst dich hässlich? Dann mach doch eine Operation, anstatt gegen die Schönheitsideale zu kämpfen. Wer weniger Geld hat, kann sich keine Schönheits-OPs leisten, leidet aber trotzdem unter den Schönheitsidealen, die Menschen wie Sophie Passmann durch ihre Eingriffe normalisieren. Diese sind, ob sie das wollen oder nicht, wegen ihrer Reichweite auch Vorbilder.

Deshalb finde ich es unsolidarisch, wenn vermeintliche Feministinnen ihre Schönheitseingriffe verharmlosen. Das ist ein Rückschlag für alle, die sich dafür einsetzen, dass wir unterschiedliche Körper akzeptieren. Es ist ein Trend, der diesen Influencerinnen nutzt und anderen schadet.

Mehr zum Thema

Denn Schönheitseingriffe festigen Ideale in der Gesellschaft, die ich ohne Operation niemals erfüllen kann. Es sind aber Schönheitsideale, an denen auch ich gemessen werde. Meine Lippen werden ohne Unterspritzung niemals so voll sein, meine Nase ohne OP niemals so dünn und schmal, meine Augenfältchen kann ich mit keiner Creme der Welt verschwinden lassen.

Die Pandemie sorgte für einen Boom in der Schönheitsindustrie

Immer mehr Menschen, vor allem Frauen, unterziehen sich inzwischen Schönheitseingriffen. Die Corona-Pandemie hat in der Industrie für einen Boom gesorgt, weil sich die Menschen in Homeoffice-Zeiten länger zu Hause von den Eingriffen erholen können. Außerdem wollten mehr Menschen etwas in ihrem Gesicht verändern, weil die vielen Videokonferenzen die Aufmerksamkeit auf das eigene Gesicht lenken. Allein von 2020 zu 2021 stieg die Zahl der ästhetischen Behandlungen in Deutschland um rund 15 Prozent.

Ich möchte niemanden dafür verurteilen, Schönheitseingriffe bei sich vorzunehmen. Ich glaube nicht, dass Personen, die sich mit Botox behandeln lassen, schlechte Menschen sind. Mir ist klar, dass wir alle oft widersprüchlich handeln und im Alltag an unseren Werten scheitern. Und wie die meisten jungen Frauen weiß ich, wie es sich anfühlt, unter dem Druck von Schönheitsidealen zu stehen und Geld für Beautyprodukte auszugeben. Als Teenie habe ich verschiedene Diäten ausprobiert und nach dem Ausdauertraining das Abendessen weggelassen. Bis vor wenigen Jahren war mein Körper komplett enthaart und meine Finger- und Zehennägel waren meistens lackiert.

Schönheitseingriffe sind gefährlicher als Frisuren oder Make-up

Aber Lippenfiller sind etwas ganz anderes als eine neue Haarfarbe oder Nagellack. Von zu viel Färben kann das Haar höchstens brüchig und trocken werden. Und wem der Nagellack nicht gefällt, macht ihn wieder ab. Im schlimmsten Fall bleibt ein rosa Schimmer auf den Nägeln zurück, wenn der Nagellack rot war.

Schönheitseingriffe dagegen lassen sich nicht einfach wieder rückgängig machen. Und sie richten teilweise unumkehrbare Schäden an. Die Deutsche Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie warnte schon 2019 davor, dass immer häufiger Kosmetikstudios und Heilpraktiker:innen Faltenunterspritzungen mit Hyaluronsäure anbieten, also unqualifizierte Personen, die eventuell die Risiken unterschätzen. Zum Beispiel kann eine falsche Faltenbehandlung mit Hyaluronsäure zur Erblindung führen.

Sie wissen, wie willkürlich Schönheitsideale sind – und sprechen trotzdem zwanglos über ihre Eingriffe

Was mich besonders wütend macht: Wie bewusst sich manche Frauen den Schönheitsidealen unterwerfen. Sophie Passmann erzählt in ihrem Buch ironisch-distanziert, ihren eigenen Körper viel kritischer zu betrachten als den von anderen Frauen. Und die Journalistin Joelle Westerfeld, die sich die Lippen hat aufspritzen lassen, schrieb bei Instagram, dass sie ohne Schönheitsideale ein „geiles Leben“ hätte haben können. Sehe ich genauso. Schönheitsideale können einen kaputtmachen. Viele, vor allem junge Frauen werden darüber krank. Manche sterben sogar, weil sie zu wenig essen oder sich riskanten Operationen unterziehen. Die höchste Todesrate hat der „Brazilian Butt Lift“, eine von 3.000 Patientinnen stirbt bei der Po-Operation.

Wie kann es sein, dass diese Frauen sich durchaus bewusst sind, wie willkürlich und schädlich Schönheitsideale sein können – und trotzdem zwanglos öffentlich über ihre Eingriffe sprechen? Damit pflanzen sie die Vorstellung in die Köpfe vieler junger Frauen ein, dass es keine große Sache sei, sich mal die Lippen aufzuspritzen.

Diese Frauen sind dazu fähig, gesellschaftliche Probleme zu verstehen. Gerade von ihnen erwarte ich, dass sie sich solidarischer mit anderen Frauen zeigen. Nicht unsere Körper sind unsere Feinde. Sondern die Schönheitsideale, die uns einreden, dass eine OP ganz Ordnung ist.


Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger

Sophie Passmann, deine Schönheits-OP schadet mir

0:00 0:00

Einfach unterwegs hören mit der KR-Audio-App