Immer mehr Frauen machen Social Freezing. Das heißt, sie lassen ihre Eizellen einfrieren. Aber wie fühlt sich die Prozedur an? Das hat mir Susanne, heute 39 Jahre alt, erzählt, die ihre Eizellen vor drei Jahren konservieren ließ. Sie berichtet in diesem Artikel unter geändertem Namen von ihren Erfahrungen. Es ist der erste Text in meinem neuen Themenschwerpunkt, der sich um verschiedene Fragen der Reproduktionsmedizin dreht. Wenn du keinen Text verpassen willst, kannst du hier meinen kostenlosen Newsletter abonnieren.
Luft anhalten, Bauchfett zusammenquetschen, zustechen, und bloß nicht zittern, das kann alles versauen! Ich hatte nicht erwartet, dass das Spritzen so schwer sein würde. Bei der ersten Dosis bin ich so nervös, dass ich drei Anläufe brauche, bis die Nadel drin ist. Mein Puls geht viel zu schnell, denke ich. Dann drücke ich den Spritzen-Pen langsam nach unten, geräuschlos fließen die Hormone in meinen Körper.
Die Entscheidung, meine Eizellen einfrieren zu lassen, fiel mir nicht leicht. Sie hat rund anderthalb Jahre Vorlauf hinter sich. Ich habe alle Argumente genau abgewogen, sogar eine Pro-/Contra-Liste erstellt, Argument für Argument, und das mehr als einmal. In der Pro-Spalte auf der linken Papierseite hatte ich meinen seit Jahren ambivalenten Kinderwunsch notiert, eine Hormonstörung, dazu meinen Single-Status, mein Alter von 36 Jahren und eine damit rapide sinkende Fruchtbarkeit. In der Contra-Spalte rechts stehen: Rund 14 Tage Hormone spritzen, dann eine Operation unter Vollnarkose – und viel Geld, das ich selbst zahlen muss, weil ich Single bin, nicht verheiratet und gesund.
„Sieh es als eine Art Versicherung“, sage ich mir.
Dieser Gedanke gibt letztlich den Ausschlag. Viele Menschen haben Angst vor der Zukunft. Weil sie so unberechenbar ist. Deswegen schließen wir Versicherungen ab, gegen Wohnungsbrand, den plötzlichen Tod des Ehepartners, Fahrradklau, gegen alle möglichen Schäden, die ich als Privatmensch versehentlich verursachen kann. Wenn ich also als Frau meine Eizellen einfrieren und dadurch einem potenziellen Schaden vorbeugen könnte, den ich mir durch eine verspätete Entscheidung selbst zufügen würde – nämlich für immer kinderlos zu bleiben und mit diesem Zustand dann womöglich unter fortwährender Reue leben zu müssen – wieso sollte ich diese Option nicht nutzen, überlege ich.
Sicherlich: Es ist eine teure Option. Manche Menschen machen für 3.000 Euro eine Weltreise, kaufen sich ein Lastenrad oder ein extravagantes Möbelstück. Ich will mir Zeit kaufen.
„In diese Praxis gehen Sie auf keinen Fall, die sind aufs Geld der Patientinnen aus!“
Also beginne ich schließlich, im Internet nach Kinderwunschkliniken zu suchen. Nachdem ich das halbe Netz leer gelesen habe, entscheide ich mich für eine Praxis, mehr aus Überforderung als nach aussagekräftigen Kriterien; zu unübersichtlich scheint mir das Angebot im Internet zu sein. Wenig später habe ich einen ganz normalen Kontrolltermin bei meiner Frauenärztin. Ich erzähle ihr von meinem Vorhaben, auch von der Praxis, die ich mir ausgesucht habe. „Oh Gott!“, sagt meine Ärztin, „da gehen Sie auf keinen Fall hin! Ich hab’ da mal zur Probe gearbeitet. Die haben nur veraltete Geräte und sind aufs Geld der Patientinnen aus!“ Sie rollt auf ihrem Hocker Richtung Schreibtisch und kommt mit einer Visitenkarte zurück. „Hier“, sagt sie, „die ist gut“.
Ein paar Wochen später sitze ich in der Praxis, die meine Ärztin mir empfohlen hat. Alles sieht neu aus, edel, solide. Im Wartezimmer leuchtet gedämpftes Licht, sitzen vermehrt Paare, nur eine einzige andere Patientin scheint wie ich ohne Begleitung gekommen zu sein. Ob sie ebenfalls Single ist und sich durch Social Freezing die Zukunft versichern will, frage ich mich im Stillen. Dann ruft die Sprechstundenhilfe mich auf. Ich kriege einen kurzen Schreck, als sie meinen Namen nennt, erhebe mich, gehe einen schmalen Flur entlang. Die Tür zum Behandlungszimmer steht offen. Jetzt wird es ernst.
Das Erste, was ich im Beratungstermin lerne: Die ganze Prozedur wird teuer werden. Um die 3.000 Euro, so steht es in meinem Kostenvoranschlag. Der endgültige Preis lässt sich jetzt noch nicht festzurren, er hängt davon ab, ob ich meine Medikamente im Ausland oder in Deutschland kaufen werde, wie oft die Ärztin mir in den Tagen der Behandlung Blut abnehmen will, wie viele Ultraschalls ich zur Kontrolle brauche, wie lange die Eizellentnahme dauern wird.
Ich fühle mich falsch, irgendwie defizitär
Dann erklärt die Ärztin mir sachlich, wie Social Freezing funktioniert: Wenn meine nächste Periode kommt, werde ich mir täglich Hormone spritzen, damit meine Eierstöcke viel mehr Eizellen produzieren als die ein oder zwei, die ein natürlicher Zyklus liefert. Regelmäßig wird die Ärztin in diesen Tagen meine Blutwerte checken und per Ultraschall nachschauen, ob die Eibläschen meiner Eierstöcke sich wie gewünscht entwickeln. Wenn genügend Eibläschen herangereift sind, werde ich mit einem anderen Hormon den Eisprung auslösen. Etwa anderthalb Tage später wird die Ärztin mich dann operieren, um die gereiften Eizellen durch die Vagina zu entnehmen und nach einer Kontrolle im Labor die geeignetsten bei minus 196 Grad Celsius einzufrieren. Nur solche, die die nötige Größe haben und die morphologischen Kriterien erfüllen, wandern in die Gefrierbox.
Ich lerne auch noch: Weil ich an einer Hormonstörung namens Polycystisches Ovarialsyndrom leide, kurz PCO, kann es in meinem Fall zu einer Überstimulation kommen: Einmal durch die gespritzten Hormone „angeschubst“, produzieren die Eierstöcke dann überdurchschnittlich viele Eibläschen, und zwar so viele, dass es im schlimmsten Fall zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie einer Lungenembolie kommen kann. „Ist aber sehr selten“, sagt die Ärztin.
Ich nehme alle Infoblätter mit nach Hause, auch den Kostenvoranschlag. Und den Vertrag, den ich für die Behandlung mit der Kinderwunschpraxis abschließen muss. Der Vertrag ist für Paare ausgelegt, weil die Hormongabe beim Social Freezing den Anfängen einer Kinderwunschbehandlung gleicht, und die bis vor wenigen Jahren ausschließlich Paaren offen stand. Dort, wo normalerweise der Ehemann unterschreiben würde, hat eine Sprechstundenhilfe in meinem Vertrag alles durchgestrichen. Ich starre auf das Papier, den leeren Platz, fühle mich schlecht und allein. Als sei ich irgendwie defizitär. Weil ich die gesellschaftliche Erwartung an eine Frau in meinem Alter nicht erfülle, ohne Partner, ohne Kind. Dann atme ich einmal tief ein und unterschreibe.
„Sieh es als eine Art Versicherung.“
Ich erzähle nicht vielen Menschen aus meinem Umkreis von der anstehenden Prozedur. Zu groß ist die Sorge, jemand könnte mit kritischen Fragen meine eigenen Zweifel an der Sache bestärken. Meine Angst vor Komplikationen etwa oder das schlechte Gewissen, weil ich so viel Geld bezahle für eine Operation, die medizinisch nicht notwendig ist. „Wie elitär von mir!“, denke ich und schäme mich.
Es passiert das, was eigentlich nicht passieren soll: Es kommt zu Komplikationen
Meine nächste Periode rückt näher. Die Hormonpräparate bestelle ich im Internet und lasse sie aus Holland liefern. Dazu hat mir die Ärztin der Kinderwunschpraxis geraten, weil die Medikamente in Holland weniger kosten als in Deutschland. Ich erstelle mir einen Spritzenplan: In pinker, neon-grüner und roter Farbe markiere ich auf einem Blatt Papier für die folgenden 14 Tage, wann ich welches Hormon zu welcher Uhrzeit spritzen muss und wann die Operation voraussichtlich ansteht.
Die ersten Tage läuft alles wie geplant – ich bin trotzdem dauernervös, habe Angst, dass ich die Spritzen falsch setze, die Dosis falsch aufziehe, den Zeitplan nicht einhalte. Das Spritzen bleibt eine Herausforderung. Jedes Mal, wenn mein Handywecker klingelt, um mich an die nächste Dosis zu erinnern, steigt mein Puls. Aber die Hormone schlagen an: Auf dem Ultraschallbild, das die Ärztin nun regelmäßig von meinem Bauch macht, kann ich in grobkörnigem Schwarz-Weiß nachverfolgen, wie sich nicht nur immer mehr schwarze Kreise bilden – die reifenden Eibläschen –, sondern auch, wie meine Eierstöcke immer größer werden.
Doch nach einigen Tagen guckt die Ärztin kritisch auf das Ultraschallbild, sie sieht unzufrieden aus. Die Eibläschen wachsen nicht dem Zeitplan gemäß weiter. „Wir müssen die Hormondosis erhöhen“, sagt die Ärztin, „da führt jetzt kein Weg dran vorbei.“
Und dann passiert das, was eigentlich nur selten passieren soll: Ich bin die Ausnahme der Regel, Komplikationen treten auf. Meine Eierstöcke sind stark überstimuliert.
„Sie müssen jetzt durchhalten“, sagt die Ärztin
Meine Brüste schwellen an, mein Bauch ebenfalls. Er schmerzt, spannt und ist mittlerweile so groß wie ein Schwangerschaftsbauch etwa im vierten Monat. Ich ekle mich vor mir selbst, fühle mich, als würde ich mutieren. Weil mein Bauch so weh tut bei jeder Berührung und ich Angst habe, irgendein Passant auf der Straße könnte mich versehentlich anrempeln und meinen Bauch berühren, bleibe ich die meiste Zeit der zweiten Behandlungswoche zu Hause. Während draußen der Spätsommer die Tage golden macht, liege ich im Bett und ertappe mich dabei, wie ich denke, dass mein Körper vielleicht genauso aussehen würde wie jetzt, wenn in ihm ein Baby wachsen würde und keine künstlich stimulierten Eizellen für irgendwann, vielleicht, womöglich, oder nie.
Jeden zweiten Tag muss ich nun zum Ultraschall, die Ärztin will mich genau überwachen. Meine Schmerzen werden von Tag zu Tag größer. „Sie müssen jetzt durchhalten“, sagt die Ärztin, „wir können die Dosis nicht einfach herunterfahren, das würde die ganze Behandlung gefährden.“
54 Eizellen entnimmt die Ärztin mir – das ist Praxisrekord
Die letzten beiden Tage vor der Operation kann ich kaum noch richtig laufen, weil meine Eierstöcke so schmerzen, sich in meinem Bauch Wasser eingelagert hat und ich mittlerweile kurzatmig bin. Ich fühle mich schwer, langsam, wie ein anderes Ich. Nie war ich mir fremder in meinem Körper. An Tag 14 ist es so weit: Die Eizellen sind nun so weit herangereift, dass der Eisprung ausgelöst werden kann. Und dann, an Tag 16, werde ich operiert. Endlich! Rund zehn entnommene Eizellen entsprechen einer erfolgreichen Behandlung – bei mir werden es am Ende 54 sein. Eine Biologin untersucht alle Eizellen auf ihre Qualität und Größe, noch während ich langsam aus der Narkose zurückkehre. 32 wird sie letztlich einfrieren. „Praxisrekord!“, sagt eine Sprechstundenhilfe im Aufwachraum zu mir.
Rekordverdächtig kommt mir auch die Summe vor, die ich am Ende zahlen muss: um die 4.000 Euro. Ich musste länger Medikamente spritzen als geplant, wurde öfter als normalerweise per Ultraschall untersucht, die Operation zur Eizellentnahme dauerte überdurchschnittlich lang und hat mehr Material verbraucht – all das zeigt sich jetzt in der Rechnung.
In den beiden Tagen nach der Operation geht es mir nicht gut. Ich bin kurzatmig, bekomme schlecht Luft; zwischen meinem Zwerchfell und der Bauchhöhle hat sich Wasser angesammelt. Ich kann kaum laufen, mein Bauch ist noch genauso aufgedunsen wie vor der Operation. Der Hormoncocktail der vergangenen zwei Wochen macht mich überempfindlich, emotional, gereizt. Ich weine viel in diesen Tagen, ohne sagen zu können, warum. „Wenn es mit dem Atmen nicht besser wird, müssen Sie ins Krankenhaus“, sagt die Ärztin, die nun jeden Morgen mit mir telefoniert. Auf keinen Fall, denke ich. Und vielleicht denkt mein Körper dasselbe: Mit jedem weiteren Tag geht es mir etwas besser, werden die Nebenwirkungen weniger.
Nach etwa zwei Wochen hat mein Körper seine alte Form zurück. Ich fühle mich wieder wie ich. Und bin sogar ein bisschen stolz auf meinen Körper. Er hat viel geleistet in den vergangenen vier Wochen. „Wahnsinn!“, denke ich und streichle mir nun wohlwollend und lächelnd über meinen wieder flachen Bauch, wenn ich vor dem Spiegel stehe.
Eingefrorene Eizellen sind nie eine Garantie für ein Baby
In den Monaten nach der Operation beruhigt sich etwas in mir. Die quälende, weil so nagende Frage, ob ich denn nun ein eigenes Kind will oder nicht, wird leiser. Etwas fällt von mir ab: Durch das Einfrieren der Zellen habe ich mir Ruhe gekauft. Auch wenn ich weiß, dass diese Ruhe trügerisch ist und ich ihr deswegen nicht zu sehr trauen darf. Denn eingefrorene Eizellen sind nie eine Garantie für ein Baby. Sie sind tatsächlich nicht mehr als eine Versicherung.
Die Chancen, mittels eingefrorener Eizellen ein Baby zu gebären, liegen je nach Alter der verwendeten Eizellen zwischen 21 und 30 Prozent. Die Chancen erhöhen sich, je jünger die eingefrorenen Eizellen sind und je mehr eine Frau zur Verfügung hat. Trotzdem: Beim Auftauen, Befruchten im Labor und Einsetzen in die Gebärmutter kann immer noch viel schiefgehen.
Und obwohl ich all das weiß und die einkehrende Ruhe mit Skepsis betrachte, lenkt sie mich doch weg von meiner Schwierigkeit, eine Entscheidung für mich selbst zu treffen. Stattdessen beginne ich, über größere Fragen nachzudenken: Ob Frauen heutzutage wirklich so frei in ihrer Entscheidung sind, wie viele gerne annehmen, was die Frage nach einem eigenen Kind betrifft. Wieso wir als Gesellschaft so fixiert auf das Thema Mutterschaft sind, sobald eine Frau ein gebärfähiges Alter erreicht, spätestens aber, wenn sie die 30 geknackt hat. Ob das Einfrieren von Eizellen, das in Deutschland schon jetzt rund ein Drittel aller Behandlungszyklen ausmacht, Tendenz steigend, wirklich so gewinnbringend für alle Seiten ist – oder ob es nicht auch ein Symptom unserer Zeit darstellt, sich möglichst lange möglichst viele Optionen offenzuhalten. Was ich mit meinen 32 eingefrorenen Eizellen tun werde, sollte ich mich wirklich in der Zukunft dagegen entscheiden, sie aufzutauen. Wieso ein Mann in Deutschland seine Spermien spenden darf, eine Frau ihre Eizellen aber nicht.
Im kommenden Jahr werde ich 40. Es ist mittlerweile fast genau drei Jahre her, dass ich meine Eizellen habe konservieren lassen. Meistens vergesse ich, dass irgendwo in flüssigem Stickstoff Zellgewebe von mir lagert, aus dem theoretisch ein Baby entstehen könnte. Nur, wenn die halbjährliche Rechnung zur Überweisung der 202,30 Euro eintrudelt, die weitere sechs Monate Einfrieren kosten, fällt es mir wieder ein. Seltsamerweise rückt die Frage nach einem eigenen Kind für mich immer weiter in den Hintergrund.
Die 32 eingefrorenen Eizellen, sie haben mich nicht näher an ein Baby geführt. Aber näher zu mir. Als ob jene Versicherung mir eine neue Freiheit geschenkt hätte, anders über mich selbst nachdenken zu können.
Im nächsten Text meines Themenschwerpunktes geht es um den aktuellen Stand der Reproduktionsmedizin. Und darum, warum man diese auch sehr kritisch sehen kann. KR-Leser:innen berichten von ihren ganz persönlichen Erfahrungen – sowohl positiven als auch negativen. Mein kostenloser Newsletter hält dich auf dem Laufenden. Hier kannst du ihn abonnieren.
Redaktion: Theresa Bäurerlin, Bildredaktion: Philipp Sipos, Illustration: Michelle Urra, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert